Verfolgung

Straflager-Prosa als Stilübung

Vom tragischen Schicksal dreier Frauen in Stalins Sowjetunion erzählt Eleonora Hummel in diesem Roman. Doch die Autorin hat sich zu viel vorgenommen. Das Buch liest sich wie eine missratene Stilübung fürs Literaturseminar.
Drei Frauen, drei miteinander verbundene tragische Schicksale. Die Geschichte spielt in der Sowjetunion zur Zeit Stalins und in den Jahren danach. Im Mittelpunkt steht Olessia, die aufgrund einer Denunziation für zehn Jahre in ein sibirisches Lager deportiert wird und kurz nach ihrer Freilassung gleich noch einmal für zehn Jahre. Dort bringt sie eine Tochter, Viktoria, zur Welt. Über den Vater – eine flüchtige Begegnung im Geräteschuppen – spricht sie nicht. Viktoria wächst in sowjetischen Kinderheimen auf, wo es ihr nicht schlecht geht, wo sie aber auch einsam und ohne Bindungen lebt und von der abwesenden Mutter nur erfährt, dass sie etwas Schlimmes getan hat.

Die dritte Frau ist Nina, die eines Tages bei Viktoria auftaucht und sich um sie kümmert. Sie ist eine schon ein paar Jahre früher entlassene Lager-Freundin Olessias, die von ihr den Auftrag bekam, die Tochter zu suchen. Ninas eigene Tochter ist früh gestorben, so dass sie nun bald Viktoria als ihr Kind betrachtet und sie besitzergreifend liebt. Als endlich auch Olessia frei kommt und als Schauspielerin Erfolge feiert, beginnt ein Kampf um das Mädchen, den erst die Mutter, bald aber auch Nina verliert. Eine Art Kaukasischer Kreidekreis also, im Kontext von Verfolgung und Unterdrückung. Jede der drei Frauen muss lernen, ihren eigenen Platz im Leben zu finden, so schwer das auch ist, wenn die äußeren Umstände das nicht zulassen, und wenn sich zeigt, dass Jahre, die einem weggenommen wurden, nicht so einfach nachzuholen und wieder gutzumachen sind.

Dezente Langeweile, ziellose Episoden
Eleonora Hummel, 1970 in Kasachstan geboren, hat sich in ihrem dritten Roman sehr viel vorgenommen, zu viel. So tragisch der Lebensstoff ist, von dem sie erzählt (sie greift dafür auf die authentische Geschichte einer russischen Schauspielerin zurück), so gleichgültig lässt doch die Lektüre. Das liegt zum Teil sicher daran, dass es schon sehr viele und sehr viel eindrucksvollere Geschichten aus sowjetischen Lagern gibt. Die dezente Langeweile, die sich rätselhafterweise ausbreitet, hat aber auch mit einer eigentümlichen Ziellosigkeit der dargebotenen Episoden zu tun, bei denen oft nicht klar wird, warum sie eigentlich erzählt werden müssen. Und sie ist der Effekt einer sehr gleichmäßigen, ruhigen, wenig einprägsamen Sprache, vor allem aber der durch nichts begründeten Entscheidung, nicht nur aus den wechselnden Perspektiven der drei Frauen zu erzählen, sondern auch die Erzählhaltung zu variieren.

So spricht die kleine Viktoria in Ich-Form, in einem direkten Präsens, als ob sie alles, was ihr widerfährt, gleichzeitig mitstenografieren würde. Dabei entstehen Sätze wie "Erste Anzeichen von Panik überkommen mich", die sich schon im Vollzug aufheben, weil sie keinerlei Panik ahnen lassen. Die Abschnitte über Nina sind konventionell in der dritten Person erzählt, die Geschichte Olessias aber wird in der Du-Form gewissermaßen an die handelnde Figur hingesprochen, von wem auch immer, als wäre es nötig, ihr das eigene Leben umständlich zu erklären und nachzuerzählen: Dann hast du dies gemacht, dann hast du das gesagt. Diese enervierende Erzählhaltung lässt den Leser außen vor: Er gerät in eine intime Anrede, ohne aber selbst angesprochen zu werden. So liest sich dieser Roman wie eine missratene Stilübung fürs Literaturinstitutsseminar. Dass er einen großen Stoff verarbeitet, kann ihn nicht retten, denn der Stoff geht darin verloren.

Besprochen von Jörg Magenau

Eleonora Hummel: In guten Händen, in einem guten Land
Steidl, Göttingen 2013
368 Seiten, 22 Euro