Verfassungsgerichtsurteil nicht umgesetzt

Berliner Lehrerin klagt gegen Kopftuchverbot

Eine Lehrerin mit Kopftuch schreibt an eine Tafel.
Eine Lehrerin mit Kopftuch © imago/epd
Von Kemal Hür |
Das pauschale Kopftuchverbot an Schulen ist seit Januar verfassungswidrig. Weil Berlin sein Gesetz nicht ändern will, klagt nun eine muslimische Lehrerin gegen das Land. So mancher Schulleiter in der Hauptstadt wünscht sich Lehrerinnen mit Kopftuch.
20 Erstklässler üben die Namen der Monate. Angekommen bei Dezember darf ein Kind ein Türchen im Adventskalender aufmachen. Weihnachtsbräuche gehören zum Unterricht, auch wenn die meisten der 270 Schüler der Berliner Kurt-Schumacher-Grundschule Muslime sind. Mehr als die Hälfte von ihnen besucht den islamischen Religionsunterricht. Weniger als zehn Schülerinnen tragen ein Kopftuch. Anders die Mütter: Die meisten von ihnen bedecken ihre Haare aus religiösen Gründen. An so einer Schule würde eine Lehrerin mit Kopftuch kaum auffallen, meint Schulleiter Lutz Geburtig. Er würde sogar eine muslimische Lehrerin mit Kopftuch einstellen, aber er darf es nicht.
"Das finde ich ganz schade. Ich akzeptiere als Schulleiter, aber auch als Privatmann, dass muslimische Frauen ihre Religiosität und auch Lebenseinstellung damit ausdrücken wollen. Und das ist durch das Grundgesetz ja auch abgedeckt. Und deshalb denke ich auch, das ist in Ordnung und richtig."
Das Grundgesetz stellt die Religionsfreiheit unter verfassungsrechtlichen Schutz. Aber das Berliner Neutralitätsgesetz verbietet seit 2005 das Tragen und Zeigen von religiösen Symbolen. Damit ist es einer muslimischen Lehrerin nicht erlaubt, an einer staatlichen Schule mit einem Kopftuch zu unterrichten. Geburtig muss sich an das Verbot halten. Aber er meint, nicht das Tragen eines Kopftuchs, sondern die religiöse und politische Einstellung einer Lehrerin sollte entscheidend sein:
"Ich bin der Meinung, die pädagogischen Kompetenzen stehen im Mittelpunkt. Für mich wäre das Kopftuch nicht das, worüber wir hier reden müssten. Es würde vielleicht am Rande sowieso auftreten als Gesprächsthema. Aber viel wichtiger wäre mir, welche Ideen hat sie davon, an unserer Schule zu arbeiten."
An der Schultür das Kopftuch abgenommen
Die staatliche Neutralität müsse nicht bedeuten, Religionen aus dem Schulalltag auszuklammern, sagt der Kreuzberger Schulleiter Geburtig. Gerade vor dem Hintergrund des islamistischen Terrors sei es wichtig, den Kindern ein differenziertes Bild vom Islam zu vermitteln.
"Ich würde mir eine Lehrerin wünschen, die auch ihre Kultur hier einbringt, die auch durch Gespräche, die sie im Kollegium führen würde, den Reichtum des Islams uns noch näher bringt. Denn ich glaube nicht, dass das, was in Paris und anderswo passiert ist, den Islam an sich verkörpert und ausmacht. Also die Gesellschaft muss sich widerspiegeln. Und die spiegelt sich eben durch so etwas wider."
Rita Schlegel: "Die junge Frau hat tagsüber das Kopftuch getragen. Und wenn sie in den Dienst kam oder ins Praktikum, hat sie es abgenommen, und wenn sie das Gebäude verlassen hat, halt wieder aufgetan."
Rita Schlegel, Leiterin der Hermann-Sander-Grundschule in Berlin-Neukölln, berichtet von einer jungen Muslimin, die im Rahmen ihres Studiums hier ein Praktikum absolvierte. Obwohl das Kopftuchverbot im Neutralitätsgesetz Praktikantinnen nicht bindet, hält Schlegel daran fest.
"Für mich ist es die gesetzliche Grundlage. Sicher, Praktikanten haben den Beruf noch nicht voll. Aber sie sollen ja mit in der Klasse sein, sollen teilweise auch mit dem Lehrer stehen. Manchmal sind ja auch die Praktika so, dass einzelne Unterrichtseinheiten oder im Erzieherbereich Betreuungseinheiten mit den Schülerinnen und Schülern übernehmen. Und demzufolge sind sie ja in der Berufsfunktion. Da gelten dann für mich für alle die gleichen Regeln."
Ist das Berliner Neutralitätsgesetz Diskriminierung?
Zwei Grundschulen, die sich ähnlich sind: Mehr als 90 Prozent der Schüler stammen aus Einwandererfamilien. Die meisten sind Muslime. An der einen Schule würde der Direktor das Kopftuch begrüßen, an der anderen hält die Schulleiterin das gesetzliche Verbot für richtig. An keiner der beiden Schulen hat sich bislang eine Lehrerin mit Kopftuch beworben. Eine aber, die sich bei der allgemeinen Lehrerbewerberauswahl vorstellte, wurde mit Verweis auf das Neutralitätsgesetz abgelehnt. Sie fühlte sich diskriminiert und verklagte das Land Berlin wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Die Lehrerin wird von der Rechtsanwältin Haschemi vertreten.
"In dem Fall meiner Mandantin war es so, dass sie sich kurz vorstellen durfte, im Übrigen nicht zu ihren Qualifikationen befragt wurde, sondern die erste und einzige Frage sich um das Kopftuch drehte, ob sie auch vorhabe, mit Kopftuch zu unterrichten. Meine Mandantin hat es bejaht und versuchte auch, auf die neue Bundesverfassungsgerichtsentscheidung hinzuweisen. Im Zuge dessen wurde aber darauf verwiesen, dass das Berliner Neutralitätsgesetz einer Einstellung entgegenstehen würde."
Die Klägerin möchte sich öffentlich nicht äußern. Sie ist seit drei Jahren Lehrerin und arbeitet an Berufsschulen, wo das Neutralitätsgesetz nicht greift oder an Privatschulen. Mit dieser Klage wird sich das Arbeitsgericht Mitte April beschäftigen. Es sei möglich, dass am Ende das Berliner Neutralitätsgesetz höchstrichterlich geprüft werden müsse, so Rechtsanwältin Haschemi.
"Wir hoffen darauf, dass das Arbeitsgericht sich mit der Frage auseinander setzt: Kann das Neutralitätsgesetz in der Form, wie es in Berlin derzeit angewendet wird, eine Diskriminierung aufgrund der Religion rechtfertigen. Das ist nämlich die Frage, um die es sich am Ende drehen wird. Und dem Arbeitsgericht steht in dem Fall offen, diese Frage an das Bundesverfassungsgericht abzugeben."
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