Verheugen: Keine Krise in der EU
Nach Ansicht des EU-Kommissars für Unternehmen und Industrie, Günter Verheugen, wird das Nein der Franzosen zur EU-Verfassung keine Krise in der EU auslösen. Ziele und Arbeit der EU seien nicht insgesamt gefährdet. Änderungen im Verfassungsvertrag lehnte Verheugen ab.
Sagenschneider: Wie geht es jetzt weiter? Auch darüber wollen wir jetzt hier im Deutschlandradio Kultur mit EU-Kommissar Günter Verheugen sprechen. Ich grüße Sie.
Verheugen: Guten Morgen.
Sagenschneider: Viele, Herr Verheugen, behaupten jetzt, dies würde die Europäische Union in eine mittlere bis schwere Krise stürzen, Sie hingegen haben gesagt, muss nicht sein. Bleiben Sie dabei?
Verheugen: Ja, ich bleibe dabei und gehe sogar heute etwas weiter: Nach all den Stellungnahmen, die ich in dieser Nacht gehört habe, sage ich, es wird auch zu keiner Krise kommen. Es ist ein Problem, ein großes Problem für ein Projekt der Europäischen Union, den Verfassungsvertrag. Aber das bedeutet doch nicht, dass Ziele und Arbeit der Union im Übrigen der Union gefährdet wären.
Frankreich ist ja nicht aus der Europäischen Union ausgetreten, sondern hat eine Weiterentwicklung unserer vertraglichen Grundlagen abgelehnt. Solche Unfälle sind ja nicht zum ersten Mal vorgekommen. Es ist geradezu sensationell, wenn ein großes EU-Projekt im ersten Anlauf durchkommt. Normalerweise sind wir nach solchen Hindernissen in der Integration hinterher doch ein Stück weitergekommen.
Sagenschneider: Was aber, wenn sich solche Unfälle wiederholen? Sie selbst haben ja auch schon darauf hingewiesen: Am Mittwoch stimmt die Niederlande ab und es könnte natürlich irgendwie ein bitteres Signal auch in diese Richtung sein?
Verheugen: Das ist vollkommen richtig und es würde mich wirklich sehr traurig stimmen, wenn ein zweites Gründungsland der Europäischen Union Nein sagen würde. Aber auch das verändert die Lage nicht grundsätzlich, denn die Staats- und Regierungschefs hatten sich auf diese Möglichkeit ja bereits eingestellt, als die Verfassung beschlossen wurde, und gesagt, am Ende des Jahres 2006 setzen wir uns wieder zusammen und dann sehen wir, ob wir die Ratifizierung erreicht haben oder nicht.
Das heißt doch wohl, dass dann diejenigen, die nicht ratifiziert haben, sagen müssen, wie es weitergehen soll. Das ist für mich der entscheidende Punkt. Wir können nicht den Franzosen sagen, was sie zu tun haben. Ich halte das für geradezu abwegig, jetzt den Franzosen zu sagen, ihr müsst nachverhandeln oder ihr müsst noch mal abstimmen, vielleicht müsst ihr solange abstimmen, bis das Ergebnis dann passt und uns gefällt. Nein, das können wir nicht, sondern das müssen die Franzosen nun selber entscheiden im Licht der Entwicklung, die wir bis Ende nächsten Jahres haben, ob sie mit diesem Projekt weitermachen wollen oder nicht.
Sagenschneider: Ist es denn für Sie überhaupt denkbar, dass über dieses Verfassungswerk noch mal neu diskutiert wird, dass Änderungen vorgenommen werden, dass man alles noch mal aufknüpft?
Verheugen: Denkbar ist in Europa natürlich alles, da wir auch fast alles schon erlebt haben. Aber ich muss darauf hinweisen, dass dies schon ein außerordentlich mühevoll austarierter Kompromiss war, es ist ein sehr fein zesiliertes Werk und ich fürchte, dass, wenn ein Land jetzt kommt und sagt, wir möchten an dieser oder jener Stelle Veränderungen haben, dass das dazu führt, dass ein anderes Land sagt, das sind aber genau die Veränderungen, die uns die Zustimmung unmöglich machen würden.
