Verhüten mit Nebenwirkungen

Verändert die Anti-Baby-Pille unsere Psyche?

08:10 Minuten
Eine Pillenpackung der Antibabypille vor blauem Hintergrund.
Welche Auswirkungen hat die Antibabypille auf die Psyche? Das möchten neue Studien herausfinden. © Unsplash / Reproductive Health Supplies Coalition
Von Carina Fron |
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Die Anti-Baby-Pille ist die beliebteste Verhütungsmethode in Deutschland. Sie gilt als sehr sicher, hat aber Nebenwirkungen. Eine Studie liefert erste Anzeichen für den Zusammenhang zwischen der Pille und Depressionen.
"Ich hatte sehr stark mit Regelschmerzen zu tun", erzählt Emilia. Sie ist 13, als sie ihre erste Periode bekommt. "Und dann wurde mir einfach angeraten, weil es da bestimmte Präparate gegeben hätte, die die Regelschmerzen so ein Stück weit regulieren, und da wurde von der Ärztin dann gesagt, es könnte wohl helfen."
Da sie mit Familie und Freundinnen nicht darüber reden möchte, vertraut Emilia auf den Vorschlag der Ärztin, ohne sich jedoch ausreichend aufgeklärt zu fühlen. Emilia heißt eigentlich anders, sie will so persönliche Details nicht unter ihrem echten Namen erzählen.

"Ärzte haben sich als Werbeträger einspannen lassen"

Mit der Zeit werden Emilias Krämpfe noch schlimmer, ihre Beine schwellen an, sie leidet unter Stimmungsschwankungen. Sie probiert drei verschiedene Präparate aus.
"Die Pille ist ja über Jahre lang massenweise an junge Frauen verordnet worden. Das war ja so eine Art Initiationsritus auch für die Mädchen. Wenn man dabei sein wollte, musste man mit 15 Jahren die Pille nehmen, egal ob man Sex hatte oder nicht", sagt Ingrid Mühlhauser. Sie ist Vorsitzende des Arbeitskreises Frauengesundheit und Professorin für Gesundheitswissenschaften an der Universität Hamburg. "Das Marketing der Pharmafirmen war da sehr erfolgreich, und die Ärzte und Ärztinnen haben sich mehrheitlich kritiklos als Werbeträger einspannen lassen."
Das sieht Christian Albring anders. Der Vorsitzende des Bundesverbandes der Frauenärzte ist überzeugt: Die Pille hat sich in ihrer über 50-Jährigen Geschichte bewährt. Immerhin gehört sie bis heute zu den beliebtesten Verhütungsmitteln. Das mag auch an ihrer Zuverlässigkeit und der einfachen Anwendung liegen. Alle Präparate enthalten die Geschlechtshormone Östrogen und Gestagen. Die verhindern im Gehirn die Ausschüttung des Hormons Gonadotropin.
"Man muss sich das so vorstellen, dass die nach Pilleneinnahme im Blut zirkulierenden Hormone dem Gehirn vorgaukeln, sie kämen vom Eierstock. Deshalb stimuliert das Gehirn den Eierstock nicht mehr", erklärt Frauenarzt Christian Albring. Bedeutet: Es gibt keinen Eisprung und keine Eizelle reift heran. Ergo: Es gibt auch keine Schwangerschaft. Daneben hat die Anti-Baby-Pille noch weitere Schutzwirkungen, die dafür sorgen, dass sich kein Ei einnisten und kein Spermium bis zum Ei gelangen kann.

