Verkehrswende

Die "Tanke" – ein Auslaufmodell?

31:20 Minuten
Vor einer Tankstelle steht ein beigebrauner Käfer Cabrio, auf der Beifahrerseite steigt gerade eine junge Frau ein. Aufnahme von 1958.
An der Tankstelle nahm das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit sprichwörtlich Fahrt auf. © akg-images / Dodenhoff
Von Richard A. Fuchs |
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24-Stunden-Shop, Bühne für motorisierte Männerträume und Anlaufstelle für Nachtgestalten: Schon immer waren Tankstellen mehr als nur ein Ort zum Benzinzapfen. Doch was wird aus ihnen, wenn die Verkehrswende kommt?
1888. Bertha Benz macht die erste Fernfahrt mit einem Automobil.
Auf den Feldern an der Strecke: Bauernfamilien, denen das knatternde, selbstfahrende Ungetüm Angst einflößt. Reines Hexenwerk.
Auftaktszene im Imagefilm des Autokonzerns Daimler. Eine werbewirksame Hommage an die mutige Testfahrerin und Erinnerung an den Moment, an dem zum ersten Mal der Kraftstoff ausging. Im Film gleicht dieser Augenblick einem regelrechten Massenauflauf. Samt offenem Hass, ungläubigem Staunen, naivem Kichern. Bertha Benz bleibt unbeirrt. Findet, was sie sucht, beim Apotheker: den Kraftstoff Ligroin.
Und füllt Fläschchen für Fläschchen einige Liter Leichtbenzin in den Tank. Der Motor springt wieder an.

Die erste Tankstelle der Welt: eine Apotheke in Wiesloch

Ein Besuch bei der Stadtapotheke in Wiesloch, 132 Jahre nachdem die berühmte Besucherin hier ihren ersten Tankstopp einlegte.
"Mein Name ist Adolf Suchy. Ich bin seit über 35 Jahren hier Tankwart an der ersten Tankstelle der Welt."
Adolf Suchy leitet das kleine Museum in der historischen Apotheke ehrenamtlich. Als Oldtimer-Fan, der den Motor eines funktionstüchtigen Benz-Dreirads ab und an wieder anwirft, und als Chronist des ersten öffentlichen Tankstopps mit dem Benz-Motorwagen.
"Wir müssen davon ausgehen, dass er auf 100 Kilometer vielleicht 10 bis 12 Liter gebraucht hat, wenn es der passende Treibstoff war", erklärt Suchy. "Es musste ein leicht flüchtiger Treibstoff sein, weil die damalige Vergaservorrichtung an dem Wagen leicht flüchtige, leicht verdampfbare benzinartige Kraftstoffe erforderte. Ein solcher Kraftstoff war Ligroin gewesen, eben das, was man in der Apotheke verwendet hat, als Lösungsmittel für Fette, für Teer, zur Pflasterbereitung und dergleichen."
Stationäre Motoren waren schon zehn Jahre zuvor mit einem ähnlichen Gemisch, dem sogenannten Leuchtgas, betrieben worden.
"Die Innovation für die Automobilität mit Verbrennungsmotoren lag ja darin, dass man ein Äquivalent für Leuchtgas hatte in diesem Ligroin, was leicht zu transportieren war, was einen hohen Energieinhalt hatte, was bei richtiger Behandlung auch recht gefahrlos zu transportieren war. Das war letztlich die Innovation für die Mobilität."
In einer Apotheke stehen braune Arzneiflaschen, eine mit der Aufschrift "Ligroin".
... und der erste Treibstoff: Ligroin aus der Wieslocher Apotheke.© Richard Fuchs
Und was in Wiesloch mit einer einzigen Tankfüllung begann, wurde im Laufe der letzten 132 Jahre ein Multimilliarden-Geschäft: mit globalen Mineralöl-Konzernen wie Shell, BP, ExxonMobil & Co, die von der Ölpumpe über den Transport und das Raffinieren des Erdöls in höherwertige Kraftstoffe bis hin zum Verkauf an der Zapfsäule weltweite Netzwerke kontrollieren. 1917 eröffnete "Standard Oil of Indiana" in Amerika eine Treibstoffausgabestelle mit Preistafel, Kassenhäuschen und Wetterschutz-Dach: der Prototyp der heutigen Tankstelle. In Deutschland machte die erste moderne Tankstelle 1922 in Hannover auf. Lange blieb das eigene Auto jedoch Luxusgut, was Autos begehrt, und Tankstellen zu Sehnsuchtsorten machte. Und die Werbung knüpft an diese Wünsche an.
"Man müsste … motorisiert sein. Um mit dem Tempo unserer Zeit Schritt halten zu können. Denn jeder, der Erfolg haben will, hat es eilig … und ein Auto."

