"Das Christentum in Geiselhaft genommen"
Für manche konservative Christen ist die AfD attraktiv – etwa in der Abtreibungsfrage. Wiederum helfen die Kirchen Flüchtlingen, suspekt für die AfD. Ein Gespräch mit dem Publizisten Wolfgang Thielmann über sein Buch "Alternative für Christen?" und wie die Kirchen mit der Partei umgehen sollten.
Philipp Gessler: Ob die AfD ihre größte Zeit vielleicht schon hinter sich hat, auch wenn sie wohl Ende September in den Bundestag einziehen wird –, darüber kann man streiten. Unbestritten ist, dass sich auch die Kirchen nicht ganz leicht tun mit den Rechtspopulisten. Einerseits sind manche Positionen der AfD, etwa in der Abtreibungsfrage, für konservative Christen recht attraktiv. Andererseits ist die Hilfe der Kirchen für die vielen Hunderttausend Flüchtlinge im Land der AfD suspekt. Und gerade haben wir erlebt, wie Angela Merkel auch von AfD-Fans in Sachsen übel beschimpft wurde.
Über das spannungsreiche Verhältnis von AfD und Kirchen beziehungsweise zur Religion hat der evangelische Publizist Wolfgang Thielmann nun ein facettenreiches Buch herausgegeben. Für "Religionen" wollte ich es von ihm noch etwas genauer wissen. Zunächst habe ich Wolfgang Thielmann gefragt, ob er meine Beobachtung teile: Zwar rege man sich in Deutschland derzeit auf über die Ereignisse mit den Rechtsextremisten und "White-Supremacy"-Aktivisten in den USA – aber verfolge nicht die AfD am Ende eine sehr ähnliche Idee der weißen Vorherrschaft und einer Politik der Angst, nur mit einem bürgerlicheren Anstrich als diese genannten Gruppen in den USA?
Wolfgang Thielmann: Ja, ich denke, genau das ist das Problem. Wenn man die Vorstellungen der AfD ernst nimmt, dann werden wir eine Gesellschaft haben, in der die einen gegen die anderen kämpfen und der die einen gegen die anderen eine Vorrangstellung haben sollen. Und das können wir uns nicht wünschen, dagegen können wir uns nur mit aller Macht wehren.
Gessler: Jetzt hat ja in ähnlicher Argumentation der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm, über den Sie eine Biografie geschrieben haben, auch den Nationalismus der AfD verurteilt. Er sagt, ich zitiere ihn da mal: "Wer sein eigenes Land oder seine eigene Volksgruppe überhöht und gegen die anderen in Stellung bringt, produziert Hass, irgendwann Gewalt und am Ende vielleicht sogar wieder unzählige Tote. Deswegen sage ich, Nationalismus ist eine Erscheinungsform von Sünde", sagt Bedford-Strohm. Finden Sie, die AfD ist für einen Christenmenschen wählbar?
"Ich werde sie nicht wählen"
Thielmann: Ich werde sie nicht wählen, und mir fallen beim besten Willen keine Gründe ein, sie zu wählen oder sie zu empfehlen. Ich muss zur Kenntnis nehmen, dass andere Christen – nicht so viele, aber so viele, dass ich mir Gedanken darum mache – zu dem Schluss kommen, dass sie eine Alternative ist. Ich finde deshalb, darüber müssen wir ins Gespräch kommen, denn ich möchte, dass unsere Gesellschaft offen bleibt und dass wir nicht an der Grenze von Nationen, oder gefühlte Nationen sind es ja oft, Grenzen ziehen.
Gessler: Nun scheint ja die AfD in manchen Presbyterien, also Gemeindevorstandsgremien in der evangelischen Kirche wie ein Spaltpilz zu wirken, dass es da richtig knallt in den Kirchen, in den Kirchengemeinden. Kommen diese Fälle häufiger vor?
Thielmann: Bis jetzt ist mir noch von nur ganz wenigen bekannt. Es gibt sie in den Kirchen, in beiden Kirchen übrigens. Die katholische Kirche kann dadurch, dass die Leitungen mehr Durchgriffsrechte haben, das Ganze mehr von oben herab steuern, die demokratischer verfasste evangelische Kirche muss sich da immer überlegen, wie sie das tut. Es betrifft aber im Übrigen ja auch Feuerwehren und Vereine, die müssen sich ähnliche Gedanken machen. Da kommt es vor, dass jemand, der Verantwortung dort trägt, sich in der AfD engagiert, für die AfD steht, und man dann vor der Überlegung steht, passt das zusammen, das Engagement – ich nehme jetzt mal wieder die Kirchengemeinde –, und wie sehr hört man den Funktionär der AfD, wenn er in der Kirche tätig wird. Ja, da gibt es Reibungen, da gibt es dann oft Hilflosigkeit. Die liegt, glaube ich, daran, dass man in der evangelischen Kirche sehr schnell rechtlich denkt – also kann man rechtlich etwas dagegen unternehmen, und wenn man rechtlich nichts unternehmen kann, meint man, man kann gar nichts tun. Aber da kann man schon eine Menge tun, und dem wollte ich auch nachgehen.
