Autor: Sebastian Krämer
Regisseurin: Cordula Dickmeiß
Technik: Hermann Leppich
Sprecher: Mirko Böttcher
Redakteur: Carsten Burtke
Am Himmel ist noch Platz
27:25 Minuten
Autos, Busse, Fahrräder und dann auch noch E-Tretroller: In vielen Städten sind die Straßen hoffnungslos überfüllt. Deshalb setzen Verkehrsplaner jetzt vermehrt auf Seilbahnen. Wie realistisch ist diese Idee? Und wie viel Entlastung könnte sie bringen?
Fast lautlos schwebt die Gondel in die Station ein. Sanft wird die Spannklemme vom Stahlseil gelöst, gehalten von zwei starken Federn.
"Das ist heutzutage so gemacht über diese Kuppelschiene, dass es nur ein Schleifen ist und alle anderen Töne, das alles übertönt, da hört man gar nix mehr von dem", erklärt Betriebsleiter Hermann Schwarzenbacher. Er ist international erfahren und stolz auf seine stets gut gewartete Luft-Seilbahn in Berlin:
"Kuppelvorgang geschieht natürlich rasch, das ist eine Millisekunde, wo die Klemme aufmacht, wo quasi das Seil abgelenkt wird." Zum großen Antriebsrad. Die Gondel rutscht in ein bogenförmiges Schienensystem, wird ausgebremst, vergleichbar mit dem Verzögerungsstreifen an der Autobahn.
Die Türen öffnen sich. Die Seilbahn wurde errichtet zur Internationalen Gartenbau-Ausstellung 2017 - eine Einseil-Umlaufbahn mit Gondeln, die am Seil an- und abgeklemmt werden.
"Der größte Vorteil von der jetzt, von einer fix geklemmten ist, dass also das Fahrbetriebsmittel langsam um die Station rum geht. Das ist also ein ganz anderer Komfort zum Einsteigen für die Gäste, die damit fahren. Zehn Personen haben Platz, wir haben Rollstuhlfahrer drin, mit E-Scooter. Wenn’s Not tut, können wir auch noch langsamer machen." Auf einen Meter pro Sekunde, alles barrierefrei, sodass jeder mitkommt.
Eines der sichersten Verkehrsmittel
Die Seilbahn gilt nach dem Flugzeug als eines der sichersten Verkehrsmittel, ausgereifte und bergerprobte Technik.
"Wir haben Eis, wir haben Frost, wir haben Sturm, das hält die Anlage schon aus", sagt Schwarzenbacher.
Auf der anderen Seite geht’s schnell auf Fahrt, hinauf auf den 104 Meter hohen Kienberg. In der Gondel werden die Fahrgäste auf 21 Kilometer pro Stunde beschleunigt.
Am Berg fallen die Rekorde. Zuletzt sogar mehrfach auf der deutschen Seite der Zugspitze. Die neue Seilbahn überwindet knapp 2000 Höhenmeter mit einer einzigen Stütze auf 5 Kilometern Länge. Aber jeder Berg ist anders, jede Seilbahn stellt eigene Rekorde auf. Und das auch in einer Stadt wie Berlin, im Grünen zwischen Marzahn und Hellersdorf.
"In 186 Tagen hatten wir über drei Millionen Fahrten, das bedeutet, dass wir an Spitzentagen über 35.000 Fahrten mit der Seilbahn umgesetzt haben", sagt Tanja Terruli, Pressesprecherin des Berliner Prestigeobjektes, das für die Seilbahn als urbanes Verkehrsmittel wirbt.
Binnen eines Jahres lief die Anlage. Das Südtiroler Unternehmen Leitner hat 14 Millionen investiert und betreibt die IGA-Bahn weiterhin selbst. Nahverkehr und das Gartenschau-Gelände profitierten bisher.
