Vergeltungsdenken begrenzen
Der Buß- und Bettag ist als gesetzlicher Feiertag gestrichen worden, als kirchlicher jedoch nach wie vor beliebt. Das Nachdenken über persönliche Versäumnisse und Fehler sei notwendig in einer Gesellschaft, die vornehmlich diskutiert, wie hart das Fehlverhalten anderer Menschen zu bestrafen sei, meint Knut Berner.
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Wer nicht hören will, muss fühlen. Wer Anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Strafe muss sein. Mit solchen Sätzen scheint der Volksmund Erkenntnisse festzuhalten, um die es beim Buß- und Bettag geht. Der ist zwar seit einigen Jahren zugunsten der Finanzierung der Pflegeversicherung als Feiertag weitgehend abgeschafft, könnte aber eigentlich beliebter Gedenktag einer sanktionsfreudigen Gesellschaft sein.
Trotz der Errungenschaft des staatlichen Strafmonopols ist nämlich das Strafverlangen ungebrochen und es gehört zu den individuellen und kollektiven Grundüberzeugungen, dass Menschen für ihr Fehlverhalten büßen müssen und büßen sollen: Die Griechen für ihre Wirtschaftsmisere, die Raucher und Fettleibigen für ihren Lebensstil, die Steuerhinterzieher für ihre Tricksereien.
Im Horizont des Strafdenkens gibt es irrationale Vorstellungen über das Zurückschlagen der Natur, die Rache des Körpers oder die Launen des Schicksals ebenso wie vermeintlich rationalere Auffassungen: die Bestrafung eines Kindes sei für dieses eine Lernhilfe wie das Bußgeld für den Schnellfahrer. Oft vergessen werden Formen der Selbstbestrafung, deren Gründe meist nur den Handelnden zugänglich sind.
Kein Zweifel also: Der Bußgedanke steht hoch im Kurs. In der Regel sind es die Anderen, deren Schuld festgestellt und deren Bestrafung gewünscht oder verordnet wird. Daran nimmt der Buß- und Bettag in protestantischer Perspektive heilsame Korrekturen vor. Er lenkt zum einen die Aufmerksamkeit auf das eigene Fehlverhalten, das offensichtliche und das vielleicht gar nicht bewusste.
Zur Besinnung gebracht werden Gedanken, Worte und Taten, mit denen nicht irgendjemand, sondern ich selber mich an anderen Menschen vergangen habe: Schädliche Bilder, die ich von ihnen im Kopf erzeugt habe, verletzende Worte, deren Auswirkungen ich nicht abschätzen kann, meine Ignoranz gegenüber fremdem Elend und meine faulen Ausreden dafür.
Auch solche scheinbaren Kleinigkeiten, dass es etwas im Unglück meines besten Freundes gibt, was mir nicht ganz missfällt und es manchmal noch nicht einmal gelingt, die zu mögen, die man liebt. Kurz: Nicht um die Schuld der anderen, sondern um meine Schuld in ihrer Unermesslichkeit geht es.
Zum anderen zielt der Bußtag, weil er zugleich Tag des Gebetes ist, darauf, den Blick von der Fehlbarkeit des Menschen wegzulenken und das Denken und Verhalten darauf einzustellen, dass wir mehr sind als die Summe unserer Taten. Diese Sicht wird dem christlichen Glauben zufolge dadurch ermöglicht, dass Gott sich stellvertretend für jeden Menschen dessen offensichtliche und verborgene Schuld zu Eigen gemacht hat, indem Christus sich zwischen Übeltätern kreuzigen ließ und selber der schlimmste von allen wurde.
An ihm haften alle geschehenen Verfehlungen und noch kommenden Verbrechen als bereits gesühnte. Deshalb sind Strafe und Versöhnung auch nicht primär Aufgaben, über die wir mit letzter Gültigkeit zu entscheiden haben.
Gesellschaftspolitisch kann das bedeuten, Strafe als Notlösung und als Ausdruck der Hilflosigkeit in einer noch nicht erlösten Welt zu verstehen. Strafe ist problematisch, weil Menschen nur sehr begrenzt Einsicht in Umstände, Entstehung und Auswirkungen von Fehlverhalten haben können und Sanktionen zudem nichts besser machen, sondern häufig zur Verschlimmerung beitragen.
Der Buß- und Bettag möchte Menschen dazu anleiten, sich selber nicht vorschnell auf der Seite der Guten und Unbescholtenen zu sehen und das Vergeltungsdenken anderen gegenüber zumindest zu begrenzen. Denn niemand ist nur Täter und alleine schuld an dem, was ihm widerfährt oder was er anderen antut. Die Buße besteht darin, sich eine gnädige Sicht auf den Menschen schenken zu lassen und über ihre befreienden Konsequenzen nachzudenken.
