Verkehrsexperte: Vernetzung ist das Schlagwort der Zukunft

Stephan Rammler im Gespräch mit Susanne Führer |
Aus ökologischen und aus ökonomischen Gründen sieht Stephan Rammler vom Institut für Transportation Design in Braunschweig keine Zukunft für den Individualverkehr. Stattdessen setzt er auf eine Vernetzung verschiedener Verkehrsmittel. Junge Menschen gingen diesen Weg bereits.
Susanne Führer: "Werden wir die Erde retten?" - So heißt eine Veranstaltungsreihe der Kulturstiftung des Bundes in Zusammenarbeit mit dem Suhrkamp-Verlag, Deutschlandradio Kultur ist Medienpartner. Heute Abend geht es in dieser Reihe im Hygienemuseum in Dresden um das Thema "Die Zukunft der Mobilität", Untertitel: "Nach dem Auto". Eigentlich sollte Professor Stephan Rammler da auf dem Podium sitzen, er leitet das Institut für Transportation Design an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Leider hat er sich verletzt, kann nicht nach Dresden reisen, hat ein Transportproblem, aber kann mit uns telefonieren. Guten Tag, Herr Rammler!

Stephan Rammler: Hallo!

Führer: Die Kritik am Auto, Herr Rammler, die gibt es ja nun schon seit Jahrzehnten. Die häufigsten Stichworte sind die Umweltverschmutzung, die Verschandelung der Städte, die Verkehrstoten. Warum meinen Sie, wir bräuchten ein Leben nach dem Auto?

Rammler: Lassen Sie mich noch mal erklären, wie ich zu diesen Aussagen komme, dieser radikalen Aussage, wir brauchen eine Alternative. Ich sage ja nichts, was wir nicht schon alle wissen könnten. Ich zitiere ja auch nichts anderes sozusagen als das, was wir auch politisch schon längst entschieden haben, beispielsweise das Reduktionsziel, das CO2-Reduktionsziel, 90 Prozent bis 2050, also die Stabilisierung der Zwei-Grad-Marke.

Wenn wir das erreichen wollen, müssen wir eine Dekarbonisierung aller Abläufe unserer Gesellschaft um 90 Prozent, das heißt, wir müssen um 90 Prozent auf jegliche Form von fossilen Energien verzichten. Ob es nun Kohle ist, ob es Erdöl ist und so weiter. Allein da schon ergibt sich ein ganz drastisches Szenario draus, dass man diese Art von Massenmotorisierung nicht mehr wird durchhalten können. Das ist sozusagen die Antwort, warum wir aus ökologischer Perspektive uns das nicht mehr leisten sollten oder dürften.

Wir können uns aber das gar nicht wahrscheinlich mehr leisten aus einer ökonomischen Perspektive, weil die Ressourcenpreise steigen, weil wir es zunehmend mit einer Volatilität, sagen die Fachleute, mit einer Verletzbarkeit der Ölpreisentwicklung zu tun haben in Zukunft. Das heißt, wir werden es uns aus ökonomischer Perspektive als Gesellschaft in absehbarer Zeit gar nicht mehr leisten können, 23 Stunden von 24 Stunden am Tag eine gigantische, teure Fahrtzeugflotte rumstehen zu lassen. Deswegen komme ich zu der Auffassung, wir brauchen Alternativen.

Führer: Weil das Auto nur eine Stunde am Tag tatsächlich bewegt wird, meinen Sie ...

Rammler: ... in der Tat, das sagen die Städte, deswegen.

Führer: Das Argument höre ich häufig, aber da frage ich mich immer: Wissen Sie, meine Dusche ist auch nicht den ganzen Tag in Gebrauch. Sollen wir jetzt Gemeinschaftsduschen im Keller einführen oder ... Also, das Argument finde ich so wenig stichhaltig, meine Wohnung ist jetzt auch gerade leer, wenn ich hier im Studio sitze.

