"Vergnügungspark-Architektur" vor Schlossattrappe
Der Siegerentwurf im Wettbewerb für ein nationales Einheitsdenkmal sei mit Symbolik überfrachtet, kritisiert das Jury-Mitglied Matthias Flügge. Der Entwurf habe vor allem Politikern gefallen, weil dort alle kritischen Elemente des Vereinigungsprozesses unter Blattgold wegpoliert würden.
Joachim Scholl: "Bürger in Bewegung" – so haben der Stuttgarter Designer Johannes Milla und die Berliner Choreografin Sasha Waltz ihren Entwurf eines Denkmals zur Deutschen Einheit genannt: Es ist eine vergoldete Schale, 50 Meter breit, in der man herumspazieren soll und sie auf diese Weise eben auch bewegen kann. Gestern hat der Kulturausschuss des Bundestags diesen Entwurf abgesegnet, danach war Kulturstaatsminister Bernd Neumann hochzufrieden:
Bernd Neumann: "Wir alle, darf ich sagen, ohne dass da vom Stimmrecht Gebrauch gemacht worden ist, das brauchte ich gar nicht, sondern wir konnten das ja entscheiden, aber einmütig sind wir dann, einschließlich des Landes Berlin, zu dem Ergebnis gekommen, dass der Entwurf mit dem Titel "Bürger in Bewegung" die Thematik des Freiheits- und Einheitsdenkmals mit Abstand am besten und eindruckvollsten löst. Die künstlerische Formensprache spiegelt besonders die Freude über die friedliche Revolution und Wiedervereinigung als positives Ereignis der deutschen Geschichte wieder, zugleich regt sie zum Nachdenken über die Werte von Freiheit und Einheit an."
Joachim Scholl: Kulturstaatsminister Bernd Neumann nach der gestrigen Entscheidung im Kulturausschuss des Bundestages über das Denkmal zur Deutschen Einheit. Im letzten Herbst hatte eine 15-köpfige Jury drei Entwürfe nach einem langen und zähen Wettbewerb als Anwärter ausgewählt. Zu dieser Jury gehörte der Kurator Matthias Flügge. Mit dem bin ich jetzt verbunden – guten Morgen, Herr Flügge!
Matthias Flügge: Guten Morgen, Herr Scholl!
Scholl: Haben Sie sich auch für diesen Entwurf von Johannes Milla und Sasha Waltz entschieden, damals dafür gestimmt?
Flügge: Nein, ich zählte zu denen, die entschieden dagegen gestimmt haben, aber es zeichnete sich ja schon früh in der Jury ab, dass das den Politikern besonders gut gefällt, weil – das hat Herr Neumann ja eben sehr schön auf den Punkt gebracht – weil dort sozusagen alle kritischen, alle widerborstigen Elemente, die der Vereinigungsprozess ja auch mit sich bringt und mit sich gebracht hat, sozusagen unter Blattgold wegpoliert werden.
Scholl: Warum waren Sie denn dagegen? Deshalb?
Flügge: Unter anderem deshalb, man geht ja nicht in so eine Jury, um die irgendwie platzen zu lassen, sondern man geht ja in eine Jury, weil man denkt, man findet nach so komplizierten Vorarbeiten vielleicht künstlerische Ergebnisse, für die es sich zu streiten lohnt. Es gab auch einige darunter, aber die fielen sehr schnell unter den Tisch – einige, für die ich mich gerne eingesetzt hätte, fielen unter den Tisch –, und was blieb, waren dann diese drei letztbenannten. Man muss als Jurymitglied natürlich auch immer zu Kompromissen fähig sein, sonst darf man sich da gar nicht hinbegeben.
Aber gerade diese Schüssel – ich werde mich jetzt hier nicht irgendwelcher Invektive bedienen –, aber es ist doch ein hypertrophes Kunstgewerbe, und irgendwie hat man so ein bisschen das Gefühl, das vor der Schlossattrappe, das wird sozusagen so eine Vergnügungspark-Architektur im Zentrum, und die sollte man doch lieber an die Peripherie bringen – nichts gegen Vergnügungsparks.
