Vergessene Massengräber
Im Holocaust kamen die meisten Juden bei blutigen Massakern ums Leben. Die Massengräber, in denen die Ermordeten verscharrt wurden, sind heute nicht mehr sichtbar. Ein französischer katholischer Priester sucht seit Jahren in Osteuropa nach ihnen.
"Ich habe 1400 Zeitzeugen interviewt, und wir konnten 700 Stellen identifizieren, an denen Juden ermordet wurden. Ich komme nicht, um zu verurteilen, sondern um zu dokumentieren und um Beweise zu sichern. Denn wir finden Kugeln, und wir finden auch Schmuck von jüdischen Frauen, die erschossen wurden."
Der Franzose Patrick Desbois ist ein 55-jähriger katholischer Priester. Sein Großvater wurde während des Zweiten Weltkriegs in das Lager Rawa-Ruska an der ukrainisch-polnischen Grenze verschleppt, wo er Zeuge des Massenmords an ukrainischen Juden wurde. Irgendwann erzählte der Großvater seinem Enkel von den Massakern.
"Als ich Priester war, fuhr ich eines Tages nach Rawa-Ruska und stellte fest, dass es keine Hinweise auf die jüdischen Massengräber gab und keine Erinnerungszeichen. Aber dann zeigten mir Anwohner die Stellen und erklärten mir, was geschehen war. Denn sie waren Augenzeugen der Erschießungen gewesen. Daraufhin beschlossen wir, Yahad-In-Unam als katholisch-jüdischen Verein zu gründen, um alle Massengräber zu finden, zunächst in der Ukraine, und jetzt auch in Weißrussland und Russland."
Patrick Debois schätzt, dass deutsche Einsatzgruppen allein auf ukrainischem Boden mindestens anderthalb Millionen Juden ermordeten, in Weißrussland rund eine halbe Million.
"Im größten Massengrab lagen 45.000 Juden, manchmal sind es auch nur Familiengräber mit zehn Personen. Aber normalerweise sind es Massengräber mit 10- bis 20.000 Toten."
Vor sieben Jahren hat Patrick Debois seine Suche begonnen. Er forscht in Archiven und befragt Zeitzeugen, um die Massengräber ausfindig zu machen und in Karten einzuzeichnen. Meist ist Gras über die Leichenberge gewachsen, die Toten liegen in Privatgärten, in Wäldern, hinter Kirchen. Um die Orte zu schützen und in würdige Erinnerungsstätten umzugestalten, hat sich jetzt eine deutsche Initiative gebildet, der unter anderem der Zentralrat der Juden und das American Jewish Committee angehören. Deidre Berger, Direktorin des AJC:
"Wir müssen etwas mit den Orten tun, die sind in großen Teilen vergessene Orte, es war nie eine Art Beerdigung für die Opfer, die sind nicht markiert sehr oft, diese Orte, die sind auch nicht mit einem Gedenkstein, dass man einfach weiß, wer da war."
Vermutlich ist es kein Zufall, dass die Massengräber in Vergessenheit gerieten. Denn die blutigen Massaker, ausgeführt von "ganz normalen Männern", wie sie der Historiker Christopher Browning genannt hat, stellen ein grauenvolles Kapitel des Holocausts dar. Wie ein Archäologe forsche Patrick Desbois nach den Spuren der Massenmorde, sagt Stefan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland:
"Er hat ein ganz wichtiges Kapitel des Holocausts mit Licht erfüllt, das im Zuge der gesamten Diskussion um Konzentrationslager, Massenvernichtung, fabrikmäßige Ermordung fast in Vergessenheit geraten wäre, nämlich dass jenseits der fabrikmäßigen Ermordung in den Konzentrationslagern ein nicht unerheblicher Teil der Ermordung, des Genozids, des Völkermordes eben auch durch Handarbeit erfolgt ist."
Die Zahl der vergessenen Massengräber geht in die Tausende. Ihre Identifizierung ist der erste Schritt. Die Gräber anschließend vor Plünderungen zu sichern, die Würde der Opfer zu wahren und adäquate Formen der Erinnerung zu finden, nennt Deidre Berger eine Aufgabe für Generationen:
"Wir zielen auf ein paar Pilotversuche, dass wir alle ein besseres Verständnis bekommen, was wir wirklich am Ort brauchen, um ein Massengrab schützen zu können. Bei einigen braucht es nicht viel, es braucht vielleicht eine Abtrennung, dass es markiert ist, bei anderen wird es mehr brauchen, vielleicht eine Betondecke."