"Tränke dein Pferd selbst"

An der Tankstelle nahm dann auch das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit Fahrt auf.
"Guten Morgen. Guten Morgen. Darf ich volltanken? Jawohl. Esso Extra. Packen Sie mir mal den Tiger in den Tank."
Und in den frühen 70er-Jahren hielt die Automatisierung beim Zapfen Einzug:
"Eine gute, alte Reiterregel: tränke dein Pferd selbst. Heute in der Zeit der Motorpferde heißt das: Selbsttanken bei Aral. Technische Neuerungen machen daraus ein Vergnügen. Greifen Sie selbst zur Zapfpistole. Sie ist klein, leicht und handlich. Hängt einfach am Haken."
Ohne Tankwart gab es den Sprit etwas preiswerter, was das langsame Sterben des Berufs begünstigte. In den 1980er- Jahren wurde die Tankstelle zusehends der Ort, an dem hungrige Automobilisten versorgt und verwöhnt werden sollten. In Shops, Bistros, Drive-In-Lokalitäten und Supermärkten. Tankstellen wurden Kneipenersatz, erste Anlaufstelle in der Freizeit, Bühne motorisierter Männerträume.
Andreas Knie, heute Forscher für digitale Mobilität, erinnert sich:
"Tankstellen war zu meiner Zeit Aufenthaltsstellen. Man trieb sich an der Tankstelle rum, um zu gucken, welche neuen Autos es gibt, also der Geruch von Benzin war wirklich das Parfüm für die Männer, kann man fast sagen. Da war die Tankstelle ein Lebensmittelpunkt des Dorfes. Jedes Dorf hatte mindestens eine Tankstelle. Die Jungens trafen sich da."
Und so waren Tankstellen nie einfach nur Tankstellen: Stets waren sie das Spiegelbild des Stellenwerts, den Auto und Mobilität in der Gesellschaft haben.
Was sich seit dem ersten Tankstopp vor 132 Jahren allerdings nie geändert hat: an Tankstellen wurden Verbrennungsmotoren betankt. Mit Kraftstoffen, die flüssig oder gasförmig sind, Erdölprodukte, die in großen Mengen transportier- und lagerbar sind. Wie seinerzeit in Miniaturform: das Ligroin.
Und bis heute hat die Institution Tankstelle das Monopol auf den Verkauf von Kraftstoff. Doch genau das könnte sich jetzt ändern.
"Die Idee der alten klassischen Tankstelle, mit dem Auto, was der Papi dann meistens fuhr, das ist eine Idee, die leider – oder einige würden auch sagen, Gott sei Dank – jetzt bald an ihr Ende kommt."
Für den Mobilitätsforscher Andreas Knie, der am Wissenschaftszentrum Berlin die Forschungsgruppe digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung leitet, ist es noch gar nicht lange her, dass über Tankstellen so gut wie nicht geredet wurde. Sie waren da – und sie haben ihren Zweck erfüllt. Am liebsten rund um die Uhr. Zwar gab es mal Zoff wegen der langen Öffnungszeiten der Tanke, weil andere Einzelhändler sich benachteiligt fühlten. Es gab Schmutzkampagnen von Bäckern, die vor vermeintlich ölverschmierten Brötchen warnten. Aber abgesehen davon war die Tankstelle medial und real ein Ort, an dem vor allem eins gemacht wurde: gezapft.
Mit dem Aufkommen der Klimadebatte und mit zaghaften ersten Anläufen hin zu einer Verkehrswende ändert sich das, sagt Andreas Knie. Und wenn ab 1.1.2021 auf EU-Ebene neue, schärfere Schadstoffgrenze für PKW und LKW eingeführt werden, hat das weitreichende Konsequenzen. Die angestrebten CO2-Flottengrenzwerte seien mit Verbrennungsmotoren kaum zu erreichen. Daraus folgert Andreas Knie, dass Verbrennerfahrzeuge praktisch kaum noch neu zugelassen werden. Sein Fazit: Elektromobilität wird den Automarkt der Zukunft bestimmen.
"Und dementsprechend wird auch die Versorgung dieser Fahrzeuge nicht mehr über das klassische Tankstellennetz, so wie wir es kennen, passieren, sondern diese Fahrzeuge sind Teil einer noch größeren Netzstruktur, wo man eben zu Hause, am Arbeitsplatz oder in Großflotten an bestimmten Punkten oder eben in öffentlichen Räumen tankt, immer noch mal ein bisschen. Damit wird die Tankstelle quasi völlig entzaubert, weil sie wird praktisch reduziert wird auf eine Steckdose."

