"Immer wieder Verletzungen auf der Beziehungsebene"
Wer seine Emotionen nicht im Griff hat, kann keine erfolgreiche Verhandlung führen, meint Thorsten Hofmann, Experte für Krisenkommunikation. Bei den Jamaika-Gesprächen mache sich bemerkbar, dass Deutschland keine klassische Verhandlungskultur habe.
Christine Watty: Jetzt ist die Nacht also folgendermaßen ausgegangen: Es wurde nichts mit dem Ende der Sondierungsphase, CDU/CSU, die Grünen und die FDP haben sich noch nicht geeinigt. Es muss heute Mittag weiter verhandelt werden. Die Streitpunkte wie unter anderem die Flüchtlingspolitik konnten noch nicht aus dem Weg geräumt werden, auch nicht nach fast vier Wochen Sondierungsphase. Was läuft denn schief in diesen langwierigen Beratungen? Über das Wesen und Strategien in solchen Verhandlungssituationen spreche ich mit Thorsten Hofmann. Er lehrt als Praktiker an der Quadriga-Hochschule Berlin und verfügt über eine fast 20-jährige Erfahrung in der Krisen- und Konfliktkommunikation. Guten Morgen, Herr Hofmann!
Thorsten Hofmann: Guten Morgen!
Watty: Ganz praktisch zu Beginn gefragt: Bis heute um halb fünf wurde verhandelt, dann vertagt. Alle Verhandler und Verhandlerinnen sind nach Hause gefahren, kommen wahrscheinlich eine ganze Weile gar nicht runter, und stehen dann ganz wenige Stunden später wieder auf und müssen, so sieht es offenbar der Zeitplan vor, ab Mittag wieder beieinander sitzen und weiterverhandeln. Ist nicht Schlaf auch eine ganz wichtige Komponente für gelungene Verhandlungen?
Hofmann: In Verhandlungen sollte man physisch als auch psychisch dementsprechend auf dem Damm sein, und da braucht es auch seine Ruhezeiten, um auch dem anderen zuzuhören und auf ihn eingehen zu können. Deswegen ist Schlaf da eine wichtige Komponente, genauso übrigens wie ausreichende Flüssigkeitszufuhr oder auch ab und zu mal Nahrungsaufnahme.
Ein Tag im Schuh des Anderen
Watty: Ich habe zumindest gelesen, dass das mit der Flüssigkeitszufuhr und der Nahrungsaufnahme funktioniert, aber mit dem Schlaf wird es ja anscheinend schon seit einigen Wochen immer enger und enger. Was würden Sie denn den Unterhändlerinnen und Unterhändlern für heute mit auf den Weg geben, also in einer Situation, in der klar ist, langsam muss aber wirklich irgendwas mal festgeklopft werden, gerade in diesen sehr strittigen Punkten, weil man ist schon über die Zeit, die man sich zumindest selbst gesetzt hat.
Hofmann: Zum einen hat Frau Merkel gestern in einem Interview gesagt, heute ist der Tag, an dem man sich in die Schuhe des Anderen mal hineinversetzen muss. An sich ist das nicht gestern beziehungsweise heute der Tag gewesen, sondern das ist die Grundvoraussetzung für eine Verhandlung. Eine Verhandlung besteht nicht daraus, dass man sich hinter seinen eigenen Argumenten einmauert, sondern eine Verhandlung besteht darin, zu verstehen, was der andere eigentlich wirklich will beziehungsweise was seine eigenen individuellen oder auch organisatorischen, jetzt im politischen Bereich, Parteiinteressen dahinter auch sind. Und dementsprechend das herauszufinden, ist eine der Grundkompetenzen in einer Verhandlung. Wenn ich das natürlich dann erst an solch einem Tag tue, wäre das schwierig beziehungsweise schlecht terminiert.
Watty: Zu verstehen, was der andere will, müsste eigentlich ja auch eine Grundvoraussetzung des Wesens eines Politikers sein, der grundsätzlich in der Lage sein müsste, herauszufinden, was der andere – im Zweifel die Bürgerin, der Bürger – eigentlich gerade möchte. Aber gut, das am Rande. Sind denn in den vergangenen vier Wochen Fehler gemacht worden, die neben diesen pur inhaltlichen Differenzen Ihrer Meinung nach ausschlaggebend dafür sind, dass die Situation jetzt so ist, wie sie ist?
Hofmann: Zum einen haben wir es ja mit einer historischen Konstellation zu tun. Hier sitzen zum ersten Mal vier Parteien zusammen, die gemeinschaftlich versuchen, einen Koalitionsvertrag auszuhandeln, vier Parteien, die sich davor in einem monatelangen Wahlkampf auch heftige Verletzungen zugefügt haben. Und dann gilt es natürlich auch erst mal diese Verletzungen wieder heilen zu lassen, eine Beziehung aufzubauen und eine Vertrauensbasis zu schaffen. Vertrauen ist eine andere Kernkompetenz innerhalb einer Verhandlung, weil ich muss mit dem anderen ja einen Abschluss hinkriegen. Und dazu muss ich dem, was er sagt, auch vertrauen. Dieses Vertrauen scheint mir aber nach wie vor noch nicht so richtig vorhanden zu sein zwischen den Koalitionären, und dementsprechend muss da noch weiter dran gearbeitet werden.
