Vergänglich wie der Tanz
Esther Kempa hat den Tanz über alles gestellt. Gegen den Willen ihrer Mutter ging sie zum Ballett, trainierte und überstrapazierte ihre Gelenke. Ihre Rettung wurde dann eine Kunst, die fast genauso flüchtig ist wie der Tanz: Schokolade.
"Das ist ein Tanzschuh, der auch öfters zu Hochzeiten verschenkt wird. Man könnte darin Flamenco oder Tango tanzen. Er hat einen bequemen Absatz, er ist relativ stabil. Er hat eine Schnalle, so 30er-Jahre. Man hat Flächen, das auszugestalten: Mit Tupfen, mit Herzchen, mit Schleife."
Die Schuhe stehen auf der stählernen Arbeitsplatte in Esther Kempas enger Ladenküche: Schokoladen-Schuhe.
"Einmal eine dunkle, 70-prozentige mit Kakao aus Venezuela und Ecuador, und einmal eine aus weißer Schokolade."
Esther Kempa nimmt den dunklen Schuh in die Hand, dreht ihn und hält ihn sich kurz dicht an die Nase.
"Es ist ein sinnlicher Werkstoff, man macht etwas Vergängliches, es wird zum Aufessen gemacht, und trotzdem kann man kleine Kunstwerke machen, die keinen Anspruch haben auf Ewigkeit. Sie sind für den schönen Moment des Verschenkens gemacht, den des Auspackens und Aufessens."
Wie sie da so steht - schmal, schnurgerade aufgerichtet, mit leicht ausgestellten Beinen - sieht man Esther Kempa die erste Karriere an, das Tänzerinnenleben. Als sie weiß, dass sie tanzen will, ist sie vier, fünf Jahre alt. Mit ihren Eltern wohnt sie in Berlin.
"Da haben mir die anderen Kinder erzählt, was sie da so machen, Ballett, und ich wollte das auch. Und ich durfte es nicht, weil meine Mutter Tänzerin war, in der Deutschen Oper, im Kinderballett. Und als sie erwachsen war, hat man ihr gesagt: Es reicht nicht. Höchstens Corps de Ballet. Mach etwas anderes. Sie musste dann Sekretärin werden. Und sie sagte, diese Erfahrung wollte sie mir ersparen."
Trotzdem geht Esther Kempa als Schülerin zum Ballettunterricht, heimlich. Sie trainiert Pliés, Pirouetten, Sprünge, Choreographien. Ihrer Mutter erzählt sie, sie ginge ein bisschen Jazztanz machen, nichts Ernstes jedenfalls.
"Und als sie dann dahinter gekommen ist, war das das große Drama: Kind, du machst dich unglücklich! Und das wird nichts, so wie bei mir!"
Mutter und Tochter streiten immer wieder, aber Esther Kempa nimmt weiter Unterricht. Sie macht ihr Abitur - ihre Mutter hätte sie sonst von zuhause rausgeschmissen, wie sie sagt - aber dann setzt sich die Tochter durch und studiert modernen Tanz, zuerst in Berlin, dann Paris und London.
"Also das war in mir etwas, dass da so glücklich war in dieser Welt. Auch mit dieser Art sich auszudrücken, wortlos, über den Körper. Und das tanzt immer noch, man legt das auch nicht ab."
Als die Schmerzen auftauchen, trainiert Esther Kempa weiter. Ihr Ziel: Die Bühne, das Rampenlicht, ein Publikum. Sie weiß, jeder Tänzer muss seine Karriere beenden, irgendwann, aber doch noch nicht jetzt, mit Mitte 20, wenn es gerade beginnt. Die Schmerzen werden schlimmer.
"Ich hab zu viel trainiert, ich habe meinem Körper zu viel zugemutet. Man entwickelt einen übertriebenen Ehrgeiz, um zu beweisen, dass das wirklich richtig ist. Und hatte dann früh Knieprobleme und hab das mit einem Arzt besprochen. Der hat mir gesagt: Du wirst das nicht durchstehen, diesen Prozess von Training, Probe, Aufführung. Da war dann Schluss."