Man kann ja ganz klar sagen, was möglicherweise helfen würde, ein Ja in Frankreich herbeizuführen, würde mit Sicherheit dazu beitragen, ein Nein in Großbritannien zu erzeugen. Gut, man muss sehen, um was es am Ende eigentlich geht. Ich will nur darauf hinweisen, einfach zu sagen, na ja, dann verändern wir ein paar Sachen und dann kriegen wir das in Frankreich schon hin, das scheint mir etwas kurzatmig.
Sagenschneider: Klingt nicht so, als seien Sie überhaupt noch optimistisch, dass die Verfassung durchkommt am Ende?
Verheugen: Man kann das nicht ausschließen, dass es zu einer Verzögerung kommt, die länger dauert. Ich bin fest davon überzeugt, wir werden eine europäische Verfassung haben, wir werden eine europäische Außenpolitik bekommen, wir werden mehr Demokratie und mehr Effizienz in unser System bekommen, weil die Verhältnisse im 21. Jahrhundert es erzwingen werden. Europa kann sich Handlungsunfähigkeit, Schwäche und Ineffizienz überhaupt nicht leisten angesichts der Veränderungen, die um uns herum vorgehen, angesichts der Stürme der Globalisierung, denen wir ausgesetzt sind. Deshalb weiß ich, dass es kommen wird. Ich kann Ihnen nur nicht sagen, ob es im Jahr 2007 sein wird, im Jahr 2010 oder später.
Sagenschneider: Aber was ist bis dahin? Denn die Verfassung soll ja doch auch die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union mit jetzt 25 und demnächst eben noch mehr Mitgliedern garantieren. Keine Verfassung heißt, die Uhr ist zurückgeworfen auf die Beschlüsse von Nizza und das bedeutet unter anderem, mehr Einstimmigkeit ist gefordert und damit sind mehr Blockademöglichkeiten drin.
Verheugen: Das ist korrekt. Die Schwächen des Vertrages von Nizza wurden ja zumindest teilweise, nicht ganz, teilweise durch den Verfassungsvertrag aufgehoben. Ich sehe hier zwei wirklich wesentliche Probleme, das Erste ist, wenn die Verfassung nicht in Kraft treten sollte, oder auch wenn sie verzögert in Kraft treten sollte, haben wir ein Problem mit unserer gemeinsamen Außenpolitik. Für mich ist der wichtigste Fortschritt des Verfassungsentwurfs, dass endlich außenpolitische Instrumente geschaffen werden, die es erlauben, mit einer Stimme zu sprechen und das Gewicht Europas als gleichberechtigten Partner in die Weltpolitik einzubringen. Das würde fehlen.
Das Zweite ist die Verstärkung des Demokratieprinzips innerhalb der Europäischen Union. Das ist ja das, was die Menschen, glaube ich jedenfalls, von Europa entfremdet, dass sie das Gefühl haben, die da oben in Brüssel oder in Luxemburg oder Straßburg, die entscheiden ganz wichtige Dinge, aber wir werden eigentlich nicht gefragt, wir können das nicht beeinflussen.
Sagenschneider: Ist da eigentlich die nationale Politik mit schuld dran an diesem Bild über Brüssel oder ist es eigentlich grundsätzlich auch ein Zeichen dafür, dass Referenden in solchen Fragen vielleicht gar nicht so gut sind?
Verheugen: Ich will das jetzt sehr scharf sagen, es ist fast nur die nationale Politik schuld daran. Wer ist denn Brüssel? Ich meine 25 Kommissare bei 450 Millionen Einwohnern, unsere Aufgabe ist es nicht, in den Mitgliedsländern zu erklären, warum dieses Land der Europäischen Union angehört. Es ist die nationale Politik, die das erklären muss, und ich sage in aller Klarheit: Dieses Europa wird nicht gelingen, weil wir die Menschen nicht davon überzeugen können, dass es richtig ist, wenn wir nicht genügend überzeugte Europäer haben.
Ich glaube hier fest an die Vorbildfunktion von Menschen und das gilt für die politischen, die wirtschaftlichen, die kulturellen Eliten auch in diesem Land, die sollen endlich damit aufhören, für eigene Fehler Europa dafür verantwortlich zu machen, sondern den Deutschen sagen, was Sache ist. Nämlich, dass die Grundlage für Sicherheit, für Frieden und Wohlstand in diesem Land die feste Einbindung Deutschlands in die europäische Integration ist.