Scholl: Und es waren noch zwei andere Arbeiten in der engeren Auswahl, Sie haben es angesprochen, Herr Flügge: einmal ein kniender Mann von dem Karlsruher Bildhauer Stephan Balkenhohl und dann ja so eine Art Wörterdach, das Andreas Meck, Architekt aus München, sich ausgedacht hat. Wie verlief denn die Diskussion in der Jury, weil Sie sagten, es hätte sich ganz schnell herausgestellt. Gab es da nicht mal Streit und Zank? Man hört auch, dass da Leute irgendwie im Zorn gegangen sein sollen.
Flügge: Ja, der Juryvorsitzende ist im Zorn gegangen, ...
Scholl: ... Meinhard von Gerkan, kein Geringerer als der.
Flügge: ... kein Geringerer als er, hat das mit einem formalen Fehler begründet, aber es war natürlich klar, dass ihm die ganze Richtung, speziell auch dieser Entwurf nicht passte. Einige Künstler favorisierten die Skulptur von Balkenhohl, das ist ja so, eine Jury läuft ja – das wissen Sie ja sicher – anonym, also man weiß nicht, über wessen Entwürfe man da urteilt. Balkenhohl erkennt man natürlich sofort und mit verbundenen Augen, und er hatte die Solidarität der Künstler in der Jury.
Ich war dagegen, weil derselbe Mann steht vorm Springer-Hochhaus und ich wollte eigentlich nicht das freudige Ereignis der Vereinigung durch zwei gleiche Männer vorm Springer-Hochhaus und vorm Schloss symbolisiert sehen. Und das Dach von Herrn Meck war für meine Begriffe noch der am gangbarsten gewesene Kompromiss, wenngleich es so ein bisschen auch so eine Carport-Architektur war, die man sich nicht so richtig an diesem Ort vorstellen konnte.
Scholl: Man muss diese Entscheidung jetzt auch vor dem Hintergrund eines jahrelangen Hickhacks beurteilen. 2007 beschloss der Bundestag, dass es ein solches Denkmal geben solle, der erste Wettbewerb scheiterte schmählich zwei Jahre später. Über 500 Vorschläge wurden damals eingereicht, für keinen wollte man sich entscheiden. Was war damals eigentlich der Grund dafür?
Flügge: Damals war das, soweit ich weiß – ich war ja nicht dabei –, war das auch ein Grund, dass die in der Jury vertretenen Künstler deutlich gesagt haben, sie tragen das nicht mit. Aber wenn ich Sie mal kurz korrigieren darf, ich sehe das nicht als Hickhack. Ich sehe das als eine notwendige und auch wichtige Diskussion. Man muss sich bei solchen Dingen Zeit nehmen. Und meine Hoffnung ist, dass man sich auch jetzt Zeit nimmt, jede Jury-Auseinandersetzung, jede Diskussion – wir haben das beim Holocaust-Mahnmal hautnah erlebt, was man natürlich jetzt nicht vergleichen kann vom Anlass her –, wie wichtig es ist, dass sich sowohl die Auftraggeber als auch die Leute, die später mit dem Denkmal umgehen müssen, vulgo das Volk, dass die sich Zeit nehmen, darüber nachzudenken, wie definieren sie eigentlich den Begriff dessen, dem da gedacht werden soll, also was ist eigentlich Vereinigung?
Dieses Denkmal macht den Satz "Wir sind das Volk" und "Wir sind ein Volk" zu einer einzigen Synthese, auf deren Lettern man dann auch noch sitzen kann, und das sind doch zwei völlig unterschiedliche Sätze. Woran erinnern wir? Erinnern wir an die friedliche Revolution? Erinnern wir an die Vereinigung – manche nennen das Anschluss. Alle diese Diskussionen sind doch noch virulent, und erst wenn die einen gewissen Grad des Konsenses erreicht haben, kann man sich auch über eine künstlerische Umsetzung eines uns ja alle gleichermaßen hochgradig beglückenden Ereignisses verständigen.
Scholl: Aber, ich meine, wird es diesen historischen Konsens denn jemals geben, Herr Flügge, also ich meine ...
Flügge: Vermutlich nicht, nein.
Scholl: ... dann könnten Sie ja nie ein Denkmal, glaube ich, bauen, wenn Sie darauf erst warten sollten, bis ein Volk sich sozusagen einig ist in dem Sinne, wie es Geschichte deutet, oder?