Esther Kempa macht oft kleine Pausen und sucht nach Sätzen, die genau treffen sollen, was sie meint. Sie hat ein klares, fein geschnittenes Gesicht, das ruhig und ernst wird, wenn sie sich daran erinnert, dass sie nach jahrelangem Training und vielen Vortanzen aufgeben musste, bevor es richtig anfing. Das war in Hamburg. Damals überlegte sie, sagt sie, ob sie überhaupt noch weiterleben wolle.
Als Esther Kempa mit 30 nach Berlin zurückkehrt, steht sie wieder ganz am Anfang. Es ist Adventszeit, sie braucht einen Job und hilft in einer Konditorei aus. Sie lernt, Schokolade zu temperieren und Figuren zu gießen. Für sie ist es wie der Tanz: bitter, süß und - vor allem - vergänglich.
"Die haben die auch direkt da hergestellt, die Sachen, die sie verkauften. Da unheimlich viel zu tun war, haben sie gesagt, lass sie doch mal mitmachen, und das hat funktioniert. ... Gerade dieses Vergängliche in einer ganz anderen Materie. Wichtig ist dann nachher, dass man das richtige Timing hat."
Aber nach einem Jahr meldet die Konditorei Insolvenz an. Diesmal will Esther Kempa nicht wieder von vorne anfangen. Sie lässt sich von Banken beraten, nimmt Kurse in Betriebswirtschaft und mietet Räume in einer Straße mit Cafés und vielen Künstlern in der Nachbarschaft. 40 Quadratmeter: vorne ein Verkaufsraum; im hinteren Teil die dunkle, enge Küche, in der sie zwischen Töpfen und Schüsseln zusammen mit einer Konditorin Bruchschokolade, Pralinen und Schokoladenfiguren herstellt.
Heute ist Esther Kempa Mitte 40, verheiratet und hat zwei kleine Kinder, zwei und vier Jahre alt. Wenn ihr Sohn oder ihre Tochter eines Tages sagen würden, "Mama, ich möchte auf die Bühne", würde sie antworten:
"Oja, wunderbar, es tanzt weiter! Ich würde mich freuen. Weil ich weiß, wie unglaublich glücklich man ist. Ich glaube, es gibt keinen Beruf, der glücklicher macht als tanzen. Stopp. Punkt. Aus. Man kann es nicht beschreiben, außer, wenn man es selber mal erlebt hat."
Die Schuhe stehen auf der stählernen Arbeitsplatte in Esther Kempas enger Ladenküche: Schokoladen-Schuhe.
"Einmal eine dunkle, 70-prozentige mit Kakao aus Venezuela und Ecuador, und einmal eine aus weißer Schokolade."
Esther Kempa nimmt den dunklen Schuh in die Hand, dreht ihn und hält ihn sich kurz dicht an die Nase.
"Es ist ein sinnlicher Werkstoff, man macht etwas Vergängliches, es wird zum Aufessen gemacht, und trotzdem kann man kleine Kunstwerke machen, die keinen Anspruch haben auf Ewigkeit. Sie sind für den schönen Moment des Verschenkens gemacht, den des Auspackens und Aufessens."
Wie sie da so steht - schmal, schnurgerade aufgerichtet, mit leicht ausgestellten Beinen - sieht man Esther Kempa die erste Karriere an, das Tänzerinnenleben. Als sie weiß, dass sie tanzen will, ist sie vier, fünf Jahre alt. Mit ihren Eltern wohnt sie in Berlin.
"Da haben mir die anderen Kinder erzählt, was sie da so machen, Ballett, und ich wollte das auch. Und ich durfte es nicht, weil meine Mutter Tänzerin war, in der Deutschen Oper, im Kinderballett. Und als sie erwachsen war, hat man ihr gesagt: Es reicht nicht. Höchstens Corps de Ballet. Mach etwas anderes. Sie musste dann Sekretärin werden. Und sie sagte, diese Erfahrung wollte sie mir ersparen."
