Verfassungsrichter im Zweitjob
Der Parlament in Potsdam hat Regisseur Andreas Dresen als Laienrichter an das Brandenburger Verfassungsgericht gewählt. Er hoffe, dass er so das Gericht mit einer anderen Perspektive bereichere, sagte Dresen anschließend.
Britta Bürger: Im Potsdamer Landtag hat sich der Filmemacher Andreas Dresen schon häufiger aufgehalten, meist, um Herrn Wichmann von der CDU zu filmen. Nun lernt er auch das Brandenburger Verfassungsgericht kennen, denn dort wurde Dresen heute auf Vorschlag der Partei Die Linke zum Laienrichter gewählt, über alle Parteigrenzen hinweg, mit 70 von 80 Stimmen. Herr Dresen, herzlichen Glückwunsch!
Andreas Dresen: Ja, dankeschön, hallo!
Bürger: Hallo! Wie sieht denn Ihre neue Robe aus? Oder müssen Sie gar keine tragen?
Dresen: Ich habe wohl mal den Präsidenten des Verfassungsgerichts gefragt, es gibt eine Robe im Brandenburger Verfassungsgericht, die sieht aber aus wie die ganz normale Robe, die die Richter im Land Brandenburg auch tragen. Die ist wohl schwarz und wird natürlich nur bei öffentlichen Gerichtsterminen getragen.
Ansonsten, die meisten Beratungen des Gerichtes finden aber hinter verschlossenen Türen statt, in dem Beratungszimmer, und ich glaube, da sieht man so aus, wie man eben aussieht. Ich muss die aber dann irgendwann mal anprobieren wahrscheinlich!
Bürger: Ich kann mir vorstellen, dass Sie im Gerichtssaal häufig in Situationen kommen werden, in denen Sie insgeheim denken, das wäre eine perfekte Filmszene? Das Gericht ist doch bestimmt eine große Fundgrube für künftige Themen, oder?
Dresen: Ich bin mir da nicht so ganz sicher, weil das Verfassungsrecht manchmal auch eine dröge Angelegenheit sein kann. Da geht es ja um viele behördliche Dinge, um kommunale Fragen und so weiter, das ist ja nicht wie im Strafgericht sozusagen oder im Strafprozess.
Aber natürlich bin ich trotzdem extrem neugierig, weil letztendlich die Entscheidung so eines Verfassungsgerichts natürlich auch die Lebenswirklichkeit vieler Leute im Land berühren. Und ich denke schon auch, einfach durch die Kollegen, die ja alle an unterschiedlichen Gerichten arbeiten, werde ich ganz viele Geschichten zu hören bekommen, die mich ganz gewiss reicher machen. Ob ich die dann nun direkt verfilmen werden kann, das weiß ich nicht so wirklich. Aber das wird bestimmt spannend!
Bürger: Als Filmemacher geht man ja im Grunde immer mit so einer Art Verwertungsbrille durch die Welt! Drei von neun Verfassungsrichtern dürfen in Potsdam Laien sein. Haben Sie in irgendeiner Weise ein juristisches Vorwissen?
Dresen: Nein, gar nicht. Ich habe noch nicht mal mit der Justiz irgendwie persönlich zu tun gehabt, nicht mal mit dem Scheidungsrichter. Also, insofern bin ich da wirklich komplett unbeleckt. Das ist aber auch genau die Idee dahinter. Also, das ... Die Brandenburger Verfassung ist ja auch so ein Ergebnis der Nachwendezeit und der Demokratiebegeisterung, kann man sagen, der Brandenburger.
Deswegen gibt es da sehr viel so plebiszitäre Elemente drin, eben auch Volksabstimmung, Volksentscheid, was ja nicht in allen Landesverfassungen vorkommt. Aber eben auch die Beteiligung von Laienrichtern im Verfassungsgericht. Muss nicht sein, kann. Ich bin momentan der Einzige, es sind noch acht Juristen dort.