Sagenschneider: EU-Kommissar Günter Verheugen im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.
Verheugen: Guten Morgen.
Sagenschneider: Viele, Herr Verheugen, behaupten jetzt, dies würde die Europäische Union in eine mittlere bis schwere Krise stürzen, Sie hingegen haben gesagt, muss nicht sein. Bleiben Sie dabei?
Verheugen: Ja, ich bleibe dabei und gehe sogar heute etwas weiter: Nach all den Stellungnahmen, die ich in dieser Nacht gehört habe, sage ich, es wird auch zu keiner Krise kommen. Es ist ein Problem, ein großes Problem für ein Projekt der Europäischen Union, den Verfassungsvertrag. Aber das bedeutet doch nicht, dass Ziele und Arbeit der Union im Übrigen der Union gefährdet wären.
Frankreich ist ja nicht aus der Europäischen Union ausgetreten, sondern hat eine Weiterentwicklung unserer vertraglichen Grundlagen abgelehnt. Solche Unfälle sind ja nicht zum ersten Mal vorgekommen. Es ist geradezu sensationell, wenn ein großes EU-Projekt im ersten Anlauf durchkommt. Normalerweise sind wir nach solchen Hindernissen in der Integration hinterher doch ein Stück weitergekommen.
Sagenschneider: Was aber, wenn sich solche Unfälle wiederholen? Sie selbst haben ja auch schon darauf hingewiesen: Am Mittwoch stimmt die Niederlande ab und es könnte natürlich irgendwie ein bitteres Signal auch in diese Richtung sein?
Verheugen: Das ist vollkommen richtig und es würde mich wirklich sehr traurig stimmen, wenn ein zweites Gründungsland der Europäischen Union Nein sagen würde. Aber auch das verändert die Lage nicht grundsätzlich, denn die Staats- und Regierungschefs hatten sich auf diese Möglichkeit ja bereits eingestellt, als die Verfassung beschlossen wurde, und gesagt, am Ende des Jahres 2006 setzen wir uns wieder zusammen und dann sehen wir, ob wir die Ratifizierung erreicht haben oder nicht.
Das heißt doch wohl, dass dann diejenigen, die nicht ratifiziert haben, sagen müssen, wie es weitergehen soll. Das ist für mich der entscheidende Punkt. Wir können nicht den Franzosen sagen, was sie zu tun haben. Ich halte das für geradezu abwegig, jetzt den Franzosen zu sagen, ihr müsst nachverhandeln oder ihr müsst noch mal abstimmen, vielleicht müsst ihr solange abstimmen, bis das Ergebnis dann passt und uns gefällt. Nein, das können wir nicht, sondern das müssen die Franzosen nun selber entscheiden im Licht der Entwicklung, die wir bis Ende nächsten Jahres haben, ob sie mit diesem Projekt weitermachen wollen oder nicht.
Sagenschneider: Ist es denn für Sie überhaupt denkbar, dass über dieses Verfassungswerk noch mal neu diskutiert wird, dass Änderungen vorgenommen werden, dass man alles noch mal aufknüpft?
Verheugen: Denkbar ist in Europa natürlich alles, da wir auch fast alles schon erlebt haben. Aber ich muss darauf hinweisen, dass dies schon ein außerordentlich mühevoll austarierter Kompromiss war, es ist ein sehr fein zesiliertes Werk und ich fürchte, dass, wenn ein Land jetzt kommt und sagt, wir möchten an dieser oder jener Stelle Veränderungen haben, dass das dazu führt, dass ein anderes Land sagt, das sind aber genau die Veränderungen, die uns die Zustimmung unmöglich machen würden.
Man kann ja ganz klar sagen, was möglicherweise helfen würde, ein Ja in Frankreich herbeizuführen, würde mit Sicherheit dazu beitragen, ein Nein in Großbritannien zu erzeugen. Gut, man muss sehen, um was es am Ende eigentlich geht. Ich will nur darauf hinweisen, einfach zu sagen, na ja, dann verändern wir ein paar Sachen und dann kriegen wir das in Frankreich schon hin, das scheint mir etwas kurzatmig.
