Verhärtete Fronten zwischen GEMA und Diskotheken

Lorenz Schmid im Gespräch mit Dieter Kassel |
Clubbetreiber rechnen damit, dass ihre Abgaben um bis zu 1200 Prozent steigen, wenn sich die Musik-Verwertungsgesellschaft GEMA mit ihrem Tarifmodell durchsetzt. Bezirksdirektor Lorenz Schmid meint: Die Reform ist gerecht, im europäischen Vergleich seien die Gebühren "extrem niedrig".
Dieter Kassel: Wenn auf einer öffentlichen Veranstaltung in Deutschland Musik gespielt wird, dann muss der Veranstalter dafür Geld an die GEMA Zahlen, die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte. Eben diese will ihr Tarifmodell nun umstellen und sagt, das neue System sei nicht nur unkomplizierter, sondern es sei gleichzeitig auch gerechter. Die Veranstalter sehen das anders: Sie haben berechnet, dass das neue Tarifmodell für nicht wenige Clubs und andere Veranstaltungsorte eine Erhöhung des Tarifs um 600 bis 1.200 Prozent bedeuten soll, und auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA sagt deshalb, diese neuen Regelungen würden Arbeitsplätze und Existenzen vernichten, deshalb hat die DEHOGA die Verhandlungen mit der GEMA erst mal verlassen.

Wir haben darüber Anfang dieser Woche schon mit einem Vertreter der sozusagen Gegenseite gesprochen, jetzt wollen wir mit der GEMA selbst reden. Ich begrüße deshalb am Telefon jetzt Lorenz Schmid, er ist Bezirksdirektor bei der GEMA. Schönen guten Tag, Herr Schmid

Lorenz Schmid: Schönen guten Tag!

Kassel: Verstehen Sie denn - ganz grundsätzlich mal -, verstehen Sie diesen Sturm der Entrüstung, der nach der Ankündigung des neuen Tarifmodells über die GEMA hereingebrochen ist?

Schmid: Ich verstehe den Sturm der Entrüstung im Bereich der Diskotheken und der Clubs, die in der Tat von dieser Tarifreform insofern betroffen sind, dass sie nach der Tarifreform deutlich mehr bezahlen als bisher. Was wir medial im Moment nicht wahrgenommen haben, sind die vielen Stimmen der Einzelveranstalter - die GEMA lizenziert rund eine Millionen Einzelveranstaltungen -, die zu 60 Prozent entlastet werden und die ihre Stimme nicht sozusagen für die Tarifreform erheben.

Kassel: Und ist das so ein Grundargument der GEMA, diese Gerechtigkeit? 60 Prozent der Veranstaltungen werden sozusagen, was diese Gebühren angeht, billiger durch die Reform? Wir haben am Montag mit Olaf Möller gesprochen von der Clubkommission Berlin, und haben ihn mit diesem Argument - 60 Prozent werden weniger zahlen - konfrontiert, und er hat Folgendes gesagt:

Olaf Möller: Das ist - sage ich glatt ins Mikrofon rein -, das ist eine Lüge. Das ist deswegen eine Lüge, weil wir haben es nachgerechnet, es stimmt einfach nicht, dass es gleich oder günstiger wird. Das betrifft noch nicht mal, wenn es um den Grundtarif geht, ab fünf Stunden wird noch mal 50 Prozent Zuschlag fällig, ab weiteren drei Stunden übrigens noch mal 50 Prozent, dann sind wir schon bei 100 Prozent Zuschlag - das verschweigt die GEMA innerhalb der 60-Prozent-Berechnungen dann gerne mal -, dann kommt noch mal ein Laptop-Vervielfältigungszuschlag von 30 Prozent hinzu. Das heißt also, wenn hier mein DJ mit einem Laptop auflegt, dann muss der Clubinhaber für den Fall, dass das nicht sein eigener Laptop ist, noch mal 30 Prozent Zuschlag zahlen, was für Clubinhaber dann im Gesamtpaket definitiv existenziell ist.

Kassel: Hat am Montag Olaf Möller von der Clubkommission Berlin in unserem Programm gesagt. Wir reden jetzt mit Lorenz Schmid von der GEMA. Herr Schmid, das ist eine Lüge, sagte er - das ist starker Tobak!

Schmid: Ja, die Aussage ist so nicht richtig. Sie ist insofern richtig, dass in der Tat die Clubs und die Diskotheken von einer Tariferhöhung und auch von einer spürbaren Tariferhöhung betroffen sind. Die GEMA lizenziert im Bereich der regelmäßigen Veranstaltungen in Diskotheken und Clubs rund 500.000 Veranstaltungen jährlich, die in diesem Bereich eben nicht günstiger werden, aber eine Million Einzelveranstaltungen lizenziert sie eben zusätzlich, und diese werden in der Tat günstiger.

