"Das hat was mit den Strukturen unserer Arbeit zu tun"
Jährlich präsentiert die "Initiative Nachrichtenaufklärung" die "Top Ten der vergessenen Nachrichten". Dass manche Themen aus dem Fokus gerieten, habe mit der Arbeitsweise von Journalisten zu tun, erklärt Marco Bertolaso, Chef der DLF-Nachrichtenredaktion.
Auch in diesem Jahr präsentiert die "Initiative Nachrichtenaufklärung" zusammen mit der Nachrichtenredaktion des Deutschlandfunks die "Top Ten der vergessenen Nachrichten". Damit sind die Themen gemeint, die entweder zu wenig oder gar nicht im Fokus standen beziehunsweise die in der medialen Berichterstattung zu kurz gekommen sind, dennoch aber relevant sind.
Die Top Ten in diesem Jahr:
- Inklusion in der Arbeitswelt
- Portugal überwindet Finanzkrise – ohne Sparen
- Monsun in Asien, Hurrikan in Texas
- Prekäre Arbeitsbedingungen auf Containerschiffen
- Lebensrettende Medikamente in Entwicklungsländern für große Teile unerschwinglich - die Pharmaindustrie ist eine der gewinnträchtigsten Branchen
- Abschaffung des Bevölkerungsschutzes in Deutschland bei einem atomaren GAU
- Gesundheitsgefahren und fehlende politische Regulierung der Schichtarbeit
- Gewalt gegen Beschäftigte in psychiatrischen Einrichtungen
- Die Zwangssterilisation von Roma-Frauen in der Tschechischen Republik
- Humanitäre Krise im Tschad
Keine Nachricht wert, wenn alles normal weiterläuft
Marco Bertolaso, Chef der Nachrichtenredaktion des Deutschlandfunks, meint, dass Nachrichten "vergessen" würden, sei der Arbeitsweise von Journalisten geschuldet. Das macht er am Beispiel Portugals deutlich (Platz 3 der vergessenen Nachrichten), das die Finanzkrise überwunden hat, ohne dass groß darüber berichtet wurde, obwohl Portugal dies geschafft hat trotz oder wegen einer Abkehr von der durch die EU aufgezwungenen Sparpolitik.
"Es ist eher so, dass Journalisten unter Zeitdruck eher Dinge melden, die in ein bestimmtes Raster passen. Und wenn jetzt eine Regierung hingeht und kürzt nicht nochmal die Gehälter, dann ist es eigentlich keine Nachricht wert, weil dann ja alles normal weiter läuft. Und wenn Portugal irgendwann Kredite zurückzahlt, dann wird das vielleicht auch gemeldet, aber gar nicht mehr die Frage gestellt: Wie haben sie es denn hinbekommen?
Weil einfach diese drakonischen Einschnitte gefehlt haben, die Massenproteste, all diese Dinge, die normalerweise Journalisten zur akuten Berichterstattung drängen. Das hat was mit den Abläufen und Strukturen unserer Arbeit zu tun."
Der vergessene Monsun
Ein besonderes Beispiel dafür, wie bestimmte Nachrichten vernachlässigt werden, ist für Bertolaso der starke Monsun im Sommer 2017 in Südasien. Dort waren Millionen Menschen betroffen, "es wurde aber vergleichsweise wenig berichtet", so Bertolaso. Zugleich fegte auch ein Hurrikan über Texas hinweg, und von dort wurde quasi in medialer Dauerschleife gesendet.
"Dieses mit zweierlei Maß Messen, das ist etwas, was mich als Nachrichtenjournalist immer schon gestört hat und ich finde gut, sich das in Erinnerung zu rufen und an so einem Beispiel mal sichtbar zu machen."
Das Problem vergessener Nachrichten treffe den Deutschlandfunk strukturell etwas weniger, "weil wir ausführliche Nachrichten machen können".
Die Initiative Nachrichtenaufklärung e.V. (INA)
Die INA ist eine Nicht-Regierungsorganisation. Seit 20 Jahren sammelt sie Vorschläge zu den vernachlässigten Nachrichten, zum Beispiel auf ihrer Homepage. Diese Vorschläge werden dann von studentischen Rechercheteams an mehreren Hochschulen im ganzen Bundesgebiet recherchiert und geprüft.
Begleitet von Dozenten ermitteln die Studierenden, ob die vorgeschlagenen Themen sachlich richtig und zutreffend sind und ob sie tatsächlich von den Medien vernachlässigt wurden. Die Jury der INA beurteilt anschließend die Relevanz der Themen und wählt daraus die Top Ten der vernachlässigten Nachrichten.
(abu)