Der Beitrag von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist Teil der Reihe "Der Bundestag wolle beschließen..." anlässlich von 70 Jahren Grundgesetz, in dieser Woche jeweils um 7.20 Uhr im DLF Kultur.
Kinderrechte ins Grundgesetz
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Die Verfassung müsse eindeutig klarstellen: "Kinder und Jugendliche sind ab Geburt Träger aller Grundrechte", sagt die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Das sei notwendig - auch um Kinder vor Helikoptereltern zu schützen.
Die Bundesrepublik hat doch längst die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert – so lautet das Standardargument gegen Kinderrechte im Grundgesetz. Das stimmt zwar. Aber die UN-Konvention hat in Deutschland lediglich den Rang eines einfachen Gesetzes – und nicht Verfassungsrang. Und das ist mehr als eine juristische Feinheit.
Zuallererst geht es dabei um die Anerkennung von Kindern als Rechtssubjekte, also darum, sie nicht vor allem als Objekte oder Betroffene von gesetzlichen Regelungen zu betrachten. Selbstverständlich sind Kinder – und als Kind gelten alle Menschen bis 18 Jahre – schon jetzt Träger von Rechten. Aber das Grundgesetz formuliert dies nicht ausdrücklich: Art. 6 Grundgesetz, an den hier anzuknüpfen wäre, befasst sich mit dem Pflege- und Erziehungsrecht der Eltern, aber nicht mit den Rechten der Kinder. Als hätten Elternrechte immer Vorrang vor dem Kindeswohl.
Für Helikoptereltern keine Selbstverständlichkeit
Um das zu korrigieren, sollten Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern werden. Nur so kann das Kindeswohl gegenüber dem Elternrecht Gleichrangigkeit beanspruchen. Das mag nach einer Selbstverständlichkeit klingen. Für besonders fürsorgliche Eltern, besonders die sogenannten Helikoptereltern, die vermeintlich das Wohl ihres Kindes, aber meist zuerst ihre Sorge und eigenes Wohl im Blick haben, dürfte dies nicht immer verständlich sein.
Eine solche Gesetzesänderung birgt aber die Gefahr, das Grundgesetz zu überfrachten. Die National Coalition, das Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention, möchte zum Beispiel nicht nur festgeschrieben wissen, dass Kinder Träger eigener Rechte sind. Sie fordert auch folgende Kernelemente im Grundgesetz zu verankern: Das Recht des Kindes auf Entwicklung, Entfaltung und Bildung. Das Recht des Kindes auf Beteiligung an allen es betreffenden Maßnahmen. Die Verpflichtung des Staates, Chancengerechtigkeit und kindgerechte Lebensbedingungen für Kinder zu gewährleisten.
Als Verfassungsasketin war ich juristisch nie so richtig überzeugt davon, dass Kinderrechte ausdrücklich im Grundgesetz erwähnt werden sollten. Ich habe mich vielmehr in meiner politischen Tätigkeit darauf konzentriert, sie in den einfachen Gesetzen zu stärken. So habe ich mich dafür eingesetzt, nichteheliche Kinder endlich ehelichen Kindern rechtlich gleichzustellen, oder dafür, das Recht auf gewaltfreie Erziehung im BGB zu verankern, was im Jahr 2000 erfolgte. Vorarbeiten dazu habe ich als Bundesjustizministerin geleistet im Zusammenhang mit einer großen Kindschaftsrechtsreform, die sich dem Kindeswohl verschrieben hatte.
Eine einfache Klarstellung genügt
Zweifellos muss das Wohl des Kindes auch heute noch stärker in den Blick gerückt werden. Aber einen umfangreichen Katalog von Bestimmungen in das Grundgesetz aufzunehmen, würde viele Fragen aufwerfen: Muss zum Beispiel Kindern (zumindest bis zur Strafmündigkeit) ein Vertreter bestellt werden, damit sie ihre Rechte gegen die Eltern als gesetzliche Vertreter durchsetzen können? Wie definiert sich das Kindeswohl bei Auseinandersetzungen innerhalb der Familie oder etwa gegenüber Lehrern? Ist das Demonstrieren für eine lebenswerte Zukunft während der Schulzeit, möglicherweise gegen den Willen der Eltern und Lehrer, im Sinne des Kindeswohls zu werten? All dies mögen kleinliche Einwände sein, aber sie beschreiben die rechtliche Realität in Deutschland.
Kinderrechte sollten, so mein Fazit, im Grundgesetz in einem einfach gehaltenen Artikel verankert werden, der in möglichster Klarheit die Realität wiedergibt, dass Kinder und Jugendliche mit der Geburt Träger der Grundrechte sind. Dies, und nicht die Aufnahme eines umfangreichen Katalogs von Bestimmungen, stärkt die Rechtsposition der Kinder auch in der öffentlichen Wahrnehmung.