Sagenschneider: Klingt nicht so, als seien Sie überhaupt noch optimistisch, dass die Verfassung durchkommt am Ende?
Verheugen: Man kann das nicht ausschließen, dass es zu einer Verzögerung kommt, die länger dauert. Ich bin fest davon überzeugt, wir werden eine europäische Verfassung haben, wir werden eine europäische Außenpolitik bekommen, wir werden mehr Demokratie und mehr Effizienz in unser System bekommen, weil die Verhältnisse im 21. Jahrhundert es erzwingen werden. Europa kann sich Handlungsunfähigkeit, Schwäche und Ineffizienz überhaupt nicht leisten angesichts der Veränderungen, die um uns herum vorgehen, angesichts der Stürme der Globalisierung, denen wir ausgesetzt sind. Deshalb weiß ich, dass es kommen wird. Ich kann Ihnen nur nicht sagen, ob es im Jahr 2007 sein wird, im Jahr 2010 oder später.
Sagenschneider: Aber was ist bis dahin? Denn die Verfassung soll ja doch auch die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union mit jetzt 25 und demnächst eben noch mehr Mitgliedern garantieren. Keine Verfassung heißt, die Uhr ist zurückgeworfen auf die Beschlüsse von Nizza und das bedeutet unter anderem, mehr Einstimmigkeit ist gefordert und damit sind mehr Blockademöglichkeiten drin.
Verheugen: Das ist korrekt. Die Schwächen des Vertrages von Nizza wurden ja zumindest teilweise, nicht ganz, teilweise durch den Verfassungsvertrag aufgehoben. Ich sehe hier zwei wirklich wesentliche Probleme, das Erste ist, wenn die Verfassung nicht in Kraft treten sollte, oder auch wenn sie verzögert in Kraft treten sollte, haben wir ein Problem mit unserer gemeinsamen Außenpolitik. Für mich ist der wichtigste Fortschritt des Verfassungsentwurfs, dass endlich außenpolitische Instrumente geschaffen werden, die es erlauben, mit einer Stimme zu sprechen und das Gewicht Europas als gleichberechtigten Partner in die Weltpolitik einzubringen. Das würde fehlen.
Das Zweite ist die Verstärkung des Demokratieprinzips innerhalb der Europäischen Union. Das ist ja das, was die Menschen, glaube ich jedenfalls, von Europa entfremdet, dass sie das Gefühl haben, die da oben in Brüssel oder in Luxemburg oder Straßburg, die entscheiden ganz wichtige Dinge, aber wir werden eigentlich nicht gefragt, wir können das nicht beeinflussen.
Sagenschneider: Ist da eigentlich die nationale Politik mit schuld dran an diesem Bild über Brüssel oder ist es eigentlich grundsätzlich auch ein Zeichen dafür, dass Referenden in solchen Fragen vielleicht gar nicht so gut sind?
Verheugen: Ich will das jetzt sehr scharf sagen, es ist fast nur die nationale Politik schuld daran. Wer ist denn Brüssel? Ich meine 25 Kommissare bei 450 Millionen Einwohnern, unsere Aufgabe ist es nicht, in den Mitgliedsländern zu erklären, warum dieses Land der Europäischen Union angehört. Es ist die nationale Politik, die das erklären muss, und ich sage in aller Klarheit: Dieses Europa wird nicht gelingen, weil wir die Menschen nicht davon überzeugen können, dass es richtig ist, wenn wir nicht genügend überzeugte Europäer haben.
Ich glaube hier fest an die Vorbildfunktion von Menschen und das gilt für die politischen, die wirtschaftlichen, die kulturellen Eliten auch in diesem Land, die sollen endlich damit aufhören, für eigene Fehler Europa dafür verantwortlich zu machen, sondern den Deutschen sagen, was Sache ist. Nämlich, dass die Grundlage für Sicherheit, für Frieden und Wohlstand in diesem Land die feste Einbindung Deutschlands in die europäische Integration ist.
Sagenschneider: EU-Kommissar Günter Verheugen im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.