"Schon zu Zeiten der IGA gab es Umfragen, dass man prognostiziert hat, dass nur rund 45 Prozent der Leute mit dem öffentlichen Nahverkehr anreisen würden", erklärt Terruli. "Letztendlich, hat eine Befragung gezeigt, sind über 70 Prozent angereist. Das zeigt sich jetzt auch noch: Leute, die in den Ortsteilen wohnen, benutzen das als Verbindung, um zur Verwandtschaft, um zu Freunden oder Besorgungen machen zu können im Rahmen der Betriebszeiten."
In Berlin eine Touristenattraktion
Großzügig ausgebaute Straßen und massive Plattenbauten prägen das Bild in Marzahn-Hellersdorf. Dazwischen die grüne Oase am Kienberg mit den Gärten der Welt. Auch Bezirksbeirätin Nadja Zivkovic fährt sehr viel Seilbahn:
"Mein Patenkind ist drei Jahre alt. Und wenn ich frage, was machen wir heute: Seilbahn! Gut, dann fahren wir immer mit der U-Bahn hier raus, und dann fahren wir Seilbahn. Dann gehen wir auf den Wasserspielplatz, wenn das Wetter passend ist, in die Gärten der Welt, und dann fahren wir wieder heim."
Wie sie sind viele Einwohner in Marzahn-Hellersdorf begeistert, weiß die Politikerin. Die staufreie Querverbindung von 1,5 Kilometern Länge ist ein wichtiger Lückenschluss im Nahverkehr. Wie in vielen Großstädten fahren auch in Berlin Bahnlinien vom Zentrum sternförmig in die Vororte.
"Von bezirklicher Seite haben wir den Bau der Seilbahn von Anfang an unterstützt, weil das für den Bezirk einen wahnsinniger Tourismus-Magnet ist und eine sehr, sehr gute Begleiterscheinung der Internationalen Garten-Ausstellung gewesen ist", betont Zivkovic. "Und jetzt hat eigentlich der Senat das Potenzial der Seilbahn erkannt und hat es im Nahverkehrsplan mit übernommen, dass geprüft wird, wie man die Seilbahn sozusagen im öffentlichen Nahverkehr mit nutzen kann. Und wir im Bezirk würden das sehr begrüßen, wenn die Seilbahn in öffentlichen Nachverkehr mit integriert werden könnte. Auf jeden Fall."
Viele Großstädte denken über Seilbahnen nach
Doch einen Zeitplan gibt es dafür bislang noch nicht. Dabei könnte Berlin bundesweit ein Vorbild sein. Bisher waren Luft-Seilbahnen wie in Köln über den Rhein oder in Koblenz an der Festung Ehrenbreitstein nur touristische Attraktionen zu Gartenschauen, die aufgrund ihrer Beliebtheit weiterhin fahren. Immerhin: In Koblenz blüht mittlerweile das an der Festung gelegene Stadtviertel auf. Vor allem dank der Seilbahn. In vielen Ballungsgebieten wie Stuttgart, München, Wuppertal und auch Köln werden Pläne zur Errichtung von Seilbahnen geschmiedet. Busse und Bahnen sind dort meist hoffnungslos überfüllt, die Straßen verstopft.
"Die Seilbahn kann kein alleiniges Lösungsmittel aller urbaner Verkehrsprobleme sein, sie muss integriert sein in ein Gesamtkonzept aus Bus, aus Straßen, aus Stadtbahn, aus U-Bahn in den ganz großen Städten", sagt Rudolf Juchelka von der Universität Duisburg-Essen.
Der Wirtschaftsgeograf und Verkehrsexperte fordert mehr Mut zur Verkehrswende. Die Situation auf Straße und Schiene sei hausgemacht.
Das Netzwerk europäischer Eisenbahnen stellte fest, dass seit 1994 pro Woche nur 1,3 Schienenkilometer gebaut werden, aber 192 Straßenkilometer. Das Leipziger Leibniz-Institut für Länderkunde fand wiederum heraus: Die Länge des Schienennetzes von Nahverkehr und den Straßen- und Stadtbahnen halbierte sich in ganz Deutschland von 1950 bis 1980.