Rammler: Ja, das ist in der Tat sehr stichhaltig, weil wir, ich glaube, als eine der großen sozialen Strategien der Zukunft, ob es nun die Mobilität ist oder andere von Produkten, die wir nutzen, darüber nachdenken werden müssen, sie gemeinschaftlich zu nutzen. Wir können da noch sehr viel kreative Energie reinstecken, Dinge zu überlegen. Das muss jetzt nicht der Sozialismus, aber wie über Dinge wie Kühlschränke, wie andere, teure Produkte, die sehr aufwendig produziert werden, gemeinschaftlich nutzen. Andere Kulturen machen das seit vielen Jahrzehnten, wir haben das früher auch getan, auf der Basis ...

Führer: ... welche meinen Sie jetzt? ...

Rammler: ... ja, beispielsweise die Kulturen, die jetzt in den Regionen der nachholenden Moderne sind, also Indien, China und so weiter. Das ist sozusagen ein Niveau von Lebensqualität, was wir überwunden haben, aber ich glaube, mit einer Mischung aus Technologie, aus neuen Leitbildern, aus einem neuen Design werden wir Nutzungsinnovationen schaffen können, die sehr angenehm zu gebrauchen sind. Und wir müssen dann uns nicht mehr mit der Last des vielen Besitzes herumschlagen und die teuren Erhaltungskosten tragen und so weiter. Also, der Trend geht hin zur Nutzungsinnovation.

Führer: Kommen wir mal zurück zu Ihrem ökologischen Argument und bleiben wir jetzt mal beim Auto, Herr Rammler. Sie haben gesagt, das Erdöl geht uns aus, der CO2-Ausstoß, Klimawandel und so weiter, ist bekannt. Wenn es uns jetzt gelänge, also, Autos, sagen wir mal, mit Wasserstoff anzutreiben oder mit Sonnenenergie, wäre dann das Problem für Sie gelöst?

Rammler: Das habe ich lange selber geglaubt und ich glaube, einen Teil des Problems haben wir in der Tat gelöst. Was dann immer noch bleibt - und das ist eine Debatte, die wir in der Mobilitätsforschung noch viel zu wenig führen, auch in der Mobilitätspolitik -, ist das reine Ressourcenproblem. Das heißt, moderne Produkte wie das Auto, Hochtechnologieprodukte wie das Auto haben einen sehr, sehr großen, die Fachleute sagen ökologischen Rucksack.

Das heißt, bevor das Auto überhaupt auf der Straße fährt und steht und benutzt wird, vielleicht auch sehr effizient und sparsam genutzt wird, muss unheimlich viel Energie reingesteckt werden, um dieses Produkt überhaupt herzustellen. Das heißt, es müssen Erze bewegt werden, geschürft werden, die müssen transportiert werden. Je hochtechnologischer ein Produkt ist, desto mehr seltene Erden beispielsweise, seltene Produkte, teure Erze stecken da drin, die sehr aufwendig zu produzieren sind.

Das heißt, wenn wir jetzt beispielsweise davon ausgehen, ein Wasserstoffbrennstoffauto zu bauen oder ein Elektroauto, und das in demselben Maß von Massenmotorisierung, wie wir es jetzt heute haben, das heißt, wir lassen alles so, wie es ist, das Anspruchsniveau, und wir ersetzen uns dann jeden Verbrennungsmotor durch einen Wasserstoffmotor oder einen Elektromotor, dann haben wir allein schon von der Menge her ein enormes Ressourcenproblem, was wir nicht werden darstellen können jenseits der reinen Frage der Energie, die wir da reinstecken.

Führer: Professor Stephan Rammler aus Braunschweig plädiert für das Ende des Individualverkehrs. Was wäre denn die Alternative, Herr Rammler? Kommen wir ganz ohne Autos aus?

Rammler: Ganz ohne Autos nicht, aber die Alternative ist in der Tat das Vernetzen. Also, wir haben nicht nur eine Alternative, sondern wir haben viele Alternativen. Wir haben viele gute Verkehrsmittel, ob es nun das Fahrrad ist, das Auto selber, ob es Segways sind, neue sozusagen Produkte, die gerade erfunden werden ...

