Verheißung New Orleans
Mit New Orleans erwartet die 23-jährige Heldin aus Paula Fox' neuem Roman Anfang der 40er Jahre eine pulsierende Stadt. Sie bietet ihr die Chance, sich aus der symbiotischen Beziehung mit ihrer Mutter zu lösen – und die Gefahr, in neue Zwänge zu geraten. Die großen Themen der US-amerikanischen Autorin sind Lüge, Verrat und emotionale Abhängigkeit.
Für Helen Bynum, die 23-jährige Heldin von Paula Fox' neuem Roman "Der Gott der Alpträume", ist New Orleans eine Verheißung. Eine bunte, pulsierende, wimmelnde Stadt im Süden des Landes, wo sie endlich für sich allein sorgen könnte! Aber die Idee für Helens Reise nach New Orleans stammt von ihrer Mutter, mit der sie seit der Trennung von ihrem Vater eine symbiotische Beziehung unterhält und gemeinsam eine bescheidene Feriensiedlung aus mehreren Blockhütten betreibt.
Kurz nach dem Tod des Vaters entscheidet die alte Mrs. Bynum, dass dieses Arrangement nicht länger Bestand haben kann. Um nicht vollständig zu vereinsamen, wünscht sie sich die Gesellschaft ihrer Schwester Lulu, einst eine berühmte Schauspielerin. Ihre Tochter soll Lulu in New Orleans ausfindig machen und in den Norden bringen.
Helen, die zugleich als Ich-Erzählerin in Aktion tritt, treibt die sagenumwobene Tante im French quarter auf. Tante Lulu entpuppt sich als bohemienhafte Alkoholikerin, aber sie scheint mit ihrem schlingernd-chaotischen Alltag vollends zufrieden. Ein junger Mann namens Len steht ihr zur Seite. Helen, seit ihrer Kindheit Stellvertreterin des flüchtigen Vaters, erkennt ihre Chance, sich in New Orleans endlich von ihrer Herkunft zu lösen. Sie mietet sich bei einem sympathischen Paar ein Zimmer, wird sofort in den unkonventionellen Freundeskreis einbezogen und findet einen Job als Verkäuferin. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlt sie sich von den unausgesprochenen Zwängen, die sie bisher bestimmt haben, befreit.
Wie immer bei Paula Fox geht es um eine psychologisch ausgefeilte Entwicklungsgeschichte, die bei ihr traditionell mehrdimensionale Angelegenheiten sind. Fox’ große Themen sind Verstellung, Lüge, Verrat und emotionale Abhängigkeit. Kaum ist Helen der beherrschenden Mutter entkommen, gerät sie in neue Zwangslagen und wird blind für die manipulativen Strategien der anderen. Sie schließt Freundschaft mit der gleichaltrigen Nina, verliebt sich in Len, den etwas gesichtslosen Hausfreund der Tante, und heiratet ihn, obwohl ihr die Freundin abrät.
In einem knapp 20-seitigen zweiten Teil lässt Fox ihre Ich-Erzählerin ein Vierteljahrhundert später die Wahrheit entdecken: Len war damals gleichzeitig mit Nina liiert. Voller Schrecken erkennt sie das Muster ihrer 20-jährigen Ehe: wie schon für die Mutter ist sie womöglich für ihren Mann nur der Platzhalter einer anderen Person gewesen.
"Der Gott der Alpträume", im Original 1990 erschienen, ist von autobiographischen Bezügen durchdrungen. Der Roman spielt Anfang der 40er Jahre, eine Zeit, in der Paula Fox tatsächlich in New Orleans lebte. Der Aufenthalt wurde für sie zum Wendepunkt. Während die Mutter-Tochter-Konstellation, deren erpresserischen Charakter die Schriftstellerin mit der gewohnten analytischen Tiefenschärfe beschreibt, erfunden ist, haben Helens Freunde Catherine und Gerald tatsächlich existiert.
Paula Fox nahm bei den beiden Quartier und wurde auch in Wirklichkeit in das Leben des Paares miteinbezogen. In diesem Paar begegnete die damals 19-Jährige zum ersten Mal in ihrem Leben Menschen, die eine glückliche Beziehung führten. Seit ihrer Kindheit herumgestoßen und ohne Zuhause, war für Paula Fox die Erfahrung, dass Partnerschaft funktionieren kann, eine Offenbarung. Obwohl ihre Heldin am Ende einem Ernüchterungsschub ausgesetzt ist, herrscht in "Der Gott der Alpträume" eine versöhnlichere Stimmung.
Paula Fox besticht durch ihr untrügerisches Gespür für die Unterströmungen von Gefühlen. Widerspenstigere Empfindungen wie Hass, Rivalität, Neid und Vernichtungswünsche interessieren sie genauso wie Liebe oder Glück. Dies mag der Grund sein, weshalb ihr immer wieder faszinierend ambivalente Charaktere gelingen. "Der Gott der Alpträume" liegt zwischen ihren Autobiographien und den erzählerischen Werken und erreicht nicht die kammerspielartige Dichte ihrer großen frühen Romane wie "Pech für George" (1967), "Was am Ende bleibt" (1971) und "Lauras Schweigen" (1976). Aber es ist ein berührendes Buch. Zum ersten Mal geht es um geglückte Beziehungen, so prekär sie auch sein mögen. Diese Erfahrung wiegt stärker als Helens Erkenntnis, dass der Ehe zwangsläufig ein Kompromiss innezuwohnen scheint. Und selbst Verzeihen ist möglich: am Ende gelingt es der Protagonistin, Versäumnisse und Brüche zu ertragen. In dem Eingeständnis der eigenen Schwäche liegt eine neue Stärke verborgen.