Ein weiterer Punkt dieser Verhandlungen, der auffällig ist, ist die Teilnehmerzahl. Wenn ich in solchen großen Runden sondiere, dann habe ich natürlich die Gefahr, dass jeder zu jedem Thema irgendetwas sagen möchte. Und am Ende des Tages werde ich natürlich nie fertig werden. Das heißt, wir verhandeln jetzt seit über vier Wochen und sind immer noch zu keiner Conclusio gekommen, weil natürlich im Laufe dessen, dass man dann spricht, auch viele dieser Teilnehmer sich dann auch nicht nur am Tisch äußern, sondern dummerweise auch außerhalb des Tisches. Und das führt dann wieder zu dem ersten Punkt, den ich angesprochen habe, zu Verletzungen auf der Beziehungsebene.
Watty: Die da alle miteinander verhandeln, sind ja aber keine Anfänger. Sie sind jetzt nicht der Berater dieser Verhandlungen, aber können Sie erklären, wie das kommen kann, dass da Profis sitzen, die natürlich sicherlich auch schon mal geschult und gecoacht wurden und die genau wissen, wie Medien funktionieren und dann trotzdem Informationen herausgeben und Stillschweigen nicht einhalten und dann noch auf so einer anderen Ebene anfangen, sich gegenseitig zu verletzen, wie Sie sagen. Was ist die Ursache dafür?
Hofmann: Jetzt sprechen Sie von Profis und Sie hoffen, dass viele davon gecoacht und ausgebildet sind. In Deutschland führt die Verhandlungsausbildung noch so ein bisschen ein stiefmütterliches Dasein. Wir sind keine klassische Handels- und Verhandlungskultur, deswegen ist Verhandlungsausbildung bei uns nicht Bestandteil von Schule, Studium oder sonstigen Systemen. Jetzt kann man natürlich aus Erfahrung lernen, und Erfahrung schadet auch nicht, aber Erfahrung führt auch manchmal dazu, dass sich Fehler einschleichen. Und wenn man auch zum Beispiel nie gelernt hat, mit seinen eigenen Emotionen umzugehen und denen auch ab und zu mal am Verhandlungstisch oder außerhalb des selbigen auch freien Lauf lässt, ist das dann für eine eigentliche Verhandlungssituation auch nicht unbedingt zielführend.
Wenn wir die letzten Tage rekapitulieren und auch sehen, dass dann Aussagen getroffen wurden gegenüber dem Verhandlungspartner, der sich vielleicht auch bewegt hat, dass man diese Bewegung dann so kommentiert wie Herr Dobrindt zum Beispiel am 7. November mit "Das Abräumen von Schwachsinnsterminen ist noch kein Kompromiss", dann führt das natürlich auch immer wieder erneut zu Verletzungen auf der Beziehungsebene, und da sollte man sich dann auch nicht der Hoffnung hingeben, dass man mit solchen unfreundlichen Kommentaren bei dem anderen noch mehr an Bewegung hervorruft.
"Die Chemie ist elementar"
Watty: Sie haben auch vorhin natürlich rund um dieses Thema der Verletzung auch den Punkt noch mal des Vertrauens angesprochen, der logischerweise gestört ist, wenn es Verletzungen gab. Wie wichtig ist aber eigentlich grundsätzlich die Chemie untereinander, die ja noch mal abseits dessen funktioniert, was man argumentiert und worüber man eben berät und Kompromisse eingeht? Wie wichtig ist also die Chemie für den Erfolg solcher Verhandlungen?
Hofmann: Elementar. Dementsprechend legen erfolgreiche beziehungsweise erfahrene Verhandler großen Wert darauf, eine Beziehungsebene auch zu etablieren und die auch während der ganzen Verhandlungen stabil zu halten. Hier habe ich ja die Situation, dass wie gesagt vier Parteien mit teilweise ganz unterschiedlichen ideologischen Hintergründen zusammensitzen, und es sind aber nicht nur die Parteien, die hier zusammensitzen, es sind auch die Personen, die zusammensitzen. Und diese Personen haben sich, wie gesagt, in der Vergangenheit auch heftigst beharkt. Umso mehr ist eben darauf zu achten und auch dazu zu raten, dass sie eben an dieser Beziehung arbeiten. Das macht der eine oder andere wahrscheinlich professioneller und auch taktisch klüger als vielleicht der andere kann.
Ich sage hier bewusst "kann", weil um das zu tun, muss man natürlich auch über den Schatten der eigenen Emotionen springen. Und die stehen einem manchmal im Wege, weil in der Verhandlung sagt man nicht umsonst: "Der größte Gegner sitzt auf dem eigenen Stuhl." Wenn ich nicht in der Lage bin, meine eigenen Emotionen zu managen, dann werde ich weder die des anderen managen noch eine Beziehungsebene herstellen können.
Watty: Jetzt sollten eigentlich die Teilnehmer der Sondierungsgespräche vielleicht doch nicht schlafen, sondern bis zwölf noch versuchen, genau all diese Aspekte zu berücksichtigen. Das wird natürlich knapp an dieser Stelle. Aber ich bedanke mich sehr bei Ihnen. Thorsten Hofmann von der Quadriga-Hochschule Berlin über das richtige Verhandlungsgeschick anlässlich der sich nun fortsetzenden Sondierungsgespräche. Vielen Dank Ihnen für das Gespräch!
Hofmann: Sehr gern, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.