In diesem Zeitraum verdrängte das Auto oberirdisch die Schiene.
Billiger als der Straßenbahnbau
"Die Städte haben Stadtbahnsysteme unter die Erde gelegt, U-Bahnen gebaut mit starker Förderung. Und jetzt merkt man, es ist zu wenig Platz da, und gleichzeitig ist auf der dritten Ebene noch Luft im doppelten Sinne vorhanden", so Juchelka. "Die Seilbahn ist günstiger als ein Straßenbahnbau, als ein U-Bahnbau. Tunnel sind das teuerste in der Verkehrsplanung, was möglich ist. Und die Seilbahn ist darüber hinaus ein ästhetisch fürs Stadtbild sehr ansprechendes Verkehrsmittel, ein ruhiges Gleiten über der Stadt bei gleichzeitig schneller Bewegung. Ich sehe da Riesenchancen."
Vor allem, wenn Flüsse überquert werden sollen.
"Köln kann Seilbahn", sagt Thomas Schmeckpeper, der das Seilbahn-Projekt "Rheinpendel" mitbegründet hat. Er sitzt am Rheinufer und sieht auf die Altstadt von Köln:
"Wenn ich das richtig im Blick habe, die erste Stadt in Europa, die diese Technologie überhaupt zur Flussquerung genutzt hat."
Nämlich zur Bundesgartenschau 1957. Nach einer größeren Havarie und Instandsetzungspause schweben seit Ende März 2019 die bunten herzförmigen Gondeln wieder vom Zoo auf die andere Rheinuferseite. Robuste Technik aus Köln: Wurde die denkmalgeschützte Bahn doch vom früheren Unternehmen Pohlig gebaut und nun von den Kölner Verkehrsbetrieben KVB modernisiert. Das schiebt die Idee der Rheinpendel-Seilbahn an, während der U-Bahn-Tunnelbau stockt. Hier verbuddelt Köln seit Jahrzehnten glücklos Milliarden an Euros.
"Köln liegt auf Sand. Das macht den Bau nicht einfacher", erklärt Schmeckpeper.
Der geplante, 800 Millionen Euro teure West-Ost-Tunnel ist umstritten, der Schreck des eingestürzten Stadtarchivs sitzt noch tief: "Bei dieser Diskussion ging es viel um die Frage, wie können wir die Nadelöhre im Stadtinnenbereich entlasten."
Zu diesen Nadelöhren soll die Rheinpendel-Seilbahn im Zickzack dringend notwendige leistungsfähige Verknüpfungen über den Rhein schaffen. Denn der Nahverkehr ist durch den Fluss zweigeteilt.
Vor allem für kürzere Strecken sinnvoll
Für die 35 Kilometer lange Strecke sind 21 Knotenpunkte angedacht und Baukosten von 500 Millionen Euro veranschlagt.
"In unserem Vorschlag mit inbegriffen sind die Autobahnkreuze im Norden und Süden. Wir wollen da schon Pendler abholen, die dann nicht mehr mit dem Auto in die Innenstadt reinfahren müssen", sagt Schmeckpeper. "Es ist durchaus vorstellbar, Parkhäuser zu bauen mit großen Kapazitäten, die eine Seilbahnstation in sich integrieren. Wir haben die Messe mit dabei. Das ist ein ganz zentraler Punkt in dem System."
Das Rheinpendel soll im Nahverkehr den schnellen Flussübertritt und Umstieg ermöglichen. Für längere Strecken ist die Bahn zu langsam.
"Das macht vor allem Sinn und entwickelt seine Stärken auf kürzeren Distanzen zwischen fünf, sechs, sieben Stationen – also, wo ich drei, vier Kilometer unterwegs bin."
Die Initiatoren des "Rheinpendels" rechnen mit einer Pilotstrecke in spätestens fünf Jahren, Rückenwind gibt’s bereits aus Rathaus und Stadtrat.
Skepsis, was die Leistungsfähigkeit angeht
Was Seilbahnen betrifft, ist die KVB erst mal stolz auf ihr lebendiges Denkmal.