Den Ausbildungsberuf Tankwart gibt es nicht mehr

Ein Tankstopp bei Barbara Toleikis. Seit 27 Jahren ist die gebürtige Unterfränkin selbstständige Tankstellenpächterin, derzeit bei einer der großen Farben, wie die internationalen Mineralöl-Konzerne genannt werden. Aktuell führt sie zwei Agip-Tankstellen, eine davon in Marktheidenfeld bei Aschaffenburg. Unweit der A3 Richtung Frankfurt am Main.
Fürs Gespräch mit dem Reporter greift die Chefin von 30 Mitarbeitern höchstpersönlich zur Zapfpistole. Während des Tankvorgangs erzählt Barbara Toleikis, dass bei ihr seit ein paar Jahren keine Tankwarte mehr im Einsatz sind, was sie persönlich schade findet.
Bis in die 2000er-Jahre wurden noch Tankwarte ausgebildet. In der Berufsschule allerdings schon zusammen mit den Auszubildenden für den Einzelhandel. Tankstellen heute: das sei längst viel mehr als zapfen, sagt Barbara Toleikis.
"Bei uns können Sie Autowaschen, Lottospielen, Tanken, wunderbare Backwaren kaufen, Hermes-Päckchen abgeben, frische Getränke kaufen, Eis, alles, was das Herz begehrt."
Hinter einer Auslage mit Backwaren stehen zwei Mitarbeiterinnen einer Tankstelle.
Ein Drittel des Umsatzes macht die Tankstellenpächterin (li.) mit dem Shop.© Richard Fuchs
Lange führte Barbara Toleikis sieben Stationen gleichzeitig – mit bis zu 140 Mitarbeitern. Dann verkleinerte sie sich, um wieder mehr Kontakt zu den Kunden zu haben. Das gibt ihr Kraft, fordert aber auch. Der Extremfall sind Überfälle, die an ihren Tankstellen bislang glimpflich ausgingen. Aber sie begegnet auch Skurrilem, erlebt Sachen, die nachdenklich machen:
"Es kommen nackige Leute reingelaufen, die halt gerade mal so kurz vor dem Durchdrehen sind, oder die, die mal gerade ihre Bühne suchen, ganz verrückte Sachen, aber es gibt natürlich auch Familienschicksale, wo man ab und zu auch mal mit eingreifen muss. Wo man erkennt, Mensch, der hat ein Alkoholproblem, oder da stimmt jetzt gerade was nicht, oder es gibt ganz viele alte Leute, die bei uns Hilfe suchen."
Kommen an Spitzentagen bis zu 1.500 Menschen an ihre Tankstelle, sei das in Coronazeiten schlagartig anders gewesen. Der Spritverkauf brach ein, im Shop war es über Wochen gespenstisch ruhig. In "normalen" Zeiten macht Barbara Toleikis an dieser Tankstelle zwei Drittel des Umsatzes mit dem Kraftstoff, ein Drittel mit dem Shop. Hier verdient sie gutes Geld, sagt sie, im Gegensatz zu ihrer zweiten Tankstelle, wo der Mineralölkonzern draufzahlt:
"Da bekomme ich Geld, dass ich die Station überhaupt mache. Aus eigener Kraft könnte man da gar kein Geld verdienen."

