Vergnüglicher Geschlechterkampf
Im Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz präsentieren Dirigent Lukas Beikircher und Regisseur Thomas Enzinger eine erstklassige "Italienerin in Algier". Rossini als unterhaltsamer Kampf der Geschlechter, der das Publikum begeistert.
Staatstheaterqualitäten fast durchweg. Das gilt zuerst für die musikalische Seite. Da springt – nach dem unerwarteten Tod von Chefdirigent David Stahl – der sogenannte Zweite Kapellmeister des Hauses ein. Lukas Beikircher bewiest, dass die Zwei nur eine bürokratische Zahl ist, und lässt Erstklassiges hören: eben die unglamourös gewachsenen Hochkultur-Qualitäten, die das deutsche Repertoiretheater-System so einmalig in der Welt machen. Was für ein Kontrast zur dreimal so teueren Staatsoper, wo eben ein vermeintlicher Star-Dirigent beweist, dass er nicht einmal "Fidelio" kann!
Beikircher steigert aus feinen Piano-Stimmungen Rossinis berühmte "Walzen"- oder "Rouladen"-Effekte gekonnt zu jenem aberwitzigen "Immer schneller, immer lauter bis zur Wahnssinnsgrenze". Wiederholungen klingen abschattiert. Pausen unterbrechen die pulsierenden Rhythmen gekonnt "überraschend" und zusätzlich im Einklang mit der Regie, die da und dort einen Stöhner, ein Geräusch oder einen kleinen Gag eingebaut hat. All das gelingt, weil ein Hausensemble mit den hohen Anforderungen von Rossinis Ziergesang, also Koloraturen, Staccati, Tonsprüngen über zwei Oktaven und rasanten Tempi immer im italienischen Original, bravourös zu kommt. Verdienter Arienapplaus und Bravorufe am Schluss.
Gelungen auch, weil da eine Inszenierung die Handlung im Moment komödiantisch einsichtig macht. Die deutschen Übertitel sind nur gelegentlich als Stütze nötig. Dass da nämlich ein gelangweilter, eitler Bey seinen Leibwächter beauftragt, den Harem mit neuen Reizen zu bestücken. Und das kann natürlich nur eine Italienerin mit vulkanischem Temperament sein! Dass gleichzeitig solch eine Italienerin nach ihrem verschleppten Geliebten an der algerischen Küste sucht – das haben Regisseur Thomas Enzinger und Ausstatter Toto überzeugend nahe gerückt.
Alles spielt auf der Luxusjacht Scheich Mustafas im Gaddafi-Look, der trotz seines immensen Reichtums Harem und Personal wie Sklaven hält. Ein Suchflugzeug fliegt hinten vorbei. Das lässt Mustafa natürlich abschießen, am Fallschirm schwebt die Italienerin Isabella aus dem Bühnenhimmel auf die Jacht nieder – und singt "Cruda sorte – Grässliches Schicksal" – Szenenbeifall. Den gib es dann wiederholt, denn Stefan Sevenich gab dem Mustafa nicht nur beeindruckende Bass-Töne, sondern auch die etwas zu kurz geratene, eben deswegen dauernd bis zum eingefärbten "M"-Brusthaar "aufgedonnerte", kompakte Körperlichkeit samt allen Macho-Attitüden. Ein Höhepunkt sicher, als ihn seine blinde Verliebtheit vor Freude tanzen lässt und Sevenich da eine Passage "elefantös" wirkender, aber blitzsauber getanzter Pirouetten hinlegt – Bravosturm.
Doch Rita Kapfhammer ist eine ihm letztlich überlegene Isabella vom Format der jungen Anna Magnani: ein kerniger Mezzosopran mit fast beängstigend "röhrenden" Brusttönen, dazu ein abendfüllendes Dekolleté, selbstbewusste Hüftschwünge und ein graziöses Strumpfhochstreifen "bis zum Anschlag", was die beobachtenden Männer trunken taumeln und an den umgebenden Relingwänden Halt suchen lässt.
Zusätzlich feine, aktuelle Kulturkampf-Spitzen: da entdecken die Muslime den Alkohol; später imitieren die zuvor verschleierten Haremsdamen den Kleidungs- und Kosmetik-Aufwand Isabellas und präsentieren sich als schöne Orientalinnen im westlichen Designer-Outfit; da gibt es pfiffige Frauen-Solidarität und idiotische Ordensrituale der Männer bis hin zur "Pappataci"-Ernennung Mustafas, die an einen "Halt's-Maul"-Orden für heutige Machthaber denken lässt.
Natürlich findet Isabella unter den Sklaven ihren vermissten Lindoro, dem der einzige Gast, der polnische Tenor Karol Kozlowski, schlankes Äußeres und eben solche, mitunter sogar "süße" Tenor-Töne verleiht. Sein Versuch, mit einer elektrischen Brieftaube Isabella zu verständigen, scheitert zwar rührend – Szenenapplaus –, doch am Schluss kann Isabella ein U-Boot zur Flucht anlocken. Dessen Besatzung nimmt gerne den Tresor der "Bank of Algier" an Bord, bedankt sich aber mit einer Bombe, die alles samt Yacht versenkt.