"Diese Seilbahn hat Zukunft, das war uns immer bewusst, auch als die schwerer Havarie stattgefunden hat, die uns erst einmal lahm gelegt hat", sagt Pressesprecher Stefan Anemüller.
Für ihn sind die 600.000 Euro Modernisierungskosten gut angelegtes Geld. Nach anderthalbjähriger Pause fährt Anemüller wieder in einer Gondel über den Rhein. Die Seilbahn trägt sich aus den Einnahmen selbst, Ausgaben für Betrieb und Instandhaltung sind überschaubar: "Das sind relativ niedrige Kosten."
Das Seil kostet 250.000 Euro, etwas weniger als ein Diesel-Gelenkbus. Ein Austausch einer Stadtbahn-Schienenweiche verschlingt gleich mehrere Millionen Euro. Bei der Rheinpendel-Seilbahn hält sich die KVB bedeckt, wartet Machbarkeitsstudien ab: Skepsis vor allem bei der Leistungsfähigkeit. Zudem könnte der Bau durch Bürgereinsprüche lange verzögert werden.
"Aber es ist richtig, das zu prüfen, um zu gucken, was ist möglich", so Anemüller. "Und manchmal kommt bei einer Prüfung auch etwas anderes dabei raus als zweiter Vorschlag als am Anfang."
Kann die Seilbahn die Straßenbahn ersetzen?
In Stuttgart werden Weichen anders gestellt: Vier Trassenvorschläge wurden ausgetüftelt – jeweils mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen.
"Nur die Anbindung irgendeines Gebiets war uns zu wenig", erklärt Stephan Oehler, Verkehrsplaner bei der Stadt Stuttgart. Er steht am Bahnhof Stuttgart-Vaihingen, einem wichtigen Knotenpunkt: Zwischen Wohn- und Gewerbegebiet kommen S-Bahn-, Stadtbahn- sowie Buswege zusammen.
"Wir wollen in der Studie rausbekommen, wie ist so ein Verkehrsmittel tauglich in der Spitzenbelastung, als Erschließung von Gewerbegebieten. Wie ist es tauglich als potenzieller Ersatz einer Strecke, die auch eine Stadtbahnlinie sein könnte?", so der Verkehrsplaner. "Das ist das Thema Degerloch – Assemwald über die Filder oder eben Überfliegen des Talkessels. Oder wie könnte sich das Verkehrsmittel darstellen, zum Beispiel durch aus grünplanerisch nicht einfachen Bereich wie mit dem Schlossgarten."
Mitten im Herzen der Stadt. Doch nicht nur der Talkessel und das Neckartal ersticken im Stau – auch die Filder-Hochebene im Süden.
Vom Filder-Flughafen im Osten aus soll eine Seilbahn den Bahnhof Vaihingen mit dem denkmalgeschützten Eiermann-Areal am Autobahnkreuz Stuttgart-Vaihingen verbinden.
Auf dem Eiermann-Areal wird ein Wohn- und Gewerbequartier für 7000 Menschen entstehen – als Beitrag zur Internationalen Bauausstellung 2027. Ein Busverkehr wäre schwierig.
"Man müsste eben mit großen Bussen fahren, mit Gelenkbussen und entsprechend kurzen Taktzeiten", sagt Oehler. "Mit einer Seilbahn kann man in einer Spitzenstunde extrem viele Fahrgäste von A nach B bringen."
Nämlich bis zu 3.500 Menschen pro Richtung und Stunde. Ein Gelenkbus dagegen kann schubweise maximal 100 Passagiere transportieren. Zudem müssten für Bus und Stadtbahn Fahrwege gebaut werden.
"Die Seilbahn hat durch ihr System, das mit Masten eben funktioniert und mit einzelnen Stationen, eben, was den Flächeneingriff anbelangt, eine ganz andere Konstellation. Und das andere: natürlich die Trassenlage. Das heißt, kann man über Distanzen hinweg, die wir mit irgendeinem anderen System nicht hinbekommen, mit einer Seilbahn eine kürzere Verbindung hinbekommen."