"Wir hatten einen Fall in Wuppertal"
Gessler: Was kann man denn tun, sagen Sie doch mal was!
Thielmann: Wir haben einen Beitrag von Jacob Joussen, der ist Professor für Arbeitsrecht und der ist Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, aber er ist auch Presbyter in Düsseldorf, also im Leitungsgremium seiner Gemeinde. Er sagt, ein Presbyterium kann einen solchen Dissens, eine solche Verschiedenheit in den Anschauungen öffentlich machen. Das ist ungewöhnlich in der evangelischen Kirche, weil man das Bild hat, dass so ein Gremium geschlossen handelt und denkt, aber wenn diese Geschlossenheit nicht da ist, dann, sagt er, kann man damit an die Öffentlichkeit gehen – sowohl an die Öffentlichkeit in der Gemeinde als auch darüber hinaus. Wir hatten einen Fall in Wuppertal, da ist ein Presbyter, der auch einen Beitrag geschrieben hat, der mal erzählt hat, was ihn zur AfD geführt hat, mit seinem Engagement für die AfD hervorgetreten.
Er hat für die AfD für den Landtag kandidiert, das haben die anderen Presbyter als unerträglich empfunden, weil er mit den Positionen der Partei in der Kirche ist und man gefürchtet hat, dass es dort Überschneidungen gibt und dass man nicht mehr unterscheiden kann, redet hier der AfD-Funktionär oder redet hier der Presbyter in der Kirche. Und da man keine andere Möglichkeit gesehen hat, ist dann das ganze Presbyterium zurückgetreten, nur damit der eine sein Amt nicht weiterführen kann. Da habe ich sehr stark den Eindruck, das kann keine Lösung sein. Das ist ja ein vorsätzlich herbeigeführter Betriebsunfall, der auch tiefe Spuren zieht: Da muss ein ganzes Presbyterium neu gewählt werden, und schon die erste Wahl war schwierig. Ich denke mal, über solche rechtlichen Schienen sollten wir das nicht erledigen, wir müssen inhaltlich uns auseinandersetzen, und das kann man dann sehr gut öffentlich machen, denn dann kann eine ganze Gemeinde, dann kann auch eine Öffentlichkeit mitdiskutieren.
Gessler: Nun wurde die AfD in einem evangelischen Gemeindesaal in Oberursel vor vier Jahren gegründet – erst vor vier Jahren, wenn man das so hört, ist man verwundert.
Thielmann: Ja, in der Tat.
Gessler: Ist dieser Ort, eben ein Gemeindesaal, einfach Zufall oder was steckt dahinter?
"Die AfD hat ein ganz bestimmtes Verhältnis zur Religion"
Thielmann: Das verdankt sich erst mal der Tatsache, dass man Ausschau gehalten hat nach einem geeigneten Saal, und einer der Gründer, Konrad Adam, kannte einen evangelischen Pfarrer und hat ihn gefragt, ob man dort tagen könne. Es zeigt sich aber jetzt, dass die AfD ein ganz bestimmtes Verhältnis zur Religion hat. Sie beruft sich auf eine deutsche Kultur und sagt, die ist wesentlich bestimmt von dem, was christlich ist. Wer das sagt, der sagt ja, dass er sich einem Anspruch stellt, dass er sich zum Beispiel der Frage stellt, wie hältst du es mit den Christlichen und bist du bereit, dich an Maßstäben messen zu lassen, denn was christlich ist, kann man zum Beispiel an der katholischen Soziallehre oder evangelischen Sozialethik sehen. Und da ist es ganz schnell zum Konflikt mit der AfD gekommen, denn die AfD ist überhaupt nicht bereit, sich diesem Maßstab zu stellen, sondern – das hat sich jetzt im Praktischen gezeigt, besonders im Vorfeld des Kölner Parteitages im April – dass die AfD ganz im Gegenteil selber definieren will, was christlich ist. Und als die Christen gegen Positionen protestiert haben, die die AfD einnimmt, da haben AfD-Funktionäre die Kirche unglaublich kritisiert, klerikalen Klamauk ihr vorgeworfen und zum Kirchenaustritt aufgerufen.
Gessler: Was ist denn der Hintergrund dieser Abneigung vieler AfDler gegenüber den Kirchen? Manche Funktionäre haben ja schon öffentlich ihren Austritt aus ihrer Kirche angekündigt – was ist der Hintergrund?
