Außerdem Thema in der Sendung:
Schicksale von Frauen in Senegal
Von Martina Zimmermann
Das westafrikanische Land Senegal gilt unter seinen Nachbarn geradezu als Musterbeispiel für Stabilität. Gerade wurde Präsident Macky Sall im Amt wiederbestätigt. Und auch wenn das Wahlergebnis von einigen Oppositionellen angezweifelt wird, gehen Beobachter davon aus, dass das Angebot des alten neuen Präsidenten zum Dialog durchaus fruchten könnte. Auch die Wirtschaft des Landes wächst schnell, für dieses Jahr rechnen Ökonomen mit sieben Prozent Wachstum.
Von all dem profitieren auch die Frauen, die zum Beispiel dank eines Paritätsgesetzes auch zu 42 Prozent im Parlament vertreten sind. Und trotzdem gehört Gewalt gegenüber Frauen auch hier zum Alltag: Ein Viertel der Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren sind von Genitalverstümmelung betroffen. Und ihr Alltag ist nach wie vor oft von Tradition und Religion bestimmt.
Schmerz in Stärke umwandeln
24:39 Minuten
Millionen Frauen wurden in 20 Jahren Bürgerkrieg im Kongo terrorisiert. Neben medizinischer Hilfe benötigen die Opfer sexueller Gewalt auch psychologische Betreuung. Die bietet ihnen das Therapiezentrum "Stadt der Freude" in Bukavu.
Sobald sich das Hoftor schließt, wird es ruhig. Das chaotische Treiben in den engen schmutzigen Gassen der ostkongolesischen Provinzstadt Bukavu ist kaum mehr zu hören: Die "Stadt der Freude" - mit Betonung auf Lebensfreude - wirkt wie eine Insel des Friedens inmitten des Bürgerkriegs.
"Wir sind hier – in der Stadt des Friedens. Diese Vögel, das ist wie eine Therapie für die Frauen."
Psychologin Rosine Chofi spaziert zwischen den Backsteinhäusern herum. Sie ist eine von sechs Psychologinnen, die Kongos vergewaltigte Frauen und ihre Traumata behandeln.
Das Therapiezentrum liegt am Rande von Bukavu, das in den globalen Medien oft als "Welthauptstadt der Vergewaltigungen" bezeichnet wird. Auch weil die Fälle oft extrem brutal sind, Frauen mitunter mit dem Gewehr in die Vagina geschossen werden. In den 20 Jahren Bürgerkrieg wurden Millionen von Frauen sexuell missbraucht und terrorisiert – Psychologin Chofi steuert auf eine kreisrunde Hütte aus Bambus zu, streift ihre Sandalen ab. Die Hütte ist ausgelegt mit Bastmatten. Hier hält sie Meditationsstunden ab.
Für die Bildung den Körper geopfert
Auf einem Schemel sitzt Claire Riziki, aufrecht und ruhig. Die 20-Jährige atmet tief ein und aus, so wie sie es in den Meditationsstunden gelernt hat. Wie oft sie in ihrem jungen Leben schon vergewaltigt wurde – das kann sie nicht einmal mehr zählen.
"Ich bin hierhergekommen, wegen all der sexuellen Gewalt in meinem Dorf", sagt Claire Riziki.
"Ich bin dort in die Grundschule gegangen und als ich auf die Sekundarschule gehen wollte, wurde ich von den Lehrern sexuell genötigt, weil ich kein Geld für die Schulgebühren hatte. Ich habe für meine Bildung ein sehr großes Opfer gebracht: meinen Körper. Aber das hat mir alle Lebensfreude genommen. Jedes Mal, wenn ich andere Leute habe lachen sehen, habe ich angefangen zu weinen. Doch seit ich jetzt die Therapie mache, bin ich nicht mehr krank."
Von jenseits der Hütte hallt der Rhythmus der Trommeln. Im Schatten eines Mangobaums sitzt rund ein Dutzend Frauen. Sie trommeln sich buchstäblich die Seele aus dem Leib. Neben Selbstverteidigungskursen und Gruppengesprächen ist das einer von zahlreichen Therapieansätzen. Auch Riziki hat durch die Musiktherapie gelernt, ihre Gefühle auszudrücken, sagt sie.