Ein 90 Jahre alte Standseilbahn
Trotzdem ist die Trassenplanung nicht unproblematisch, da bisher wichtige Daten und Erfahrungswerte fehlen. Allerdings besteht in Stuttgart eine lange Bergbahn-Tradition dank der schwierigen Topografie: Der Höhenunterschied im Stadtgebiet beträgt immerhin 350 Meter. Auf dem Killesberg im Norden gab es ab 1950 die erste Seilbahn mit kuppelbaren Sesseln im Flachland. Und schon seit 1884 fährt die Zahnradbahn vom Kessel hinauf nach Degerloch.
90 Jahre alt ist die Standseilbahn in Heslach im Stadtbezirk Stuttgart-Süd. Zwei Kabinen auf Schienen, wobei eine wie beim Pendel bergwärts, die andere talwärts fährt. Eine Zeitzeugin der Goldenen Zwanziger Jahre, als der Ausflugsverkehr boomte: Die Stadtbevölkerung sollte schnell in die Naherholungsgebiete gebracht werden – mit Schiene und Seilbahn. Für den Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim im Gegensatz zu heute eine vernünftige Planung:
"Der öffentliche Verkehr ist in seiner Blütezeit – fangen wir an 1870, 80, 90 – immer in Systemen gedacht worden, war immer ein auszubauendes Verkehrsmittel. Und man konnte nie genug davon kriegen. Und das hat sich in der Phase, wo Deutschland Autoland wurde, eben total verändert."
Vorbild La Paz?
Seilbahn als System denken: Ein weltweit beachtetes Projekt ist dabei das Seilbahn-Netz Teleférico in La Paz. Die Stadt liegt in den bolivianischen Anden in atemberaubender Höhe von mehr als 3500 Metern.
"Und die Aussichten sind eben sehr spektakulär in dieser Berglandschaft, in der sich La Paz befindet. Man sieht da den Hausberg, den Illimani: ein 6400er", erklärt Georg Dufner. Darunter im Talbecken ein rot-gelbes bauklötzchenartiges Häusermeer.
Dufner leitet das bolivianische Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung:
"Für mich ist es nicht immer notwendig, aber wenn ich den mal benutze, dann freue ich mich jedes Mal drüber, dass ich nicht in dem Verkehrschaos mittendrin stecke, sondern da im ruhigen Teleférico sitze und mir das ganze Chaos von oben anschauen kann."
Das Tal versinkt täglich in einer Autolawine. Rund 2,5 Millionen Menschen wohnen im Großraum der Stadt.
"Vor allem für diese Menschen, die von der Hochfläche von El Alto nach La Paz runter müssen, weil sie da in Industrie und Handelsbereichen arbeiten, für die ist es eine große Entlastung, dass es diesen Teleférico gibt", sagt Dufner.
Ob gelb, grün, blau oder kaffeebraun – inzwischen gibt es zehn farbige Teleférico-Verbindungen, gebaut vom Vorarlberger Unternehmen Doppelmayr. Den Anfang machte die rote Linie im Mai 2014. Die zehnte, silberne, eröffnete Staatspräsident Evo Morales im März 2019. Als Krönung soll 2020 die goldene Linie in Betrieb gehen. Der Teleférico trägt sich durch die Einnahmen inzwischen selbst. Täglich wird eine gute Viertelmillion Menschen transportiert.
"Die Straßen sind immer noch sehr voll", räumt Dufner ein. "Aber alles, was ich so höre von den Pazenos, ist, dass es sich schon entspannt hat. Man sieht es den Leuten auch an, die in den Gondeln sitzen. Wenn man die vergleicht mit denen, die in den Bussen drinsitzen, die wirken alle sehr gestresst. Und sobald die Leute in diesem Teleférico sitze, genießen sie es eigentlich auch."
