Hormonforschung
Das neue Verhütungsmittel soll die Spermienproduktion zuverlässig unterbinden. © Getty Images / filo
Ein Verhütungsgel für den Mann
07:00 Minuten
Die Pille für den Mann ist schon lange im Gespräch. Ein vielversprechender Forschungsansatz wurde 2011 wegen der Nebenwirkungen jedoch eingestellt. Jetzt sorgt eine neue Studie für Aufsehen: mit einem Verhütungsgel.
„Ich habe immer schon gedacht: Das dauert nicht mehr lange, bis die Pille für den Mann auf den Markt kommt. Ich habe immer erzählt: Das dauert noch fünf Jahre. Und es stimmte nie.“
Wenn schon Michael Zitzmann sich derart vertut mit dem Zeitplan, dann sagt uns das: Eine hormonelle Verhütung für Männer zu entwickeln, ist – schwierig. Denn Zitzmann, seit 23 Jahren Endokrinologe und Androloge an der Uniklinik Münster, gilt als ausgewiesener Experte.
„Das Prinzip der Pille für den Mann ist ganz ähnlich wie das der Pille für die Frau.“
Nämlich: bestimmte Hormone von außen so zuzuführen, dass sie die Spermienbildung – wie bei der Frau den Eisprung – sicher unterdrücken. Beim Mann braucht es dafür ein künstliches Gestagen – davon gibt es verschiedene – und Testosteron.
Ähnliches Wirkprinzip wie bei der Frau
„Dann schüttet die Hirnanhang-Drüse die Steuerhormone – die heißen LH und FSH – für den Hoden nicht mehr aus."
Das heiße, so Michael Zitzmann, die Hoden stellen ihre Tätigkeit ein und der Mann ist – wie gewünscht – zeugungsunfähig.
Zitzmann leitete im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation von 2009 an eine international beachtete Studie: Die Forscher untersuchten, wie zuverlässig eine Kombination aus Testosteron und dem Gestagen Norethisteron Schwangerschaften verhindert – und wie verträglich sie ist.
Die Methode galt als der Hoffnungsträger in Sachen „Verhütung für Männer“ – auch wenn die Hormone nicht als Pille verabreicht wurden, sondern als Spritze. Wirksam sei das gewesen, sagt Zitzmann, wirksamer sogar als die Anti-Baby-Pille für Frauen.
„Die Effektivität, die war da.“
Nebenwirkungen "mit zweierlei Maß gemessen"
Nur: verschiedene Nebenwirkungen leider auch. Einige Männer seien schwer depressiv geworden und hätten stationär behandelt werden müssen, erzählt Zitzmann. Und trotzdem: Als die WHO die Studie wegen der Nebenwirkungen 2011 komplett einstellte, habe sie mit zweierlei Maß gemessen.
„Das kann man nicht wirklich logisch nachvollziehen.“
Denn immerhin litten ja auch etwa zehn Prozent aller Frauen, die mit der Pille verhüten, unter Gewichtszunahme, Niedergeschlagenheit oder Libidoverlust.
„Und so war das bei diesen Männern eben auch. Man hätte genauso gut sagen können: Diese Männer hören auf mit der Studie – und die anderen machen weiter.“
Unabhängige Experten der Weltgesundheitsorganisation sahen das anders – und seit dem Studien-Stopp ist die WHO praktisch völlig raus aus der Entwicklung der Pille für den Mann. Gleiches gilt seit Jahren für die Pharmaindustrie.
Wenig Interesse der Pharmakonzerne
„Es waren eigentlich zwei Firmen, die sich dafür sehr interessiert haben: Schering und Organon. Das waren ja Firmen, die auch die Pille für die Frau produziert haben. Die wurden gekauft von größeren Unternehmen. Schering wurde von Bayer gekauft, Organon von Akzo Nobel.“
Und mit den Eigentümern hätten sich auch die Schwerpunkte geändert, so Zitzmann.