"Was mir am meisten geholfen hat – und dafür bin ich den Psychologinnen hier wirklich dankbar – war der Ansatz, die Wahrheit auszusprechen, egal wie schmerzhaft sie ist und dadurch den Schmerz in Stärke umzuwandeln. Wenn mich früher jemand nach meinen Problemen gefragt hat, habe ich immer gesagt, ich habe keine. Heute habe ich keine Angst mehr, die Wahrheit zu sagen. Ich habe keine Scham mehr, darüber zu reden."
Sechs Monate lebt Riziki bereits hier. Bald darf sie nach Hause gehen. Sie freut sich darauf, sagt sie. Auch wenn sie vielen Herausforderungen begegnen muss: die Wiedereingliederung in die Familie, die Begegnung mit ihren Lehrern und Vergewaltigern, das Stigma im Dorf. Doch sie fühlt sich gewappnet. Teil der Therapie ist es, den Mädchen eine Ausbildung zu geben, damit sie Geld verdienen können: Riziki hat Nähen und Sticken gelernt. Finanzielle Unabhängigkeit ist oft der erste Schritt, Frauen vor sexueller Ausbeutung zu bewahren.
Sexuelle Gewalt als Kriegswaffe
Im Gemeinschaftsraum sitzen knapp hundert Frauen auf Plastikstühlen wie in einem Klassenzimmer. Die meisten sind jung wie Riziki. Viele haben ähnliche sexuelle Ausbeutung in ihrem direkten Umfeld erlebt. Einige wurden aber auch Opfer des brutalen sexuellen Terrors, der Teil der Kriegswaffe ist.
"Wir haben hier im Kongo sexuellen Missbrauch ähnlich wie in den westlichen Gesellschaften auch", sagt Christine Schuler-Deschryver.
"Doch während des Krieges wurde die Vergewaltigung zur Zerstörungswaffe. Ein Baby von sechs Monaten zu vergewaltigen oder eine alte Frau von 80 Jahren – das hat nichts mit sexueller Befriedigung zu tun. Das ist die gezielte Zerstörung der Gesellschaft. Früher fand sexueller Missbrauch im Geheimen statt. Heute haben wir offene, zur Schau gestellte Vergewaltigungen. Männer werden gezwungen, sich in aller Öffentlichkeit an ihren Töchtern zu vergehen. Das ist sexueller Terror. Die Frauen im Kongo sind der Motor der Gesellschaft – wenn man sie zerstört, zerstört man alles."
Christine Schuler-Deschryver ist die Initiatorin und stellvertretende Direktorin der Panzi-Stiftung, durch welche sich das Therapiezentrum finanziert. Die Kongolesin ist die Stellvertreterin des Gynäkologen Denis Mukwege, der im Dezember den Friedensnobelpreis erhalten hat. Sie sagt, der Preis sei wichtig, um wieder mehr Aufmerksamkeit für die Lage im Kongo zu erhalten.
"Der Krieg geht weiter, doch im Landesinneren, weit weg von den Kameras", erzählt Christine Schuler-Deschryver.
"Erst vor wenigen Monaten wurden wieder alle Frauen in einem Dorf vergewaltigt. Wir haben versucht, dorthin zu reisen, doch es ist tief im Dschungel, dort gibt es keine Sicherheit. Es ist schier unvorstellbar, was sich dort jeden Tag abspielt. Diejenigen, die es zu uns schaffen, sind die Ausnahme. Sie haben das Privileg, behandelt zu werden. Doch viele Frauen denken, man darf nur zu uns kommen, wenn man ernsthaft verletzt ist. Die, die keine körperliche Behandlung benötigen, die schweigen einfach. Sie wollen nicht weiter stigmatisiert werden. Sie haben Angst als Opfer zu gelten. Mit diesem Stigma bestraft man die Frauen letztlich drei- oder vierfach."
Geborgenheit und Umarmungen
Im Gemeinschaftssaal schreibt Marie-Jean Mbashu Stichworte an eine Tafel. Die ältere Frau ist die Leiterin. Von Mädchen wie Riziki wird sie nicht ohne Grund "Mama Mbashu" genannt. Oft drückt sie ihre verletzlichen Patientinnen an sich, hält sie ganz fest. Die meisten der Mädchen scheuen Berührungen, benötigen aber Geborgenheit.
