Verdrehte Wirklichkeit

Von Anette Schneider |
Das Künstlerpaar Peter Fischli und David Weiss gehört eher zu den humorvollen Vertretern, die es dennoch schaffen mit ihren Werken zum Nachdenken anzuregen. Die Deichtorhalle in Hamburg zeigt die Ausstellung "Peter Fischli / David Weiss - Fragen und Blumen", eine Retrospektive in Foto, Film und kleinen Skulpturen.
Der große, tönerne Kessel hat es in sich: An seiner Innenwand stehen all die Fragen, die das Leben schreibt. Etwa: ”Versteht man mich?”, "Ist alles sinnlos?”, "Muss ich fröhlich sein?”, "Fährt noch ein Bus?”, "Spinnen die andern?”.

Noch mehr Fragen stellen die beiden Schweizer Künstler Peter Fischli und David Weiss in einem dazugehörigen Film, ja selbst ein Buch mit diesen und vielen anderen Fragen haben sie veröffentlicht - nur sie selbst mögen überhaupt keine Fragen: Eisern verweigern sie jede Stellungnahme zu ihrem Werk. Deichtorhallenleiter Robert Fleck:

"Das jetzt noch einmal zu kommentieren, wollten sie immer vermeiden. Und das macht eigenartigerweise auch ihre Legende aus. Weil: Sie sind eigentlich sehr legendäre Künstler, die von einem kleinen Mythos umgeben sind, wo es heißt, es gibt keine richtigen Informationen über sie. Weil sie wollen auch nicht, dass jetzt ihre Biografie, die sie völlig banal finden - und die auch banal ist - dass die jetzt nicht zu ihrer Arbeit groß herangezogen wird."

Seit über 30 Jahren arbeiten Fischli und Weiss zusammen. Längst haben sie mit ihren schräg-humorvollen Arbeiten nicht nur die internationale Kunstkritik erobert, sondern auch ein breites Publikum. Denn stets gehen sie in ihren Skulpturen, Filmen und Fotografien an gegen den allzu großen Ernst und die Theorielastigkeit offizieller Kunst. Stattdessen widmen sie sich auf sehr eigenwillige Weise der alltäglichen Wirklichkeit - mit all ihren Ab- und Hintergründen des Banalen.

"Ihre erste gemeinsame Arbeit war, dass der eine den andern besucht hat in Los Angeles, und sie haben den Eisschrank ausgeräumt. Da waren Würste vor allem drin, unterschiedlicher Art. Und sie haben aus diesen Würsten Skulpturen gemacht und Skulpturenensembles. Die waren natürlich vergänglich, und die konnten sie nur durch Fotografie festhalten. Und da haben sie die Fotografie schon sehr professionell gemacht, aber so, dass es nicht professionell aussieht."

Für ihre umfangreiche Retrospektive haben Fischli und Weiss die Deichtorhalle umbauen, Wände einziehen und so neue Räume schaffen lassen. Anders als in London und Zürich sind in Hamburg alle Werkgruppen vollständig versammelt. Auch sind noch zusätzliche Arbeiten zu sehen. Allerdings irritiert die Konzeption: die Künstler zeigen hier Fotografien, Filme und Skulpturen streng voneinander getrennt, was der Ausstellung einen merkwürdigen Ernst verleiht. Auch verhindert diese Präsentation das Vergnügen, die drei Kunstgattungen in einem Raum zu erleben und damit unmittelbar zu sehen, wie sich Fotografie, Skulptur und Film aufeinander beziehen.

So beginnt die Ausstellung mit einer Fotoserie von Blumenbildern - dem wohl beliebtesten Thema der Amateurfotografie. Allerdings entpuppt sich bei Fischli und Weiss der Blick aufs Alltägliche als ungemütlich: Durch Überblendungen wirken ihre Blüten wie monströse, genmanipulierte Gewächse.

Es folgen Arbeiten aus Ton, darunter die Serie "Plötzlich diese Übersicht”, in der die beiden in 250 kleinen Skulpturen mit groteskem Witz die Welt erklären. Für Hamburg formten sie alle Figuren neu, da die alten nicht mehr transportfähig waren. Dass sie sich darauf einigen konnten ist übrigens ebenso wenig selbstverständlich wie ihr ganzes gemeinsames Werk, denn, so Robert Fleck:

"Sie meinen noch heute: Eigentlich haben sie nie beschlossen, ein gemeinsames Werk zu schaffen. Sondern nur, weil es gut funktioniert hat, können wir es ja noch einmal versuchen. Und mehr haben sie nicht miteinander zu tun. Sie haben unterschiedliche Wohnungen. Sie kommen in der Früh in ein Atelier wie jemand, der zur Arbeit kommt. Und was sehr interessant ist, das haben wir auch hier beim Aufbau der Ausstellung gemerkt: Sie sind nie einer Meinung. Über gar nichts! Der eine sagt: ’Heute ist schönes Wetter in Hamburg.’ Und der andere sagt: ’Ich hab aber lieber graues Wetter.’"

Im Mittelpunkt der Ausstellung: der Film "Lauf der Dinge”. 1987 machten sich Fischli und Weiss an dieses 30-minütige Feuerwerk aus irrwitzigen Kettenreaktionen, die ein Autoreifen auslöst, der - vorsichtig angetippt - langsam eine Schräge hinabrollt. Auch andere Filme gibt es zu entdecken. Etwa "Ratte und Bär”, in denen die beiden in absurden Ratte- und Bärkostümen mit sehr denkerischem Gestus durch Wälder und Gebirge streifen und einsam-genialische Künstler mimen.

"Und für diese Filme ’Ratte und Bär’ haben sie als Erklärung dann ein Heft mit veröffentlicht mit lauter Diagrammen. Und das war eine wirkliche Parodie auf Josef Beuys und auf die Ernsthaftigkeit, in der Beuys und überhaupt die Kunst damals aufgetreten ist."

Mit diesem Humor stellen die beiden immer wieder vermeintlich Selbstverständliches in Frage, führen die Absurdität im Banalen vor, und spielen mit unserer Wahrnehmung: Wie bei der Katastrophe, die sich in einem der letzten Räume ereignet: Dort liegt ein Floß, umgeben von Krokodilen und Nilpferden. Auf den Brettern stapeln sich Wagenreifen, Tische und Stühle, ein Auspuff, High Heels, eine Sau mit Ferkeln, eine Ziehharmonika - frei nach dem Motto: "Rettet die Sachen, werft die Leute über Bord!”

Diese Überbleibsel einer überfluteten Welt, die bereits 1982 entstanden und nur in Hamburg zu sehen sind, wirken wie aus schwerem Holz. In Wirklichkeit aber sind sie aus Polyurethanschaum - womit Fischli und Weiss unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit ein weiteres mal irritiert hätten.

"Vieles arbeitet ja mit Täuschung. Und dann weiß man plötzlich nicht mehr, wo die Wirklichkeit da ist. Und das ist eigentlich ihr Anliegen: Dass es einfach und verständlich scheint, aber zum Schluss geht man mit viel Fragen raus, weil man die Wirklichkeit eigentlich nicht mehr greifen kann."