Und ich glaube, auch in den anderen Landesgerichten, Landesverfassungsgerichten in Deutschland gibt es auch keine weiteren Laienrichter momentan, obwohl es manchmal möglich wäre. Ich finde das eine gute Idee, weil ich glaube, dass das möglicherweise so ein Gericht auch mit einer andern Perspektive bereichern kann. Für das juristische Wissen sind ja genug Kollegen da.
Bürger: Jetzt haben Sie die Landesverfassung vermutlich genau studiert. Wie war das, gab es da Aha-Erlebnisse?
Dresen: Ja, ganz ... Ja, wirklich schön! Also, ich war echt erstaunt! Ich meine, ich habe sie ja vor 20 Jahren mit gewählt, ich bin ja auch schon seit, seit 1985 lebe ich ja im Land Brandenburg und habe das alles natürlich damals auch hautnah mitgekriegt und fand das toll! 1992, ein Land gibt sich eine Verfassung! Und als ich die jetzt noch mal wieder gelesen habe, fand ich die auch unglaublich fortschrittlich, und es steht viel mehr drin an Grundrechten als man gemeinhin so vermutet.
Bürger: Zum Beispiel?
Dresen: Also, zum Beispiel ... Mich hat das ja nun gerade bei meinem letzten Film beschäftigt, das Recht auf ein würdevolles Sterben. Das fand ich ganz interessant, also, dass das in der Landesverfassung steht. Das hat ja durchaus unter Umständen in der Praxis Konsequenzen: Wenn zum Beispiel jemand aus einem Brandenburger Dorf sagt, er hat keine adäquate ärztliche Versorgung, um zu Hause im Kreis seiner Familie zu sterben, könnte er sich unter Umständen auf die Landesverfassung berufen! Und es gibt sehr viele Dinge ... Wie gesagt, auch die Volksentscheid, Volksbefragung, Sachen, wo im Prinzip viele Bürger die Chance haben, sich direkt einzubringen in die demokratische Willensbildung. Und das finde ich irgendwie was Tolles! Also, ich war beeindruckt!
Bürger: Was ist das spezifisch Brandenburgische an dieser Verfassung?
Dresen: Na ja, das spezifisch Brandenburgische ist natürlich das, was ich schon gesagt habe, das Ergebnis der Nachwendezeit, dass bestimmte Dinge, auf die man in der Demokratie Wert gelegt hat in diesen Tagen, da ganz fest drin verankert sind.
Eben wie zum Beispiel, dass das Volk ein Mitspracherecht hat in den demokratischen Prozessen. Das ist nicht in allen Landesverfassungen so, und im Grundrecht gibt es das ja auch nicht, da gibt es ja leider den Volksentscheid nicht. Finde ich eigentlich schade, aber in Brandenburg ist das möglich. Und das finde ich irgendwie eine große Errungenschaft, wie gesagt.
Bürger: Natürlich gab es in der Nachwendezeit aber auch das andere, diese Katerstimmung, das Fremdeln mit dem freiheitlich-demokratischen System. Das ist Ihnen nicht so gegangen, oder?
Dresen: Doch, das war bei mir, ehrlich gesagt, auch so. Das hatte vor allen Dingen was mit dem Ankommen in dem neuen Land zu tun, glaube ich, dass man nach der Wende ja irgendwie, oder mit der Wende mit großen Hoffnungen gestartet ist und dann irgendwie so gemerkt hat, dass jetzt sozusagen nur das komplette System der alten Bundesländer auf die neuen übertragen wird, ohne dass man über eine gesamtdeutsche Reform vielleicht mal nachdenkt oder Dinge da stärker integriert, die aus dem Osten kommen.
Da gab es erst mal schon diese Katerstimmung und auch eine Art von Enttäuschung in dieser Zeit, würde ich sagen. Und ich habe dann, bei mir hat es auch ein paar Jahre gedauert – und ich glaube, das ging vielen so –, ehe ich mich wieder angefangen habe, aktiver mit Politik zu beschäftigen.