Protest kommt eher von den Reichen
Dafür zahlen die Pendler pro Fahrt umgerechnet 40 Cent, was in Deutschland einer Kaufkraft von 4 Euro entspricht. Doppelt so viel wie für den kommunalen Minibus. Die Busse und Sammeltaxis prägen den städtischen Nahverkehr in den engen Straßen, der Teleférico den Luftraum, dessen Stützen sich quasi über Nacht zwischen Straße und Häuserwand hineinschummeln.
"Da gibt es dann für ein Wochenende eine Straßensperre in bestimmten Bereichen, und danach ist schon der Pfeiler da. Von daher ist es überraschend, wie schnell das hochgezogen wird, eben weil es auch staatlich gewollt ist. Wenn die Stadtregierung neue Buslinien eröffnet, läuft es nicht ganz so reibungslos ab. Aber da es die Staatsregierung ist, die das Teleférico Projekt vorantreibt, gibt’s da kaum Widerstand."
Zumindest nicht in den Armenvierteln auf den Hochflächen. In Hinterhöfen finden dort sogar Kunstprojekte für Seilbahn-Fahrgäste statt. Protest kommt eher von den Reichen, die wegen der besseren Luftverhältnisse im Tal wohnen.
"In ein paar Bereichen fährt die Gondel auch über die Häuser der Wohlsituierten, und die waren nicht so begeistert. Und eine größere Villa ist da auch zu sehen, die jetzt verlassen ist und die auch nicht vermietet werden kann, weil die Gondel vor dem Schlafzimmerfenster vorbeifährt."
Umstrittenes Projekt: eine Seilbahn für Wuppertal
Für manche auch in Deutschland ein Horrorszenario.
Augenscheinliche Naturidylle: ein trichterförmiges Tal, ein Berghang voller Laubbäume, ein Bach und viele weiß getünchte Häuschen mit roten Ziegeln – eine Schrebergarten-Kolonie.
Dort werden Stützen in Bachgebiete gebaut, weiter oben ist das Quellgebiet der Hatzenbeck. Und dort das zu planen, das ist unsensibel gegenüber der Idee, hier ein umweltfreundliches Verkehrsmittel aufzubauen.
Nämlich eine Seilbahn in Wuppertal. Mit der 70 Meter hohen Stütze samt Bau- und Wartungswegen sieht Seilbahn-Kritiker Marc Gennat, Dozent für Automatisierungstechnik an der Hochschule Niederrhein in Krefeld, die Idylle gestört. Die Trassenführung der geplanten drei Kilometer langen Seilbahn ist umstritten: Wie mit dem Lineal gezogen führt sie über bestehende Wohnhäuser und Schrebergärten hinweg. Für Anwohner und Pächter ein Ärgernis.
"Dort hat man dann eine Trasse gesucht, wo man Stützen aufstellen kann, die im Besitz der Stadt Wuppertal sind, um die Anbindung der drei Stationen, die hier geplant sind, zu realisieren", so Gennat.
Überfahrrechte sind juristisch eine Grauzone. Viele Kommunen vermeiden Konflikte bei der Trassenführung. Die Stadtwerke Wuppertal machten aber Nägel mit Köpfen. Rudolf Juchelka begrüßt die Entschlossenheit, versteht aber auch die Kritik:
"Auch ich möchte nicht sonntags im Garten liegen und einer fährt mit der Seilbahn über mich hinweg und fotografiert mich da im Garten. Aber da gibt das deutsche Planungsrecht glücklicherweise eine ganze Menge her mit Entschädigungszahlungen, mit Ausgleichszahlungen, mit Ersatzmaßnahmen. Auch das muss uns eine Verkehrswende wert sein."
Eine Seilbahn vom Bahnhof zur Uni
An der Kreuzung vorm Hauptbahnhof warten in jeder Rotphase mehrere Busse. In der Stadt der berühmten Schwebebahn fußt der Nahverkehr auf – Busverkehr. Über 300 Busse fahren täglich durch das enge Tal und die Höhen hinauf. Zur Universität fünf Linien.
