Momente der Hoffnung
25:43 Minuten
Seit 2015 ist im Jemen Krieg. Durch Waffen, Hunger, Krankheiten und mangelnde ärztliche Versorgung starben laut UN rund 230.000 Menschen. Nun scheint es "Momente der Hoffnung für eine Deeskalation" zu geben, sagt Jemen-Expertin Mareike Transfeld.
Der September war laut UN-Angaben der gefährlichste für Zivilisten im Jemen seit Jahresbeginn. Fast 400 Kinder, Frauen und Unbeteiligte wurden ermordet oder verwundet. Insgesamt sind laut einem UN-Report rund 230.000 Menschen durch Kriegshandlungen oder in Folge von Hunger, Krankheiten und mangelnder ärztlicher Versorgung ums Leben gekommen. Eine der weltweit größten Katastrophen, die kaum beachtet wird, weil Saudi-Arabien das Land abgeriegelt hat: Journalisten kommen kaum rein und Flüchtlinge kaum raus.
Sieben Monate als deutsche Hebamme in Taiz
Dorothea Müller kommt aus Dresden und arbeitete sieben Monate als Hebamme im Jemen. Dort betreute sie Frauen, Schwangere und Kleinkinder in einem der letzten funktionierenden Krankenhäuser in der Stadt Taiz, das von Ärzte ohne Grenzen betrieben wird. Durch die drittgrößte Stadt im Süden des Jemen verläuft die Front zwischen Huthi-Rebellen und Regierungstruppen der jemenitischen Exilregierung, weshalb es dort immer wieder zu Kämpfen kommt und man sich nicht frei bewegen kann. Während ihres Einsatzes hat Dorothea Müller das Krankenhausgelände so gut wie nie verlassen.
"Man hat die Frauen in einem kurzen Zeitrahmen betreut. Es ist schwer, wenn man sie in Anführungszeichen gerettet hat und nach zwei, drei Tagen sagen muss: Jetzt darfst Du nach Hause gehen und da auch schon Trauer in den Augen sieht. Und Verzweiflung. Weil die eben in ein Zuhause geht, das vielleicht aus Plastikplanen besteht oder aus einem Bretterverschlag oder direkt an der Front liegt. Und sie nicht wissen, ist man das nächste Opfer des Krieges? Und wie versorgt man die Kinder? Und jetzt ist da ein Neugeborenes. Auch auf meiner Seite war da viel Verzweiflung. Aber man kann nicht alles retten, man hat es nicht in der Hand – das Grundproblem ist der Krieg."
Jemen-Expertin sieht Momente der Hoffnung
Mareike Transfeld ist Politikwissenschaftlerin und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Jemen. Sie war Leiterin der Forschungsabteilung am Yemen Polling Center (YPC) in Sanaa. In vergangenen Projekten hat sie zu Jugendbewegungen, Oppositionsparteien und Elitenwandel im Jemen geforscht. Derzeit untersucht sie die Fragmentierung des Staates, denn die Lage ist weitaus komplizierter als nur die offiziellen Kriegsparteien.
"Der Nordwesten wird von der Huthi-Bewegung besetzt. Am Rande des Gebietes, da sitzt noch die Hadi-Regierung, lokal oft vertreten durch Milizen der jemenitischen Muslimbruderschaft. Und im Süden gibt es eine Bewegung, die sich für einen unabhängigen Süden einsetzt. Und ein Teil dieser Bewegung wird durch den Südlichen Übergangsrat (STC) repräsentiert."
Die Konflikte innerhalb dieser Parteien werden noch lange anhalten, prophezeit Mareike Transfeld.
"Aber eine Möglichkeit ist eine Deeskalierung der Gewalt. Das kann nur geschehen, wenn sich regionale und internationale Akteure anders verhalten. Es ist schwer zu sagen, ob ein Ende in Sicht ist. Aber es gibt immer wieder Momente der Hoffnung. Im Moment haben wir so einen Hoffnungsmoment. Gerade weil sich Saudi-Arabien wegen der Angriffe auf die Öl-Raffinerie unter Druck steht – auch wirtschaftlich. Es wird darüber gesprochen, dass die Saudis mit dem Iran verhandeln und die Huthis haben hunderte Kriegsgefangene freigelassen."
