Das Schicksal der Rohingyas in Myanmar
Die gute Nachricht: Anfang November finden in Myanmar, dem früheren Birma, Parlamentswahlen statt, die ersten Wahlen seit 25 Jahren. Die schlechte: Für die Rohingyas, der laut UN-Bericht "am meisten verfolgten Minderheit der Welt", wird sich danach nichts ändern.
Ein Stacheldrahtzaun steht rund um ein ganzes Viertel der Provinzhauptstadt Sittwe, an jeder Ecke sitzt oder steht ein Polizeiposten – vor drei Jahren haben hier noch die muslimischen Einwohner der Hauptstadt der Provinz Rakhine gelebt, gleich an der Grenze zu Bangladesch: Rohingyas, die vor Generationen aus Bangladesch zugewanderte muslimische Minderheit, sowie Muslime, die schon sehr viel länger Teil der birmanischen Gesellschaft sind. Nun ist das umzäunte Viertel fast menschenleer.
Im Sommer 2012 gab es hier heftige Gewaltausbrüche, bei denen mehr als 200 Menschen ums Leben kamen, die meisten von ihnen Muslime. Viele Straßenzüge wurden niedergebrannt, die meisten nur notdürftig wiederhergestellt, die ehemaligen Bewohner sind entweder geflüchtet oder in Lagern untergebracht.
Osman Kan lebt seit den Unruhen in einem Rohingya- oder Bengali-Dorf außerhalb Sittwes. "Bengalis" – so nennen die Buddhisten die Muslime, es zeigt, dass diese Muslime eigentlich aus Bangladesch kommen und zumindest nach Ansicht der buddhistischen Mehrheit Myanmars dort auch hingehören. Der 45-Jährige hat bei den Unruhen vor drei Jahren seine Familie verloren, seine Frau und sein Sohn kamen ums Leben. Seit mehr als drei Jahrzehnten besitzt Osman Kan die Staatsbürgerschaft Myanmars, er ist einer der wenigen Muslime in der Rakhine Provinz mit Ausweis. Trotzdem will er weg:
"Wir können hier nicht mehr raus aus unserem Dorf, es wird jeden Tag schlimmer. Bisher hat eine Gelegenheit zur Flucht gefehlt. Wir leben schon so lange hier, es ist nicht einfach zu gehen."
Seit 1962 lebt die Familie von Osman Kan in Myanmar, mehr als ein Menschenleben, könnte man sagen. Nun aber sind mit dem Haus auch alle Dokumente verbrannt. Wie es mit der Staatsbürgerschaft weitergeht, wie es überhaupt weitergeht in der Provinz Rakhine, deren buddhistische Mehrheit die muslimische Minderheit ablehnt, häufig fürchtet, manchmal geradezu hasst, wie es weitergeht mit ihm, das weiß Osman Kan zur Zeit nicht. Asali Han sitzt neben Osman auf einem schiefen Rattan-Stuhl. Er ist etwa zehn Jahre jünger, aber seine Geschichte klingt ganz ähnlich:
"Wir leben schon sehr lange hier, wir nennen uns Rohingyas. Als vor drei Jahren alles niedergebrannt ist, da mussten wir fliehen. Manche, wie wir, hierher, andere sind gleich ganz aus dem Land geflüchtet. Vielleicht machen wir das auch noch."
Ende des Jahres wird gewählt wird in Myanmar. Dass sich dann – vielleicht – etwas ändert, daran glauben die Muslime rund um Sittwe nicht. Zumindest erwarten sie nichts vom Ausgang der Wahl. Aung San Suu Kyi, die Friedenspreis-gekrönte Oppositionsführerin, hat hier nicht ihre treuesten Fans.
"Wir bekommen hier von der Politik in der Hauptstadt nicht viel mit, wir wissen wenig – und wir erwarten wenig."
Konflikt zwischen Armen und Bitterarmen
Es ist ein Konflikt in tiefster Armut, der hier in und um Sittwe stattfindet. Es ist ein Konflikt zwischen bitterarmen Muslimen und fast genauso armen Buddhisten. Es ist ein Verteilungskampf um das wenige, das es hier im Westen Myanmars überhaupt zu verteilen gibt. Aber eindeutig ist, sagt Phil Robertson von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, ein langjähriger Kenner der Situation in Myanmar und insbesondere in der Rakhine Provinz, eindeutig ist, dass die Rohingyas die Verlierer sind:
"Diese Rohingyas sind staatenlos, sie werden ausgesprochen schlecht behandelt, es gibt eine geradezu verzweifelte Notwendigkeit, dass geholfen wird. Es ist inzwischen ein regionales südostasiatisches Problem, und das erfordert eine regionale Lösung."