Keine Nachfrage nach Ladestationen für E-Autos

Für Barbara Toleikis stimmt die Rechnung als selbstständige Pächterin dennoch. Aber auch sie kennt die katastrophale Lage vieler Pächter- und Betreiberkollegen, die von ihren Mineralölkonzernen finanziell abhängig und nicht selten hochverschuldet sind.
Die Diskussionen über ein Ende der Tankstellen kann Barbara Toleikis, Praktikerin und Berufsoptimistin, trotz der aktuell schwierigen Zeiten nicht nachvollziehen. Ein Umstieg auf mehr Elektromobilität? Sie schlug ihrem Eigentümer vor, zwei Ladesäulen in die Station zu integrieren.
" Aber es ist weder eine Nachfrage da, noch habe ich hier eine Kundschaft, die eben Elektroautos fahren. Es war tatsächlich in der Stadt an den Tankstellen ein größeres Thema, aber ich sehe da überhaupt kein Geschäft oder auch gar keine Gefahr. Ich glaube auch nicht, dass das kommt oder dass sich das durchsetzt. Ich tendier mehr zu Wasserstoff, ja, ich glaube, dass Elektromobilität für unsere Generation noch keine Veränderung bringt. Die nächsten 20, 30 Jahre Tankstelle."

Die Tankstellenbranche glaubt an den Verbrennungsmotor

Berlin, Mitte Februar 2020, einige Wochen vor dem Coronastillstand. Vertreter der Tankstellenbranche treffen sich im Glamour-Saal eines Berliner Nobelhotels zum Kongress zur Zukunft der Tankstelle. Titel: "Handel & Wandel". Im Mittelpunkt der Vorträge: die Tankstelle als Einkaufsort. Aufgepeppt mit viel Wortgetöse. Wenn vom "Convenience-Store" und vom Betreiber als "E-Food"-Anbieter die Rede ist. Und wenn Apps, digitale Leitsysteme und digitales Storytelling das Einkaufserlebnis auf eine neue Stufe heben sollen. Es werden große Versprechungen gemacht im Tankstellen-Geschäft.
Voraussetzung für all diese Geschäftsmodelle ist jedoch eins: eine hohe Kundenfrequenz, sagt Jochen Wilhelm, Geschäftsführer des Tankstelleninteressenverbands TIV. Ein eingetragener Verein, der nach eigenen Angaben die Interessen von 1.200 Tankstellenbetreibern und Pächtern vertritt.
"Über Benzin und Diesel kommt die notwendige Frequenz, um in den Folgemarkt überhaupt zu gelangen. Das heißt, ich steuere die Tankstelle, Stand heute, immer noch an, weil ich Benzin oder Diesel tanken will. Und bei der Gelegenheit kann ich dort im Shop einkaufen, kann ich dort mein Auto waschen."
Weil Verbrennerfahrzeuge heute weniger Sprit verbrauchen als früher, weil ihre Reichweiten höher und die Zahl der Tankstopps dadurch kleiner geworden sind, stagnieren oder sinken die Umsätze an Tankstellen seit Jahren. Und weniger Kommen und Gehen bedeutet für die Hochfrequenz-Immobilie Tankstelle, dass ihr der Markenkern abhandenkommt.
"Wir werden die Situation haben oder haben die Situation schon, dass durch alternative Antriebe, durch batterieelektrische Autos das Energieaufnahme-Monopol, über das die Tankstellen heute noch weitgehend verfügen, immer weiter zurückgefahren wird. Das ist eine politische Entscheidung, da muss man fragen, ob die von der Bevölkerung, von den Kunden so mitgetragen wird. Aber im Ergebnis gibt es diese einseitige, politische Festlegung auf die Elektromobilität. Und die Tankstellen als solche müssen jetzt schauen, wie sie mit dieser Situation umgehen. Das heißt, wenn das Kraftstoffgeschäft, dieser Kuchen immer kleiner wird, ist zu sehen: Was gibt es sonst für Waren und Dienstleistungen, die über verkehrsstrategisch gut gelegene Punkte weiterhin oder erstmals vertrieben werden können?"