Und eigentlich jetzt erst durch die Dreharbeiten mit Henryk Wichmann für meinen Dokumentarfilm über den Landtagsabgeordneten habe ich eigentlich wirklich so mal wieder demokratische Prozesse ganz aus der Nähe betrachtet und habe ein bisschen schlechtes Gewissen gekriegt, ehrlich gesagt, weil ich so dachte: Eigentlich gibt es tolle Möglichkeiten, sich auch einzubringen, aber man nutzt das einfach zu selten!
Bürger: Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem neuen Laienrichter am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, dem Filmemacher Andreas Dresen. Ja, wie verstehen Sie Ihren Auftrag da als Laienrichter? Was können Sie als Filmemacher oder, wie Sie sich selbst ja gern nennen, als Spielleiter möglicherweise besser beurteilen als ein Jurist?
Dresen: Also, besser beurteilen würde ich gar nicht sagen. Ich kann vielleicht noch mal eine andere Perspektive in juristische Diskussionen einbringen. Also, ich bin ja durch meine Arbeit viel im Land Brandenburg unterwegs, und ich habe in Frankfurt Oder "Halbe Treppe" gedreht, habe in Cottbus Theater gemacht, die beiden Filme über Henryk Wichmann spielen überwiegend in der Uckermark, es gab das große Projekt vom RBB, "20 x Brandenburg", das ich betreut habe.
Also ich glaube schon, dass ich das Land und auch die Leute, die hier wohnen, relativ gut kenne und in viele Bereiche auch schon aus der Nähe reingekommen bin, in die es Juristen möglicherweise nicht immer verschlägt. Und insofern könnte durchaus sein, dass in bestimmte juristische Diskussionen ich dann etwas einbringen kann, was direkt aus der Lebensrealität des Landes und meinen Erfahrungen kommt.
Und das ist, glaube ich, auch letztendlich der Wunsch, wenn man so einen Laienrichter da mit reinsetzt in eine juristische Veranstaltung. Sonst hätte man sich das ja nicht ausgedacht damals in der Verfassung. Und ich glaube auch, dass das sinnvoll ist, es gibt ja auch schöne Beispiele aus der Literatur: Azdak im "Kaukasischen Kreidekreis" ist der klassische Laienrichter, der dort aber für eine schöne Art von Gerechtigkeit sorgt, mit sehr weisen Entscheidungen, finde ich.
Bürger: Was sind das jetzt konkret für Fälle, die da in der nächsten Zeit auf sie zukommen? Was wird vor einem Landesverfassungsgericht verhandelt?
Dresen: Na, da wird natürlich vor allen Dingen alles verhandelt, was mit den Grundrechten der Bürger zu tun hat, und ob Landesbehörden oder Landesinstitutionen beispielsweise gegen das Verfassungsrecht von Bürgern verstoßen haben. Wenn Bürger beispielsweise Verfassungsklagen einreichen. Einer der großen Fälle des nächsten Jahres wird wahrscheinlich sein, dass die freien Schulen geklagt haben dagegen, dass ihnen die finanziellen Mittel des Landes stark zusammengestrichen worden sind.
Und das liegt jetzt als Landes ... als Verfassungsklage vor dem Verfassungsgericht und wird im nächsten Jahr ganz sicher auch dort verhandelt, möglicherweise auch öffentlich, weil es ja ein Vorgang ist von großem Interesse, der sehr viele Menschen letztendlich betrifft, sage ich mal, in diesem Urteil dann. Und das wird sicherlich sehr spektakulär. Und es gibt auch sehr viele Klagen von Bürgern, die sich auf einzelne Grundrechte beziehen, das werde ich aber erst erfahren, wenn ich im Januar zum ersten Mal dort wirklich aufschlage.
Bürger: Sie haben eben schon von Herrn Wichmann mehrfach gesprochen, dem CDU-Politiker, den Sie in zwei Filmen begleitet haben. Vorgeschlagen wurden Sie jetzt von der Partei Die Linke, gewählt parteiübergreifend, mit 70 von 80 Stimmen. Wo stehen Sie eigentlich selbst politisch?
Dresen: Tendenziell eher links. Ich bin aber kein Parteimitglied, nirgendwo. Ich habe ja zum Glück durch meine Arbeit relativ gut die Möglichkeit, mich auch dezidiert auch durchaus politisch zu äußern. Und als Verfassungsrichter bin ich sowieso zu Überparteilichkeit verpflichtet, und zwar unabhängig davon, welche Partei einen da vorgeschlagen hat.