Flügge: Nein, das ist natürlich völlig richtig. Das ist eine Idealvorstellung, aber warum darf man die nicht mal haben? Brauchen wir dieses Denkmal? - ist eine Frage, über die kann man schon erst mal diskutieren. Ich bin in die Jury gegangen, weil ich gedacht habe, warum nicht. Es ist ein hochgradig positives Ereignis in der an positiven Ereignissen nicht eben reichen deutschen Geschichte. Aber wenn es keine überzeugende Lösung gibt, die auch eine starke, künstlerische, mutige Lösung ist, dann soll man sich Zeit nehmen.
Es gab übrigens einen Entwurf, der schlug vor, das alles so zu lassen, wie es jetzt ist, gärtnerisch zu betreuen – ein Status quo sozusagen – und die zehn Millionen in eine Stiftung zu zahlen und daraus Bildungsprogramme zu finanzieren. Man hätte das ja erst mal als eine Übergangslösung lassen können, das war natürlich politisch völlig undurchsetzbar.
Scholl: Schön, dass Sie mal die Zahl nennen. Ich habe sie vorhin vergessen in meiner Moderation: Zehn Millionen Euro soll das Ganze kosten, das Denkmal zur deutschen Einheit, es soll eine bewegliche Schale sein. Deutschlandradio Kultur, hier im Gespräch mit Matthias Flügge, Mitglied der Jury.
Herr Neumann hat vorhin in bewegten Worten gesagt, dass dieses Denkmal doch das symbolisiere, nämlich eben – wie soll man sagen – das bewegte Volk. Ich finde es nicht so schlecht, Herr Flügge, wenn man ein Denkmal begehen kann, wenn man nicht einfach nur davor steht, sondern irgendwas mit machen. Sie sprachen vorhin von so einer Spaßinstallation – aber es ist doch vielleicht nicht das Schlechteste?
Flügge: Grundsätzlich natürlich nicht, man kann ja auch Denkmäler ... Wir haben in Berlin ja mehrere begehbare Denkmäler. Wir haben den Platz von Hans Haacke vor der Volksbühne mit den Luxemburg-Zitaten, wir haben eins der bedeutendsten Denkmäler Europas in unserer Stadt, nämlich das Mahnmal an die Bücherverbrennungen von Micha Ullmann auf dem Bebelplatz. Es gibt ja Denkmäler ...
Scholl: ... wir haben das Holocaust-Mahnmal ...
Flügge: ... zuhauf – genau, davon sprach ich ja schon, wir haben das Holocaust-Mahnmal, wir haben Denkmäler in der Stadt, die es den Leuten erlauben, sich direkt körperlich mit ihnen in Beziehung zu setzen, und das finde ich schon auch einen wichtigen Gedanken.
Scholl: Ja, und deswegen wär doch dieses Denkmal zur deutschen Einheit … könnte vielleicht auch so ein Integrationsfaktor werden jetzt, jenseits davon, dass wahrscheinlich viele Schulklassen mit Begeisterung auf diesem Ding rumhopsen, um es in Bewegung zu halten. Aber ich meine, immerhin erfüllt es in dieser Weise dann auch einen integrierenden ...
Flügge: ... Unterhaltungszweck, ja.
Scholl: Nein, nicht Unterhaltungszweck, sondern auch, dass man ein Denkmal richtig nutzt und nicht nur einfach davor steht wie vor einem Reiterdenkmal und sagt: Aha!
Flügge: Wissen Sie, was mich daran ein bisschen eigentlich stört, ist ja gar nicht so sehr diese Schale, und was jetzt irgendwie immer – alle heben jetzt darauf ab ... Ich hab heute Morgen mal so im Internet ein paar Kritiken gelesen, dass das Ding wackelt. Ja, lass es doch wackeln. Das Problem, was ich damit habe, ist, dass es einfach überfrachtet ist an Symbolik. Mit diesem Satz, mit den Sätzen, dann auf Gold geätzte Fotos von der Revolution – mein Gott, die Leute, die auf die Straße gegangen sind in der DDR, sind doch nicht deswegen auf die Straße gegangen, um in Gold auf ein Denkmal geätzt zu werden! Das ist so wie das Marx-Engels-Denkmal, da hat man auch Fotos auf Stelen geätzt, und das hat nicht funktioniert.
Also einfach die mangelnde Stringenz der Form, die mangelnde Stringenz der künstlerischen Idee, das ist es, was ich kritisiere, nicht dass da irgendwas schaukelt.
