Das denke ich, ist ein Punkt, der in den letzten Jahrzehnten ein bisschen vernachlässigt worden ist und der jetzt wieder mehr ins Zentrum rücken muss: Wie kommen wir zu einem guten sozialen Miteinander, und wie können wir langfristig nachhaltig mit unseren Ressourcen umgehen.
Verkehrswende und Städtebau
Ende des Frankenschnellwegs an einer Kreuzung in Nürnberg: Eine Initiative will den alten Kanal wieder freilegen, über dem die Autobahn angelegt wurde. © picture alliance / dpa / Daniel Karmann
Wie Wasser und Grün eine Autobahn ersetzen sollen
07:20 Minuten
Das Klima ändert sich, die Gesellschaft auch – und damit auch der Blick auf die Städte und ihre Funktion. In Nürnberg versucht nun eine Initiative den großen Wurf: Sie kämpft für eine Vision, der über zehn Kilometer Autobahn zum Opfer fallen könnten.
„Mein Name ist Theobald Fuchs, ich bin der Vorsitzende des Nürnberg-Fürther Stadtkanal Vereins, das ist ein Verein, der sich vor zwei Jahren gegründet hat. Der will die Idee in der Stadt beliebt machen, aus der Autobahn A 73, die quer durch Nürnberg führt, einen neuen Kanal zu erschaffen. Eine grüne Kanallandschaft.“
Fuchs steht an einer Kreuzung in Nürnberg. Die Autobahn, in der Region heißt sie Frankenschnellweg, endet hier an einer Ampel. Der Verkehr presst sich danach zweispurig weiter, bevor er ein paar Hundert Meter später wieder zur Autobahn wird. Zwischen den Fahrbahnen wuchert ein vergessener Streifen mit Gesträuch.
„Das sind etwa 30 Meter. Das ist das ehemalige Hafenbecken des alten Ludwig-Donau-Main-Kanals. Dann hat man die Trasse benutzt, etwa auf zehn bis 15 Kilometern Länge, um eine Autobahn draufzuklatschen. Das war in den 60er-Jahren, zu der Zeit, zu der alle Auto fahren wollten“, erzählt er.
40 Hektar Grün und Wasser statt Asphalt
Die Stadt will hier mehr als eine halbe Milliarde Euro in die Hand nehmen und einen Tunnel bauen, damit der Stadtverkehr obendrüber fließen kann. Fuchs und sein Verein wollen den ganzen Verkehr weghaben, die Autobahn abreißen und den alten Kanal wieder freilegen, bis hinauf nach Fürth, das im Norden an Nürnberg grenzt.
40 Hektar Grün und Wasser statt Asphalt, so die Vision. Wenn man hier steht, an einem der verkehrsreichsten Punkte Nürnbergs, zweifelt man erst mal am Ernst der Idee. Es hört sich eher an wie Satire.
„Aber wenn man dann einfach mal eine Nacht drüber geschlafen hat oder auch nur eine Stunde nachgedacht hat, stellt man fest, dass das rein logisch eine fantastische Lösung ist, weil es eben so viele Facetten an Problemen bedient, die wir in so einer zugebauten Großstadt haben und diese Probleme stark mildern, wenn nicht sogar lösen würde“, sagt Theobald Fuchs.
Städtebau nachhaltig weiterentwickeln
„Die Stadt der Zukunft sieht für mich so aus, dass wir gute Wohnverhältnisse haben“, sagt Brigitte Sesselmann. „Und zwar nicht im Einfamilienhaus, sondern in einem gemischten Miteinander, Nebeneinander, wo man sich versorgen kann, wo man Kultur leicht erreicht, wo man auch seine Freizeit gestalten kann und vor allem Raum dazwischen auch das Miteinander fördert und nicht nur zum Abstellen irgendwelcher Blechkisten dient.“
Die Architektin und Stadtplanerin ist schon lange im Geschäft. Wenn man sich mit ihr eine Weile unterhält, dann wird spürbar, dass sie mit der Weiterentwicklung im Städtebau ziemlich unzufrieden ist.