Ich hätte das im Übrigen auch gemacht, wenn mich jetzt die FDP oder die Grünen vorgeschlagen hätten. Also, letztendlich wissen das die vorschlagenden Parteien auch, dieses Vorschlagsrecht kreist im Landtag sozusagen, es ist immer mal jemand anders dran, die Parteien wissen aber auch, dass sie den Verfassungsrichter nicht deswegen wählen, damit er dann ihre Parteilinie unterstützt.
Bürger: Wie viel Raum wird das jetzt in Ihrem Leben einnehmen und wie lässt sich das mit den Filmprojekten vereinbaren? Sie können ja nicht einfach beim Dreh mal fernbleiben und Sie können auch zugleich nicht einfach eine Verhandlung platzen lassen!
Dresen: Das wird schon einen beträchtlichen Raum in meinem Leben einnehmen, aber keineswegs so, dass ich da nicht mehr Filme machen kann. Das wäre auch für mich nicht, das hätte ich niemals gemacht dann. Das habe ich natürlich lange vorher versucht, mir genau anzuschauen, was das wirklich bedeutet.
Und konkret ist es so, dass sich das Verfassungsgericht einmal im Monat trifft zur Beratung, und das sind also zwölf Termine im Jahr, und darüber hinaus muss man natürlich sich mit den anstehenden Verfahren und den Klagen beschäftigen. Das wird auch noch ein bisschen Zeit brauchen, am Anfang mehr als sicherlich dann später. Ich glaube, man kann eine gewisse Routine darin entwickeln, diese Materialien, die man dafür bekommt, zu lesen, das muss ich mir einfach aneignen, das wird ein bisschen dauern.
Und ansonsten sind wir natürlich neun Verfassungsrichter und das Verfassungsgericht ist mit sechs Leuten beschlussfähig. Also, wenn ich jetzt wirklich mal zum Drehen weg bin, kann das auch sein und dann wird trotzdem in Brandenburg Verfassungsrecht gesprochen!
Bürger: Der Filmemacher Andreas Dresen ist seit heute Verfassungsrichter in Brandenburg, ein Laie. Herzlichen Dank fürs Gespräch, Herr Dresen!
Dresen: Ich bedanke mich auch!
Bürger: Tschüss!
Dresen: Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Andreas Dresen: Ja, dankeschön, hallo!
Bürger: Hallo! Wie sieht denn Ihre neue Robe aus? Oder müssen Sie gar keine tragen?
Dresen: Ich habe wohl mal den Präsidenten des Verfassungsgerichts gefragt, es gibt eine Robe im Brandenburger Verfassungsgericht, die sieht aber aus wie die ganz normale Robe, die die Richter im Land Brandenburg auch tragen. Die ist wohl schwarz und wird natürlich nur bei öffentlichen Gerichtsterminen getragen.
Ansonsten, die meisten Beratungen des Gerichtes finden aber hinter verschlossenen Türen statt, in dem Beratungszimmer, und ich glaube, da sieht man so aus, wie man eben aussieht. Ich muss die aber dann irgendwann mal anprobieren wahrscheinlich!
Bürger: Ich kann mir vorstellen, dass Sie im Gerichtssaal häufig in Situationen kommen werden, in denen Sie insgeheim denken, das wäre eine perfekte Filmszene? Das Gericht ist doch bestimmt eine große Fundgrube für künftige Themen, oder?
Dresen: Ich bin mir da nicht so ganz sicher, weil das Verfassungsrecht manchmal auch eine dröge Angelegenheit sein kann. Da geht es ja um viele behördliche Dinge, um kommunale Fragen und so weiter, das ist ja nicht wie im Strafgericht sozusagen oder im Strafprozess.
