Rechtelos in Deutschland?
Geschlagen, beschimpft, eingesperrt: Wenn Diplomaten Gewalt gegen ihre Angestellten ausüben, kommen die Täter meist ungeschoren davon. Die Geschichte von Anna Flores (Name geändert), die mutmaßlich vergewaltigt wurde, zeigt wie rechtlos Menschen dastehen können.
Anna Flores: "Am Anfang war der Mann sehr nett. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas Schlimmes passieren könnte. Er hatte doch eine gute Stellung bei der Botschaft."
Im Jahr 2010 arbeitet die Phillipinin Anna Flores* (Name geändert) arbeitet als Hausangestellte in Deutschland. Ihr Arbeitgeber ist ein arabischer Diplomat. Nach vier Wochen kommt er zu ihr ins Zimmer, als sie seine Hemden bügelt.
Anna Flores: "Er hat versucht, mich zu streicheln. Erst als ich ihn immer wieder abgewehrt habe, ist er dann wütend geworden. Dann hat er mich gepackt und aufs Bett gelegt. Ich habe immer wieder gesagt, dass ich Familie habe und dass er mich loslassen soll. Dann hat er mich vergewaltigt."
Anna Flores ist nicht die einzige Hausangestellte eines Diplomaten, die von Übergriffen berichtet. Jedes Jahr melden sich etwa 20 Diplomatenangestellte in Deutschland bei Hilfsorganisationen. Einige berichten wie Anna Flores von sexuellen Übergriffen, andere von Ausbeutung, wie Behshid Najafi von der Kölner Organisation Agisra sagt:
"Wir erleben immer wieder, dass die bringen auch Hausangestellte mit, die auch 15, 16, 17 Stunden am Tag arbeiten. Harte Arbeit, bekommen die ihr Gehalt nicht und sie leben in eine sklavenähnliche Situation und werden auch dazu auch psychisch und körperlich misshandelt."
Quasi nie bestraft
Ein Fahrer wurde gezwungen unbezahlte Überstunden zu machen. Als er sich beschwerte, schlug sein Vorgesetzter ihn mit einem Stuhl blutig. Ein Hausmädchen wurde zwei Jahre lang in einer Berliner Wohnung eingesperrt, eine andere Hausangestellte musste täglich bis zu 18 Stunden arbeiten, wurde geschlagen, beschimpft und eingesperrt. Weil Diplomaten besonderen Schutz genießen, werden sie so gut wie nie vor Gericht gestellt und quasi nie bestraft, erklärt der Hamburger Völkerrechtler Stefan Oeter:
"Die diplomatische Immunität führt dazu, dass es ein absolutes Strafverfolgungshindernis gegen diese Diplomaten gibt."
Autor: "Egal wie schwer das Verbrechen ist?"
"Ja, egal wie schwer das Verbrechen ist. Dadurch entsteht natürlich zunächst mal so etwas wie ein rechtsfreier Raum, weil faktisch den Diplomaten gegenüber die deutsche Rechtsordnung bis hin zum Strafrecht, nicht durchsetzbar sind."
Rechtsfreier Raum im Rechtsstaat?
Ein rechtsfreier Raum – mitten im Rechtsstaat Deutschland? Anna Flores fühlt es sich genauso an. Laut eigener Aussage wurde sie sechs Mal von dem Diplomaten vergewaltigt. Als sie schwanger wird und ihm davon erzählt, verlässt er das Land. Er verliert damit zwar seine Immunität, entzieht sich aber auch dem Zugriff der Behörden. Die Staatsanwaltschaft müsste jetzt viel Aufwand betreiben, um ihn vor ein deutsches Gericht zu bringen – bei ungewissem Ausgang.
Stefan Oeter: "Dann kommt noch der Aspekt des Politischen dazu, wenn es um einen höherrangigen Diplomaten geht, der Staatsanwalt natürlich auch immer weiß, da können politische Verwicklungen daraus entstehen, die dann auch noch zusätzliche Probleme bereiten ... Dann wird man häufig nach einer Tür suchen, durch die man kann sagen halbwegs elegant wieder aus dem Verfahren rauskommt."
Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren ein – bis heute wurde der Fall nicht aufgeklärt. Anna Flores hat eine Tochter zur Welt gebracht und lebt noch immer in Deutschland. Der Diplomat lebt in seiner Heimat - offenbar unbehelligt. Das ist ein typisches Ende für Fälle mit Diplomatenbeteiligung, sagt Behshid Najafi von Agisra:
"Wo bleibt Rechtsstaat? Das macht mich echt – macht mich verzweifelt an Rechtsstaatlichkeit – für alle Menschen. Die Würde von allen Menschen sind untastbar. Aber bei denen ist tastbar. Kann man auch verletzen und passiert gar nichts und keiner fühlt sich verantwortlich. Ich bin stolz über Rechtsstaatlichkeit in Deutschland. Aber wenn ich sowas sehe, dann zweifel ich."
Die Recherche der Autoren wurde mit einem Stipendium von "Netzwerk Recherche" unterstützt.