Die Freude an soviel theatralisch gekonntem Handwerk und intelligentem Witz führt zur Einsicht, dass Münchens zweites Haus wieder einmal die Nase vorn hat - und zum Rat: Unbedingt ansehen!
"L’Italiana in Algeri"
Komische Oper in zwei Akten von Gioacchino Rossini
Musikalische Leitung: Lukas Beikircher
Regie: Thomas Enzinger
Staatstheater am Gärtnerplatz in München
Beikircher steigert aus feinen Piano-Stimmungen Rossinis berühmte "Walzen"- oder "Rouladen"-Effekte gekonnt zu jenem aberwitzigen "Immer schneller, immer lauter bis zur Wahnssinnsgrenze". Wiederholungen klingen abschattiert. Pausen unterbrechen die pulsierenden Rhythmen gekonnt "überraschend" und zusätzlich im Einklang mit der Regie, die da und dort einen Stöhner, ein Geräusch oder einen kleinen Gag eingebaut hat. All das gelingt, weil ein Hausensemble mit den hohen Anforderungen von Rossinis Ziergesang, also Koloraturen, Staccati, Tonsprüngen über zwei Oktaven und rasanten Tempi immer im italienischen Original, bravourös zu kommt. Verdienter Arienapplaus und Bravorufe am Schluss.
Gelungen auch, weil da eine Inszenierung die Handlung im Moment komödiantisch einsichtig macht. Die deutschen Übertitel sind nur gelegentlich als Stütze nötig. Dass da nämlich ein gelangweilter, eitler Bey seinen Leibwächter beauftragt, den Harem mit neuen Reizen zu bestücken. Und das kann natürlich nur eine Italienerin mit vulkanischem Temperament sein! Dass gleichzeitig solch eine Italienerin nach ihrem verschleppten Geliebten an der algerischen Küste sucht – das haben Regisseur Thomas Enzinger und Ausstatter Toto überzeugend nahe gerückt.
Alles spielt auf der Luxusjacht Scheich Mustafas im Gaddafi-Look, der trotz seines immensen Reichtums Harem und Personal wie Sklaven hält. Ein Suchflugzeug fliegt hinten vorbei. Das lässt Mustafa natürlich abschießen, am Fallschirm schwebt die Italienerin Isabella aus dem Bühnenhimmel auf die Jacht nieder – und singt "Cruda sorte – Grässliches Schicksal" – Szenenbeifall. Den gib es dann wiederholt, denn Stefan Sevenich gab dem Mustafa nicht nur beeindruckende Bass-Töne, sondern auch die etwas zu kurz geratene, eben deswegen dauernd bis zum eingefärbten "M"-Brusthaar "aufgedonnerte", kompakte Körperlichkeit samt allen Macho-Attitüden. Ein Höhepunkt sicher, als ihn seine blinde Verliebtheit vor Freude tanzen lässt und Sevenich da eine Passage "elefantös" wirkender, aber blitzsauber getanzter Pirouetten hinlegt – Bravosturm.
Doch Rita Kapfhammer ist eine ihm letztlich überlegene Isabella vom Format der jungen Anna Magnani: ein kerniger Mezzosopran mit fast beängstigend "röhrenden" Brusttönen, dazu ein abendfüllendes Dekolleté, selbstbewusste Hüftschwünge und ein graziöses Strumpfhochstreifen "bis zum Anschlag", was die beobachtenden Männer trunken taumeln und an den umgebenden Relingwänden Halt suchen lässt.
Zusätzlich feine, aktuelle Kulturkampf-Spitzen: da entdecken die Muslime den Alkohol; später imitieren die zuvor verschleierten Haremsdamen den Kleidungs- und Kosmetik-Aufwand Isabellas und präsentieren sich als schöne Orientalinnen im westlichen Designer-Outfit; da gibt es pfiffige Frauen-Solidarität und idiotische Ordensrituale der Männer bis hin zur "Pappataci"-Ernennung Mustafas, die an einen "Halt's-Maul"-Orden für heutige Machthaber denken lässt.
Natürlich findet Isabella unter den Sklaven ihren vermissten Lindoro, dem der einzige Gast, der polnische Tenor Karol Kozlowski, schlankes Äußeres und eben solche, mitunter sogar "süße" Tenor-Töne verleiht. Sein Versuch, mit einer elektrischen Brieftaube Isabella zu verständigen, scheitert zwar rührend – Szenenapplaus –, doch am Schluss kann Isabella ein U-Boot zur Flucht anlocken. Dessen Besatzung nimmt gerne den Tresor der "Bank of Algier" an Bord, bedankt sich aber mit einer Bombe, die alles samt Yacht versenkt.
Die Freude an soviel theatralisch gekonntem Handwerk und intelligentem Witz führt zur Einsicht, dass Münchens zweites Haus wieder einmal die Nase vorn hat - und zum Rat: Unbedingt ansehen!
"L’Italiana in Algeri"
Komische Oper in zwei Akten von Gioacchino Rossini
Musikalische Leitung: Lukas Beikircher
Regie: Thomas Enzinger
Staatstheater am Gärtnerplatz in München