Vergessene Glaubensbrüder
Der Musiker und Musikwissenschaftler Jordi Savall lüftet nun mit "Das vergessene Reich - Die Tragödie der Katharer" den Schleier um die von der Inquisition verfolgte mittelalterliche Glaubensgemeinschaft in Südfrankreich.
Geschichte, so sagt man, wird von den Siegern geschrieben. Da macht auch die Musikgeschichte keine Ausnahme. Manche Kulturen waren vergessen oder wurden von den siegreichen Parteien totgeschwiegen. Der Musiker und Musikwissenschaftler Jordi Savall lüftet nun mit "Das vergessene Reich - Die Tragödie der Katharer" den Schleier um die von der Inquisition verfolgte mittelalterliche Glaubensgemeinschaft in Südfrankreich.
Umgeben von Spezialisten wie Pilar Jimenez Sanchez und Anne Brenson erzählt Savall die Geschichte des Kampfes der Kirche gegen den Glauben der Katharer und macht sie gleichzeitig hörbar. Aufgeteilt in drei Teile "Aufstieg und Glanz des Katharismus", "Der Kreuzzug gegen die Albigenser" und "Verfolgung, Diaspora und Ende des Katharismus" muss sich der Leser und Hörer von Anfang an auf eine musikalische und musikgeschichtliche Tour de Force einstellen.
Es ist nicht das erste Mal, dass der katalanische Gambist sich intensiv in ein Thema versenkt; derart umfangreich und detailliert ist er allerdings bisher noch nie zugange gewesen. Auf knapp 100 Seiten und drei CDs lässt Savall das Reich und die Gedankenwelt der Katharer wieder lebendig werden und so die lange vergessene musikalische Welt der südfranzösischen Glaubensgemeinschaft neu erstehen.
Dank der außerordentlich plastischen Darstellung des Katalanen wird ein ums andere Mal klar: Musik steht nie nur für sich selbst, sondern wird immer auch durch ihr politisches und gesellschaftliches Umfeld bestimmt. Dass die Kirche des Mittelalters ihre Schwierigkeiten mit den Katharern hatte, liegt auf der Hand. Sie sehen die materielle Welt als grundsätzlich böse, nur bei Gott im Himmel ist letztlich das Gute zu finden. Wenn sie singen:
"Der Ursprung des Himmels ist das Feuer,
der Ursprung der Erde ist das Wasser,
der Ursprung des Äthers ist die Luft
die das Gleichgewicht zwischen ihnen herstellt … "
… dann ist das ein direkter Angriff auf die Glaubenslehrer der Kirche des 10. und der folgenden Jahrhunderte.
Der Papst und die Kirche waren für die Katharer – aus dieser Bezeichnung entstand bei ihren Verfolgern das Wort "Ketzer" - ein Angriff auf den reinen Glauben. Sie begriffen sich als die "wahre" christliche Kirche. In ihrer dualistischen Sichtweise der Welt lehrten sie die Unvereinbarkeit von Fleisch und Seele. Ihr Ziel war es, die Seele zu befreien. Dies geschah durch die sogenannte Geisttaufe, die ihnen ein entbehrungsreiches Leben auferlegte. Sie lehnten den Gott des Alten Testaments als Schöpfergott einer bösen Welt ab und im Neuen Testament war ihnen allein das Evangelium des Johannes genug.
Jordi Savall nutzt die Möglichkeiten von Buch und CD gleichermaßen. Allein die sehr feinfühligen Übersetzungen der Lieder und Gebete würden reichen, um sich den Katharern und ihrer Welt zu nähern - mit der hörbaren Musik schafft er eine zusätzliche Brücke. Zwischen Instrumentalmusik und Troubadourliedern breitet er die strenge Glaubenswelt der Bewegung aus. Das Okzitanien des Mittelalters steht zwischen meditativer Versenkung und temperamentvoller Improvisation - und Savalls Ensemble Hesperion XXI schafft die musikalischen Grundlagen für diese Reise in geistig-kulturelle und religiöse Regionen, die uns heute fremd geworden sind.