Scholl: Ich meine, im Zuge des Wettbewerbs und der Diskussion kam man ja auch zu dem Kompromiss, dass Leipzig ein eigenes Denkmal erhält, ein auch vom Bund gefördertes. Würden Sie sich da was anderes wünschen?
Flügge: Für Leipzig? Nein, ich würde mir wirklich – ich weiß gar nicht, was ich mir wünsche. Wenn ich wüsste, was ich mir wünsche, würde ich mich am Wettbewerb beteiligen.
Scholl: Ja, vorhin sagten Sie zum Beispiel, Sie hätten ein paar Entwürfe gesehen, die Sie prima fanden, die dann aber rausgefallen sind.
Flügge: Ja, prima ...
Scholl: Was wäre das denn gewesen zum Beispiel?
Flügge: ... über die ich weiter diskutiert hätte. Es gab sozusagen skulpturale, bescheidene Entwürfe, die auch ihrerseits mit Fotografien zum Teil arbeiteten. Für mich ist es wichtig, dass so eine Arbeit sich nicht aufdrängt, dass man sich produktiv zu ihr ins Verhältnis setzen kann und nicht irgendwie vor 50 Meter Eisen steht. Meine Anforderung an ein Denkmal ist, dass ich ihm auf Augenhöhe begegnen kann. Und da gab es ein paar Entwürfe, nicht zuletzt den von Karin Sander, die vorgeschlagen hat, das Areal erst mal so zu belassen und mit dem Geld Sinnvolles zu tun.
Aber es gab auch ein paar architektonische Lösungen, die ich mir durchaus hätte vorstellen können, weiterzuverfolgen, etwa eine Brücke zu ziehen zum Schinkelplatz – da haben natürlich die Stadtplaner die Hände überm Kopf zusammengeschlagen: Noch eine Brücke brauchen wir nicht. Das war einer dieser Entwürfe, über den ich gerne weiter diskutiert hätte. Es gab nichts, wo ich jetzt mit fliegenden Fahnen gesagt hätte, ja, das ist es, das müssen wir sofort bauen, aber es gab Anregungen, wo es sich gelohnt hätte, die weiter zu verfolgen, und das fand ich ja schon eine ganze Menge. Aber da gab es keinen Konsens.
Scholl: Das Denkmal zur deutschen Einheit. Nach der Entscheidung für den Entwurf von Johannes Milla und Sasha Waltz – die vergoldete Schale. Das war Matthias Flügge, Mitglied der Jury. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Flügge!
Flügge: Ja, ich danke Ihnen!
Bernd Neumann: "Wir alle, darf ich sagen, ohne dass da vom Stimmrecht Gebrauch gemacht worden ist, das brauchte ich gar nicht, sondern wir konnten das ja entscheiden, aber einmütig sind wir dann, einschließlich des Landes Berlin, zu dem Ergebnis gekommen, dass der Entwurf mit dem Titel "Bürger in Bewegung" die Thematik des Freiheits- und Einheitsdenkmals mit Abstand am besten und eindruckvollsten löst. Die künstlerische Formensprache spiegelt besonders die Freude über die friedliche Revolution und Wiedervereinigung als positives Ereignis der deutschen Geschichte wieder, zugleich regt sie zum Nachdenken über die Werte von Freiheit und Einheit an."
Joachim Scholl: Kulturstaatsminister Bernd Neumann nach der gestrigen Entscheidung im Kulturausschuss des Bundestages über das Denkmal zur Deutschen Einheit. Im letzten Herbst hatte eine 15-köpfige Jury drei Entwürfe nach einem langen und zähen Wettbewerb als Anwärter ausgewählt. Zu dieser Jury gehörte der Kurator Matthias Flügge. Mit dem bin ich jetzt verbunden – guten Morgen, Herr Flügge!
Matthias Flügge: Guten Morgen, Herr Scholl!
Scholl: Haben Sie sich auch für diesen Entwurf von Johannes Milla und Sasha Waltz entschieden, damals dafür gestimmt?