"Das Bussystem in Wuppertal ist an der Belastungsgrenze", sagt Juchelka. "Die Seilbahn soll den Hauptbahnhof mit der Universität – also zwei starke Verkehrsknotenpunkte – mit einer Punkt-zu-Punkt-Verbindung verknüpfen. Das macht erstmal ganz viel Sinn."
Eine Seilbahn mit großen Kabinen für dreißig Personen. Neben den Studierenden soll sie Fahrgäste schnell in die südlichen Vororte bringen. Das Tal wird von Bussen entlastet. Doch gleichzeitig verkehren dann hinter der Universität ebenfalls weniger Busse – die Kehrseite für Marc Gennat:
"Im Augenblick fahren neun Busse die Stunde hier vorbei. Wenn die Pläne umgesetzt werden, bleiben nur noch vier davon übrig. Das heißt, die Studierenden haben alles andere als eine gute Anbindung an ihre neuen Studentenwohnheime. Die Seilbahn-Station ist einen knappen Kilometer weg, da wird keiner hingehen."
Aber die Seilbahn verkürzt doch die Fahrzeiten in den Süden: Drei Minuten sind bis zur Uni veranschlagt. Der Uni-Express braucht laut Fahrplan schon neun Minuten – ohne Stauzeiten…
"Im Süden, hier wo wir relativ entspannte Verkehrsverhältnisse haben, hier gibt es keine Staus", betont Gennat. "Auch nicht zur Hauptverkehrszeit."
Der Fahrzeit-Vorteil der Seilbahn also nur ein Rechenexempel auf dem Papier?
"Bei der Seilbahn muss man umsteigen und hat dann die großen Probleme, dass man hier am Hauptbahnhof 15 Meter hoch auf eine Plattform gehen muss. Bis man da oben ist, ist der Fahrzeit-Vorteil, der eventuell auftritt, dann auch schon wieder hin."
Die teuerste Seilbahn der Welt, sagen Kritiker
Das vielfache Umsteigen, der so genannte gebrochene Verkehr, ist ein Attraktivitäts-Killer für den öffentlichen Nahverkehr. Dagegen spricht allerdings eine Studie der Bundeswehr-Universität München zur geplanten West-Ost-Seilbahn im Münchner Norden.
Fahrgäste ziehen eine Verbindung mit Seilbahn dem Bus vor, auch wenn sie von einer U-Bahnverbindung umsteigen müssten. Generell würden über fünfzig Prozent die Seilbahn benutzen, selbst wenn der Bus bis zu sechs Minuten schneller wäre.
Und wie ist es in Wuppertal?
Durch den Ausbau der Bundesstraße 7 sanken die Fahrgastzahlen im öffentlichen Nahverkehr um ein Prozent. Die Stadtwerke setzten deswegen im Busverkehr den Rotstift an. Trotzdem sind die Uni-Expressbusse morgens um 8 Uhr gähnend leer, da die meisten Vorlesungen um 10 Uhr beginnen. Dessen ungeachtet verlegten die Stadtwerke die Haltestelle der Uni-Expresslinie vom Hauptbahnhof in eine Seitenstraße, um so vier Ampelphasen zu vermeiden. Die Folge: Die Fußstrecke für Umsteiger verlängerte sich von ca. 50 auf 500 Meter. Was prompt wieder die Kritiker auf den Plan rief. So ist auf deren Website zu lesen:
"Der Mythos der vollkommen überfüllten Busse hält sich hartnäckig."
Die Linienbusse sind weiterhin voll, sagen die Stadtwerke und der AStA, die Vertretung der Studierenden. Für die Seilbahn wurden 82 Millionen Euro als Baukosten veranschlagt.
"Wir brauchen gute und günstige ÖPNV-Angebote, und das dürfen wir nicht durch ganz, ganz teuere Verkehrsmittel riskieren", sagt Marc Gennat.