Einen Überblick über die Haupt-Akteure des Jemen-Krieges und ihre Ziele gibt unser Korrespondent für die Region, Carsten Kühntopp:
Die Houthis – Intolerante Rebellen im Norden
Die Gruppe "Ansar Allah" formierte sich im bergigen Norden in den späten 90er-Jahren, als eine politische und bewaffnete Revival-Bewegung der Zaiditen. Die Zaiditen werden im Islam den Schiiten zugerechnet, stehen theologisch allerdings sunnitischen Rechtsschulen näher. Nach ihrem Gründer wird die Bewegung gemeinhin "die Houthis" genannt. Gegen den damaligen Präsidenten Saleh, dem die Houthis massive Korruption vorwarfen, führten sie mehrere Guerillakriege. Saleh stürzte im Zuge des Arabischen Frühlings, sein Nachfolger Hadi erwies sich als unfähig und glücklos. 2014 überrannten die Houthis die Hauptstadt Sanaa, Hadi musste fliehen. – Derzeit kontrollieren die Houthis vor allem den Norden und das Zentrum des Landes. Ihre Herrschaft ist intolerant, Kritikern und unabhängigen Journalisten drohen stets Repressionen. Regelmäßig warfen und werfen internationale Organisationen den Houthis Verstöße gegen die Menschenrechte und Kriegsverbrechen vor. – Welches langfristige politische Ziel die Houthis im Jemen letztlich verfolgen, ist nicht klar.
Der Iran – Mit den Houthis die Saudis ärgern
Der Iran sieht die Houthis als Teil seiner regionalen "Achse des Widerstands" gegen Saudi-Arabien und die USA. Dieser Achse gehören beispielsweise auch Syrien unter Baschar al-Assad und die Hisbollah im Libanon an. Die Houthis haben im Laufe der Jahre enge Beziehungen zu Teheran aufgebaut und Elemente der revolutionären Ideologie des Iran übernommen. Die iranische Führung benutzt die Unterstützung für die Houthis als ein Werkzeug, um gegen den regionalen Erzrivalen Saudi-Arabien zu sticheln. Wie weit diese Unterstützung tatsächlich geht, ist jedoch umstritten. Im Laufe des Kriegs sind die Houthis immer näher an den Iran herangerückt. Die Luftangriffe der von den Saudis geführten Militärkoalition dürften dazu geführt haben, dass der iranische Einfluss im Jemen gewachsen ist. Bis heute haben die Houthis mehr als 200 ballistische Raketen auf Saudi-Arabien abgefeuert. Das Know-how und Bauteile dürften sie aus dem Iran erhalten haben, die Houthi-Raketen sind iranischen verblüffend ähnlich.
Saudi-Arabien – Erzfeind des Iran und der Houthis
Die Saudis und die Houthis teilen eine lange und problematische Geschichte. Vor zehn Jahren griffen die Houthis den Süden Saudi-Arabiens an und besetzten einige saudische Dörfer in der Grenzregion, Begründung: Riyadh unterstütze die jemenitische Regierung bei ihrem Kampf gegen die Houthis. Einige Monate später wurde der Konflikt beigelegt. – Nach der Vertreibung der international anerkannten Regierung unter Präsident Hadi aus Sanaa 2014 konnten die Houthis ihren Vormarsch im Jemen fortsetzen. Im Frühjahr 2015 hatten die Saudis schließlich genug. Sie schmiedeten eine arabische Militärallianz und begannen mit Luftangriffen. Aus saudischer Sicht sind die Houthis schlicht Marionetten Teherans. Der Jemen als Vorposten des Iran, die Houthis als eine Art jemenitische Hisbollah direkt an der eigenen Grenze – das ist für die Saudis überhaupt nicht hinnehmbar. – Doch längst macht sich in Riyadh Katerstimmung breit. Fast fünf Jahre nach Kriegsbeginn ist klar: Die Houthis lassen sich nicht wegbomben, eine militärische Lösung des Problems ist nicht möglich.