"Die Tankstellenwelt ist konservativ"

Überzeugende Entwürfe, wie das Geschäftsmodell Tankstelle ins 21. Jahrhundert transformiert werden kann, sind rar. 2019 versuchte sich Branchenprimus Aral daran. Titel der Auftragsstudie, die durch das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum angefertigt wurde: "Tankstelle der Zukunft".
Die Ergebnisse aus Sicht des Mineralölkonzerns erwartbar erfreulich: Die Studie sagte voraus, dass sich am Tankstellenmarkt bis 2040 nichts Wesentliches ändern werde. In Modellrechnungen kommen die DLR-Forscher zum Schluss, dass auch 2040 zwei Drittel der gesamten PKW-Flotte regelmäßig Benzin oder Diesel tanken. Für reine Elektroautos rechnete die Studie in 20 Jahren lediglich mit einem Anteil von 3 Prozent an der Gesamtflotte.
"Ich gehe davon aus, dass Aral mit dieser Vision richtig liegt", meint Jochen Wilhelm, Geschäftsführer des Tankstelleninteressenverbands. "Die Tankstellenwelt ist eine konservative Welt. Der Verbraucher reagiert auch sehr konservativ auf das, was eine neue Mobilität, politisch gehypt, suggerieren will."
Ein wenig visionär wollte es Aral dann aber doch haben. Und so wurden in der Studie Zukunftsszenarien entworfen, wie die Tankstelle von morgen aussehen könnte – und welche neuen Funktionen hinzukommen. Genannt werden Schnell-Ladeparks für E-Autos, Kfz-Werkstätten für autonome Flotten, Landeplätze für Lufttaxis, Drehkreuze für Car-Sharing-Anbieter, Umschlagsorte für Paketdienste.
Porträt des Mobilitätsforschers Andreas Knie.
In der Mobilität der Zukunft gibt es keine Tankstelle mehr - davon ist Mobilitätsforscher Andreas Knie überzeugt.© DAVID_AUSSERHOFER/ WZB
Das Fazit der Aral-Studie: Die Tankstelle werde sich zur zentralen Drehscheibe der gesamten Mobilitätskette weiterentwickeln. Eine Schlussfolgerung, bei der Mobilitätsforscher Andreas Knie schmunzeln muss:
"Das ist so ein bisschen, wie wenn sie bei der Deutschen Bahn darüber nachdenken, wie könnte der Fahrkartenautomat der Zukunft sein. Na, den gibt’s nicht mehr. Es gibt keinen Fahrkartenautomaten mehr. Und so gibt es auch leider – für viele, die das mal gerne gehabt haben – in der Zukunft der Mobilität keine Tankstelle mehr."
Das methodische Problem der Studie und damit auch das Problem der Branche selbst, sagt Mobilitätsforscher Knie: sie hält die Tankstelle für unverzichtbar. Doch genau das könnte sich als gravierende Fehleinschätzung entpuppen.
"Die Zukunft wird definitiv eine Vernetzung der Verkehrsmittel sein. Und sie wird natürlich auch von Flotten bestimmt, die wir gar nicht mehr selbst lenken. Also, da müssen wir auch gar nicht groß hellsehen, dass Selberfahren mit Schalten, Kuppeln und Kurbeln und alles, das wird – was uns Männern sehr schwerfällt, aber, es wird so sein – es wird der Vergangenheit angehören."