Die Aussage, dass hierauf noch Zeitzuschläge kommen, dass hierauf noch Vervielfältigungsrechtszuschläge anfallen, die ist von der Sache her richtig, aber die gibt es auch in den bisherigen Tarifen der GEMA, sodass wir in der Vergleichsberechnung ausschließlich die GEMA-Grundvergütung gegenübergestellt haben, und da ist es so, dass bei Einzelveranstaltungen im Bereich bis zu einem Eintrittsgeld von rund acht Euro und bis zu einer Raumgröße von rund 800 Quadratmetern die Veranstaltungen überwiegend günstiger werden oder preislich unverändert bleiben.

Kassel: Ich könnte mir vorstellen, dass beides, das, was Sie sagen, und das, was Herr Möller gesagt hat, wenn man mal ganz genau nachrechnet, sogar unter einen Hut zu bringen ist. Denn selbst wenn das stimmt, dass 60 Prozent der Veranstaltungen in Zukunft weniger an die GEMA abführen müssen, könnten wir ja folgenden Fall haben: Wer bisher 80 Euro im Monat an die GEMA gezahlt hat, zahlt jetzt 75, aber auf der anderen Seite ein großer Club, der bisher 800 gezahlt hat, zahlt jetzt 1.500. Ich meine, das gleicht sich ja nicht unbedingt gegenseitig aus.

Schmid: Hier geht es nicht unbedingt um den Ausgleich, sondern um einen in seiner Gesamtstruktur angemessenen Tarif, und da hat die GEMA einen Tarif aufgestellt, der vorsieht, dass die Urheber, deren Werke genutzt werden, einen Anteil von zehn Prozent an den sogenannten Türumsätzen, von zehn Prozent der Kartenumsätze erhält. Und wenn eine Diskothek eine Veranstaltung oder ein Club eine Veranstaltung durchführt mit einem Eintrittsgeld von zehn Euro, dann möchte die GEMA dafür einen Anteil für die Urheberrechte in Höhe von zehn Prozent haben, was dann letztendlich ein Euro ist, und dieser eine Euro Urheberrechtsabgabe, der ist aus Sicht der GEMA angemessen.

Kassel: Wenn man das nun wirklich mal sieht, und Sie haben das nicht bestritten, dass es Fälle geben soll, in denen die Erhöhung auf 600 bis 1.200 Prozent mehr im Jahr hinausläuft, dann kann doch nur eines von beiden der Fall sein - entweder war der Tarif vorher völlig falsch oder er ist jetzt völlig falsch.

Schmid: Wir haben im Diskotheken- und Clubbereich einen Pauschaltarif - derzeit noch, bis zum Ende des Jahres -, der in seiner Struktur das Eintrittsgeld nicht berücksichtigt, der in seiner Struktur ausschließlich auf die Raumgröße abzielt und auf die Frage: Macht der Club mehr als 16 Veranstaltungen monatlich oder weniger als 16 Veranstaltungen monatlich? Er unterscheidet aber dann in seiner Struktur nicht, ob ein Club nur zwei Veranstaltungstage in der Woche hat, oder ob er die 16 Veranstaltungen ausnutzt.

Abgesehen davon ist die heutige Tarifstruktur auch im europäischen Vergleich im Bereich der Diskotheken extrem niedrig. Wenn wir uns heute eine durchschnittliche Diskothek ansehen mit einem Dancefloor von rund 300 Quadratmeter, einem durchschnittlichen Eintrittsgeld von sechs Euro, dann kann man daraus einen Umsatz aus Eintrittsgeldern ableiten, wenn wir 300 Gäste unterstellen, von 1.800 Euro. Zukünftig möchte die GEMA davon einen Anteil von zehn Prozent haben, das sind 180 Euro. Bislang bezahlt dieser Clubbetreiber einen Anteil von ungefähr 50 Euro, das hängt davon ab, wie viel Veranstaltungstage in der Woche er auf hat.

Und über diesen Weg von 50 Euro heute auf 180 Euro und damit einen angemessenen Anteil von zehn Prozent in Zukunft zu kommen, hätten wir gerne mit der Bundesvereinigung der Musikveranstalter, auch gerne mit dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband verhandelt. Aber am 22. März 2012 hat der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband beziehungsweise die Bundesvereinigung der Musikveranstalter die Verhandlungen darüber, über ein Einführungsszenario, auch Verhandlungen über die Berücksichtigung von Branchenbesonderheiten in diesem Tarif abgebrochen, sodass weitere Verhandlungen nicht möglich waren und wir letztendlich einen unverhandelten Tarif veröffentlicht haben, den wir zeitgleich mit der Veröffentlichung dann an die Schiedsstelle herangetragen haben, und ein Schiedsstellenverfahren zu diesem Vergütungssatz beantragt haben.

