Verkauf landeseigener Wohnungen

Mietenpolitischer Super-GAU in München

Verschiedenfarbige Wohnhäuser im Stadtteil "Altstadt Lehel" in München vor dem blauen Himmel mit leichten Wolken, aufgenommen 2015
9000 GBW-Wohnungen verkaufte der Freistaat alleine in München an ominöse Investoren. © picture alliance/dpa/Matthias Balk
Von Tobias Krone |
Weil sich die Bayerische Landesbank in der Finanzkrise verspekuliert hatte, verkaufte der damalige Finanzminister Markus Söder landeseigene Wohnungen an den Meistbietenden. Die Folgen für die Mieter sind katastrophal.
Ein kalter Herbstabend. Ein schmuckloser Wohnungs-Neubau im Münchner Westen. Im kleinen Wohnzimmer von Lieselotte Sterr sprießen die Seidenblumen – flackert gemütlich eine Duftkerze.
"Ich habe ein Wohnzimmer, ich habe ein kleines Schlafzimmer, ich habe ein Duschbad und einen kleinen Flur. Ich fühle mich hier sehr wohl, weil ich es nach meinem Gutdünken und Belieben gerichtet habe. Ich bin glücklich eigentlich in meiner Wohnung."
Man sollte sich von der Gemütlichkeit der Szenerie nicht blenden lassen – auch nicht von der aufrechten Haltung der 79-Jährigen. Lieselotte Sterr hat in den vergangenen Jahren viel aufgeben müssen:
"Als ich die Erhöhung bekommen habe, habe ich meinen Johanniterbund gekündigt und meine Zeitung, weil ich mir das nicht mehr leisten konnte."
Ihr Vermieter hat aufgeschlagen. Schon mehrmals.
"Die letzte war 73 Euro. Ich bin eingezogen mit 9 Euro pro Quadratmeter und jetzt zahle ich über 13."

Gut die Hälfte der Rente geht drauf für die Miete

Von ihren 1400 Euro Rente gehen mittlerweile gut die Hälfte für die Miete drauf, Nachzahlungen muss sie in Raten abstottern. Der Vermieter ist die Gemeinnützige Bayerische Wohnungsbaugesellschaft kurz GBW. Die Gemeinnützigkeit ist Geschichte. Bis 2013 gehörte sie der Bayerischen Landesbank, also dem Freistaat Bayern.
Banner mit Logo und dem Claim "Hier bin ich zu Hause" der Gemeinnützigen Bayerischen Wohnungsbaugesellschaft, kurz GBW, aufgenommen 2018
Die Gemeinnützigkeit trägt die GBW nur noch im Namen.© imago/ZUMA Press
Doch weil die sich in der Finanzkrise verspekuliert hatte, verkaufte der damalige Finanzminister Markus Söder die Wohnungen. Rund 33.000 in Bayern, 9000 alleine in München gingen an den Meistbietenden – an ominöse Investoren, die teilweise in Luxemburg und den Niederlanden sitzen – und so gut wie nicht bekannt sind. Doppelt hart für Lieselotte Sterr, die früher selbst als Telefonistin bei der Landesbank gearbeitet hat.
"Ich habe nie gedacht, dass das verkauft wird. Ich habe mir gesagt: Vielen Dank, Herr Söder und Herr Seehofer, dass Sie uns verkauft haben. Ich, wenn ihn sehen würde, ich weiß nicht, was ich sagen würde. Ich glaube, sehr höflich wäre ich nicht. Ich bin eine Münchnerin."