Jüngere in den Städten wollen kein eigenes Auto mehr

Andreas Knie weiß aus Befragungen, dass die jüngeren Generationen andere Präferenzen in Sachen Mobilität haben. Sei das eigene Auto und das selbstständige Fahren früher ein unverzichtbarer Teil des Lifestyles gewesen, werde dies von den heute 15-, 20-, 25-Jährigen anders wahrgenommen. Vor allem in urbanen Zentren gelte der Besitz eines eigenen Autos nicht mehr als erstrebenswertes Ziel. Individuell, flexibel zu reisen, das bleibe aber unvermindert attraktiv. Nur würde darunter heute etwas anderes verstanden, sagt Knie. Individuelles Reisen bedeute für diese Generation die Gewissheit, zu jedem Zeitpunkt eine Vielzahl verschiedener Verkehrsmittel verfügbar zu haben. Unkompliziert und schnell. Zudem hat es für diese Zielgruppe höchste Priorität, mit dem Smartphone online zu sein.
"Und dementsprechend werden sie auch ihre Transportangebote danach bewerten, und da fällt bei ihnen das selbst zu fahrende Auto völlig durch. Da bin ich abgelenkt. Da kann ich keine SMS schreiben, da kann ich nicht meinen Instagram-Account kultivieren, da kann ich nicht kommunizieren in der Form."
Der für diese Reisewelt passende Verkehrstyp sei automatisch, später über autonome Flotten organisiert. Und diese autonomen Flotten suchten sich ihre Tankstellen nach anderen Kriterien als heute, glaubt Knie. Die Tankstelle des 21. Jahrhunderts sei dann die App, die eine bis dato unbekannte Vielfalt an Verkehrsmitteln sofort und ohne nachzudenken verfügbar macht.
"Man wird eine App drücken, man wird warten, und irgendwas kommt. Entweder werde ich gefahren, oder es sind Leute schon drin, oder es ist ganz exklusiv für mich, aber dass ich da noch irgendwo hingehe, ein Lenkrad, eine Tür aufschließe, ein Lenkrad anfasse, kuppeln, schalten muss, das wird es kaum noch geben. Und dementsprechend wird auch die Infrastruktur, die dafür verfügbar ist, viel dezentraler sein. Also da wird’s nichts mehr Zentrales geben."

Verändert die Coronakrise die Mobilität nachhaltig?

Kaum verwunderlich, dass sich die Tankstellenbranche gegen solche Zukunftsperspektiven stemmt. Auch mit markigen Worten, wie Jochen Wilhelm vom Tankstelleninteressenverband sie ausspricht:
"Die Coronakrise zeigt, dass der Individualverkehr ein ganz wesentlicher Teil, wenn Sie so wollen, des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist, ein Grundrecht fast schon, dass ich von A nach B selbstbestimmt mich bewegen kann."
Als Hoffnungsträger, Zauberwort und gleichsam magische Formel für die Tankstellenbranche scheint sich vor allem ein Kraftstoff zu entwickeln: die sogenannten E-Fuels, also synthetisch hergestellte Kraftstoffe, die flüssig oder gasförmig sind, aber nicht aus fossilem Erdöl, sondern aus Ökostrom als Rohstoff gewonnen werden. Die Idee: Wird Ökostrom aus Windrädern oder Solarparks nicht sofort im Stromnetz verwendet, kann er mittels eines aufwendigen Elektrolyseverfahrens zu grünem Wasserstoff weiterverarbeitet werden.
Dieser grüne Wasserstoff kann entweder als Kraftstoff für Brennstoffzellen-Fahrzeuge dienen oder, und das ist für die Tankstellenbranche deutlich attraktiver, zu synthetisch hergestelltem Diesel oder Benzin weiterverarbeitet werden. Grüner Wasserstoff als klimafreundlicher Ersatzstoff für Erdöl: Für die traditionelle Tankstellenbranche ist das in Zeiten strikter Klimaschutz-Ziele ein Lichtstreif, nachdem lange gesucht wurde. Denn mit den E-Fuels ließe sich das Verbrennungsfahrzeug und damit auch die Tankstelle alter Prägung mit ihren Flüssigkraftstoffen retten. Glaubt auch Jochen Wilhelm:
"Das Attraktive ist einfach, dass die Tankstellen-Infrastruktur weiterhin wie heute besteht, dass der Verbraucher weiter wie bisher an die Stationen kommt, dort E-Fuels tankt und seine weiteren Geschäfte dort abwickeln kann."

