Christina Lamb: "Unsere Körper sind euer Schlachtfeld"
Aus dem Englischen von Maria Zettner, Friedrich Pflüger, Heike Schlatterer, Anja Lerz, Karin Schuler
Penuin, München 2020
448 Seiten, 24 Euro
"Ich verstehe nicht, warum niemand etwas dagegen tut"
14:33 Minuten
Dass in Kriegen Vergewaltigungen als Waffe eingesetzt werden, weiß jeder. Doch es werde kaum etwas dagegen getan, sagt Christina Lamb. Für ihr neues Buch hat die preisgekrönte Kriegsreporterin mit vergewaltigten Frauen aus Kriegsgebieten gesprochen.
Seit vielen Jahren reist die britische Journalistin Christina Lamb in Kriegs- und Krisengebiete und spricht vor Ort mit Frauen über ihre leidvollen Erfahrungen. Lamb war viele Jahre Korrespondentin und ist Autorin einiger Bücher. Unter anderem ist sie Co-Autorin der Autobiografie von Malala, die für das Recht auf Bildung von Mädchen und Frauen kämpft.
In ihrem neuen Buch "Unsere Körper sind euer Schlachtfeld" erzählt sie von Frauen, die Sklavinnen von IS-Kämpfern waren oder von Gefangenen des argentinischen Militärregimes. Frauen also, die vergewaltigt wurden und noch Jahrzehnte später von diesem Verbrechen gezeichnet sind.
Eine effektive Waffe zur Erniedrigung des Feindes
Andrea Gerk: In ihrem Buch zeigt eine Weltkarte, wo Sie überall mit Frauen gesprochen haben. Das reicht von Ruanda nach Bangladesch über Syrien und den Irak bis nach Bosnien. Wie werden denn Vergewaltigungen in all diesen ja doch sehr unterschiedlichen Konflikten eingesetzt? Was für eine Funktion hat diese Gewalt gegen Frauen?
Christina Lamb: Die Tatsache, dass die Karte so viele verschiedene Orte zeigt, ist nur ein Zeichen dafür, was diese Praxis für eine Epidemie geworden ist, dass sie an so vielen verschiedenen Orten angewendet wird. An den verschiedenen Kriegsschauplätzen hat sie vielleicht leicht unterschiedliche Funktionen, aber ganz allgemein ist die Vergewaltigung immer eine sehr effektive Waffe, um den Feind zu erniedrigen.
Sie kann angewendet werden, um eine Gegend für sich freizubekommen, um das Feld zu erobern, um ethnische Auslöschungen vorzunehmen. Oder aus ideologischen Gründen, wenn zum Beispiel die Opfer als Heidinnen angesehen werden wie im Fall der Jesidinnen, wo man sie für Teufelsanbeterinnen gehalten hat.
"Es ist ganz klar ein Kriegsverbrechen"
Gerk: Wird diese Waffe in Kriegen schon immer eingesetzt?
Lamb: Es hat schon immer Vergewaltigungen im Krieg gegeben. Das geht bis zu den Phöniziern, Griechen oder Persern zurück. Damals geschah dies meist im Chaos des Krieges, wenn ohnehin keine gesellschaftliche Ordnung mehr bestand.
Im Buch betrachte ich aber speziell Plätze, in denen Vergewaltigung und sexualisierte Gewalt spezifisch als Waffe eingesetzt wurden, wo es den Befehl gegeben hat, Menschen zu vergewaltigen und ganze Gruppen oder Ethnien ausgelöscht oder erniedrigt werden sollten.
Wir sind im 21. Jahrhundert, und es ist ganz klar ein Kriegsverbrechen, was da geschieht. Das sollte nicht weitergehen. Erst recht nicht auf dem Niveau, auf dem es passiert. Ich könnte an diesem Buch eigentlich noch mein Leben lang weiter schreiben, weil es so viele verschiedene Orte gibt, an denen das stattfindet.
