Die Freiheit der Andersdenkenden
Am 17. Januar 1988 nahmen viele Berliner an der alljährlichen "Kampfdemonstration" für die ermordeten Kommunisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht teil. Doch diesmal nahm der Aufmarsch einen für die DDR-Machthaber unerwünschten Verlauf.
Einmal im Jahr fand in Ost-Berlin die so genannte Kampfdemonstration zu Ehren der 1919 ermordeten Sozialisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht statt. So auch am 17. Januar 1988. Der Demonstrationszug führte zur "Gedenkstätte der Sozialisten" auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde. An der Spitze marschierte die politische Prominenz: unter anderem Erich Honecker, Egon Krenz und Günter Schabowski.
Dass der Aufmarsch der SED für die Machthaber einen unerwünschten Verlauf nehmen könnte, zeichnete sich schon vorher ab. In einem Schreiben an die Diensteinheiten des Ministeriums für Staatssicherheit hieß es einige Wochen vorher:
"Erneut verstärken Feindorganisationen und andere gegnerische Stellen und Kräfte unter dem Deckmantel des Eintretens für Menschenrechte und mehr Freiheit ihre subversiven Aktivitäten gegen die DDR."
Inoffizielle Mitarbeiter warnten vor Oppositionellen
Schon Tage vor dem 17. Januar hatten unter anderem Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit das Ministerium über die Absicht verschiedener Oppositioneller informiert: Sie planten mit eigenen Transparenten an der Demonstration teilzunehmen.
"Die politischen Ziele waren eben vor allen Dingen die Möglichkeit zu schaffen, dass man freier über Missstände in der DDR reden kann."
... erinnert sich die später in den Westen abgeschobene Doris Peter.
"Deswegen waren auch die Woche vorher diese Belehrungen gewesen, dass man eben an dieser Demonstration nicht teilnehmen soll, beziehungsweise keine rechtswidrige Handlung machen soll."
Stasi-Mitarbeiter nahmen Demonstranten fest
Potenziellen Demonstranten wurde in "vorbeugenden Gesprächen" klargemacht, dass es sich bei dem Vorhaben um eine Provokation handeln würde und dass Provokateure mit "rechtlichen Konsequenzen" zu rechnen hätten. Trotz der Warnung an die Oppositionsgruppen ging Doris Peter am 17. Januar gegen neun Uhr zum Treffpunkt:
"Der ganze Platz am Frankfurter Tor, der war eben voll von Sicherheitsbehörden. Wir hatten uns dann auf einen kleinen Fleck, die Gruppe dann zusammen gesammelt. Jemand sagte dann: Plakate hoch! Und dann wurden die Plakate hoch gehalten und da stürzten sich dann die Sicherheitsbehörden dazwischen, rissen sie runter, sie haben also gar nicht drauf geguckt, was da draufsteht, sie haben sie einfach weggerissen."
Zitate von Rosa Luxemburg waren dort zu lesen: "Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden" zum Beispiel oder: "Wer sich nicht bewegt, spürt die Fesseln nicht". Mitarbeiter der Staatssicherheit verdeckten sofort mit riesigen roten Fahnen die handgemalten Plakate und nahmen die unerwünschten Demonstranten fest.
Prominente Oppositionelle, wie der Liedermacher Stephan Krawszyk, waren bereits auf dem Weg zur Demonstration festgenommen oder, wie Ralf Hirsch von der "Initiative Frieden und Menschenrechte", schon vorher unter Hausarrest gestellt worden. Zwei Tage nach der Aktion schilderte Ralf Hirsch aus Ostberlin telefonisch dem Deutschlandfunk in Köln die Lage:
"Nein, die Festgenommenen sind noch nicht auf freiem Fuß. Von 113 sind uns ca. 90 namentlich bekannt, davon befinden sich erst 14 wieder auf freiem Fuß. Gegen mehrere Leute ist Haftbefehl erlassen worden, beziehungsweise ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden."
Proteste im In- und Ausland
Das Ministerium für Staatssicherheit drängte seine Diensteinheiten zur Eile:
"Es ist vorgesehen, die eingeleiteten Ermittlungsverfahren konzentriert weiter zu bearbeiten, mit dem Ziel der Verurteilung zu Freiheitsstrafen kurzfristig abzuschließen. Die Maßnahmen zur Verhinderung der Bildung weiterer Gruppen sind konsequent weiterzuführen."
Das sollte nicht gelingen. Als Ralf Hirsch und weitere Bürgerrechtler, unter anderem auch die Regisseurin Freya Klier, wegen "landesverräterischer Verbindungsaufnahme" verhaftet wurden, gab es im In- und Ausland zahlreiche Proteste. In vielen Städten der DDR fanden Informationsveranstaltungen statt, Flugblätter wurden verteilt und Parolen an die Hauswände gesprüht: "Bleibe im Lande und wehre dich täglich" oder "Nieder mit der SED".
Trotz der Proteste wurden Bürgerrechtler in die Bundesrepublik abgeschoben. So auch Freya Klier und ihr Ehemann, der Liedermacher Stephan Krawczyk.
(Musik)
"Auf dem Luxusdampfer 'Zum großen Traum vom Glück'
Spielt eine Kapelle die Untergangsmusik.
Endlich Luft raus und weg mit dem Rettungsboot
Rein, hoch an den reißenden Strängen
Wir schlagen uns leck und wir lachen uns tot
Weil wir zu sehr am Leben hängen."
"Auf dem Luxusdampfer 'Zum großen Traum vom Glück'
Spielt eine Kapelle die Untergangsmusik.
Endlich Luft raus und weg mit dem Rettungsboot
Rein, hoch an den reißenden Strängen
Wir schlagen uns leck und wir lachen uns tot
Weil wir zu sehr am Leben hängen."
Bis zum Fall der Berliner Mauer sollten keine zwei Jahre mehr vergehen.