Doch brauchen mit E-Fuels betriebene Autos mit Verbrennungsmotoren ein Mehrfaches an erneuerbarer Energie im Vergleich zu batteriegetriebenen Autos. Außerdem sind synthetische Kraftstoffe eine Wette auf eine ferne Zukunft.
Eine E-Tankstelle mit Holz-Glasdach, im Hintergrund ein "Burger King"-Restaurant.
So könnte die Tankstelle der Zukunft aussehen.© Richard Fuchs
Daran ändert auch die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung nicht viel. Denn bislang gibt es nur Versuchsanlagen. Erst ab 2025 sollen ernstzunehmende Produktionskapazitäten für E-Fuels im industriellen Maßstab bereitstehen. Wann die Mengen ausreichend wären, um einen nennenswerten Teil der knapp 48 Millionen Verbrennerfahrzeuge hierzulande antreiben zu können, ist nicht mal ansatzweise klar. Ist es dann schon 2040? Und was passiert mit dem Klimaschutz bis dahin? Darauf fehlen bislang schlüssige Antworten.
Doch wie sieht die Tankstelle der Verkehrswende bis dahin aus? Spurensuche im bayerischen Nersingen, nahe Ulm. Im Industriegebiet Leibi, wo sich die Autobahnen A7 und A8 kreuzen. Ein auf den ersten Blick schmuckloser Ort: mit Burger-King, klassischer Tanke, giftgrün-angestrichenem Autobahn-Motel, Industriehallen. Autobahn-Tristesse. Dazwischen - zumindest optisch - ein Lichtblick.
Ein zweites, ganz anderes Tankstellen-Areal, das Zukunft verspricht: mit einem Tankstellen-Dach, das an einen gläsernen Schmetterling beim Flügelschlag denken lässt. Eine Designkonstruktion aus Glas, Holz und Stahl, mit Solarzellen im Dach. Darunter zwei weiße Schnell-Ladesäulen und drei normale Ladepunkte für Elektroautos. Gebaut und betrieben wird das Ganze vom niederländischen Start-Up Fastned.

Schlangen an der traditionellen Tankstelle, die E-Station bleibt leer

Noch scheinen allerdings nicht allzu viele Leute diese Zukunft zu suchen: An einem Freitagnachmittag in Coronazeiten bleibt die Elektro-Tankstelle verwaist. An der traditionellen Tankstelle gegenüber drängeln sich dagegen Minibusse, Pick-Up-Trucks, Mittelklasse-Autos. Die Waschstraße brummt, die Zapfsäulen klackern. Das Ladekabel an der Elektrotankstelle wird währenddessen nur vom Reporter herausgezogen – und wieder eingehängt.
Einige Tage später: ein Anruf bei Michiel Langezaal in Amsterdam. Er ist Geschäftsführer von Fastned, das mit aktuell 60 Mitarbeitern ein europaweites Netz von Schnell-Ladeparks für Elektroautos aufbauen will. Was sagt er zu der beobachteten Leere? Langezaal verweist darauf, dass Deutschland mit der Entwicklung der Elektromobilität noch ziemlich am Anfang steht.
"Wenn man sich die Schnell-Ladeparks in den Niederlanden anschaut, in der Nähe von Amsterdam zum Beispiel, da gibt es schon etwas mehr als ein Prozent Elektroautos im Markt. Und da sehen wir 50 bis 100 Besucher an einer Station – pro Tag."
Aktuell betreibt das Unternehmen 115 Schnell-Ladeparks in verschiedenen Ländern Europas, 15 davon in Deutschland. Hier haben sie große Pläne, die zuletzt durch die Coronakrise etwas ausgebremst wurden.
"Der Markt, in den wir investieren, ist ein absoluter Wachstumsmarkt. Und er wächst ziemlich schnell. Die Zahl der Elektroautos auf der Straße verdoppelt sich praktisch jedes Jahr."