Ein Flüchtlingslager außerhalb der Provinzhauptstadt Sittwe. Hier leben Muslime in einfachsten Hütten, seit drei Jahren schon. Ma Ten Shwe sitzt vor einer dieser Hütten und schützt ihr Kind mit den Händen vor der Sonne:
"Es ist hier viel schlechter als früher in Sittwe, es ist sehr schwer, hier zu leben. Aber zumindest ist niemand aus unserer Familie tot."
Sicher ist, die Muslime hier im Camp sind staatenlos, seit langem schon, sie sind rechtlos, ohne Arbeit und Einkommen. Was sie sich wünschen, ist klar: die Staatsbürgerschaft, ein Teil Myanmars werden. Zumindest die sogenannte "White Card" wollen sie, die zum Wählen berechtigt. Abdul Majid ist 68, er sei, so erzählt er, als muslimischer Bürger Myanmars geboren worden, damals, als es noch Birma hieß, dann, so erinnert er sich, wurde er irgendwann zum Rohingya erklärt:
"Wir leben hier doch schon seit 70, 80 Jahren, ich bin Bürger Myanmars. Wenn wir nicht die Staatsbürgerschaft bekommen, dann muss ich hier weg."
Ma Ten Shwe, die Mutter aus dem Camp, ohne Staatsbürgerschaft, ohne Rechte, sieht es genauso:
"Es sind einige von hier geflohen, aber jetzt geht das nicht mehr. Ich würde gern hier weggehen."
Der 22-jährige Mon Tin Lai steckt voller Tatendrang, das sieht man ihm an. Aber er kann nichts tun, er sitzt hier, im Lager bei Sittwe, wichtige Jahre seines Lebens ab:
"Wir können kaum arbeiten, nicht zum Fischen raus, uns fehlt schlicht das Geld für Benzin, um mit den Booten zu fahren. Uns fehlt alles."
Ja, sagt Mon Tin Lai, natürlich verstehe er alle, die fliehen. Er sollte das vielleicht auch tun, fügt er hinzu:
"Hier sind viele weg, Rohingyas, geflüchtet, manche auch umgekommen. Die Staatsbürgerschaft, das würde uns hier helfen."
Wenige Kilometer Luftlinie entfernt leben Buddhisten in Holzhäusern, die ihnen die Regierung hingestellt hat, als auch sie 2012 bei den Unruhen alles verloren. Häuser, Hütten, die denen der Muslime durchaus gleichen. Daw Sen Nu Sai lebt in einer dieser Hütten und betreibt seit Jahren einen kleinen Laden:
"Das hier ist doch kein Zuhause. Wir waren es gewohnt, in einem Haus mit Bäumen vor der Tür zu leben. Hier ist nichts, es ist sehr heiß und sehr anstrengend."
Nein, sagt Daw Sen, sie hasse die Muslime nicht, die ihr Haus abgebrannt hätten, sie sei aber wütend auf sie:
"Das liegt alles an den Bengalis. Ich möchte nicht mehr mit denen zusammen leben, die sollen auch nicht mehr hier sein dürfen."
Wai Wai Tun ist Vorsitzende des Rakhine Women Network, einer kleinen Frauenorganisation in Sittwe, der einzigen in der Region. Sie gibt Kurse in Selbstständigkeit – sie lehrt einerseits, wie man ein eigenes kleines Geschäft eröffnet und erfolgreich betreibt, aber auch, wie man sich bei der allgegenwärtigen häuslichen Gewalt zur Wehr setzt oder besser: wie man ihr entgeht. Wai Wai Tun ist so etwas wie die Speerspitze der kleinen intellektuellen, liberalen Schicht in der Provinzhauptstadt.
"Das Problem fing mit den Unruhen 2012 an, aber es geht weiter, Mönche sollten damals umgebracht werden. Heute noch kommen die Muslime sehr aggressiv aus der Moschee, manchmal werden Steine geworfen."
Das ist die buddhistische Sicht der Ereignisse. Dabei ist Wai Wai Tun schon eine Ausnahme. Sie ist das kleine liberale Gewissen der Provinzstadt und gesteht den so genannten Bengalis daher das Recht zu, in Sittwe zu leben. In gewissen Grenzen natürlich:
"Wenn sie schon lange hier sind, dann haben sie natürlich das Recht zu bleiben, sofern sie sich an die Gesetze halten. Und dann haben sie auch Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis."