Kassel: Diese Diskussion ist in erstaunlichem Ausmaß in der Öffentlichkeit gelandet. Es gibt eine Online-Petition, die inzwischen über 100.000 Leute unterschrieben haben, auch in Zeitungen, die man nicht als Fachblätter für das Urheberrechtswesen bezeichnen kann, wird darüber berichtet. Müssen Sie nicht zumindest sagen, die Art und Weise, wie das bisher abgelaufen ist, bedeutet einen gewissen Imageschaden für die GEMA?

Schmid: Selbstverständlich ist das Bild der GEMA durch diese Tarifdiskussion über die Tarifreformen nicht verbessert worden. Die Online-Petition, die gibt es, es ist allerdings keine politische Petition, sondern das ist eine vom DEHOGA, vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband initiierte Petition, dass der Verbandsvertreter der Gastronomie und die Verbandsvertreter der Clubszene gegen diese Tariferhöhungen vorgehen. Das war zu erwarten, ist nachvollziehbar, wir hätten uns gewünscht als GEMA, dass wir über diese Tarifstrukturreform und ein Einführungsszenario hierzu, das deutliche Steigerungen über einen Zeitraum von mehreren Jahren erträglich macht und abfedert, wenn wir darüber hätten Verhandlungen führen können. Leider haben sich die Verbände diesen Verhandlungen - allen voran die Bundesvereinigung der Musikveranstalter - bislang verweigert.

Kassel: Nun wird es ein Schlichtungsverfahren geben - Sie haben das ja schon gesagt -, das ist der Weg, den man nun gehen muss. Schlichtungsverfahren bedeutet aber für mich, mal jenseits der fachlichen Spezialitäten in diesem Fall, ganz generell, es müssen sich ja beide Seiten bewegen. Abhängig auch davon, was die anderen sagen, inwiefern glauben Sie denn, kann sich die GEMA da bewegen? Können Sie sagen, in diesen Fällen, wo wir bisher von 1.200 Prozent reden, gehen wir runter auf 400, oder so was?

Schmid: Es ist kein Schlichtungsverfahren, das ist nicht ganz richtig.

Kassel: Sondern?

Schmid: Es ist ein Verfahren vor der Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt, unserer Aufsichtsbehörde, und hier wird es so sein, dass diese Schiedsstelle vollkommen unabhängig - sie ist auch vollkommen unabhängig besetzt - vollkommen unabhängig sich den Tarif in seiner Struktur ansieht und dann einen Einigungsvorschlag unterbreitet. Es ist keine Mediation, wie wir sie vielleicht aus anderen Bereichen kennen, sondern die Schiedsstelle wird einen Einigungsvorschlag erlassen, und hier werden wir eine ähnliche Situation - oder erwarten wir eine ähnliche Situation wie vor einigen Jahren, als wir eine Tarifstrukturänderung im Bereich der Konzertveranstaltungen verhandelt haben, dass wir dann auf Basis dieses Einigungsvorschlags der Schiedsstelle dann auch wieder mit den Interessenvertretern der Musiknutzer Verhandlungen aufnehmen können.

Kassel: Aber damals, 2009, bei dem Fall, den Sie jetzt gerade meinten, ist zumindest auf der - sage ich mal - Gegenseite, die damals mehr oder weniger unterlegen war - die GEMA hat ja eigentlich ihre Tarifforderungen damals durchbekommen - doch der Eindruck entstanden, das war nicht fair, da hat einer zu 100 Prozent gewonnen. Auch wenn das juristisch vielleicht in Ordnung ist bei diesem Verfahren, gilt das nicht, das diesmal zu vermeiden, auch wegen des schon erwähnten Imageschadens?

Schmid: Na, es ist das vom Gesetzgeber vorgesehene Verfahren, das wir jetzt beschritten haben, nachdem über fünf Jahre lang Verhandlungen mit der Bundesvereinigung über diese Tarifstrukturreform nicht möglich waren und letztendlich in diesem Jahr im März gescheitert sind. Wir werden das Schiedsstellenverfahren nunmehr abwarten, werden den Einigungsvorschlag abwarten. Wir hoffen, dass die Bundesvereinigung der Musikveranstalter und der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband diesem Schiedsstellenverfahren beitreten - die Frist hierzu läuft Mitte Juni aus -, danach wissen wir dann ein Stück weit mehr. Und dann heißt es einfach, das Ergebnis und das Verfahren abzuwarten, um auf dieser Basis mit der Entscheidung der Schiedsstelle, mit dem Einigungsvorschlag der Schiedsstelle dann hoffentlich in eine neue Verhandlungsrunde einsteigen zu können.

Kassel: Die geplanten neuen Tarife der GEMA für Veranstaltungen mit Musikaufführungen treffen auf den verbitterten Widerstand der Veranstalter. Wir sprachen darüber gerade mit Lorenz Schmid, Bezirksdirektor der GEMA. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Zeit, Herr Schmid!

Schmid: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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