Den Kunden die Reichweiten-Angst nehmen

In den vergangenen Jahren wurde bei Fastned viel investiert: in neue Stationen, Genehmigungen, Ladesäulen, Netzanschlüsse. Es gehe darum, dass auch Fahrer von Elektroautos einfach drauflosfahren könnten, ohne nachzudenken, ob und wo sie tanken. So wie das heute beim Tankstellennetz mit fossilen Kraftstoffen ganz selbstverständlich ist. Fastned will diese Sorglosigkeit ins 21. Jahrhundert übersetzen, bietet seinen Fahrern eine passgenaue App, ein Navigationssystem zur nächsten Station.
Und strategisch wohlüberlegte Standorte. So wollen die Niederländer ihren Kunden die allgewärtige Reichweiten-Angst bei Elektroautos nehmen. Die Ladezeiten an Ultraschnell-Ladesäulen seien längst konkurrenzfähig mit der klassischen Tankfüllung, sagt Michiel Langezaal. Dafür hätte der Quantensprung bei der Ladetechnik gesorgt. Schon Endes des Jahres würden Ladesäulen mit einer maximalen Leistung von 300 Kilowatt in Betrieb gehen.
"Das bedeutet, dass ein normaler Kunde in circa 15 Minuten sein Elektroauto für eine Reichweite von 400 Kilometern aufladen kann. Das ist die Größenordnung an Kilometern, die ein durchschnittlicher Autofahrer in einer Woche zurücklegt. Und wo können Sie auftanken? An einem Schnell-Ladepark – der Tankstelle der Zukunft."

Zapfen, Laden oder beides?

Jetzt wollen die Unternehmer ihr Stationsnetzwerk in Deutschland ausbauen und haben es dabei auch auf das bestehende Tankstellennetz abgesehen.
"Es gibt es viele Tankstellen, deren Standorte gute Zukunftsperspektiven haben, wenn man sie zu Schnell-Ladeparks umbaut, ja recycelt."
Weil tausende Tankstellen-Grundstücke von Kommunen mit Konzessionen an Mineralölkonzerne verpachtet seien, stünden in jedem Jahr hunderte Neuverhandlungen an. Dabei setze man darauf, dass Kommunen sich bei der Neuvergabe öfter mal für einen Schnell-Ladepark und gegen eine fossile Tankstelle entschieden.
"In Norwegen sehen wir, dass die ersten Tankstellen zu Ladeparks umgewidmet werden. Wir werden das bald in den Niederlanden erleben, und ich bin mir sicher, das wird sich schon bald in allen Ländern Europas wiederholen."
Berlin, Anfang Juni 2020. Entgegen der Hoffnung der Autoindustrie gab es mit dem Konjunkturpaket der Bundesregierung keine Kaufprämie für abgasarme Benziner und Dieselautos. Die öffentliche Förderung von Elektroautos soll dagegen mit bis zu 6000 Euro glatt verdoppelt werden. Zudem sollen weitere 2,5 Milliarden Euro in den Ausbau des Ladenetzes für E-Autos fließen. Doch hierzulande stockt der Ausbau. In den vergangenen sechs Monaten kamen gerade einmal 4000 neue Ladepunkte hinzu. Um das Eine-Million-Ziel zu erreichen, müssten künftig 100.000 Ladesäulen pro Jahr gebaut werden. Nur so könnte ein dichtes E-Lade-Netz entstehen, das es mit dem klassischen Tankstellennetz aufnehmen kann. Allerdings fahren von den knapp 48 Millionen PKW auf deutschen Straßen derzeit nur knapp 200.000 elektrisch.
Wer sich auf die Suche nach der Tankstelle der Zukunft macht, wird sie heute noch nicht finden. Noch ist nicht ausgemacht, wie sie genau aussehen wird – und ob dort vor allem gezapft oder geladen wird oder am Ende eben doch beides. Es sind noch viele Fragen offen, und genau das macht die Tankstelle zu einem so interessanten Ort. Denn auch hier wird die Verkehrswende entschieden.

Mitwirkende
Es sprachen: Monika Oschek, Joachim Schönfeld und Heino Rindler
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Ton: Hermann Leppich
Redaktion: Constanze Lehmann

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