Rezensiert von Maike Albath
Paula Fox, Der Gott der Alpträume. Roman.
Aus dem Amerikanischen von Susanne Röckel. C. H. Beck Verlag. 287 Seiten, 19,90 Euro
Kurz nach dem Tod des Vaters entscheidet die alte Mrs. Bynum, dass dieses Arrangement nicht länger Bestand haben kann. Um nicht vollständig zu vereinsamen, wünscht sie sich die Gesellschaft ihrer Schwester Lulu, einst eine berühmte Schauspielerin. Ihre Tochter soll Lulu in New Orleans ausfindig machen und in den Norden bringen.
Helen, die zugleich als Ich-Erzählerin in Aktion tritt, treibt die sagenumwobene Tante im French quarter auf. Tante Lulu entpuppt sich als bohemienhafte Alkoholikerin, aber sie scheint mit ihrem schlingernd-chaotischen Alltag vollends zufrieden. Ein junger Mann namens Len steht ihr zur Seite. Helen, seit ihrer Kindheit Stellvertreterin des flüchtigen Vaters, erkennt ihre Chance, sich in New Orleans endlich von ihrer Herkunft zu lösen. Sie mietet sich bei einem sympathischen Paar ein Zimmer, wird sofort in den unkonventionellen Freundeskreis einbezogen und findet einen Job als Verkäuferin. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlt sie sich von den unausgesprochenen Zwängen, die sie bisher bestimmt haben, befreit.
Wie immer bei Paula Fox geht es um eine psychologisch ausgefeilte Entwicklungsgeschichte, die bei ihr traditionell mehrdimensionale Angelegenheiten sind. Fox’ große Themen sind Verstellung, Lüge, Verrat und emotionale Abhängigkeit. Kaum ist Helen der beherrschenden Mutter entkommen, gerät sie in neue Zwangslagen und wird blind für die manipulativen Strategien der anderen. Sie schließt Freundschaft mit der gleichaltrigen Nina, verliebt sich in Len, den etwas gesichtslosen Hausfreund der Tante, und heiratet ihn, obwohl ihr die Freundin abrät.
In einem knapp 20-seitigen zweiten Teil lässt Fox ihre Ich-Erzählerin ein Vierteljahrhundert später die Wahrheit entdecken: Len war damals gleichzeitig mit Nina liiert. Voller Schrecken erkennt sie das Muster ihrer 20-jährigen Ehe: wie schon für die Mutter ist sie womöglich für ihren Mann nur der Platzhalter einer anderen Person gewesen.
"Der Gott der Alpträume", im Original 1990 erschienen, ist von autobiographischen Bezügen durchdrungen. Der Roman spielt Anfang der 40er Jahre, eine Zeit, in der Paula Fox tatsächlich in New Orleans lebte. Der Aufenthalt wurde für sie zum Wendepunkt. Während die Mutter-Tochter-Konstellation, deren erpresserischen Charakter die Schriftstellerin mit der gewohnten analytischen Tiefenschärfe beschreibt, erfunden ist, haben Helens Freunde Catherine und Gerald tatsächlich existiert.
Paula Fox nahm bei den beiden Quartier und wurde auch in Wirklichkeit in das Leben des Paares miteinbezogen. In diesem Paar begegnete die damals 19-Jährige zum ersten Mal in ihrem Leben Menschen, die eine glückliche Beziehung führten. Seit ihrer Kindheit herumgestoßen und ohne Zuhause, war für Paula Fox die Erfahrung, dass Partnerschaft funktionieren kann, eine Offenbarung. Obwohl ihre Heldin am Ende einem Ernüchterungsschub ausgesetzt ist, herrscht in "Der Gott der Alpträume" eine versöhnlichere Stimmung.
Paula Fox besticht durch ihr untrügerisches Gespür für die Unterströmungen von Gefühlen. Widerspenstigere Empfindungen wie Hass, Rivalität, Neid und Vernichtungswünsche interessieren sie genauso wie Liebe oder Glück. Dies mag der Grund sein, weshalb ihr immer wieder faszinierend ambivalente Charaktere gelingen. "Der Gott der Alpträume" liegt zwischen ihren Autobiographien und den erzählerischen Werken und erreicht nicht die kammerspielartige Dichte ihrer großen frühen Romane wie "Pech für George" (1967), "Was am Ende bleibt" (1971) und "Lauras Schweigen" (1976). Aber es ist ein berührendes Buch. Zum ersten Mal geht es um geglückte Beziehungen, so prekär sie auch sein mögen. Diese Erfahrung wiegt stärker als Helens Erkenntnis, dass der Ehe zwangsläufig ein Kompromiss innezuwohnen scheint. Und selbst Verzeihen ist möglich: am Ende gelingt es der Protagonistin, Versäumnisse und Brüche zu ertragen. In dem Eingeständnis der eigenen Schwäche liegt eine neue Stärke verborgen.
Rezensiert von Maike Albath
Paula Fox, Der Gott der Alpträume. Roman.
Aus dem Amerikanischen von Susanne Röckel. C. H. Beck Verlag. 287 Seiten, 19,90 Euro