"Diese Gewalt wird immer stärker"
Gerk: Haben Sie den Eindruck, dass das in Ihrer Zeit als Kriegsreporterin noch einmal zugenommen hat?
Lamb: In den letzten Jahren hat sich tatsächlich gezeigt, dass diese Gewalt immer stärker, immer präsenter wird – in Dimensionen, die man sich kaum vorstellen kann. Mehr als im gesamten Rest meiner Laufbahn habe ich das in den letzten Jahren so erlebt. Und ich verstehe nicht, warum niemand etwas dagegen tut.
Zehntausende Entführungen, keine Aufmerksamkeit
Gerk: Sie haben für Ihr Buch mit sehr vielen Frauen gesprochen. Am Anfang sind es Jesidinnen, die von IS-Kämpfern versklavt worden sind und wirklich entsetzliche Geschichten erzählen. Wie sind Sie überhaupt in Kontakt mit diesen Frauen gekommen?
Lamb: Zuerst habe ich mit Jesidinnen gesprochen, die ich in einem Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Leros getroffen habe. Ich habe gesehen, wie das gesamte Licht aus ihren Augen verschwunden war. Man sah ihnen förmlich an, dass etwas extrem Schlimmes mit ihnen passiert ist. Das hat mich verstört. Später habe ich in anderen Teilen der Welt immer mehr solcher Geschichten gehört. Zum Beispiel in Nigeria, wo die Chibok-Mädchen von Boko Haram entführt worden waren.
Ich habe nachgeforscht und festgestellt, dass bereits Zehntausende von Mädchen entführt worden waren und dass diese Fälle keine Aufmerksamkeit bekommen hatten.
Oder nehmen wir den Fall der Rohingya in Myanmar. Dort wurden 700.000 Leute vertrieben. 2017 haben praktisch alle Frauen erzählt, dass ihre Häuser verbrannt und ihre Männer getötet worden sind. Dann wurden die Frauen an Bananenbäume gebunden und oftmals vor den Augen ihrer Kinder vergewaltigt.
"Niemand soll sagen können, er hätte es nicht gewusst"
Gerk: Sie waren auch in Baden-Württemberg, wo man über tausend Jesidinnen aufgenommen hat. An einer Stelle fragt eine der Frauen: "Was habe ich denn davon, wenn ich Ihnen meine Geschichte erzähle?" Was haben Sie geantwortet, wenn Frauen Ihnen diese Frage gestellt haben?
Lamb: Das ist eine der schwierigsten Fragen, muss ich sagen. Als Journalistin, die über diese Fälle berichtet, hoffe ich natürlich, dass ich mit meinen Berichten etwas bewirken kann und dass sich vielleicht etwas ändert. Aber meistens passiert das eben leider nicht. Das Beispiel der Jesidinnen zeigt das ganz gut.
Man weiß inzwischen in der Öffentlichkeit davon. Man weiß von den Sexsklavinnen. Man weiß von den Märkten, auf denen Frauen von einem Kämpfer an den nächsten verkauft werden. Und trotzdem passiert eigentlich nichts. Keiner wird gerichtlich verfolgt oder vor Gericht gestellt.
In Baden-Württemberg habe ich mit einem Mädchen gesprochen, das erst 16 Jahre alt war und war immer wieder von einem IS-Richter vergewaltigt worden war. Es fiel ihr sichtbar schwer, darüber zu sprechen. Ich habe sie mehrfach gefragt, ob sie wirklich darüber reden will. Darauf sagte sie, ja, denn niemand soll sagen können, er hätte es nicht gewusst.
"Die Geschichte des Krieges schreiben Männer"
Gerk: Es gibt auch eine UN-Sonderbeauftragte für dieses Thema. Sie sagen, dass trotzdem zu wenig passiert. Was müsste passieren? Müssten vielleicht auch mehr Frauen in der anschließenden Strafverfolgung eingesetzt werden, weil Männer vielleicht keinen realistischen Blick auf das Thema haben? Worin besteht das Problem?