„Bei Schering, da saßen Endokrinologen im Vorstand. Das war ein reines Hormon-Pharmaunternehmen. Man merkte richtig: Die wollten nicht nur Geld verdienen, die fanden die Forschung auch spannend. Jetzt ist das bei Bayer ein ganz, ganz kleiner Teil von vielen – und da fällt das schnell mal hinten weg.“
Heute forschen weltweit gerade noch etwa zwei Dutzend Experten weiter, meist mit viel Elan, aber wenig Budget. Manche arbeiten an Einzelwirkstoffen – wie etwa der Substanz DMAU, bei der aber noch etliche Fragen offen sind. Andere setzen weiterhin auf Hormonkombinationen.
Vielversprechende neue US-Studie
So auch Diana Blythe vom US-amerikanischen Forschungsförderzentrum „National Institute of Child Health und Human Development“. Sie leitet seit drei Jahren eine internationale Studie an 13 Standorten, die erstmals seit der Hormonspritze wieder für Aufsehen sorgt: Es geht um ein Verhütungsgel, das Männer sich einmal täglich auf die Schultern auftragen müssen. Die meisten Studienteilnehmer hätten das im Alltag problemlos hingekriegt, sagt Blythe.
„Wir hören meist: Das war einfacher zu verwenden als ich dachte! Ich würde das Gel gern weiter benutzen. Wann kann ich das denn kaufen?“
In dem Gel ist wieder Testosteron – aber ein anderes Gestagen, das sogenannte Nestoron. Auch diese Hormonkombination soll die Spermienproduktion zuverlässig unterbinden – dabei aber weniger Nebenwirkungen haben. Michael Zitzmann hat selbst Vorläufer-Untersuchungen mit dieser Kombination gemacht – und gibt ihr größere Marktzulassungschancen als jeder anderen Methode. Die Zwischenergebnisse der laufenden Studie sind vielversprechend.
Erfolgreiche Verhütung bei allen Test-Paaren
„Eigentlich sollten wir das ja noch gar nicht sagen, weil das unser Hauptergebnis ist – aber: Wir hatten bisher bei den Paaren keinerlei Schwangerschaften.“
82 von geplanten 200 Paaren, berichtet Blythe, hätten die Studie schon durchlaufen. Das Gel habe die Spermien der Männer in wenigen Wochen auf praktisch Null gesenkt – und danach hätten die Paare es ein Jahr lang als einziges Verhütungsmittel verwendet. Und die Nebenwirkungen?
„Manche Männer haben gar keine. Und wenn überhaupt, sind es meist milde Nebenwirkungen.“
Nachtschweiß beispielsweise, Akne oder Gewichtszunahme. Nebenwirkungen auf die Psyche allerdings, sagt Blythe, seien gerade schwer zu bestimmen. Denn: Wenn einer mal ein Stimmungstief hatte – lag das dann am neuen Verhütungsgel oder an den Pandemie-Belastungen?
Partner in der Pharmaindustrie gesucht
Dass Blythe so unüblich offen über Zwischenergebnisse einer laufenden Studie spricht, hat Gründe. Auch strategische.
„Erstens sind wir selbst so begeistert davon. Und zweitens ist das so wichtig, damit wir die Partner finden, die wir brauchen. Wichtiger als eine wissenschaftliche Publikation ist uns nämlich, tatsächlich ein Produkt auf den Markt zu bringen. Und dafür werden wir die Pharmaindustrie als Partner brauchen.“
Und zwar deshalb, weil es für Zulassungsanträge in den USA und in Europa Daten aus einer so genannte Phase3-Studie brauchen wird. Die wird noch größer und teurer werden – und dafür fehlt das Budget bei den bisherigen Geldgebern, Diana Blythe’s Institut und der Nichtregierungsorganisation Population Council.
Die Chancen auf einen Pharmapartner stünden aber gut, sagt Blythe – denn das Interesse der Branche an dem Verhütungsgel wachse inzwischen.
„Wenn Sie mich fragen, wann Gel frühestens zugelassen sein könnte – dann würde ich sagen: wahrscheinlich in acht Jahren.“
Auch an hormonfreien Verhütungsmitteln wird seit Jahren gearbeitet. An vorübergehenden Samenleiter-Verschlüssen etwa oder an Spezial-Slips, die die Spermienproduktion durch Wärme unterbinden. Aber: Auch solche Produkte sind noch Jahre von einer Marktzulassung entfernt.