Flügge: Nein, ich zählte zu denen, die entschieden dagegen gestimmt haben, aber es zeichnete sich ja schon früh in der Jury ab, dass das den Politikern besonders gut gefällt, weil – das hat Herr Neumann ja eben sehr schön auf den Punkt gebracht – weil dort sozusagen alle kritischen, alle widerborstigen Elemente, die der Vereinigungsprozess ja auch mit sich bringt und mit sich gebracht hat, sozusagen unter Blattgold wegpoliert werden.
Scholl: Warum waren Sie denn dagegen? Deshalb?
Flügge: Unter anderem deshalb, man geht ja nicht in so eine Jury, um die irgendwie platzen zu lassen, sondern man geht ja in eine Jury, weil man denkt, man findet nach so komplizierten Vorarbeiten vielleicht künstlerische Ergebnisse, für die es sich zu streiten lohnt. Es gab auch einige darunter, aber die fielen sehr schnell unter den Tisch – einige, für die ich mich gerne eingesetzt hätte, fielen unter den Tisch –, und was blieb, waren dann diese drei letztbenannten. Man muss als Jurymitglied natürlich auch immer zu Kompromissen fähig sein, sonst darf man sich da gar nicht hinbegeben.
Aber gerade diese Schüssel – ich werde mich jetzt hier nicht irgendwelcher Invektive bedienen –, aber es ist doch ein hypertrophes Kunstgewerbe, und irgendwie hat man so ein bisschen das Gefühl, das vor der Schlossattrappe, das wird sozusagen so eine Vergnügungspark-Architektur im Zentrum, und die sollte man doch lieber an die Peripherie bringen – nichts gegen Vergnügungsparks.
Scholl: Und es waren noch zwei andere Arbeiten in der engeren Auswahl, Sie haben es angesprochen, Herr Flügge: einmal ein kniender Mann von dem Karlsruher Bildhauer Stephan Balkenhohl und dann ja so eine Art Wörterdach, das Andreas Meck, Architekt aus München, sich ausgedacht hat. Wie verlief denn die Diskussion in der Jury, weil Sie sagten, es hätte sich ganz schnell herausgestellt. Gab es da nicht mal Streit und Zank? Man hört auch, dass da Leute irgendwie im Zorn gegangen sein sollen.
Flügge: Ja, der Juryvorsitzende ist im Zorn gegangen, ...
Scholl: ... Meinhard von Gerkan, kein Geringerer als der.
Flügge: ... kein Geringerer als er, hat das mit einem formalen Fehler begründet, aber es war natürlich klar, dass ihm die ganze Richtung, speziell auch dieser Entwurf nicht passte. Einige Künstler favorisierten die Skulptur von Balkenhohl, das ist ja so, eine Jury läuft ja – das wissen Sie ja sicher – anonym, also man weiß nicht, über wessen Entwürfe man da urteilt. Balkenhohl erkennt man natürlich sofort und mit verbundenen Augen, und er hatte die Solidarität der Künstler in der Jury.
Ich war dagegen, weil derselbe Mann steht vorm Springer-Hochhaus und ich wollte eigentlich nicht das freudige Ereignis der Vereinigung durch zwei gleiche Männer vorm Springer-Hochhaus und vorm Schloss symbolisiert sehen. Und das Dach von Herrn Meck war für meine Begriffe noch der am gangbarsten gewesene Kompromiss, wenngleich es so ein bisschen auch so eine Carport-Architektur war, die man sich nicht so richtig an diesem Ort vorstellen konnte.
Scholl: Man muss diese Entscheidung jetzt auch vor dem Hintergrund eines jahrelangen Hickhacks beurteilen. 2007 beschloss der Bundestag, dass es ein solches Denkmal geben solle, der erste Wettbewerb scheiterte schmählich zwei Jahre später. Über 500 Vorschläge wurden damals eingereicht, für keinen wollte man sich entscheiden. Was war damals eigentlich der Grund dafür?
Flügge: Damals war das, soweit ich weiß – ich war ja nicht dabei –, war das auch ein Grund, dass die in der Jury vertretenen Künstler deutlich gesagt haben, sie tragen das nicht mit. Aber wenn ich Sie mal kurz korrigieren darf, ich sehe das nicht als Hickhack. Ich sehe das als eine notwendige und auch wichtige Diskussion. Man muss sich bei solchen Dingen Zeit nehmen. Und meine Hoffnung ist, dass man sich auch jetzt Zeit nimmt, jede Jury-Auseinandersetzung, jede Diskussion – wir haben das beim Holocaust-Mahnmal hautnah erlebt, was man natürlich jetzt nicht vergleichen kann vom Anlass her –, wie wichtig es ist, dass sich sowohl die Auftraggeber als auch die Leute, die später mit dem Denkmal umgehen müssen, vulgo das Volk, dass die sich Zeit nehmen, darüber nachzudenken, wie definieren sie eigentlich den Begriff dessen, dem da gedacht werden soll, also was ist eigentlich Vereinigung?