Aber natürlich bin ich trotzdem extrem neugierig, weil letztendlich die Entscheidung so eines Verfassungsgerichts natürlich auch die Lebenswirklichkeit vieler Leute im Land berühren. Und ich denke schon auch, einfach durch die Kollegen, die ja alle an unterschiedlichen Gerichten arbeiten, werde ich ganz viele Geschichten zu hören bekommen, die mich ganz gewiss reicher machen. Ob ich die dann nun direkt verfilmen werden kann, das weiß ich nicht so wirklich. Aber das wird bestimmt spannend!
Bürger: Als Filmemacher geht man ja im Grunde immer mit so einer Art Verwertungsbrille durch die Welt! Drei von neun Verfassungsrichtern dürfen in Potsdam Laien sein. Haben Sie in irgendeiner Weise ein juristisches Vorwissen?
Dresen: Nein, gar nicht. Ich habe noch nicht mal mit der Justiz irgendwie persönlich zu tun gehabt, nicht mal mit dem Scheidungsrichter. Also, insofern bin ich da wirklich komplett unbeleckt. Das ist aber auch genau die Idee dahinter. Also, das ... Die Brandenburger Verfassung ist ja auch so ein Ergebnis der Nachwendezeit und der Demokratiebegeisterung, kann man sagen, der Brandenburger.
Deswegen gibt es da sehr viel so plebiszitäre Elemente drin, eben auch Volksabstimmung, Volksentscheid, was ja nicht in allen Landesverfassungen vorkommt. Aber eben auch die Beteiligung von Laienrichtern im Verfassungsgericht. Muss nicht sein, kann. Ich bin momentan der Einzige, es sind noch acht Juristen dort.
Und ich glaube, auch in den anderen Landesgerichten, Landesverfassungsgerichten in Deutschland gibt es auch keine weiteren Laienrichter momentan, obwohl es manchmal möglich wäre. Ich finde das eine gute Idee, weil ich glaube, dass das möglicherweise so ein Gericht auch mit einer andern Perspektive bereichern kann. Für das juristische Wissen sind ja genug Kollegen da.
Bürger: Jetzt haben Sie die Landesverfassung vermutlich genau studiert. Wie war das, gab es da Aha-Erlebnisse?
Dresen: Ja, ganz ... Ja, wirklich schön! Also, ich war echt erstaunt! Ich meine, ich habe sie ja vor 20 Jahren mit gewählt, ich bin ja auch schon seit, seit 1985 lebe ich ja im Land Brandenburg und habe das alles natürlich damals auch hautnah mitgekriegt und fand das toll! 1992, ein Land gibt sich eine Verfassung! Und als ich die jetzt noch mal wieder gelesen habe, fand ich die auch unglaublich fortschrittlich, und es steht viel mehr drin an Grundrechten als man gemeinhin so vermutet.
Bürger: Zum Beispiel?
Dresen: Also, zum Beispiel ... Mich hat das ja nun gerade bei meinem letzten Film beschäftigt, das Recht auf ein würdevolles Sterben. Das fand ich ganz interessant, also, dass das in der Landesverfassung steht. Das hat ja durchaus unter Umständen in der Praxis Konsequenzen: Wenn zum Beispiel jemand aus einem Brandenburger Dorf sagt, er hat keine adäquate ärztliche Versorgung, um zu Hause im Kreis seiner Familie zu sterben, könnte er sich unter Umständen auf die Landesverfassung berufen! Und es gibt sehr viele Dinge ... Wie gesagt, auch die Volksentscheid, Volksbefragung, Sachen, wo im Prinzip viele Bürger die Chance haben, sich direkt einzubringen in die demokratische Willensbildung. Und das finde ich irgendwie was Tolles! Also, ich war beeindruckt!
Bürger: Was ist das spezifisch Brandenburgische an dieser Verfassung?
Dresen: Na ja, das spezifisch Brandenburgische ist natürlich das, was ich schon gesagt habe, das Ergebnis der Nachwendezeit, dass bestimmte Dinge, auf die man in der Demokratie Wert gelegt hat in diesen Tagen, da ganz fest drin verankert sind.