Allerdings man muss sich darauf einlassen. Die klanglich fein strukturierten Interpretationen verlangen Aufmerksamkeit und verdienen sie auch. Savalls geistig und interpretatorische Reise ist eine aus dem alltäglichen Einerlei klassischer Musik herausragende Produktion, die ihresgleichen sucht. Die farbintensive Klangwelt der Troubadour-Gesänge könnte nicht klarer ausgedrückt werden, die sensible Begleitung durch die Instrumentalisten nicht behutsamer sein.
Es ist zu hören: dieses Ensemble hat sich durch die Jahre zu einer Einheit verschmolzen - mit dem Katalanen als Primus inter pares, ohne den vieles nicht möglich wäre, der aber nicht, wie ein Orchester-Dirigent, seine Musiker beherrschen will. Savall lässt ihnen Freiraum, der in der Rücksichtsname aufeinander hörbar wird.
Alles an diesem CD-Buch ist überzeugend. Die Aufnahmetechnik, dank Super Audio-Mehrkanal-Technik auf dem höchsten Stand, hält, was sie verspricht. Das Buch zum Klang aber macht das Ganze erst komplett. Dank des Dokumentationswahns der Inquisition sind fast alle Unterlagen erhalten geblieben und bilden nun die Grundlage für Savall und seine Mitarbeiter. Jede Facette des Katharismus und der Verfolgung wird beschrieben und durch Dokumente - wie beispielsweise der Bulle Papst Innozenz IV. "Ad Exstirpanda" - belegt.
Detailreicher und zugleich kompakter ist keine Geschichte dieser Glaubensgemeinschaft jemals zuvor veröffentlicht worden. Mit "Das vergessene Reich" hat Savall nicht nur das Goldene Zeitalter Okzitaniens wiedererweckt, er hat auch die Geschichte einer brutalen, religiösen Verfolgung Andersdenkender erzählt. Diese Art verbaler wie musikalischer Entdeckungsreisen ist selten - viel zu selten.
Besprochen von Uwe Golz
Jordi Savall (Hrsg.): Das vergessene Reich - die Tragödie der Katharer
Verlag Alia Vox Bellaterra
564 Seiten und drei CDs, 39,99 Euro
Umgeben von Spezialisten wie Pilar Jimenez Sanchez und Anne Brenson erzählt Savall die Geschichte des Kampfes der Kirche gegen den Glauben der Katharer und macht sie gleichzeitig hörbar. Aufgeteilt in drei Teile "Aufstieg und Glanz des Katharismus", "Der Kreuzzug gegen die Albigenser" und "Verfolgung, Diaspora und Ende des Katharismus" muss sich der Leser und Hörer von Anfang an auf eine musikalische und musikgeschichtliche Tour de Force einstellen.
Es ist nicht das erste Mal, dass der katalanische Gambist sich intensiv in ein Thema versenkt; derart umfangreich und detailliert ist er allerdings bisher noch nie zugange gewesen. Auf knapp 100 Seiten und drei CDs lässt Savall das Reich und die Gedankenwelt der Katharer wieder lebendig werden und so die lange vergessene musikalische Welt der südfranzösischen Glaubensgemeinschaft neu erstehen.
Dank der außerordentlich plastischen Darstellung des Katalanen wird ein ums andere Mal klar: Musik steht nie nur für sich selbst, sondern wird immer auch durch ihr politisches und gesellschaftliches Umfeld bestimmt. Dass die Kirche des Mittelalters ihre Schwierigkeiten mit den Katharern hatte, liegt auf der Hand. Sie sehen die materielle Welt als grundsätzlich böse, nur bei Gott im Himmel ist letztlich das Gute zu finden. Wenn sie singen:
"Der Ursprung des Himmels ist das Feuer,
der Ursprung der Erde ist das Wasser,
der Ursprung des Äthers ist die Luft
die das Gleichgewicht zwischen ihnen herstellt … "
… dann ist das ein direkter Angriff auf die Glaubenslehrer der Kirche des 10. und der folgenden Jahrhunderte.
