Wie Elterntaxis Kinder gefährden
Eltern, die ihre Sprösslinge mit dem Auto zur Schule bringen und dabei andere Kinder auf dem Fußweg bedrängen: Sogenannte Elterntaxis sind der Horror für Schulleiter, Verkehrsplaner - und eben auch Kinder. Nicht einmal Polizeikontrollen helfen.
Um kurz nach sieben ist es noch finster in Mainz-Finthen, kein Grundschüler, kein Elterntaxi vor der alten Backsteinschule in Sicht. Polizisten bringen ein Blitzgerät in Stellung. Interessiert schaut Luca, wie sie die Verkehrskontrolle vorbereiten. Der Zehnjährige ist auf dem Weg zur Realschule im angrenzenden Stadtteil.
Zu Fuß zu gehen – für Luca selbstverständlich, "seitdem ich sechs bin. Sehr gut, man wird wach." Nur ganz am Anfang waren die Eltern dabei. "Sie sind immer ein Stück mit mir gegangen, und dann durfte ich irgendwann allein gehen."
"Die sind ganz schnell über den Bürgersteig gefahren"
Damals jagten ihm manche Eltern Angst ein, erinnert sich der Fünftklässler: "Die sind ganz schnell hier gefahren und sind auch manchmal ganz schnell über die Straße gefahren - über den Bürgersteig. Viele Kinder mussten an die Wand gehen, die Autofahrer sind manchmal bis hierhergekommen." Luca zeigt auf die Mitte des schmalen Bürgersteigs. Von der Verkehrskontrolle hofft er mit Blick auf die Rowdies, "dass sie dann erwischt werden und dass sie dann auch langsamer fahren, denn hier laufen auch Sechsjährige."
Eine davon: Elisabeth Augustin. Zu Fuß zur Schule zu gehen, findet die Erstklässlerin "schön, weil das angenehm ist, die frische Luft – mit anderen Kindern zu laufen und die frische Luft."
"Ich mag daran, dass man die Wolken sieht", sagt Abdul. Außerdem gibt es für den Achtjährigen auf dem Schulweg viel zu entdecken: "Wenn man zum Beispiel was wissen will, da achtet man, dann geht man wieder nach Hause und fragt, was das ist."
Kinder, die zu Fuß gehen, sind schneller selbstständig
Die Umgebung erforschen, mit Gleichaltrigen schwatzen und lachen, – all das entgeht Kindern, die auf dem Autorücksitz bis vor die Schule chauffiert werden. Wer sich vor dem Unterricht bewegt, ist ausgeglichener und konzentrierter, beobachten Wissenschaftler. Wer wie Abdul schon früh einen längeren Schulweg bewältigt, wird schneller eigenständig.
"Ich gehe als erstes mit dem Bus, dann komme ich einfach so gelaufen. Mein Bruder ist zuerst mit mir gekommen, dann hat er gesehen, dass ich das geschafft habe, dann hat er gesagt: 'Du kannst jetzt alleine gehen'."
Kleine Fußgänger gewinnen vor allem, so Anna Augustin, Mutter der sechsjährigen Elisabeth, "eine Selbständigkeit, denke ich."
Eine Verwarnung für ein gefährliches Manöver
In diesem Moment lenkt ein Vater seinen Pkw über die Gegenfahrbahn direkt auf den Bürgersteig - und rollt beängstigend dicht an die Kinder heran, die genau dort entlang laufen. Einer der Polizisten sprintet hin, erteilt eine Verwarnung für das gefährliche Manöver. Äußern will sich der Fahrer mit der Zigarette im Mund nicht. Seine Kinder sind schon vom Rücksitz gerutscht und Richtung Schultor geeilt.
Die Mainzer Verkehrsdezernentin Katrin Eder von den Grünen fragt rhetorisch: "Wie dreist kann man eigentlich sein?!"