"Unsere Vision ist es, die Mentalität der Frauen zu revolutionieren", sagt Marie-Jean Mbashu.
"Die meisten Frauen sind aufgrund ihres Traumas blockiert. Wir wollen ihnen die Fähigkeiten wieder geben, in ihrem Leben eigene Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Ein Beispiel: Eine Frau hat durch den Krieg alles verloren. Ihr Mann und ihre Kinder wurden getötet, ihre Ziegen und Hühner gestohlen, das Haus ist abgebrannt, sie musste fliehen. Sie hat nichts mehr. In der Bevölkerung wird sie nicht mehr anerkannt. Sie leidet an Selbstwertproblemen. Hier erfährt sie im Unterricht von ihren Rechten. Wir bringen den Frauen bei, wie sie sich wehren können – auch juristisch. Wir haben viele Beispiele, dass Frauen erfolgreich vor Gericht gezogen sind, um die Täter anzuklagen, ihr Eigentum zurück zu fordern- sie lernen, ihre Rechte einzuklagen."
Auf Mama Mbashus Schreibtisch im Direktorenzimmer türmen sich Aktenberge. Über jede der Patientinnen wird genau Buch geführt: Diagnose, Leidensgeschichte, Familienhintergründe, Zukunftspläne. An den Wänden kleben Fotos von vielen hunderten Ehemaligen, die in die Kamera lachen. Sie bekommen vor ihrer Abreise ein Mobiltelefon, um in Kontakt zu bleiben, sowie ein Startgeld von umgerechnet rund 100 Dollar, um sich wie im Fall von Riziki eine Nähmaschine anzuschaffen. Doch die Wiedereingliederung sei nicht einfach, berichtet sie.
Das Problem der Wiedereingliederung
"Wir begleiten die Frauen nach Hause", erklärt Marie-Jean Mbashu. "Denn das Problem ist der Kontext, in welchem die Frauen ihre Gemeinde wiederfinden. Die extreme Armut und die Unsicherheit. Man weiß nie, welche Rebellen die Wege belagern und die Frauen auf dem Weg ausrauben oder vergewaltigen. Das dritte Problem ist die Akzeptanz und Wiedereingliederung. Manchmal müssen wir vermitteln, mit dem Ehemann sprechen oder mit dem Vater oder mit anderen, die von der Vergewaltigung wissen – das ist ein großes Problem."
Rund 20 Kilometer von der "Stadt der Freude" entfernt erstreckt sich eine 340 Hektar große Farm über Hügel und Täler. Für rund 40 Absolventinnen ist die V-World-Farm zum neuen Zuhause geworden. Einigen fiel die Wiedereingliederung in ihre Familien schwer. Andere fanden ihre Dörfer verwaist oder abgebrannt. Einige wurden erneut vergewaltigt. Sie kehren zurück, versuchen einen zweiten Neuanfang, in sicherem Abstand zum ehemaligen Zuhause.
Ndensekire Mbalama verstreut Kompost auf ihrem Kartoffelacker, harkt ihn unter. Die 33-Jährige trägt einen orangenen Arbeitsanzug und Gummistiefel. Schweiß rinnt ihr über die Stirn, sie lächelt:
"Seitdem ich hier auf der Farm lebe und arbeite, geht es mir gut. Ich kann hier arbeiten und verdiene Geld, ich möchte mir etwas für die Zukunft ansparen. Ich habe die Stadt der Freude 2012 besucht. Doch als ich danach in mein Dorf zurückkam, war dort niemand mehr. Meine Familie war geflohen. Ich war ganz alleine. Ich habe mich wieder an Mama Mbashu gewandt. Seitdem lebe ich auf der Farm. Hier geht es mir besser. Ich habe etwas zu tun, was auch psychologisch wichtig ist für mich, und habe Gesellschaft. Beides macht mich glücklich."
Über tausend Frauen haben in den vergangenen Jahren durch die Stadt der Freude einen Neustart erfahren, der nicht nur ihrem eigenen Leben mehr Qualität und Freude bringt, sondern auch die kongolesische Gesellschaft von Grund auf revolutioniert. Damit der Kongo in der Zukunft nicht mehr der schlimmste Ort der Welt ist, eine Frau zu sein.