Verhütung

Neue Erkenntnisse zu Risiken der Antibabypille

07:41 Minuten
Rosa Antibabypillen liegen auf einer grauen Fläche.
Das geringste Risiko haben offenbar Antibabypillen mit Levonorgestrel (Symbolbild). © pexels / Tima Miroshnichenko
Von Mirjam Stöckel |
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Seltene Nebenwirkungen werden oft erst nach der Zulassung eines Medikaments entdeckt. Neue Studien aus Frankreich und Deutschland zeigen jetzt, dass zwei Wirkstoffe gängiger Antibabypillen das Risiko für bestimmte Hirntumore und Thrombosen erhöhen.
Chlormadinon und Nomegestrol: Diese beiden künstlichen Gelbkörperhormone werden seit zehn, zwölf Jahren in neueren Antibabypillen eingesetzt. Sie verhüten nicht besser, sind aber beliebt, weil sie anders als ältere Wirkstoffe bei Akne und Haarproblemen helfen können. Allerdings stehen sie im Verdacht, seltene, teils gefährliche Nebenwirkungen zu haben.
Zwei Studien aus Frankreich zeigen jetzt: Beide Wirkstoffe erhöhen – abhängig von Dosis und Einnahmedauer – das Risiko für Meningiome um ein Vielfaches. Meningiome sind Tumore an der Hirnhaut, meist gutartig, in seltenen Fällen jedoch tödlich. Eins zu eins auf Deutschland übertragen ließen sich die Ergebnisse aber nicht, sagt Professor Ludwig Kiesel, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin. Denn:
"In Frankreich werden diese Medikamente in wesentlich höherer Dosierung angewandt – nämlich fünf bis zehn Mal. Das ist ja für Hormone sehr viel mehr."
Nur derart hochdosiert erhöhen Chlormadinon und Nomegestrol den Studien zufolge das Hirntumor-Risiko. Für Frauen in Deutschland mit niedrig dosierten Präparaten bedeutet das also erstmal Entwarnung.

Steigendes Risiko bei längerer Einnahme?

Allerdings: Was, wenn Frauen die Wirkstoffe zwar in niedrigen Dosen, aber über Jahre hinweg einnehmen? Steigt dann das Meningiom-Risiko doch? Diese Frage, sagt Ludwig Kiesel, sei bislang offen:
"Deshalb müssen weitere Untersuchungen gemacht werden, insbesondere auf Langzeiteffekte hin. Das gilt für alle Hormonpräparate insgesamt, sodass ich das hier auch empfehlen würde."
Sprich: Es bleibt eine Restunsicherheit in Sachen Hirntumor-Risiko bei Chlormadinon und Nomegestrol. Zudem verursachen die beiden Wirkstoffe relativ häufig Thrombosen: Blutgerinnsel in den Venen oder der Lunge. Häufiger jedenfalls als der risikoärmste ältere Pillenwirkstoff Levonorgestrel.

Das legt eine aktuelle deutschlandweite Beobachtungsstudie unter rund 680.000 Mädchen und jungen Frauen bis 19 Jahre nahe: Bei Nomegestrol sei das Risiko wohl etwa 1,4-fach höher als bei levonorgestrelhaltigen Präparaten, sagt Studien-Mitautorin Tania Schink vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie BIPS in Bremen. Weil aber in der Studie nur relativ wenige Nomegestrol-Nutzerinnen eingeschlossen waren, braucht es für sichere Ergebnisse weitere Forschung.
Bei Chlormadinon war die Datenbasis größer, da vertraue sie den Ergebnissen, so Tania Schink. Und die Auswertung habe gezeigt, "dass das Risiko einer venösen Thromboembolie bei Einnahme eines Kontrazeptivums mit dem Wirkstoff Chlormadinon ungefähr doppelt so hoch ist wie bei Einnahme eines Präparats mit Levonorgestrel".
Schon länger ist nachgewiesen: Von 10.000 Nutzerinnen der älteren Pillen mit Levonorgestrel erleiden pro Jahr fünf bis sieben ein Blutgerinnsel. Bei den doppelt so riskanten Wirkstoffen mit Beauty-Effekt – zu denen man nun offenbar auch Chlormadinon zählen muss – trifft es neun bis zwölf Frauen, auch das haben Studien bereits gezeigt. Ohne Antibabypille sind es nur zwei von 10.000.

