Vergesst das historische Erbe!
Israels Nationalhymne bezieht sich ausschließlich auf Juden - die israelischen Araber können sich nicht damit identifizieren. Zeit für eine neue Hymne, findet Yiftach Ashkenazi. Er wünscht sich eine Hymne, die Toleranz gegenüber Andersgläubigen ausdrückt und alle Menschen einschließt.
Es ist immer wieder dasselbe. Wenn hier in Israel ein israelischer Araber bei einer offiziellen Zeremonie (oder in einer Fernsehshow) sich bei der Nationalhymne zwar erhebt, aber die Worte nicht mitsingt - dann sind die Reaktionen so vorhersehbar wie ein Pawlow'scher Reflex. Die extreme Rechte verdammt den Araber als illoyal. Und der Rest, also die zionistische Linke und die konservative Mitte, lobt seine Weigerung. Denn die israelische Hymne bezieht sich auf die "jüdische Seele" und bietet einem Araber keinen Bezugspunkt an. Weshalb sollte er sie also singen, fragen sie.
Ich habe ein Problem mit dieser immergleichen Diskussion. Denn sie ist oberflächlich und ignoriert eine ganz grundlegende Frage: Ist es akzeptabel, dass eine große Gruppe der Bevölkerung, die der israelischen Araber, von unserer nationalen Identität ausgeschlossen ist?
Die Hymne "HaTikwa", zu Deutsch: "Die Hoffnung", steht für eine ganz bestimmte Form des Zionismus. Das wird aus ihren Versen deutlich:
Solange noch im Herzen
Eine jüdische Seele wohnt
Und nach Osten hin, vorwärts,
Ein Auge nach Zion blickt,
Solange ist unsere Hoffnung nicht verloren,
Die zweitausend Jahre uns verband:
Frei im Land unserer Väter zu leben,
Im Lande Zion und in Jerusalem.
Die Hymne verknüpft das jüdische Volk eng mit dem geographischen Land, und sie begründet diese Verbindung historisch. Das ist ein Problem. Denn wenn 2000 Jahre jüdischer Geschichte die Grundlage für unseren Nationalstaat bilden, dann ist Nationalismus nahezu unvermeidlich. Dann entsteht die Ansicht, dass nur eine Seite über Gerechtigkeit und Land gebietet: die Juden oder die Araber.
Und weil alle stets die jüdische Geschichte in den Mittelpunkt rücken, fühlt sich heute in Israel die Mehrheit wie eine unterdrückte Minderheit. Rechte wie linke Politiker begründen damit ihr Handeln - ohne zu merken, dass sie selbst doch gar nicht die Minderheit sind. Wer das begreift, der kann die derzeitige israelische Politik besser verstehen.
Ich bin in Israel geboren und aufgewachsen, und ich frage mich: Ist dieses Nationalverständnis wirklich das einzig mögliche? Schwer zu sagen. Eine Antwort liegt vielleicht im 6. Zionistischen Kongress im Sommer 1903. Damals wurde die "HaTikwa" zur Hymne der jüdischen Nationalbewegung gewählt. Theodor Herzl, der Begründer des Zionismus, mochte diese Hymne wohl nicht, und das hatte Gründe. Er wollte nicht auf einen historisch begründeten Judenstaat in Israel warten, sondern in Uganda eine jüdische Kolonie gründen. Das hatten die Briten angeboten. Aber der Kongress entschied sich für ein historisches Anrecht auf Israel, und für die "HaTikwa".
Es ist diese Entscheidung in jenem Sommer 1903, die uns beweist: Es hätte eine zweite Möglichkeit gegeben. Eine ganz andere jüdische Identität ist also denkbar.
Herzl wollte einen Zionismus, der auf universellen menschlichen Werten beruht. Für ihn folgte aus der Geschichte nur eines: Nach allem, was die Juden durchgemacht hatten, sollten sie eine tolerantere Nation bilden, empfänglich für die Nöte anderer.
Das mag naiv erscheinen. Aber für mich ist diese alternative Vision die einzige Möglichkeit, mich mit der Idee einer jüdischen Nation zu identifizieren. Und die Rückbesinnung auf Herzls Vorstellungen könnte die festgefahrene, gelähmte Politik in Israel wieder lösen. Heute sind alle so sehr damit beschäftigt, für die gegenwärtige Lage historische Gründe zu suchen. Das ist ein Fehler. Wir müssen endlich beginnen, über die Zukunft zu sprechen.
Ein arabischer Knesset-Abgeordneter hat eine neue Hymne vorgeschlagen: das Gedicht "Credo" des hebräischen Dichters Saul Tschernichowski. Die Worte lauten sinngemäß:
Lach nur über meine Träume!
Sie werden dennoch wahr!
Lache über meinen Glauben
An die Menschen und an Dich.
Ich vertraue auf die Zukunft,
sie mag noch fern sein, doch sie kommt,
Dann werden Nationen einander preisen
und Friede wird endlich die Erde erfüllen.
Wenn dies unsere Hymne wäre, könnte jeder mitsingen, egal ob Jude oder Araber. Könnten diese Worte doch für Israels Existenz als Nation stehen!