Thielmann: Ich glaube, dass da enttäuschte Erwartungen eine Rolle spielen. Man erwartet von den Kirchen, dass sie sozusagen die spirituelle Folie abgeben, vor der die Partei agieren kann. Sie sagt, wir schützen das Abendland, das ist christlich bestimmt, und wenn dann der Vertreter des Christlichen sagt, nein, also so verhält es sich nicht, dann ist man da zunächst mal enttäuscht. Und dann stellt sich heraus, dass die AfD das Christentum sozusagen in Geiselhaft genommen hat, denn die Rede vom christlichen Abendland oder von den christlichen Werten, die das Abendland bestimmt haben, dient einem ganz bestimmten Zweck, nämlich der Abwehr des Islam. Und das lassen sich natürlich die Kirchen nicht gefallen. Sie sagen, wie vertreten eine Überzeugung, eine religiöse Überzeugung, aber die ist nicht geeignet, um sich so zu positionieren, dass eine andere Religion in Schranken gewiesen wird, die die eine Religion nicht hat, sondern die Kirchen stehen für eine religiöse Freiheit, die sie selber genießen, die sie aber auch jedem anderen zubilligen. Und da ist der nächste Konflikt mit der AfD vorprogrammiert.
Gessler: Jetzt gab es ja jüngst eine Umfrage, die nahelegt, dass unter evangelikalen oder freikirchlichen Christen die AfD überdurchschnittlich gut ankommt. Manche Parteifunktionäre der AfD kommen aus diesem Milieu, allerdings gibt es unter anderem auch aufgrund vielleicht zweifelhafter Erfassungsmethoden bei dieser Umfrage an diesem Ergebnis der Umfrage Kritik. Wie zuverlässig halten Sie denn solche Aussagen zur Nähe dieser zumindest äußerlich besonders frommen Christen zur AfD?
"Freikirche ist kein geschützter Begriff"
Thielmann: Erst einmal muss man solche Aussagen vorsichtig behandeln, und, wie Sie eben schon sagten, genau schauen, wonach wurde gefragt. Freikirche ist kein geschützter Begriff. Unter Freikirchen verstehen verschiedene Menschen etwas sehr Verschiedenes. Deswegen habe ich in meinem Buch einen Autor beauftragt, sich genau dieses Thema anzuschauen, es ist der Beauftragte der evangelischen Freikirchen bei der Bundesregierung. Der hat – zu Recht, wie ich finde – darauf hingewiesen, dass die einzige Umfrage, die wir zum Thema haben, vom Institut Insa-Consulere kommt, dessen Leiter die AfD beraten hat. Von daher würde ich da etwas vorsichtig sein und mal schauen, was sich durch andere Anfragen erhärtet. Was man beobachten kann, jenseits von Umfragen, ist, dass es eine inhaltliche Nähe gibt zu manchen Positionen, die die Evangelikalen vertreten, mit der AfD. Die AfD zum Beispiel will Abtreibungen verbieten und sie tritt ein für die traditionelle Ehe.
Das sind Dinge, die viele Evangelikale auch so sehen, die AfD stellt sie allerdings auch wieder in einen ganz bestimmten Zusammenhang, nämlich sie will Abtreibungen verbieten, mit dem letzten Zweck, dass deutsche Kinder geboren werden, also aus bevölkerungspolitischen Gründen. Dazu sehe ich im evangelikalen Bereich keine Reaktion. Es gibt einzelne Funktionäre aus dem evangelikalen Bereich in der AfD. So ist etwa einer der Aufsichtsräte einer evangelikalen Schule in Freiburg Landesfunktionär der AfD, und die Vorsitzende der Gruppe Christin in der AfD, Anette Schultner, ist Mitglied einer freien evangelischen Gemeinde, kommt also auch aus diesem Spektrum. Das sind Indizien, dass dort Nähen gibt, und es gibt ein weiteres Indiz für mich: Ich habe mehrere Repräsentanten des evangelikalen Bereichs gefragt, an diesem Buch mitzuwirken, und ich habe von keinem eine Zusage bekommen. Es gab direkte Absagen, mit dem Argument, das Thema sei so heiß, dieses Fass wolle man nicht aufmachen, und andere haben zunächst interessiert reagiert, dann aber abgesagt ohne Gründe. Das lässt mich vermuten, dass entweder einige der angefragten selber AfD-Positionen zuneigen oder dass sie sich mit ihren Mitgliedern, die der AfD nahestehen, nicht anlegen möchten.
Gessler: Vielen Dank, Herr Thielmann!
Thielmann: Ich danke auch Ihnen, Herr Gessler!
Gessler: Das war ein Gespräch mit dem Publizisten Wolfgang Thielmann. Er ist der Herausgeber des brandneuen Buches "Alternative für Christen? Die AfD und ihr gespaltenes Verhältnis zur Religion", jüngst erschienen im Neukirchener Verlag, 192 Seiten, Preis: 17 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.