Verfallen, verwüstet, verwaist
Nach der Wende versprach Helmut Kohl dem Osten "blühende Landschaften". Stattdessen entstanden ganze Landstriche mit verfallenen Ortschaften und stillgelegten Industrieanlagen. Solchen "verlorenen Orten" widmet sich die Hamburger Galerie der Gegenwart in ihrer Ausstellung "Lost Places", die zahlreiche Arbeiten zeitgenössischer Künstler versammelt.
Verwüstete Wohnungen, ein verwaister Kultursaal, ein Hallenschwimmbad, in dessen Becken sich Stühle stapeln und in Einzelteile zerlegte Betten. 2005 besuchte die in der DDR geborene Fotografin Sarah Schönfeld Orte ihrer Kindheit, und hielt fest, was aus ihnen wurde. Die Suche nach biografischen Spuren wurde zu einer Dokumentation über die Folgen eines rücksichtslos "abgewickelten" Landes. 19 Künstlerinnen und Künstler versammelt die Ausstellung "Lost Places", die sich auf ganz unterschiedliche Weise mit "verlorenen Orten" beschäftigt, so Kuratorin Petra Roettig:
"Dahinter steckt die Idee nach der Frage: 'Was sind eigentlich Räume und Orte heute?' Im Zeitalter der Digitalisierung und wo man den Fotos eigentlich auch nicht mehr trauen kann, war einfach mal die Frage: 'Wie werden Räume heute in der Fotografie dargestellt? Gibt es eigentlich noch diesen festen Raumbegriff, den man auch mit Heimat und Verortung verbindet? Oder ist heute alles möglich?' Und dem Foto, dem man früher trauen konnte, weil man wusste, der Ort, der dort abgebildet ist, der ist es auch wirklich - dem kann man ja nicht mehr so trauen: Wenn wir Nachrichten sehen, wissen wir eigentlich gar nicht mehr genau: Stimmen die Bilder überhaupt? Oder sind sie vielleicht zusammengesetzt? Collagen? Oder Rekonstruktionen? Und darum geht es im weitesten Sinne."
Einige großformatige Schwarz-Weiß-Bilder zeigen monströse Betonstädte in wüstenähnlicher Landschaft. Beate Gütschow setzt am Computer Fotos realer Türme, Hochhäuser und Bürobauten zu neuen Stadtansichten zusammen, die den Blick schärfen auf das, was uns umgibt.
Dagegen hält Joel Sternfeld scheinbar völlig belanglose Orte fest. In warmen Farben sieht man auf Bushaltestellen, Grünanlagen, Parkplätze. Erst die kurzen Begleittexte entschlüsseln die Orte als Tatorte von Gewaltverbrechen.
So führt der Gang durch die Ausstellung zu einem ständig sich steigernden Gefühl der Unsicherheit gegenüber den Bildern - und dem, was sie zeigen oder zu zeigen vorgeben.
Die Aufnahmen von Alexandra Ranner wirken zwar auf den ersten Blick wie Fotos aus kalifornischen Luxusbungalows - tatsächlich aber handelt es sich um kleine Modelle, die Ranner gebaut und abfotografiert hat. Auch ihre begehbare Installation in ein sich spiegelndes Schlafzimmer täuscht den Betrachter.
"Es ist ganz interessant, dass viele Künstler, die in dieser Ausstellung sind, letztendlich von der Skulptur, der Bildhauerei kommen. Thomas Demand, der ja Orte reinszeniert, indem er sie als Modell baut. Ihn interessiert ganz stark die Frage des Modells, der Ort als Modell. Oder Alexandra Ranner, die auf ganz andere Weise Orte inszeniert, indem sie mit dem Gefühl arbeitet, das wir von Räumen haben. Räume sind ja auch immer mit einem gewissen Erinnerungswert verhaftet. Indem sie einen Ort gebaut hat, von dem wir denken, dort findet eine Spiegelung statt. Nur weil sie es so ausgestattet hat. Tatsächlich gibt es da keine Spiegelung, sondern es gibt zwei Orte. So ist es hier auch die dritte Dimension, die eine Rolle spielt."
Auffällig ist, wie viele junge Künstler und Künstlerinnen sich heute mit der Veränderung und Wahrnehmung von Orten beschäftigen. Während die Generation der Becher-Schüler - die Ausstellung zeigt Arbeiten von Andreas Gursky, Candida Höfer und Thomas Ruff - immer ästhetisierender wird, interessiert die Jüngeren anderes: Sie spüren Orte auf, die sie verdichten zu Sinnbildern politischer, wirtschaftlicher und sozialer Fehlentwicklungen.
Tobias Zielony etwa beobachtet Jugendliche in Gegenden, die ihnen aufgrund stillgelegter Industrie keinerlei Zukunft bieten. Jörn Vanhöfen zeigt Landschaften, die von Menschen ausgebeutet, und völlig zerstört zurückgelassen wurden.
Doch, so betont Petra Roettig: "Es ist nicht immer nur dieses Rückschauen, sondern auch in die Zukunft schauen. Und das ist ja heute auch eine große Diskussion. Zum Beispiel Detroit. Lange als großer Punkt des Verfalls angesehen, wird jetzt schon wieder zu einem In-Ort mit Künstlern, ein neues Berlin. Also das ist der Blick nach vorne."
Am eindrucksvollsten fängt den der südafrikanische Fotograf Guy Tillim ein. Er reist seit Jahren durch Afrika und dokumentiert koloniale Architektur: Behörden, Schulen, Hotels, Regierungsgebäude, Rathäuser - einstige Herrschaftssymbole der Weißen. Doch mittlerweile haben sich viele dieser Orte kolonialer Vergangenheit in Orte afrikanischer Identität verwandelt, eignete sich die Bevölkerung die einstigen Institutionen an - wie zum Beispiel ein gigantisches Hotel in Mosambik.