Laufende Überwachung der Arzneimittelsicherheit

Dass in zwei Ländern praktisch zeitgleich Nebenwirkungen gängiger Antibabypillen untersucht wurden, ist kein Zufall – sondern hängt mit der sogenannten Pharmakovigilanz zusammen. Also der systematischen, fortlaufenden Sicherheitsüberwachung von Arzneimitteln, wie Tania Schink erklärt:
"In der Praxis bedeutet das, dass Arzneimittel mit der Zulassung nicht aus der Aufsicht raus sind. Sondern dass man auch nach der Zulassung Arzneimittel noch überwacht und schaut, ob irgendwas auftritt."
Dazu gibt es etwa nationale Datenbanken für Verdachtsfälle von Nebenwirkungen. Oder Behörden veranlassen weitere Studien.

Seltene Nebenwirkungen werden erst nach der Zulassung entdeckt

Denn: Zwar werden Arzneimittel erst zugelassen, nachdem die Hersteller deren Wirksamkeit in randomisierten klinischen Studien nachgewiesen haben. Dabei entdecken sie häufige Nebenwirkungen sehr zuverlässig. Mögliche seltene oder gar sehr seltene Nebenwirkungen aber – das liegt in der Natur der Sache – können erst genau untersucht und quantifiziert werden, wenn viele Menschen das Präparat über einen längeren Zeitraum einnehmen, also nach der Zulassung. Gäbe es die Vorgabe an Hersteller, alle seltenen oder sehr seltenen Nebenwirkungen aufzuzeigen, würde die Zulassung eines Medikaments deutlich verzögert.
"Das Vorgehen momentan ist meiner Meinung nach dasjenige System, was die ganzen Interessen am besten unter einen Hut bringt", so Tania Schick. "Nämlich das Bedürfnis nach hilfreichen Arzneimitteln, natürlich auch der Wunsch der Pharmaindustrie Geld zu verdienen – aber andererseits natürlich auch der Wunsch nach Sicherheit. Das ist nicht so einfach, denn da gibt es keine perfekte Lösung."

Risiken und Nutzen müssen ständig abgewogen werden

Allerdings: Gerade bei gängigen Medikamenten wie der zigtausendfach verordneten Antibabypille, die noch dazu von gesunden Frauen eingenommen wird, fallen seltene oder sehr seltene Nebenwirkungen unterm Strich ins Gewicht. Zumal, wenn sie vermeidbar wären. Auch, wenn der Anteil seit ein paar Jahren sinkt – rund die Hälfte der Pillenanwenderinnen hierzulande nimmt heute ein Präparat der höchsten Risikoklasse. Würde nur der risikoärmste Wirkstoff Levonorgestrel verschrieben, so haben Forscher der Uniklinik Tübingen 2017 abgeschätzt, könnten jährlich mindestens 1.300 Thrombosen bzw. 700 Lungenembolien verhindert werden. Da kann man sich schon fragen: Warum sind die risikoreichsten Pillen überhaupt auf dem Markt?
Kurz: Weil die europäischen und deutschen Zulassungsbehörden selbst bei ihnen zu der Einschätzung kommen: Ihr Nutzen – sprich: die Verhütungswirkung – überwiegt ihre Risiken. Deswegen bleiben sie zugelassen.

Richtige Beratung ist wichtig - aber teuer

Immerhin – und auch das gehört zur Pharmakovigilanz: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hält es für sehr wichtig, "dass insbesondere Risikogruppen bzw. junge Erstanwenderinnen – wenn nichts dagegen spricht – solche Pillen verordnet bekommen, die das bekanntermaßen geringste Risiko haben. Also die levonorgestrelhaltigen."
So dessen Sprecher Maik Pommer. Erst Ende September hat das BfArM deshalb wieder einmal in einem Infoschreiben an alle Ärzte eine gute Aufklärung und eine individuelle Risikoabwägung bei jeder Frau angemahnt. Nur: Eine solche differenzierte, individuelle Beratung ist zeitintensiv. Damit Ärztinnen und Ärzte sie leisten können, müsste sie nach Ansicht vieler Fachleute besser vergütet werden, als das heute der Fall ist.
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