"Gesicht zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland" (Hrsg.): Mein Kampf – gegen rechts
Europa Verlag, München 2016
168 Seiten, 14,00 Euro
Mit dem Lösemittel gegen rechtes Gedankengut
Pünktlich zum Neuerscheinen von Hitlers "Mein Kampf" erscheint ein Gegenbuch: "Mein Kampf – gegen rechts" versammelt elf Portraits von Menschen, die sich privat gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit engagieren. Die Botschaft: Jeder kann das tun.
Manchmal ist es schon ein Kampf, seine eigene Meinung zu vertreten. Oder die Erinnerung an die Geschichte wach zu halten. Manchmal bedeutet Kampf, zuzupacken, wenn andere nur reden – und manchmal zeigen sich Mut und Kampfgeist darin, einfach nur Parolen von der Wand zu kratzen.
"Seit fast 30 Jahren verlasse ich das Haus nicht mehr ohne eine Tasche mit (…) Bürsten, Pinseln, Lösungsmitteln und Farbe. Meine Geheimwaffe ist ein Ceranfeldschaber, so einer zum Küchenherdesäubern. Letztens habe ich mich auf einen U-Bahn-Sitz geschwungen, vorher natürlich die Schuhe ausgezogen, ich bin ja eine anständige Frau. Oben an diesem kleinen Bildschirm, wo Nachrichten laufen, da klebte ein Naziaufkleber. Da hab' ich gleich meinen Schaber rausgeholt und den Sticker ritsch-ratsch abgemacht."
Dossier zum Stand der Zivilcourage
Elf Protokolle hat der Journalist Lutz Meier im Namen des Vereins "Gesicht zeigen!" zusammengestellt – zu Wort kommen die Berliner Heilpädagogin Irmela Mensah-Schramm (die mit dem Ceranfeldschaber), ein Kleinstadt-Bürgermeister, eine MTV-Moderatorin, ein Träger des Bundesverdienstkreuzes, eine Studentin.
Das Resultat ist ein Dossier zum Stand der Zivilcourage in einem auf vielen Ebenen verunsicherten Land. "Mein Kampf" heißt das Büchlein provokant – aber wie auch sonst? Genau davon erzählen ja die Geschichten: vom heldenhaften oder auch nur nimmermüden Kampf gegen eine Trägheit des Geistes, gegen absichtsvoll geschürte Angst, gegen die Hybris der Dummheit und die zynische Verschlagenheit der Brandstifter, denen ganze Pegida-Aufmärsche hinterhertrotten. Weil es so bequem ist, wenn ein anderer sagt: Wir lösen eure Probleme.
Nicht jede Geschichte endet mit einem Sieg der aufgeklärten Moral
Aber dann kommt einer wie Dominik Bloh, der auf der schiefen Bahn schon ganz schön weit vorangekommen war, stellt sich in eine Kleiderkammer und sortiert Klamotten für Flüchtlinge aus Syrien. Und entdeckt Sinn und beinahe so etwas wie Erfüllung darin, dass er anderen helfen kann.
"Ich glaube, die Menschen mochten dieses Unbürokratische. Du kommst rein und beginnst eine Sache, und dann entsteht eine Art Schwarmintelligenz, die die Aktion immer weiter perfektioniert. Das hat so gut funktioniert, weil alle an einem Strang gezogen haben. Alle wussten, wofür sie das machen, und haben sich gegenseitig motiviert."
Es sind keine strahlenden Helden, die hier aus ihrem Alltag erzählen. Und nicht jede Geschichte endet mit einem Sieg der aufgeklärten Moral. Die Studentin Emma etwa berichtet von ihrem Appell auf Facebook. Sie wollte neue Helfer für die Syrien-Flüchtlinge in Hamburg mobilisieren – und erntete am Ende vor allem Spott und den Vorwurf der Heuchelei. Und Robert Koall vom Staatstheater Dresden mischte sich bei den Montags-Kundgebungen unerkannt unter die Anhänger der fremdenfeindlichen Pegida, um zu erleben, dass auch viele der eigenen Leute den Dialog nicht suchten, sondern ihn eher blockierten.
Das Heldentum derer, die hier zu Wort kommen, ist leise
"Jedes Bemühen um eine (…) Auseinandersetzung mit Pegida wird von der linken Seite sofort als Gemeinmacherei verteufelt. Als bedeute jede Auseinandersetzung mit einem Anliegen auch automatisch Verständnis für dieses Anliegen. Als sei jeder ein Neonazi, der sich nicht öffentlich von Pegida distanziert (…). Die Pegida-Versteher dagegen (…) wollen unter keinen Umständen darauf hingewiesen werden, wie verlogen, tückisch und bodenlos dumm aufseiten von Pegida argumentiert wird."
Das Heldentum derer, die hier zu Wort kommen, ist leise, manchmal gar sanft, aber es zeichnet sich aus durch seine Unbeirrbarkeit. Und genau darin liegt die Chance, eine mündige Zivilgesellschaft gegen die Hass-Parolen zu verteidigen: hartnäckiger sein als die Verbohrten. Die Herausforderung persönlich nehmen. Deshalb auch geht der Titel absolut in Ordnung.