Der Papst und die Kirche waren für die Katharer – aus dieser Bezeichnung entstand bei ihren Verfolgern das Wort "Ketzer" - ein Angriff auf den reinen Glauben. Sie begriffen sich als die "wahre" christliche Kirche. In ihrer dualistischen Sichtweise der Welt lehrten sie die Unvereinbarkeit von Fleisch und Seele. Ihr Ziel war es, die Seele zu befreien. Dies geschah durch die sogenannte Geisttaufe, die ihnen ein entbehrungsreiches Leben auferlegte. Sie lehnten den Gott des Alten Testaments als Schöpfergott einer bösen Welt ab und im Neuen Testament war ihnen allein das Evangelium des Johannes genug.
Jordi Savall nutzt die Möglichkeiten von Buch und CD gleichermaßen. Allein die sehr feinfühligen Übersetzungen der Lieder und Gebete würden reichen, um sich den Katharern und ihrer Welt zu nähern - mit der hörbaren Musik schafft er eine zusätzliche Brücke. Zwischen Instrumentalmusik und Troubadourliedern breitet er die strenge Glaubenswelt der Bewegung aus. Das Okzitanien des Mittelalters steht zwischen meditativer Versenkung und temperamentvoller Improvisation - und Savalls Ensemble Hesperion XXI schafft die musikalischen Grundlagen für diese Reise in geistig-kulturelle und religiöse Regionen, die uns heute fremd geworden sind.
Allerdings man muss sich darauf einlassen. Die klanglich fein strukturierten Interpretationen verlangen Aufmerksamkeit und verdienen sie auch. Savalls geistig und interpretatorische Reise ist eine aus dem alltäglichen Einerlei klassischer Musik herausragende Produktion, die ihresgleichen sucht. Die farbintensive Klangwelt der Troubadour-Gesänge könnte nicht klarer ausgedrückt werden, die sensible Begleitung durch die Instrumentalisten nicht behutsamer sein.
Es ist zu hören: dieses Ensemble hat sich durch die Jahre zu einer Einheit verschmolzen - mit dem Katalanen als Primus inter pares, ohne den vieles nicht möglich wäre, der aber nicht, wie ein Orchester-Dirigent, seine Musiker beherrschen will. Savall lässt ihnen Freiraum, der in der Rücksichtsname aufeinander hörbar wird.
Alles an diesem CD-Buch ist überzeugend. Die Aufnahmetechnik, dank Super Audio-Mehrkanal-Technik auf dem höchsten Stand, hält, was sie verspricht. Das Buch zum Klang aber macht das Ganze erst komplett. Dank des Dokumentationswahns der Inquisition sind fast alle Unterlagen erhalten geblieben und bilden nun die Grundlage für Savall und seine Mitarbeiter. Jede Facette des Katharismus und der Verfolgung wird beschrieben und durch Dokumente - wie beispielsweise der Bulle Papst Innozenz IV. "Ad Exstirpanda" - belegt.
Detailreicher und zugleich kompakter ist keine Geschichte dieser Glaubensgemeinschaft jemals zuvor veröffentlicht worden. Mit "Das vergessene Reich" hat Savall nicht nur das Goldene Zeitalter Okzitaniens wiedererweckt, er hat auch die Geschichte einer brutalen, religiösen Verfolgung Andersdenkender erzählt. Diese Art verbaler wie musikalischer Entdeckungsreisen ist selten - viel zu selten.
Besprochen von Uwe Golz
Jordi Savall (Hrsg.): Das vergessene Reich - die Tragödie der Katharer
Verlag Alia Vox Bellaterra
564 Seiten und drei CDs, 39,99 Euro