Um erste Projekte durchführen zu können, erhofft sich die Initiative finanzielle und diplomatische Unterstützung vom Auswärtigen Amt sowie logistische Hilfe vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Währenddessen setzt Patrick Desbois seine Suche fort:
"In der Ukraine haben wir 60 Prozent des Landes untersucht, es bleiben noch 40 Prozent. In Weißrussland waren wir bisher in drei Regionen, und in Russland haben wir gerade erst angefangen. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, denn in fünf bis sechs Jahren werden alle Zeitzeugen gestorben sein."
Der Franzose Patrick Desbois ist ein 55-jähriger katholischer Priester. Sein Großvater wurde während des Zweiten Weltkriegs in das Lager Rawa-Ruska an der ukrainisch-polnischen Grenze verschleppt, wo er Zeuge des Massenmords an ukrainischen Juden wurde. Irgendwann erzählte der Großvater seinem Enkel von den Massakern.
"Als ich Priester war, fuhr ich eines Tages nach Rawa-Ruska und stellte fest, dass es keine Hinweise auf die jüdischen Massengräber gab und keine Erinnerungszeichen. Aber dann zeigten mir Anwohner die Stellen und erklärten mir, was geschehen war. Denn sie waren Augenzeugen der Erschießungen gewesen. Daraufhin beschlossen wir, Yahad-In-Unam als katholisch-jüdischen Verein zu gründen, um alle Massengräber zu finden, zunächst in der Ukraine, und jetzt auch in Weißrussland und Russland."
Patrick Debois schätzt, dass deutsche Einsatzgruppen allein auf ukrainischem Boden mindestens anderthalb Millionen Juden ermordeten, in Weißrussland rund eine halbe Million.
"Im größten Massengrab lagen 45.000 Juden, manchmal sind es auch nur Familiengräber mit zehn Personen. Aber normalerweise sind es Massengräber mit 10- bis 20.000 Toten."
Vor sieben Jahren hat Patrick Debois seine Suche begonnen. Er forscht in Archiven und befragt Zeitzeugen, um die Massengräber ausfindig zu machen und in Karten einzuzeichnen. Meist ist Gras über die Leichenberge gewachsen, die Toten liegen in Privatgärten, in Wäldern, hinter Kirchen. Um die Orte zu schützen und in würdige Erinnerungsstätten umzugestalten, hat sich jetzt eine deutsche Initiative gebildet, der unter anderem der Zentralrat der Juden und das American Jewish Committee angehören. Deidre Berger, Direktorin des AJC:
"Wir müssen etwas mit den Orten tun, die sind in großen Teilen vergessene Orte, es war nie eine Art Beerdigung für die Opfer, die sind nicht markiert sehr oft, diese Orte, die sind auch nicht mit einem Gedenkstein, dass man einfach weiß, wer da war."
Vermutlich ist es kein Zufall, dass die Massengräber in Vergessenheit gerieten. Denn die blutigen Massaker, ausgeführt von "ganz normalen Männern", wie sie der Historiker Christopher Browning genannt hat, stellen ein grauenvolles Kapitel des Holocausts dar. Wie ein Archäologe forsche Patrick Desbois nach den Spuren der Massenmorde, sagt Stefan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland:
"Er hat ein ganz wichtiges Kapitel des Holocausts mit Licht erfüllt, das im Zuge der gesamten Diskussion um Konzentrationslager, Massenvernichtung, fabrikmäßige Ermordung fast in Vergessenheit geraten wäre, nämlich dass jenseits der fabrikmäßigen Ermordung in den Konzentrationslagern ein nicht unerheblicher Teil der Ermordung, des Genozids, des Völkermordes eben auch durch Handarbeit erfolgt ist."
Die Zahl der vergessenen Massengräber geht in die Tausende. Ihre Identifizierung ist der erste Schritt. Die Gräber anschließend vor Plünderungen zu sichern, die Würde der Opfer zu wahren und adäquate Formen der Erinnerung zu finden, nennt Deidre Berger eine Aufgabe für Generationen:
"Wir zielen auf ein paar Pilotversuche, dass wir alle ein besseres Verständnis bekommen, was wir wirklich am Ort brauchen, um ein Massengrab schützen zu können. Bei einigen braucht es nicht viel, es braucht vielleicht eine Abtrennung, dass es markiert ist, bei anderen wird es mehr brauchen, vielleicht eine Betondecke."
Um erste Projekte durchführen zu können, erhofft sich die Initiative finanzielle und diplomatische Unterstützung vom Auswärtigen Amt sowie logistische Hilfe vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Währenddessen setzt Patrick Desbois seine Suche fort:
"In der Ukraine haben wir 60 Prozent des Landes untersucht, es bleiben noch 40 Prozent. In Weißrussland waren wir bisher in drei Regionen, und in Russland haben wir gerade erst angefangen. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, denn in fünf bis sechs Jahren werden alle Zeitzeugen gestorben sein."