Wer Teil des Problems ist, kann das Problem nicht lösen
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Der Verfassungsschutz soll stärker gegen Rechtsextreme im öffentlichen Dienst vorgehen. Dazu soll dort eine neue Zentralstelle geschaffen werden. Die Journalistin Heike Kleffner findet das falsch: Der Geheimdienst sei selbst Teil des Problems.
Bundesinnenminister Horst Seehofer will härter gegen Rechtsextremismus vorgehen. Auf einer Pressekonferenz am Dienstag sprach der CSU-Politiker von einer "hässlichen Blutspur", die Rechtsextremisten vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) bis zum Anschlag auf die Synagoge in Halle gezogen hätten. In Deutschland gebe es rund 12.000 gewaltbereite Rechtsextreme, so Seehofer weiter. Insgesamt stamme die Hälfte der politisch motivierten Straftaten von Rechten. Um dagegen besser vorgehen zu können, sollen Bundeskriminalamt und Bundesverfassungsschutz daher nun je 300 zusätzliche Stellen bekommen.
Außerdem kündigte Seehofer an, dass auch innerhalb der Behörden genauer hingeschaut werden soll. Denn immer wieder gibt es die Vermutung, dass sich unter Soldaten, Polizisten und anderen Mitarbeitern von Sicherheitsbehörden überdurchschnittlich viele Menschen mit rechter, tendenziell verfassungsfeindlicher Gesinnung tummeln. Aber ist das wirklich so? Vorfälle aus der jüngsten Vergangenheit deuten zumindest darauf hin: Bekennerschreiben mit dem Absender "NSU 2.0", die aus einer Frankfurter Polizeiwache kommen; Polizisten in Mecklenburg-Vorpommern, die Munition horten und sich auf einen Umsturz vorbereiten; Bundeswehrsoldaten, die Hitlergrüße gezeigt haben sollen: Bisher wurden diese und weitere Ereignisse als Einzelfälle abgetan – mit der Folge, dass niemand weiß, wie viele dieser Einzelfälle es gibt.
57 "Einzelfälle" bei der Bundespolizei
Das soll sich nun ändern – und der Bundesinnenminister ging gleich mit gutem Beispiel voran, als er bekanntgab: Acht Bundespolizisten seien 2018 wegen ihrer Nähe zur Reichsbürger-Szene aufgefallen. Seit 2012 seien es 57 "Einzelfälle" gewesen – allein bei der Bundespolizei, so Seehofer: "Und deshalb können wir uns nicht begnügen mit der Aussage 'Einzelfälle', sondern wir müssen den öffentlichen Dienst – ohne ihn einem Generalverdacht zu unterziehen – besonders im Blick haben."
Um herauszufinden, wie es um die rechten Tendenzen unter Deutschlands Staatsdienern bestellt ist, soll nun im Bundesamt für Verfassungsschutz eine "Zentralstelle zur Aufklärung rechtsextremistischer Umtriebe im öffentlichen Dienst" gegründet werden. Die soll erstmals Zahlen zusammentragen, auch aus den Ländern. Im Frühjahr 2020 will man dann wissen, wie viele Rechtsextremisten in Deutschlands Behörden, Dienststellen, Revieren und Kasernen arbeiten.
Heike Kleffner: Verfassungsschutz nicht sinnvoll
Heike Kleffner hält dieses Vorgehen für falsch. Das Bundesamt für Verfassungsschutz sei nicht der richtige Ort für eine solche Zentralstelle, sagte die Geschäftsführerin des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Kleffner erinnert in diesem Zusammenhang an das Versagen des Verfassungsschutzes beim NSU-Komplex. "Die Erfahrungen aus dem NSU-Komplex und auch aus den nachfolgenden Rechtsterrorismus-Verfahren zeigen ganz deutlich, dass die Verfassungsschutz-Ämter – sowohl des Bundes als auch der Länder – über das sogenannte V-Leute-System in diese rechtsterroristischen Strukturen verstrickt sind und immer noch glauben, dass sie über die V-Leute auch militante rechtsterroristische Strukturen kontrollieren könnten. Das Gegenteil ist der Fall."
Stattdessen sollten die Strafverfolgungsbehörden – also Polizei und Justiz – gestärkt werden, denn der Verfassungsschutz habe als Frühwarnsystem komplett versagt. Die Erfahrung zeige, so Kleffner, dass die Stellen, die eine Draufsicht haben, idealerweise getrennt sein sollten von den Stellen, die sie kontrollieren sollen.
"Zahlen bilden das Problem nicht ab"
Kleffner, die auch Mitherausgeberin des Buches "Extreme Sicherheit: Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz" ist, zeigte sich sehr gespannt auf das Lagebild der neuen Zentralstelle, das im Frühjahr vorliegen soll. "Wir würden immer sagen, dass die Zahlen, die wir bislang kennen, das Ausmaß des Problems in keinster Weise abbilden." Oftmals würden etwa Soldaten, die rechte Umtriebe in ihrer Kaserne melden, die Erfahrung machen, dass der Militärische Abschirmdienst sich für nicht zuständig erkläre oder den Vorfall für nicht wichtig genug halte, um ihn zu melden.
Sinnvoll seien daher einerseits umfassende Studien zu dem Thema durch Politikwissenschaftler und andererseits ein Beschwerdemanagement. Außerdem müssten Whistleblower – also "Soldaten und Polizisten, die sagen, hier läuft etwas falsch" – ernst genommen und geschützt werden. Zudem müssten alle Möglichkeiten des Disziplinarrechts zum Einsatz kommen. "Da geht es auch darum, Praktiken zu entwickeln, tatsächlich auch klare Vorgaben zu machen, welche disziplinarrechtlichen, welche beamtenrechtlichen Konsequenzen entstehen bei rechtsextremen Vorfällen."
Christina Weiss: "Jetzt geht es wirklich in den Staat"
Die ehemalige Kulturstaatsministerin Christina Weiss erkennt im Vorgehen des Bundesinnenministers einen Paradigmenwechsel. Sie erinnert sich an Initiativen aus der Zeit der rot-grünen Bundesregierung um die Jahrtausendwende, als etwa der damalige Innenminister Otto Schily das "Bündnis für Demokratie und Toleranz" ins Leben rief oder Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye den Verein "Gesicht zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland" gründete.
Diese Initiativen, so Weiss, bezogen sich auf die Bevölkerung, die aufgefordert worden sei, extremistischen Gesinnungen gegenüber wachsam zu sein. "Das ist jetzt schon eine andere Qualität: Jetzt geht es wirklich in den Staat und in die Rechtsstaatlichkeit. Denn alle diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben ja mal einen Eid auf die Bundesrepublik Deutschland und ihre Verfassung geleistet."