Knut Berner, geboren 1964 in Wuppertal, studierte evangelische Theologie in Bonn und Heidelberg. Anschließend wurde er in Wuppertal zum Pfarrer ausgebildet, promovierte und habilitierte sich an der Ruhr-Universität Bochum. Knut Berner ist stellvertretender Leiter des Evangelischen Studienwerks Villigst. Außerdem lehrt er als Professor Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum.
Trotz der Errungenschaft des staatlichen Strafmonopols ist nämlich das Strafverlangen ungebrochen und es gehört zu den individuellen und kollektiven Grundüberzeugungen, dass Menschen für ihr Fehlverhalten büßen müssen und büßen sollen: Die Griechen für ihre Wirtschaftsmisere, die Raucher und Fettleibigen für ihren Lebensstil, die Steuerhinterzieher für ihre Tricksereien.
Im Horizont des Strafdenkens gibt es irrationale Vorstellungen über das Zurückschlagen der Natur, die Rache des Körpers oder die Launen des Schicksals ebenso wie vermeintlich rationalere Auffassungen: die Bestrafung eines Kindes sei für dieses eine Lernhilfe wie das Bußgeld für den Schnellfahrer. Oft vergessen werden Formen der Selbstbestrafung, deren Gründe meist nur den Handelnden zugänglich sind.
Kein Zweifel also: Der Bußgedanke steht hoch im Kurs. In der Regel sind es die Anderen, deren Schuld festgestellt und deren Bestrafung gewünscht oder verordnet wird. Daran nimmt der Buß- und Bettag in protestantischer Perspektive heilsame Korrekturen vor. Er lenkt zum einen die Aufmerksamkeit auf das eigene Fehlverhalten, das offensichtliche und das vielleicht gar nicht bewusste.
Zur Besinnung gebracht werden Gedanken, Worte und Taten, mit denen nicht irgendjemand, sondern ich selber mich an anderen Menschen vergangen habe: Schädliche Bilder, die ich von ihnen im Kopf erzeugt habe, verletzende Worte, deren Auswirkungen ich nicht abschätzen kann, meine Ignoranz gegenüber fremdem Elend und meine faulen Ausreden dafür.
Auch solche scheinbaren Kleinigkeiten, dass es etwas im Unglück meines besten Freundes gibt, was mir nicht ganz missfällt und es manchmal noch nicht einmal gelingt, die zu mögen, die man liebt. Kurz: Nicht um die Schuld der anderen, sondern um meine Schuld in ihrer Unermesslichkeit geht es.
Zum anderen zielt der Bußtag, weil er zugleich Tag des Gebetes ist, darauf, den Blick von der Fehlbarkeit des Menschen wegzulenken und das Denken und Verhalten darauf einzustellen, dass wir mehr sind als die Summe unserer Taten. Diese Sicht wird dem christlichen Glauben zufolge dadurch ermöglicht, dass Gott sich stellvertretend für jeden Menschen dessen offensichtliche und verborgene Schuld zu Eigen gemacht hat, indem Christus sich zwischen Übeltätern kreuzigen ließ und selber der schlimmste von allen wurde.
An ihm haften alle geschehenen Verfehlungen und noch kommenden Verbrechen als bereits gesühnte. Deshalb sind Strafe und Versöhnung auch nicht primär Aufgaben, über die wir mit letzter Gültigkeit zu entscheiden haben.
Gesellschaftspolitisch kann das bedeuten, Strafe als Notlösung und als Ausdruck der Hilflosigkeit in einer noch nicht erlösten Welt zu verstehen. Strafe ist problematisch, weil Menschen nur sehr begrenzt Einsicht in Umstände, Entstehung und Auswirkungen von Fehlverhalten haben können und Sanktionen zudem nichts besser machen, sondern häufig zur Verschlimmerung beitragen.
Der Buß- und Bettag möchte Menschen dazu anleiten, sich selber nicht vorschnell auf der Seite der Guten und Unbescholtenen zu sehen und das Vergeltungsdenken anderen gegenüber zumindest zu begrenzen. Denn niemand ist nur Täter und alleine schuld an dem, was ihm widerfährt oder was er anderen antut. Die Buße besteht darin, sich eine gnädige Sicht auf den Menschen schenken zu lassen und über ihre befreienden Konsequenzen nachzudenken.
Knut Berner, geboren 1964 in Wuppertal, studierte evangelische Theologie in Bonn und Heidelberg. Anschließend wurde er in Wuppertal zum Pfarrer ausgebildet, promovierte und habilitierte sich an der Ruhr-Universität Bochum. Knut Berner ist stellvertretender Leiter des Evangelischen Studienwerks Villigst. Außerdem lehrt er als Professor Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum.

Knut Berner, evangelischer Theologe© privat