Petra Roettig: "Das war früher mal ein absolutes Luxushotel. Und wie das so der Fall ist, es ist inzwischen kein Luxushotel mehr, sondern von etwa 3000 Leuten bewohnt, die sich da ihren eigenen Lebensraum geschaffen haben. Und man sieht über den ehemaligen Prunkbalkons jetzt die Wäsche hängen. Das ist eine richtige Aneignung."
"Dahinter steckt die Idee nach der Frage: 'Was sind eigentlich Räume und Orte heute?' Im Zeitalter der Digitalisierung und wo man den Fotos eigentlich auch nicht mehr trauen kann, war einfach mal die Frage: 'Wie werden Räume heute in der Fotografie dargestellt? Gibt es eigentlich noch diesen festen Raumbegriff, den man auch mit Heimat und Verortung verbindet? Oder ist heute alles möglich?' Und dem Foto, dem man früher trauen konnte, weil man wusste, der Ort, der dort abgebildet ist, der ist es auch wirklich - dem kann man ja nicht mehr so trauen: Wenn wir Nachrichten sehen, wissen wir eigentlich gar nicht mehr genau: Stimmen die Bilder überhaupt? Oder sind sie vielleicht zusammengesetzt? Collagen? Oder Rekonstruktionen? Und darum geht es im weitesten Sinne."
Einige großformatige Schwarz-Weiß-Bilder zeigen monströse Betonstädte in wüstenähnlicher Landschaft. Beate Gütschow setzt am Computer Fotos realer Türme, Hochhäuser und Bürobauten zu neuen Stadtansichten zusammen, die den Blick schärfen auf das, was uns umgibt.
Dagegen hält Joel Sternfeld scheinbar völlig belanglose Orte fest. In warmen Farben sieht man auf Bushaltestellen, Grünanlagen, Parkplätze. Erst die kurzen Begleittexte entschlüsseln die Orte als Tatorte von Gewaltverbrechen.
So führt der Gang durch die Ausstellung zu einem ständig sich steigernden Gefühl der Unsicherheit gegenüber den Bildern - und dem, was sie zeigen oder zu zeigen vorgeben.
Die Aufnahmen von Alexandra Ranner wirken zwar auf den ersten Blick wie Fotos aus kalifornischen Luxusbungalows - tatsächlich aber handelt es sich um kleine Modelle, die Ranner gebaut und abfotografiert hat. Auch ihre begehbare Installation in ein sich spiegelndes Schlafzimmer täuscht den Betrachter.
"Es ist ganz interessant, dass viele Künstler, die in dieser Ausstellung sind, letztendlich von der Skulptur, der Bildhauerei kommen. Thomas Demand, der ja Orte reinszeniert, indem er sie als Modell baut. Ihn interessiert ganz stark die Frage des Modells, der Ort als Modell. Oder Alexandra Ranner, die auf ganz andere Weise Orte inszeniert, indem sie mit dem Gefühl arbeitet, das wir von Räumen haben. Räume sind ja auch immer mit einem gewissen Erinnerungswert verhaftet. Indem sie einen Ort gebaut hat, von dem wir denken, dort findet eine Spiegelung statt. Nur weil sie es so ausgestattet hat. Tatsächlich gibt es da keine Spiegelung, sondern es gibt zwei Orte. So ist es hier auch die dritte Dimension, die eine Rolle spielt."
Auffällig ist, wie viele junge Künstler und Künstlerinnen sich heute mit der Veränderung und Wahrnehmung von Orten beschäftigen. Während die Generation der Becher-Schüler - die Ausstellung zeigt Arbeiten von Andreas Gursky, Candida Höfer und Thomas Ruff - immer ästhetisierender wird, interessiert die Jüngeren anderes: Sie spüren Orte auf, die sie verdichten zu Sinnbildern politischer, wirtschaftlicher und sozialer Fehlentwicklungen.
Tobias Zielony etwa beobachtet Jugendliche in Gegenden, die ihnen aufgrund stillgelegter Industrie keinerlei Zukunft bieten. Jörn Vanhöfen zeigt Landschaften, die von Menschen ausgebeutet, und völlig zerstört zurückgelassen wurden.
Doch, so betont Petra Roettig: "Es ist nicht immer nur dieses Rückschauen, sondern auch in die Zukunft schauen. Und das ist ja heute auch eine große Diskussion. Zum Beispiel Detroit. Lange als großer Punkt des Verfalls angesehen, wird jetzt schon wieder zu einem In-Ort mit Künstlern, ein neues Berlin. Also das ist der Blick nach vorne."
Am eindrucksvollsten fängt den der südafrikanische Fotograf Guy Tillim ein. Er reist seit Jahren durch Afrika und dokumentiert koloniale Architektur: Behörden, Schulen, Hotels, Regierungsgebäude, Rathäuser - einstige Herrschaftssymbole der Weißen. Doch mittlerweile haben sich viele dieser Orte kolonialer Vergangenheit in Orte afrikanischer Identität verwandelt, eignete sich die Bevölkerung die einstigen Institutionen an - wie zum Beispiel ein gigantisches Hotel in Mosambik.
Petra Roettig: "Das war früher mal ein absolutes Luxushotel. Und wie das so der Fall ist, es ist inzwischen kein Luxushotel mehr, sondern von etwa 3000 Leuten bewohnt, die sich da ihren eigenen Lebensraum geschaffen haben. Und man sieht über den ehemaligen Prunkbalkons jetzt die Wäsche hängen. Das ist eine richtige Aneignung."