Yiftach Ashkenazi, Jahrgang 1980, Schriftsteller. Er studierte Geschichte und Cultural Studies und arbeitete in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Sein erster Roman "Die Geschichte vom Tod meiner Stadt" (Luchterhand Literaturverlag) erzählt von seinem Geburtsort Karmiel im Norden Israels, den er nach dem Militärdienst wieder besuchte und nun mit anderen Augen sah. Weitere Veröffentlichungen: "Birkenau my love", "Persona non grata" sowie Kurzgeschichten und Gedichte.
Ich habe ein Problem mit dieser immergleichen Diskussion. Denn sie ist oberflächlich und ignoriert eine ganz grundlegende Frage: Ist es akzeptabel, dass eine große Gruppe der Bevölkerung, die der israelischen Araber, von unserer nationalen Identität ausgeschlossen ist?
Die Hymne "HaTikwa", zu Deutsch: "Die Hoffnung", steht für eine ganz bestimmte Form des Zionismus. Das wird aus ihren Versen deutlich:
Solange noch im Herzen
Eine jüdische Seele wohnt
Und nach Osten hin, vorwärts,
Ein Auge nach Zion blickt,
Solange ist unsere Hoffnung nicht verloren,
Die zweitausend Jahre uns verband:
Frei im Land unserer Väter zu leben,
Im Lande Zion und in Jerusalem.
Die Hymne verknüpft das jüdische Volk eng mit dem geographischen Land, und sie begründet diese Verbindung historisch. Das ist ein Problem. Denn wenn 2000 Jahre jüdischer Geschichte die Grundlage für unseren Nationalstaat bilden, dann ist Nationalismus nahezu unvermeidlich. Dann entsteht die Ansicht, dass nur eine Seite über Gerechtigkeit und Land gebietet: die Juden oder die Araber.
Und weil alle stets die jüdische Geschichte in den Mittelpunkt rücken, fühlt sich heute in Israel die Mehrheit wie eine unterdrückte Minderheit. Rechte wie linke Politiker begründen damit ihr Handeln - ohne zu merken, dass sie selbst doch gar nicht die Minderheit sind. Wer das begreift, der kann die derzeitige israelische Politik besser verstehen.
Ich bin in Israel geboren und aufgewachsen, und ich frage mich: Ist dieses Nationalverständnis wirklich das einzig mögliche? Schwer zu sagen. Eine Antwort liegt vielleicht im 6. Zionistischen Kongress im Sommer 1903. Damals wurde die "HaTikwa" zur Hymne der jüdischen Nationalbewegung gewählt. Theodor Herzl, der Begründer des Zionismus, mochte diese Hymne wohl nicht, und das hatte Gründe. Er wollte nicht auf einen historisch begründeten Judenstaat in Israel warten, sondern in Uganda eine jüdische Kolonie gründen. Das hatten die Briten angeboten. Aber der Kongress entschied sich für ein historisches Anrecht auf Israel, und für die "HaTikwa".
Es ist diese Entscheidung in jenem Sommer 1903, die uns beweist: Es hätte eine zweite Möglichkeit gegeben. Eine ganz andere jüdische Identität ist also denkbar.
Herzl wollte einen Zionismus, der auf universellen menschlichen Werten beruht. Für ihn folgte aus der Geschichte nur eines: Nach allem, was die Juden durchgemacht hatten, sollten sie eine tolerantere Nation bilden, empfänglich für die Nöte anderer.
Das mag naiv erscheinen. Aber für mich ist diese alternative Vision die einzige Möglichkeit, mich mit der Idee einer jüdischen Nation zu identifizieren. Und die Rückbesinnung auf Herzls Vorstellungen könnte die festgefahrene, gelähmte Politik in Israel wieder lösen. Heute sind alle so sehr damit beschäftigt, für die gegenwärtige Lage historische Gründe zu suchen. Das ist ein Fehler. Wir müssen endlich beginnen, über die Zukunft zu sprechen.
Ein arabischer Knesset-Abgeordneter hat eine neue Hymne vorgeschlagen: das Gedicht "Credo" des hebräischen Dichters Saul Tschernichowski. Die Worte lauten sinngemäß:
Lach nur über meine Träume!
Sie werden dennoch wahr!
Lache über meinen Glauben
An die Menschen und an Dich.
Ich vertraue auf die Zukunft,
sie mag noch fern sein, doch sie kommt,
Dann werden Nationen einander preisen
und Friede wird endlich die Erde erfüllen.
Wenn dies unsere Hymne wäre, könnte jeder mitsingen, egal ob Jude oder Araber. Könnten diese Worte doch für Israels Existenz als Nation stehen!
Yiftach Ashkenazi, Jahrgang 1980, Schriftsteller. Er studierte Geschichte und Cultural Studies und arbeitete in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Sein erster Roman "Die Geschichte vom Tod meiner Stadt" (Luchterhand Literaturverlag) erzählt von seinem Geburtsort Karmiel im Norden Israels, den er nach dem Militärdienst wieder besuchte und nun mit anderen Augen sah. Weitere Veröffentlichungen: "Birkenau my love", "Persona non grata" sowie Kurzgeschichten und Gedichte.

Der israelische Schriftsteller Yiftach Ashkenazi© Luchterhand Literaturverlag