Führer: ... was ist das?

Rammler: Segway, das ist ein sozusagen mikroelektronisch ausgesteuertes Gerät, ich stehe auf einer Plattform zwischen zwei Rädern, das wird elektromotorisch angetrieben, ich kann das sehr intuitiv steuern, also, ich brauche nicht mal zwei, drei Minuten, um zu lernen, wie das Ding fährt. Und das ist ein Fahrzeug, was ich hervorragend im innerstädtischen Bereich benutzen kann beispielsweise. Und wenn ich jetzt davon ausgehe, ich habe so was wie Elektrofahrräder, ich habe Segways, ich habe andere kleine, smarte Mikromobilitätsprodukte, wie die Fachleute sagen, und ich die vernetze ...

Führer: ... ja, da darf es natürlich nicht schütten wie aus Eimern und auch nicht minus zehn Grad kalt sein ...

Rammler: ... nein, das ist nicht wahr, diese Fahrzeuge kann ich natürlich auch abschotten, die kann ich auch abschotten, die kann ich auch so bauen, dass ich nicht nass werde, die kann ich auch so gestalten, dass ich warm habe. Der Gedanke, der dahinter steht ...

Führer: ... also, das ist ja sozusagen ein Downsizing, was Sie da verlangen ...

Rammler: ... ja, ich bin noch nicht zu Ende mit dem Gedanken ...

Führer: ... ach so, Entschuldigung ...

Rammler: ... sondern wir brauchen ja sozusagen, ich sprach von einer Vernetzung. Und das ist das große Schlagwort der Zukunft.

Führer: Ja.

Rammler: Nutzungsinnovation im Sinne von Vernetzung und vernetzen werden wir dann die kollektiven Verkehrsmittel, die öffentlichen Verkehrsmittel. Und das ist nicht der muffige Behördenverkehr der vergangenen 30 Jahre, über den ich spreche, sondern auch da sind enorme Innovationsspielräume möglich, den so fit zu machen und so modern zu machen, dass wir uns da sehr wohl drin fühlen. In München wird so was vorgemacht, in anderen großen Ballungsräumen, in Tokio wird so was auch vorgemacht, also eine hohe Taktfrequenz, hohe, gute technologische Ausstattung, das Ganze verknüpft mit am Ende oder am Anfang der Fahrt - die Fachleute sprechen von der ersten oder letzten Meile, ich muss ja zur Station des öffentlichen Verkehrs hinkommen oder wieder zurückkommen -, das verknüpfen beispielsweise mit Carsharing-Autos, mit Elektrofahrzeugen, mit Elektrofahrrädern, mit Segways. Also, wir sprechen von der Multimodalität oder der Intermodalität, der vernetzten Mobilität: Ich nutze viele Verkehrsmittel auf meinem Weg zur Arbeit oder zur Freizeitaktivität und nicht nur eines.

Führer: Das klingt trotzdem erst mal mühsam. Das Problem mit dem Individualverkehr ist ja, dass der für uns - also, abgesehen davon, wenn wir allgemein diskutieren, aber jetzt, für mich jetzt persönlich, ja, ich kleines Verbraucherschwein - natürlich ganz attraktiv ist. Also, ich nehme mein Auto, wann ich will, fahre dahin, wohin ich will, wann, mit wem ich will, ich kann Deutschlandradio Kultur oder auch was ganz anderes hören, ich kann rauchen, essen, trinken, ich kann meinen Müll im Auto liegen lassen ... Also, das ist so diese Geschichte der Freiheit, die so damit verbunden ist. Und was Sie sagen - und dann umsteigen und umsteigen und über Verzicht -, klingt ja immer wenig sexy. Ich habe Sie eingangs zitiert mit dem Satz: "Mobilität beginnt im Kopf". Also denke ich, die Frage muss doch sein: Wie schaffe ich es, das, was Sie jetzt vorgestellt haben - also davon den Geruch zu nehmen, oh Gott, ist das anstrengend, muss ich vom Segway aufs Fahrrad in die U-Bahn auf den Bus umsteigen -, wie wollen Sie das attraktiv machen in der Fantasie zumindest erst mal?