Eben wie zum Beispiel, dass das Volk ein Mitspracherecht hat in den demokratischen Prozessen. Das ist nicht in allen Landesverfassungen so, und im Grundrecht gibt es das ja auch nicht, da gibt es ja leider den Volksentscheid nicht. Finde ich eigentlich schade, aber in Brandenburg ist das möglich. Und das finde ich irgendwie eine große Errungenschaft, wie gesagt.
Bürger: Natürlich gab es in der Nachwendezeit aber auch das andere, diese Katerstimmung, das Fremdeln mit dem freiheitlich-demokratischen System. Das ist Ihnen nicht so gegangen, oder?
Dresen: Doch, das war bei mir, ehrlich gesagt, auch so. Das hatte vor allen Dingen was mit dem Ankommen in dem neuen Land zu tun, glaube ich, dass man nach der Wende ja irgendwie, oder mit der Wende mit großen Hoffnungen gestartet ist und dann irgendwie so gemerkt hat, dass jetzt sozusagen nur das komplette System der alten Bundesländer auf die neuen übertragen wird, ohne dass man über eine gesamtdeutsche Reform vielleicht mal nachdenkt oder Dinge da stärker integriert, die aus dem Osten kommen.
Da gab es erst mal schon diese Katerstimmung und auch eine Art von Enttäuschung in dieser Zeit, würde ich sagen. Und ich habe dann, bei mir hat es auch ein paar Jahre gedauert – und ich glaube, das ging vielen so –, ehe ich mich wieder angefangen habe, aktiver mit Politik zu beschäftigen.
Und eigentlich jetzt erst durch die Dreharbeiten mit Henryk Wichmann für meinen Dokumentarfilm über den Landtagsabgeordneten habe ich eigentlich wirklich so mal wieder demokratische Prozesse ganz aus der Nähe betrachtet und habe ein bisschen schlechtes Gewissen gekriegt, ehrlich gesagt, weil ich so dachte: Eigentlich gibt es tolle Möglichkeiten, sich auch einzubringen, aber man nutzt das einfach zu selten!
Bürger: Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem neuen Laienrichter am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, dem Filmemacher Andreas Dresen. Ja, wie verstehen Sie Ihren Auftrag da als Laienrichter? Was können Sie als Filmemacher oder, wie Sie sich selbst ja gern nennen, als Spielleiter möglicherweise besser beurteilen als ein Jurist?
Dresen: Also, besser beurteilen würde ich gar nicht sagen. Ich kann vielleicht noch mal eine andere Perspektive in juristische Diskussionen einbringen. Also, ich bin ja durch meine Arbeit viel im Land Brandenburg unterwegs, und ich habe in Frankfurt Oder "Halbe Treppe" gedreht, habe in Cottbus Theater gemacht, die beiden Filme über Henryk Wichmann spielen überwiegend in der Uckermark, es gab das große Projekt vom RBB, "20 x Brandenburg", das ich betreut habe.
Also ich glaube schon, dass ich das Land und auch die Leute, die hier wohnen, relativ gut kenne und in viele Bereiche auch schon aus der Nähe reingekommen bin, in die es Juristen möglicherweise nicht immer verschlägt. Und insofern könnte durchaus sein, dass in bestimmte juristische Diskussionen ich dann etwas einbringen kann, was direkt aus der Lebensrealität des Landes und meinen Erfahrungen kommt.
Und das ist, glaube ich, auch letztendlich der Wunsch, wenn man so einen Laienrichter da mit reinsetzt in eine juristische Veranstaltung. Sonst hätte man sich das ja nicht ausgedacht damals in der Verfassung. Und ich glaube auch, dass das sinnvoll ist, es gibt ja auch schöne Beispiele aus der Literatur: Azdak im "Kaukasischen Kreidekreis" ist der klassische Laienrichter, der dort aber für eine schöne Art von Gerechtigkeit sorgt, mit sehr weisen Entscheidungen, finde ich.
Bürger: Was sind das jetzt konkret für Fälle, die da in der nächsten Zeit auf sie zukommen? Was wird vor einem Landesverfassungsgericht verhandelt?