Viele Kostenrisiken seien nicht berücksichtigt: Lärmschutz, Brandschutz, Höhenrettung bei einer Havarie, aufwendige Stationsbauten am Berghang – es gibt keinen Punkt, der die Seilbahn nach Ansicht der Kritiker nicht zur teuersten der Welt machen würde.
62 Prozent stimmten gegen die Seilbahn
Letztendlich stimmten bei der Bürgerbefragung am 26. Mai 2019 62 Prozent gegen die Seilbahn. Die Folge: Der Oberbürgermeister begräbt die Seilbahn-Idee umgehend, die Stadtwerke stehen vor einem Scherbenhaufen. Ratlosigkeit im Stadtrat.
"Also einzelne Lösungen funktionieren nicht. Das war auch sehr früh deutlich, wenn wir über eine Seilbahn-Verbindung nachdenken, dass das sofort Auswirkungen auf das Busnetz hat und dass man nicht das eine ohne das andere denken kann", sagt Jörg Woidasky, Dozent für nachhaltige Produktentwicklung an der Hochschule Pforzheim.
Die Hochschule liegt auch auf einem Berg, am Waldrand im dicht besiedelten Wohngebiet. Nur der Bus fährt dorthin. Die ständigen Klagen der Studierenden über zu wenig Parkplätze bewog die Hochschule, ein nachhaltiges Verkehrskonzept zu entwickeln. Die Idee der Seilbahn bringt Studierende und Dozenten der Hochschule, Vertreter von Stadt, Verkehrsbetrieben und weiteren gesellschaftlichen Institutionen zusammen, erklärt Woidasky.
"Um uns in Ruhe gemeinsam Gedanken zu machen: Wie können wir, und das ist das große Ziel bis 2030, die mobilitätsbedingten CO2-Emmissionen hier halbieren?"
Die Hochschule Pforzheim ist neben zehn weiteren Hochschulen beim landesweiten Ideenwettbewerb "Emissionsfreier Campus" beteiligt. Der Initiator, das baden-württembergische Wissenschaftsministerium, sieht den Campus als geeignetes Experimentierfeld, quasi eine Stadt im Kleinen, um innovative Mobilitätskonzepte auszuprobieren.
Mehr Menschen zum ÖPNV bringen
"Jedes Auto, was weniger zur Hochschule fährt, ist in jedem Fall eine Ersparnis", so Tobias Viere, Dozent für Nachhaltigkeit und Stoffstromanalyse.
"Das Ziel muss schon sein, dass schon mehr Leute den ÖPNV inklusive der Seilbahn nutzen als vorher. Wenn nur eins zu eins vom Bus auf die Seilbahn umgestiegen wird, während alle anderen Auto fahren, habe ich nicht gewonnen."
Das Gesamtangebot des öffentlichen Nahverkehrs muss aus Sicht beider Professoren auf Anhieb begeistern, damit festgefahrene Verhaltensmuster durchbrochen werden.
"Mittlerweile sind wir deutlich weiter, dass wir über die Einbeziehung des Individualverkehrs auch noch nachdenken, auch dort Dinge zu kombinieren oder andere Mobilitätsformen: Stichwort E-Scooter, Bike-Sharing", erklärt Woidasky. "Es muss eine Lösung sein, die passgenau für viele unterschiedliche Nutzer funktioniert, um tatsächlich viele Menschen zu umweltfreundlichen und CO2-Mobilitätsvarianten zu bewegen."
Mit anderen Worten: vernetzt in Systemen denken.
"Die süddeutschen Städte sind nun einmal die ökonomisch prosperierenden Regionen. Gerade diese Regionen könnten als Modelle als Vorzeigestädte für innovative Mobilität dienen", betont Rudolf Juchelka. "Die Verkehrswende erfordert einfach einen riesigen Mut bei den Entscheidungsträgern. Aber ich glaube, der Bürger würde das am Ende honorieren, weil er sieht, es gibt was Neues, es gibt was Innovatives: mit Apps, die ich nutze, mit kleinen Verkehrssystemen, die ich nutze, vielleicht auch mit Seilbahnen."