Dieses Denkmal macht den Satz "Wir sind das Volk" und "Wir sind ein Volk" zu einer einzigen Synthese, auf deren Lettern man dann auch noch sitzen kann, und das sind doch zwei völlig unterschiedliche Sätze. Woran erinnern wir? Erinnern wir an die friedliche Revolution? Erinnern wir an die Vereinigung – manche nennen das Anschluss. Alle diese Diskussionen sind doch noch virulent, und erst wenn die einen gewissen Grad des Konsenses erreicht haben, kann man sich auch über eine künstlerische Umsetzung eines uns ja alle gleichermaßen hochgradig beglückenden Ereignisses verständigen.
Scholl: Aber, ich meine, wird es diesen historischen Konsens denn jemals geben, Herr Flügge, also ich meine ...
Flügge: Vermutlich nicht, nein.
Scholl: ... dann könnten Sie ja nie ein Denkmal, glaube ich, bauen, wenn Sie darauf erst warten sollten, bis ein Volk sich sozusagen einig ist in dem Sinne, wie es Geschichte deutet, oder?
Flügge: Nein, das ist natürlich völlig richtig. Das ist eine Idealvorstellung, aber warum darf man die nicht mal haben? Brauchen wir dieses Denkmal? - ist eine Frage, über die kann man schon erst mal diskutieren. Ich bin in die Jury gegangen, weil ich gedacht habe, warum nicht. Es ist ein hochgradig positives Ereignis in der an positiven Ereignissen nicht eben reichen deutschen Geschichte. Aber wenn es keine überzeugende Lösung gibt, die auch eine starke, künstlerische, mutige Lösung ist, dann soll man sich Zeit nehmen.
Es gab übrigens einen Entwurf, der schlug vor, das alles so zu lassen, wie es jetzt ist, gärtnerisch zu betreuen – ein Status quo sozusagen – und die zehn Millionen in eine Stiftung zu zahlen und daraus Bildungsprogramme zu finanzieren. Man hätte das ja erst mal als eine Übergangslösung lassen können, das war natürlich politisch völlig undurchsetzbar.
Scholl: Schön, dass Sie mal die Zahl nennen. Ich habe sie vorhin vergessen in meiner Moderation: Zehn Millionen Euro soll das Ganze kosten, das Denkmal zur deutschen Einheit, es soll eine bewegliche Schale sein. Deutschlandradio Kultur, hier im Gespräch mit Matthias Flügge, Mitglied der Jury.
Herr Neumann hat vorhin in bewegten Worten gesagt, dass dieses Denkmal doch das symbolisiere, nämlich eben – wie soll man sagen – das bewegte Volk. Ich finde es nicht so schlecht, Herr Flügge, wenn man ein Denkmal begehen kann, wenn man nicht einfach nur davor steht, sondern irgendwas mit machen. Sie sprachen vorhin von so einer Spaßinstallation – aber es ist doch vielleicht nicht das Schlechteste?
Flügge: Grundsätzlich natürlich nicht, man kann ja auch Denkmäler ... Wir haben in Berlin ja mehrere begehbare Denkmäler. Wir haben den Platz von Hans Haacke vor der Volksbühne mit den Luxemburg-Zitaten, wir haben eins der bedeutendsten Denkmäler Europas in unserer Stadt, nämlich das Mahnmal an die Bücherverbrennungen von Micha Ullmann auf dem Bebelplatz. Es gibt ja Denkmäler ...
Scholl: ... wir haben das Holocaust-Mahnmal ...
Flügge: ... zuhauf – genau, davon sprach ich ja schon, wir haben das Holocaust-Mahnmal, wir haben Denkmäler in der Stadt, die es den Leuten erlauben, sich direkt körperlich mit ihnen in Beziehung zu setzen, und das finde ich schon auch einen wichtigen Gedanken.