... falls man ihnen die zugesteht, falls sie Dokumente haben, die anerkannt werden, falls eine kommende neue Regierung vielleicht mehr Lösungswillen zeigt, mehr Kraft, die verfahrene Lage neu zu gestalten. Die Muslime in und um Sittwe sind die Verlierer in diesem Konflikt. Bisher zumindest – und ob sich das jemals ändert, ist noch nicht abzusehen. Sie sind völlig verarmt und viele auch verfolgt, ihre Rechtlosigkeit allein kommt Verfolgung gleich. Aber sie sind nicht nur die Opfer, die Wirklichkeit in Sittwe in der Provinz Rakhine ist nicht schlicht schwarz und weiß zu beschreiben, bei genauem Hinsehen überwiegen die Grautöne. Min Min im weit entfernten Rangun sieht das anders. Für den Geschäftsmann in der Metropole Myanmars ist die Lage klar, natürlich schwarz – weiß, und die Schuldfrage ist eindeutig:
"Die Bengalis sind alle illegal eingewandert, sie leben jetzt bei uns in Lagern und bekommen immer mehr Kinder. Wenn wir das geschehen lassen, dann sind wir bald alle Muslime."
Demonstration gegen die Weltöffentlichkeit
Min Min organisiert Demonstrationen gegen die Rohingyas, die er Bengalis nennt, er will sie alle zurückschicken nach Bangladesch. Tausende kommen zu seinen Kundgebungen, jedes Mal sind viele buddhistische Mönche unter den Demonstranten. Min Mins Protestzüge durch Rangun richten sich auch gegen die Weltöffentlichkeit, gegen die Vereinten Nationen, die zu Min Mins großem Ärger, und dem Ärger seiner buddhistischen Mitstreiter, von den Rohingyas als der "am meisten verfolgten Minderheit der Welt" sprechen und den Geflohenen den Weg zurück nach Myanmar ebnen wollen. Min Min, eigentlich ein friedlich wirkender Mensch, wird unruhig – und laut:
"Es geht ganz ausdrücklich gegen die UN, die alle Bootsflüchtlinge als Bewohner Myanmars bezeichnet. Die sprechen doch nicht mal birmanisch. Trotzdem sollen wir 1,3 Millionen Bengalis für immer in unserem Land aufnehmen. Und auch die anderen asiatischen Staaten, unsere Nachbarn, sehen das so, weil sie lieber nichts mit dem Problem zu tun haben wollen und keine Verantwortung zeigen."
Ob nun eigenständige Minderheit oder nicht, die Muslime im Westen Myanmars sind staatenlos, rechtlos, Vertriebene, die in ganz Myanmar keiner will. Bis zu den Parlamentswahlen im November wird sich daran nichts ändern. Phil Robertson von Human Rights Watch:
"Die Regierung kann sich ja nicht einmal dazu durchringen, die Minderheit Rohingyas zu nennen. Derzeit leben 150.000 Muslime in Camps, festgesetzt, mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit, ohne ausreichende Lebensmittel und Wasser, nur von den Hilfsorganisationen betreut, und auch die dürfen die Camps häufig nicht betreten."
Die Frage lautet: Wird sich an dieser Situation etwas ändern, wenn die Nationale Liga für Demokratie im November die Wahlen gewinnt – was allgemein erwartet wird – und Aug San Suu Kyi, die Friedensnobelpreisträgerin, zwar nicht Präsidentin werden darf, aber zumindest die Fäden der neuen Regierungspolitik in den Händen hält? U Tin Oo ist der Mann hinter Aung San Suu Kyi, er ist sozusagen der "Strippenzieher" der Opposition – und hin und wieder im Hauptquartier der Nationalen Liga für Demokratie in Rangun anzutreffen. Während sich Aung San Suu Kyi nicht zum Umgang mit den muslimischen Rohingyas äußert und sich damit den Unmut vor allem internationaler Unterstützer zuzieht, äußert sich der 88-jährige U Tin Oo – wenn auch nebulös – zur Frage eines möglichen Staatsbürgerrechtes für die Rohingyas, zur Frage also, ob die muslimische Minderheit in Myanmars Gesellschaft integriert werden sollte.
"Die Regierung muss mit diesem Problem vorsichtig umgehen, sie muss die Identität der Einwanderer prüfen, das Problem muss behutsam und gütlich gelöst werden."
Wie genau das geschehen soll, sagt aber auch U Tin Oo nicht. Für eine Staatsbürgerschaft für die rund eine Million muslimische Rohingyas spricht er sich nicht aus – nur dafür, einigen mehr Rechte zuzugestehen. Im November wird in Myanmar gewählt. Aung San Suu Kyi will gewinnen, das wird sie wohl auch, sie möchte es sich mit den Buddhisten im Westen aber nicht verderben – also schweigt sie, was diesen Konflikt angeht.