Anna Augustin schüttelt den Kopf. Die junge Mutter ärgert sich über Eltern, die so rücksichtlos fahren. Schulleitung, Elternbeirat, Polizei und Verkehrsdezernentin werben einhellig dafür, die Kinder zu Fuß zur Schule gehen zu lassen.
"Es gibt Elternbriefe und Hinweise und immer wieder solche Aktionen dann auch, aber - fruchtet leider nicht sehr."
Parken im Halteverbot - trotz Kontrollen
Im vergangenen Jahr kontrollierte die Polizei 40 Mal an dieser Mainzer Grundschule. Die Beamten weisen dann stets auf die Hol- und Bringzone 200 Meter vor der Schule hin. Die Mutter, die soeben ihren Sechsjährigen vorfährt, ignoriert die Zone, parkt weiter vorn im Halteverbot und kassiert einen Rüffel. Warum lässt sie ihren Sohn nicht zu Fuß zur Schule gehen?
"Man hört schlimme Sachen in den Nachrichten, deshalb mach' ich das nicht: Ja, jemand entführt ihn oder er weiß den Weg nicht mehr oder sonst irgendwas. Man weiß, nie was passiert – es gibt schlimme Leute hier auch in Deutschland."
Daniela Fügen arbeitet als Polizistin in der Jugendverkehrsschule und kontert: "Kinder sind stark, und wenn Situationen, die ihnen unheimlich sind oder Bauchschmerzen verursachen, kommen, dann bringen wir ihnen bei, dementsprechend zu handeln. Das heißt, sie müssen dazu erzogen werden, ein gesundes Selbstbewusstsein zu haben, und zu sagen, was sie wollen und was sie nicht wollen. Das macht Kinder fürs Alter noch reifer. Sie wachsen über sich hinaus, wenn sie merken, ich werde gehört. Und das muss den Kindern klargemacht werden, dass sie in Situationen auf sich aufmerksam machen und sagen: 'Nein, stopp, hier nicht'."
Keine Gnade für Last-Minute-Eltern
Niko Becker fährt seine Tochter noch zur Schule, aber nicht mehr lange: "Nächste Klasse, dritte Klasse muss sie gehen, aber zweite, haben wir gesagt, bringen wir sie noch."
Allerdings nie bis vors Schultor. "Ich park' dann immer drei Straßen weiter. Man sieht ja immer …" Becker schaut die Straße hinunter ins Gewirr der Autoscheinwerfer: "... die kommen da vorwärts und rückwärts, und sie parken hier, und: muss ja nicht sein."
Muss nicht sein, wenn man nur ein paar Minuten mehr Zeit einplant. Aber jetzt ist es fast acht. Und die Mutter mit zwei Kids im roten Kleinwagen ignoriert wohl deshalb das Polizeiaufgebot, stoppt verbotenerweise direkt vorm Schultor, will ihre beiden Kinder rauslassen. Daniela Fügen schreitet ein, durchs runtergekurbelte Fenster erteilt die resolute Polizistin der Fahrerin eine Lektion.
"Ich bitte Sie, sich jetzt wieder anzuschnallen, die Kinder schnallen sich bitte auch wieder an. Tut mir leid, dann seid ihr heute zu spät, dann müsst ihr das nächste Mal früher aufstehen. Aber parken Sie bitte dort, wo es erlaubt ist, und wo Sie auch nicht andere Kinder, die zu Fuß gehen, gefährden durch Ihr Parkverhalten."
Trotz der Einsicht hofft die Mutter weiter auf eine Ausnahme, will ihre Kinder noch schnell vom Rücksitz schubsen. Da allerdings beißt sie auf Granit: Daniela Fügen kennt keine Gnade für Last-Minute-Eltern, die eigene und andere Kinder mit ihrer Hektik gefährden. "Befreien Sie Ihr Kind, lassen Sie es laufen", rät die Polizistin. Wenigstens von der Haltezone aus.