Hören Sie auch den Rundgang mit der Stadtgeografin Yvonne Franz durch den 15. Bezirk in Wien – die Stadt gilt als Vorbild für billigen Wohnraum in Metropolen:
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Verraten fühlen sich so einige. Solange die GBW staatlich war, erhöhte sie ihre Mieten moderat. Nun holt sie deutlich mehr raus. Auf Anfrage teilt die GBW mit, sie bleibe bei ihren Mieterhöhungen deutlich unter dem, was gesetzlich möglich wäre. Doch der Geschäftsführer des Münchner Mietervereins, Volker Rastätter, hat nur die Münchner GBW-Wohnungen im Blick. Und bei denen seien die Mieten stark angestiegen.
"Da gibt es ja diese 15-Prozent-Grenze, also man kann nicht mehr in drei Jahren… wenn das irgendwo noch nicht rechnerisch geklappt hat, wird es auf jeden Fall durchgezogen. Es ist halt jetzt kein sozialer Vermieter mehr, sondern das sind Leute, beziehungsweise Organisationen oder Institutionen, die möglichst viel Kapital rausschlagen wollen. Deswegen haben sie auch dieses Geld investiert."

Eine Hausgemeinschaft wehrte sich gegen die Mieterhöhungen

Auch junge Familien leiden unter den Mieterhöhungen. Wie die Kita-Erzieherin Eva Peralta, die mit ihrem acht Jahre alten Sohn in einer hellen modernen 60-Quadratmeter-Wohnung lebt. Eine GBW-Wohnung, bedeutete vor dem Verkauf, damals vor acht Jahren noch großes Glück.
"Ich war schwanger, der Vater meines Sohnes war zu dem Zeitpunkt arbeitslos und so haben wir schnell auch den Berechtigungsschein bekommen. Und dann haben wir uns wahnsinnig gefreut, weil das auch eine Neubauwohnung war, liegt in Schwabing: da denkt man sich: Wow, so ein Glück! Echt tolle Wohnung mit einem kleinen Garten sogar. Und als dann halt die erste Mieterhöhung kam, hat man sich gedacht: Um Gottes Willen, was passiert denn jetzt hier?"
Eva Peralta wollte sich das nicht gefallen lassen und trommelte gemeinsam mit einer Nachbarin die Hausgemeinschaft zusammen.
"Letztendlich hat es dann da seinen Anfang genommen, dass wir uns mit 60 Leuten in der Tiefgarage getroffen haben und da eine Mietergemeinschaft gegründet haben. Aber es gab auch viele, die einfach dann diese Erhöhungen unterschrieben haben, viele hatten dann Angst gekündigt zu werden, wenn man das nicht unterschreibt. Oder gedacht, man hat eh keine Chance."

"Eine sozialpolitische Fehlleistung ersten Ranges"

Immerhin: Mit 45 Euro fiel die Mietererhöhung nur halb so hoch aus wie ursprünglich vorgesehen. Doch die neuen Besitzer ließen nicht locker. Inzwischen zahlt Eva Peralta, abzüglich ihrer Förderung, 680 Euro Miete, 170 Euro mehr als 2011. Viel Geld bei einem Nettolohn von 1600 Euro, den sie in der Kita verdient.
"Ich möchte ja auch nicht nur arbeiten, um zu wohnen. Ich möchte ja vielleicht auch mal mit meinem Sohn was unternehmen, was auch mal Geld kostet: in ein Museum oder schwimmen gehen. Oder ich möchte auch vielleicht einmal im Jahr im Urlaub fahren können. Ich finde, das steht einem zu, wenn man arbeitet. Und das ist in Zukunft einfach nicht mehr drin, das zeichnet sich langsam ab."
Kitas in München finden keine Betreuer mehr – Krankenhäuser arbeiten teilweise nur noch mit halber Kapazität, auch weil Erzieher und Pflegekräfte keine bezahlbare Wohnung mehr finden. Eva Peralta und der Mieterverein machen dafür auch die Mietpolitik der GBW verantwortlich. Das Urteil von Mieterschützer Volker Rastätter über Söders Verkauf der Wohnungen fällt verheerend aus.
"Das war wohl eine der größten mieterpolitischen GAUs, die der Freistaat seit Bestehen produziert hat. Dass er plötzlich 33.000 Mieter, insbesondere hier die 9000 Mieterhaushalte in München einfach – ja, dem freien Markt preisgegeben hat. Jeder wusste was passiert. Das muss man einfach sehen, dass das eine sozialpolitische Fehlleistung ersten Ranges war."
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