Während die Stadtplanerin das sagt, wird die Landschaft an den Rändern der Stadt weiter mit Eigenheimsiedlungen versiegelt. Alle brauchen ein Auto. Näher am Zentrum ziehen Finanzakteure Investitionsimmobilien hoch, die am Bedarf der Bevölkerung vorbeigehen. Es wird kaum für eine Durchmischung von Wohn- und Lebensformen gesorgt.
Der Klimawandel ist ein Härtetest für die Städte
Der Klimawandel bedeutet einen weiteren Härtetest für die Städte der Zukunft. Damit die Menschen, Tiere und Pflanzen dort die höheren Temperaturen aushalten können, braucht es mehr Grün, breitere Schneisen für frische Luft, fasst Brigitte Sesselmann zusammen. Und die Stadt muss zum Schwamm werden, der jeden verfügbaren Tropfen Wasser behält.
„Es ist doch abartig, dass das Regenwasser in die Kanalisation abgeleitet wird und daneben verdurstet der Baum. Also insofern können auch die Kommunen nicht anders als schauen, wie sie mit den vorhandenen Ressourcen umgehen“, sagt sie.
Nach dem Gespräch mit der Stadtplanerin erscheint die Idee, eine Autobahn abzureißen und einen Kanal zu bauen, nicht mehr wie Satire – sondern vernünftig!
Durch die Aufhebung der Autobahn würde die Stadt bis zu sieben Hektar Land gewinnen, auf denen man sozialen Wohnbau betreiben könnte, ohne teuren Grund im Stadtzentrum erwerben zu müssen. Und es ist kein Grund, der wie in den Speckgürteln erst versiegelt wird, sondern das ist bereits Stadtlandschaft, versiegelter Boden, auf dem man klimaneutralen Wohnungsbau betreiben könnte.
Dazwischen entsteht mit dem Kanal und seinen Rändern das Grün, das fehlt für die Belüftung und Kühlung Nürnbergs, der Wasserspeicher für die staubtrockenen Monate der Zukunft.
„Es ist als soziales Projekt gedacht“
„Wo man eben schwimmen kann, wo man sich einen Garten anlegen kann, wo man sich ein Konzert anhört. Einen Biergarten wollen wir natürlich, mit eigener Brauerei. Vielleicht gibt es dann einen Ruder-, oder Anglerverein. Damit alle hier in der Stadt Freizeit und Erholung finden können“, erklärt Theobald Fuchs.
Im Zentrum der südkoreanischen Hauptstadt Seoul wurde der Cheonggyecheon-Kanal wieder freigelegt, das niederländische Utrecht glänzt mit einem ähnlichen Projekt. Es ist auch in Nürnberg machbar, ist Theobald Fuchs überzeugt. Der Stadtkanal-Verein hat die Stadt aufgefordert, die Idee auf ihre Machbarkeit zu prüfen und in die aktuellen Planungen einzubeziehen.
Fuchs ist da ganz zuversichtlich – schließlich würde der Stadtkanal wesentlich billiger sein als der geplante Ausbau der Autobahn.
„Wir wollen das nicht mit großen Baukonzernen errichten, sondern es ist als soziales Projekt gedacht, dass die Bürger den Kanal selbst graben. Der wird nicht tief, der ist nicht breit – 10 Meter Breite auf 1,60 Meter Tiefe“, erklärt er.
„Die Strecke, so haben wir überlegt, teilen wir in 5-Meter-Abschnitte, dann kommen ein paar Tausend Bauprojekte raus, wo dann Anwohner und Anwohnerinnen im Kollektiv oder als Familien oder Vereine in Gemeinschaft ihr Stück ausgraben und dann als Belohnung einen Teil des Ufers bewirtschaften können.“