Rammler: Indem ich genau das unterlasse, was Sie gerade ja, glaube ich, ganz bewusst aus Provokation heraus auch getan haben: Sie haben es in eine negative Richtung zugespitzt. Man genau das Gegenteil tun, man kann Geschichten erzählen, die das, was ich gerade beschrieben habe - vielleicht in der Kürze der Zeit nicht ganz so prägnant, wie ich das in Vorträgen machen würde -, beschreiben würde als etwas, was einen Vorteil bringt, was attraktiv ist, was Spaß macht.

Also, es heißt nicht unbedingt, dass Umsteigen, das Pferd wechseln und so weiter, unattraktiv ist. Wenn wir uns die Ballungszentren angucken - London, Tokio, New York, auch Berlin -, dann sind die Besitzzahlen des privaten Autos dort sehr gering und die Leute tun da tatsächlich das, was wir so mühsam finden, und die tun es auch gerne: Sie nutzen den öffentlichen Verkehr, und zwar massenhaft. Wir haben in Berlin eine Motorisierungsrate von 60 Prozent, das heißt, 40 Prozent aller Leute haben gar kein Auto und die fühlen sich wohl.

Wir haben bei den jungen Menschen zunehmende Trendveränderung, das heißt, junge Menschen verzichten zunehmend darauf, ein eigenes Auto sich anzuschaffen oder Führerschein zu machen, weil sie sehr gut mit dieser Form von intermodaler Mobilität zurechtkommen und das auch wollen. Die setzen sozusagen für ihren symbolischen Konsum - also das Angeben mit dem Auto, das Zum-Ausdruck-Bringen, wer ich bin, was ich erreicht habe -, setzen sie eher auf die Hightechnologieprodukte der Informationstechnik ...

Führer: ... von Apple ...

Rammler: ... ja, zum Beispiel. Das heißt, also ist immer die Frage, wie ich die Geschichte erzähle. Wenn ich sie negativ erzähle, kann ich das hervorragend tun. Natürlich hat das Auto Vorteile, aber auch das andere hat viele Vorteile. Ich bin zum Beispiel nicht mehr verantwortlich für das Fahren, ich kann mich fahren lassen. Ich kann andere Dinge tun während des Fahrens mit dem öffentlichen Verkehr, ich kann arbeiten beispielsweise. Und die zunehmende Verknüpfung von modernen Kommunikationsmedien und dem Gefahrenwerden ist ja das Attraktive.

Wenn Sie sich anschauen, wie viele Leute im öffentlichen Verkehr schon mit der Arbeit beginnen oder Freizeitdinge tun, noch bevor sie mit der Arbeit beginnen, vieles erledigen auch noch sozusagen on trip, dann können Sie das im Auto beispielsweise nicht. Wenn wir jetzt dahin gehen, den öffentlichen Verkehr noch in der Hinsicht zu modernisieren, dass wir ein bisschen mehr Privatheit haben möglicherweise, dass wir ein bisschen mehr - vielleicht auch, wenn wir das wollen, viele wollen das ja gar nicht - uns abschotten können möglicherweise, dann haben wir viel gewonnen, dann können wir die Bahn und den öffentlichen Verkehr in den Städten so attraktiv machen, dass das sehr wohl ein Vorteil ist und von Menschen auch als Vorteil empfunden wird.

Führer: Sagt der Soziologe Stephan Rammler. An der Hochschule der Künste in Braunschweig leitet er das Institut für Transportation Design. Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch, Herr Rammler ...

Rammler: ... bitte schön! ...

Führer: ... und wollte, ich wollte noch auf unsere Debatte hinweisen: In einer halben Stunde können wir über die Frage diskutieren, können Sie sich ein Leben ohne Autos vorstellen?

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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