Lamb: Ich glaube, dass es genau daran liegt. Die Geschichte der Kriege wurde immer von Männern geschrieben. Die Richter, die sich mit den Kriegsrechtsfällen beschäftigt haben, waren Männer. Die Staatsanwälte, die dagegen vorgegangen sind, waren Männer. Und viele von ihnen nehmen diese Fälle eben einfach nicht ernst.
Ich kann mich zum Beispiel erinnern: In dem Bericht des Richters, der mit den IS-Kämpfern umgegangen ist, kamen die Jesidinnen überhaupt nicht vor. Ich habe ihn dann gefragt: Haben denn diese Leute, um die Sie sich kümmern, Jesidinnen gefangen genommen? Er sagt, ja. Warum befassen Sie sich denn nicht damit? Da hat er nur gelacht und gesagt: "Wissen Sie, diese Leute haben andere Menschen getötet, warum soll ich mich denn mit Vergewaltigungen befassen?"
Für diese Männer ist das einfach nur ein Nebenschauplatz. Es ist nicht wichtig. Es geht ihnen um andere Dinge. Dabei sagen so viele Jesidinnen, dass sie viel lieber gestorben wären, als zu erleben, was ihnen passiert ist. Und bei den wenigen rechtlichen Erfolgen, die es durchaus auch gegeben hat, war es so, dass in allen Fällen eine Frau auf dem Richterstuhl saß. Ich denke, das kann kein Zufall sein.
"Wie müssen etwas tun, damit es aufhört"
Gerk: Bei der Lektüre ihres Buches habe ich mich gefragt, wie das erst sein muss, wenn man sich das anhört und dabei den Frauen in die Augen schaut. Wie finden Sie die richtige Mischung aus Empathie und der Sachlichkeit? Die benötigen Sieja auch, um darüber berichten zu können.
Lamb: Es waren definitiv die schlimmsten Geschichten, die ich in meinem Leben je gehört habe. Aber für diejenigen, die sie erlebt haben, waren sie natürlich noch viel schlimmer. Natürlich war es manchmal schwer, nicht zu weinen, wenn man das hören musste. Aber mein Fokus war darauf gerichtet, dass ich nur eine Änderung erreichen kann, wenn Leute davon erfahren, was diesen Frauen passiert ist. Wie gesagt, wir leben im 21. Jahrhundert. So etwas sollte nicht mehr passieren. Das ist nichts, was in Kriegen eben so vorkommt. Wir müssen etwas tun, damit es aufhört.
Manchmal ist es ein Vorteil, unterschätzt zu werden
Gerk: Sie sind fünfmal Kriegsreporterin des Jahres geworden. Ich musste in der Vorbereitung an die Fotografin Barbara Klemm denken. Die hat in einem Interview mal erzählt, dass sie ihre besten Bilder oft schießen konnte, weil Männer sie vollkommen unterschätzt haben, sich dann einfach entspannten und sie eben tolle Bilder gemacht hat. Wie erleben Sie das? Ist es in diesem Beruf manchmal auch von Vorteil, als Frau unterschätzt zu werden?
Lamb: Na ja, es ist schwer zu sagen, dass es auch mal etwas Gutes hat, wenn man von Männern unterschätzt wird. Aber ja, schon. Es wurde mir auch gesagt, ich käme als ernsthafte Kriegsreporterin ja gar nicht infrage. Manchmal ist es als Frau vielleicht auch, irgendwo reinzukommen, weil man weniger bedrohlich wirkt als ein Mann. Für diese Geschichten, die die Frauen erzählt haben, ist es natürlich ein großer Vorteil, ihnen als Frau zuzuhören. Ich denke, Männer hätten es in dieser Situation sehr schwer gehabt.
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