Dresen: Na, da wird natürlich vor allen Dingen alles verhandelt, was mit den Grundrechten der Bürger zu tun hat, und ob Landesbehörden oder Landesinstitutionen beispielsweise gegen das Verfassungsrecht von Bürgern verstoßen haben. Wenn Bürger beispielsweise Verfassungsklagen einreichen. Einer der großen Fälle des nächsten Jahres wird wahrscheinlich sein, dass die freien Schulen geklagt haben dagegen, dass ihnen die finanziellen Mittel des Landes stark zusammengestrichen worden sind.
Und das liegt jetzt als Landes ... als Verfassungsklage vor dem Verfassungsgericht und wird im nächsten Jahr ganz sicher auch dort verhandelt, möglicherweise auch öffentlich, weil es ja ein Vorgang ist von großem Interesse, der sehr viele Menschen letztendlich betrifft, sage ich mal, in diesem Urteil dann. Und das wird sicherlich sehr spektakulär. Und es gibt auch sehr viele Klagen von Bürgern, die sich auf einzelne Grundrechte beziehen, das werde ich aber erst erfahren, wenn ich im Januar zum ersten Mal dort wirklich aufschlage.
Bürger: Sie haben eben schon von Herrn Wichmann mehrfach gesprochen, dem CDU-Politiker, den Sie in zwei Filmen begleitet haben. Vorgeschlagen wurden Sie jetzt von der Partei Die Linke, gewählt parteiübergreifend, mit 70 von 80 Stimmen. Wo stehen Sie eigentlich selbst politisch?
Dresen: Tendenziell eher links. Ich bin aber kein Parteimitglied, nirgendwo. Ich habe ja zum Glück durch meine Arbeit relativ gut die Möglichkeit, mich auch dezidiert auch durchaus politisch zu äußern. Und als Verfassungsrichter bin ich sowieso zu Überparteilichkeit verpflichtet, und zwar unabhängig davon, welche Partei einen da vorgeschlagen hat.
Ich hätte das im Übrigen auch gemacht, wenn mich jetzt die FDP oder die Grünen vorgeschlagen hätten. Also, letztendlich wissen das die vorschlagenden Parteien auch, dieses Vorschlagsrecht kreist im Landtag sozusagen, es ist immer mal jemand anders dran, die Parteien wissen aber auch, dass sie den Verfassungsrichter nicht deswegen wählen, damit er dann ihre Parteilinie unterstützt.
Bürger: Wie viel Raum wird das jetzt in Ihrem Leben einnehmen und wie lässt sich das mit den Filmprojekten vereinbaren? Sie können ja nicht einfach beim Dreh mal fernbleiben und Sie können auch zugleich nicht einfach eine Verhandlung platzen lassen!
Dresen: Das wird schon einen beträchtlichen Raum in meinem Leben einnehmen, aber keineswegs so, dass ich da nicht mehr Filme machen kann. Das wäre auch für mich nicht, das hätte ich niemals gemacht dann. Das habe ich natürlich lange vorher versucht, mir genau anzuschauen, was das wirklich bedeutet.
Und konkret ist es so, dass sich das Verfassungsgericht einmal im Monat trifft zur Beratung, und das sind also zwölf Termine im Jahr, und darüber hinaus muss man natürlich sich mit den anstehenden Verfahren und den Klagen beschäftigen. Das wird auch noch ein bisschen Zeit brauchen, am Anfang mehr als sicherlich dann später. Ich glaube, man kann eine gewisse Routine darin entwickeln, diese Materialien, die man dafür bekommt, zu lesen, das muss ich mir einfach aneignen, das wird ein bisschen dauern.
Und ansonsten sind wir natürlich neun Verfassungsrichter und das Verfassungsgericht ist mit sechs Leuten beschlussfähig. Also, wenn ich jetzt wirklich mal zum Drehen weg bin, kann das auch sein und dann wird trotzdem in Brandenburg Verfassungsrecht gesprochen!
Bürger: Der Filmemacher Andreas Dresen ist seit heute Verfassungsrichter in Brandenburg, ein Laie. Herzlichen Dank fürs Gespräch, Herr Dresen!
Dresen: Ich bedanke mich auch!
Bürger: Tschüss!
Dresen: Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.