Trotzdem geht Esther Kempa als Schülerin zum Ballettunterricht, heimlich. Sie trainiert Pliés, Pirouetten, Sprünge, Choreographien. Ihrer Mutter erzählt sie, sie ginge ein bisschen Jazztanz machen, nichts Ernstes jedenfalls.
"Und als sie dann dahinter gekommen ist, war das das große Drama: Kind, du machst dich unglücklich! Und das wird nichts, so wie bei mir!"
Mutter und Tochter streiten immer wieder, aber Esther Kempa nimmt weiter Unterricht. Sie macht ihr Abitur - ihre Mutter hätte sie sonst von zuhause rausgeschmissen, wie sie sagt - aber dann setzt sich die Tochter durch und studiert modernen Tanz, zuerst in Berlin, dann Paris und London.
"Also das war in mir etwas, dass da so glücklich war in dieser Welt. Auch mit dieser Art sich auszudrücken, wortlos, über den Körper. Und das tanzt immer noch, man legt das auch nicht ab."
Als die Schmerzen auftauchen, trainiert Esther Kempa weiter. Ihr Ziel: Die Bühne, das Rampenlicht, ein Publikum. Sie weiß, jeder Tänzer muss seine Karriere beenden, irgendwann, aber doch noch nicht jetzt, mit Mitte 20, wenn es gerade beginnt. Die Schmerzen werden schlimmer.
"Ich hab zu viel trainiert, ich habe meinem Körper zu viel zugemutet. Man entwickelt einen übertriebenen Ehrgeiz, um zu beweisen, dass das wirklich richtig ist. Und hatte dann früh Knieprobleme und hab das mit einem Arzt besprochen. Der hat mir gesagt: Du wirst das nicht durchstehen, diesen Prozess von Training, Probe, Aufführung. Da war dann Schluss."
Esther Kempa macht oft kleine Pausen und sucht nach Sätzen, die genau treffen sollen, was sie meint. Sie hat ein klares, fein geschnittenes Gesicht, das ruhig und ernst wird, wenn sie sich daran erinnert, dass sie nach jahrelangem Training und vielen Vortanzen aufgeben musste, bevor es richtig anfing. Das war in Hamburg. Damals überlegte sie, sagt sie, ob sie überhaupt noch weiterleben wolle.
Als Esther Kempa mit 30 nach Berlin zurückkehrt, steht sie wieder ganz am Anfang. Es ist Adventszeit, sie braucht einen Job und hilft in einer Konditorei aus. Sie lernt, Schokolade zu temperieren und Figuren zu gießen. Für sie ist es wie der Tanz: bitter, süß und - vor allem - vergänglich.
"Die haben die auch direkt da hergestellt, die Sachen, die sie verkauften. Da unheimlich viel zu tun war, haben sie gesagt, lass sie doch mal mitmachen, und das hat funktioniert. ... Gerade dieses Vergängliche in einer ganz anderen Materie. Wichtig ist dann nachher, dass man das richtige Timing hat."
Aber nach einem Jahr meldet die Konditorei Insolvenz an. Diesmal will Esther Kempa nicht wieder von vorne anfangen. Sie lässt sich von Banken beraten, nimmt Kurse in Betriebswirtschaft und mietet Räume in einer Straße mit Cafés und vielen Künstlern in der Nachbarschaft. 40 Quadratmeter: vorne ein Verkaufsraum; im hinteren Teil die dunkle, enge Küche, in der sie zwischen Töpfen und Schüsseln zusammen mit einer Konditorin Bruchschokolade, Pralinen und Schokoladenfiguren herstellt.
Heute ist Esther Kempa Mitte 40, verheiratet und hat zwei kleine Kinder, zwei und vier Jahre alt. Wenn ihr Sohn oder ihre Tochter eines Tages sagen würden, "Mama, ich möchte auf die Bühne", würde sie antworten:
"Oja, wunderbar, es tanzt weiter! Ich würde mich freuen. Weil ich weiß, wie unglaublich glücklich man ist. Ich glaube, es gibt keinen Beruf, der glücklicher macht als tanzen. Stopp. Punkt. Aus. Man kann es nicht beschreiben, außer, wenn man es selber mal erlebt hat."