Scholl: Ja, und deswegen wär doch dieses Denkmal zur deutschen Einheit … könnte vielleicht auch so ein Integrationsfaktor werden jetzt, jenseits davon, dass wahrscheinlich viele Schulklassen mit Begeisterung auf diesem Ding rumhopsen, um es in Bewegung zu halten. Aber ich meine, immerhin erfüllt es in dieser Weise dann auch einen integrierenden ...
Flügge: ... Unterhaltungszweck, ja.
Scholl: Nein, nicht Unterhaltungszweck, sondern auch, dass man ein Denkmal richtig nutzt und nicht nur einfach davor steht wie vor einem Reiterdenkmal und sagt: Aha!
Flügge: Wissen Sie, was mich daran ein bisschen eigentlich stört, ist ja gar nicht so sehr diese Schale, und was jetzt irgendwie immer – alle heben jetzt darauf ab ... Ich hab heute Morgen mal so im Internet ein paar Kritiken gelesen, dass das Ding wackelt. Ja, lass es doch wackeln. Das Problem, was ich damit habe, ist, dass es einfach überfrachtet ist an Symbolik. Mit diesem Satz, mit den Sätzen, dann auf Gold geätzte Fotos von der Revolution – mein Gott, die Leute, die auf die Straße gegangen sind in der DDR, sind doch nicht deswegen auf die Straße gegangen, um in Gold auf ein Denkmal geätzt zu werden! Das ist so wie das Marx-Engels-Denkmal, da hat man auch Fotos auf Stelen geätzt, und das hat nicht funktioniert.
Also einfach die mangelnde Stringenz der Form, die mangelnde Stringenz der künstlerischen Idee, das ist es, was ich kritisiere, nicht dass da irgendwas schaukelt.
Scholl: Ich meine, im Zuge des Wettbewerbs und der Diskussion kam man ja auch zu dem Kompromiss, dass Leipzig ein eigenes Denkmal erhält, ein auch vom Bund gefördertes. Würden Sie sich da was anderes wünschen?
Flügge: Für Leipzig? Nein, ich würde mir wirklich – ich weiß gar nicht, was ich mir wünsche. Wenn ich wüsste, was ich mir wünsche, würde ich mich am Wettbewerb beteiligen.
Scholl: Ja, vorhin sagten Sie zum Beispiel, Sie hätten ein paar Entwürfe gesehen, die Sie prima fanden, die dann aber rausgefallen sind.
Flügge: Ja, prima ...
Scholl: Was wäre das denn gewesen zum Beispiel?
Flügge: ... über die ich weiter diskutiert hätte. Es gab sozusagen skulpturale, bescheidene Entwürfe, die auch ihrerseits mit Fotografien zum Teil arbeiteten. Für mich ist es wichtig, dass so eine Arbeit sich nicht aufdrängt, dass man sich produktiv zu ihr ins Verhältnis setzen kann und nicht irgendwie vor 50 Meter Eisen steht. Meine Anforderung an ein Denkmal ist, dass ich ihm auf Augenhöhe begegnen kann. Und da gab es ein paar Entwürfe, nicht zuletzt den von Karin Sander, die vorgeschlagen hat, das Areal erst mal so zu belassen und mit dem Geld Sinnvolles zu tun.
Aber es gab auch ein paar architektonische Lösungen, die ich mir durchaus hätte vorstellen können, weiterzuverfolgen, etwa eine Brücke zu ziehen zum Schinkelplatz – da haben natürlich die Stadtplaner die Hände überm Kopf zusammengeschlagen: Noch eine Brücke brauchen wir nicht. Das war einer dieser Entwürfe, über den ich gerne weiter diskutiert hätte. Es gab nichts, wo ich jetzt mit fliegenden Fahnen gesagt hätte, ja, das ist es, das müssen wir sofort bauen, aber es gab Anregungen, wo es sich gelohnt hätte, die weiter zu verfolgen, und das fand ich ja schon eine ganze Menge. Aber da gab es keinen Konsens.
Scholl: Das Denkmal zur deutschen Einheit. Nach der Entscheidung für den Entwurf von Johannes Milla und Sasha Waltz – die vergoldete Schale. Das war Matthias Flügge, Mitglied der Jury. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Flügge!
Flügge: Ja, ich danke Ihnen!