Manche Präparate erhöhen die Thrombosegefahr

Mit den Jahren hat sich die Zusammensetzung von Östrogen und Gestagen in den Pillen verändert. Dadurch ist zum Beispiel die Thrombosegefahr mit den neueren Präparaten der dritten und vierten Generation fast doppelt so hoch. Das zeigt eine Studie des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte aus dem Jahr 2018.
Die Medizinerin Ingrid Mühlhauser ist nicht per se gegen die Pille, äußert aber auch starke Bedenken gegen die neueren Präparate. "Eigentlich sollten diese Pillen nicht mehr verordnet werden", meint sie. Sie seien aber über viele Jahre mit falschen Versprechungen beworben worden. "Die Pillen sollten schöne Haut, schöne Haare, eine schlanke Taille und einen schönen Busen machen. Für diese Versprechen fehlen bis heute die wissenschaftlichen Beweise."
Für Ingrid Mühlhauser sind die Effekte der Anti-Baby-Pille auf Emotion, Kognition und Verhalten noch nicht ausreichend erforscht: "Beispielsweise zu der Frage, ob die Pille wirklich Depressionen macht oder ob das sexuelle Verlangen der Frau durch die Pille beeinflusst wird."
Fragen, auf die auch Emilia gerne Antworten hätte. Die heute 27-Jährige leidet unter Depressionen und liest immer wieder von einem Zusammenhang mit der Pille. "Wenn ich jetzt drüber nachdenke, inwieweit ich da wirklich eigentlich einen Hormoncocktail zu mir genommen habe, würde das vieles erklären", meint sie. "Weil ich sehr, sehr starke Stimmungsschwankungen hatte, in den letzten fünf bis sechs Jahren." Das sei natürlich auch ein bisschen dem Alltag geschuldet gewesen. "Studium, Staatsexamen, sehr viel zu tun, Freunde, Wechsel hier und da, Beziehungen, die in die Brüche gehen. Aber ich denke, dass das schon durchaus verstärkt haben könnte."
Christine Anderl ist Wissenschaftlerin an der westkanadischen Universität von British Columbia. Sie kann Emilias Verdacht weder ausschließen noch bestätigen. Keine Studie auf dem Markt kann das. Aber ihre Untersuchung liefert erste Anzeichen für den Zusammenhang zwischen der Anti-Baby-Pille und Depressionen. Mit ihrem Team verglich die Psychologin Daten aus einer repräsentativen Studie mit über 1200 Frauen aus den USA. Wichtig war vor allem, wann die Pille das erste Mal genommen wurde, denn "Frauen, die bereits in den Teenagerjahren die Pille eingenommen hatten, ein 1,7 bis drei Mal höheres Risiko hatten, zum Zeitpunkt der Studie eine tatsächlich klinische Form der Depression zu haben, als Frauen, die sie erst später einzunehmen oder Frauen, die die Pille nie eingenommen haben".

Neue Studien zum Risiko von Depressionen

In der Studie versuchten Anderl und ihr Team auch andere Faktoren auszuschließen, die das Risiko einer Depression steigern können. Ihre These sieht sie auch durch Tierstudien bestätigt. Tatsächlich wisse man – zumindest bei Tieren, es gebe aber auch Hinweise bei Menschen –, dass Geschlechtshormone die Gehirnentwicklung beeinflusse. "Das heißt, dass die einfach dazu führen, dass sich ein bisschen andere Synapsenverbindungen im Gehirn bilden."
In einer neu gestarteten Studie möchte sie über 300 Teenagerinnen gleich über mehrere Jahre begleiten und so den Einfluss der Pille auf den Körper und die Psyche untersuchen.
Auch Forscher rund um den Psychologen Alexander Lischke von der Universität Greifswald haben Hinweise darauf gefunden, dass sich die Anti-Baby-Pille negativ auf die emotionale Wahrnehmung auswirkt. Es zeigte sich, dass Frauen, die die Pille einnahmen, mehr Probleme hatten, schwierigere Gesichtsausdrücke zu deuten.
Doch auch hier fehlen noch weitere wissenschaftliche Studien. Gerade diese wünscht sich auch Medizinerin Ingrid Mühlhauser. Schließlich hätten die Frauen "ein Recht auf eine informierte Entscheidung. Auch müssen die Frauen beurteilen können, wo es Wissenslücken gibt in der Forschung. Sie sollten sich aber auch beteiligen können an der Planung und Durchführung von Studien, die für sie von Bedeutung sind."

Schlechte Laune und Persönlichkeitsveränderungen

Über ihre Beschwerden rund um die Anti-Baby-Pille tauschen sich viele Frauen immer wieder im Internet aus. Sie sprechen von Persönlichkeitsveränderungen, schlechter Laune, einem ausgetrockneten, schmerzenden Intimbereich und fehlender Lust auf Sex. Um Letzteres aufzuklären, müssten erst einmal andere Faktoren als die Pille ausgeschlossen werden, sagt Frauenarzt Christian Albring in seinem Statement: "Wenn sich jedoch nach dem Gespräch die Möglichkeit abzeichnet, dass die Antibabypille Mitverursacher sein könnte, ist es ein Einfaches, die Pille vorübergehend abzusetzen und zu sehen, ob sich der Zustand danach bessert. Insofern kann man auf den Verdacht sehr einfach reagieren."
Emilia hat für sich eine Entscheidung getroffen. "Also ich bin jetzt 27 und ich wollte auch weg von dieser hormonellen Verhütung, weil irgendwann möchte man vielleicht doch mal Kinder bekommen, eine Familie gründen – und da war mir das einfach zu heiß", sagt sie. "Es gibt so viele Nebenwirkungen bei der Pille und davor hatte ich jetzt wirklich Angst." Und deshalb nimmt Emilia die Pille auch nicht mehr.
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