Die USA – Rüstungslieferant der Saudis
Auch wenn Amerika kein Hauptakteur im Jemen ist: Dass US-Präsident Trump weiterhin zu den Saudis hält, ist wichtig für Riyadh. Trump widersetzt sich damit einem Kongress, in dem immer mehr Abgeordnete und Senatoren die Unterstützung für Saudi-Arabien kritisieren. Aus Sicht von Trump sind saudische Rüstungskäufe gut für die US-Wirtschaft. Viele Amerikaner hingegen stoßen die Bilder von dem großen Leid ab, das der Krieg über den Jemen gebracht hat. Zehntausende Menschen sind ums Leben gekommen, Millionen brauchen Nothilfe, die humanitäre Krise im Jemen ist die größte weltweit. Die Kampfjets, die die Saudis dort einsetzen, sind häufig aus US-Produktion, und die Amerikaner liefern weiterhin Rüstungsgüter, wie Munition. Präsident Obama hatte US-Offiziere, die den Saudis zunächst bei der Zielbestimmung für die Angriffe halfen, recht schnell wieder abgezogen – vielleicht ein unausgesprochener Protest. Seinem Nachfolger Trump geht es im Nahen Osten darum, den Einfluss des Iran zurückzudrängen. Dazu gehört für ihn, auch im Jemen den Saudis beizustehen.
Die VAE – Militärmacht mit eigenen Interessen
Die Vereinigten Arabischen Emirate sind neben Saudi-Arabien das andere führende Mitglied der Militärallianz, die die Houthis zurückdrängen und Präsident Hadi wieder an die Macht bringen will. Doch im Sommer überraschten die VAE mit der Ankündigung, einen wesentlichen Teil ihrer Bodentruppen aus dem Jemen abzuziehen. Plötzlich wurde deutlich: Abu Dhabi teilt zwar Riyadhs Ärger über die Einmischung des Iran in die Belange der Araber, aber im Jemen verfolgt es wesentlich enger gefasste Interessen, wie die Sicherung der Schifffahrt rund um den Eingang zum Roten Meer. - Im Süden des Jemen, wo viele Menschen von einer Loslösung vom Rest des Landes träumen, haben die VAE etwa 50.000 Kämpfer ausgebildet, mit zweifelhaftem Erfolg: Gegen die Houthis waren diese Milizionäre nicht so schlagkräftig, wie erwartet. Dafür gerieten sie mit Truppen von Präsident Hadi aneinander, die eigentlich Verbündete waren, und vertrieben sie aus Aden. - Die Emiratis sprechen mittlerweile wieder direkt mit Teheran, ein Versuch, die Spannungen in der Region zu senken.
Präsident Hadi – Jemens glückloser Herrscher ohne Land
Abed Rabbo Mansour Hadi ist zumindest das noch geblieben: Sein Titel als "international anerkannter" Präsident des Jemen. Leben muss er freilich längst im Exil in Riyadh. – Nach dem Sturz seines Vorgängers war Hadi 2012 zum Präsidenten gewählt worden, für zwei Jahre, um die Erarbeitung einer demokratischen Verfassung zu beaufsichtigen. Doch Hadi versagte gerade da, wo es für die meisten Jemeniten zählte, in der Wirtschaftspolitik. – Die Houthis witterten Hadis Schwäche, setzten Kämpfer in Marsch, wollten den Präsidenten zu ihrer Puppe machen. Hadis Truppen leisteten so wenig Widerstand, dass die Houthis einen Schritt weitergingen und den Präsidenten vertrieben. – Dass Hadi jemals wieder an die Macht zurückkehrt, ist unwahrscheinlich. So machen viele Jemeniten längst auch ihn für die ruinösen Bombenangriffe der Saudis mitverantwortlich. Im Sommer musste Hadi zusehen, wie seine Leute aus Aden verjagt wurden, von verbündeten Kämpfern, ausgerechnet. Nun fehlt Hadi eine nennenswerte Basis im Land. Mit ihm dürfte kein Staat mehr zu machen sein.