SprecherInnen: Stephanie Eidt, Uta Prelle, Tilmar Kuhn und der Autor
Regie: Roman Neumann
Ton: Andreas Stoffels
Redaktion: Dorothea Westphal
Verknüpft über mehrere Generationen
Neuseelands eigenwillige Landschaft hat viele Schriftsteller inspiriert. © picture alliance / DUMONT Bildarchiv / Markus Kirchgessner
Die magische Welt der neuseeländischen Literatur
29:41 Minuten
Wie ein roter Faden durchzieht die magische Welt der Maori Neuseelands Literatur. Doch die Angehörigen der indigenen Bevölkerung erzählen ganz andere Geschichten als die Pakeha, die Nachfahren der weißen Siedler.
Grässliche Fratzen mit starren Augen und aufgerissenen Mäulern mit spitzen Zähnen: Einige der besten Maori-Schnitzereien finden sich im neuseeländischen Nationalmuseum in Auckland. Sie stammen aus den traditionellen Versammlungshäusern der Maori.
Wie ein roter Faden
In ihrem Roman "Potiki" erinnert Patricia Grace an diese fast ausgestorbene Schnitzkunst, in der sich die Kultur der Maori widerspiegelt.
"Alles dreht sich um die Verknüpfungen zwischen den Generationen," erzählt die Autorin. "Solche Beziehungen sind sehr wichtig. Darum geht es in unserer Kultur. Und das umfasst die Vergangenheit und die Gegenwart und auch die Zukunft. Es geht um all diese Verbindungen, die von den Vorfahren über die gerade Geborenen bis zu den zukünftigen Generationen reichen."
Patricia Grace leitet ihre Herkunft von drei verschiedenen Maori Stämmen ab. Solche Verflechtungen und Verbindungen ziehen sich wie ein roter Faden durch ihre Geschichten und Romane.
Sie erklären auch, warum in ihrem Roman "Potiki" Maori aus dem ganzen Land zu Protesten gegen Versuche, ihnen den Zugang zu ihrem Land zu versperren, zusammenkommen. Die ehemalige Lehrerin hat mit ihren Geschichten vielen Pakeha, so werden die weißen Nachkommen der europäischen Kolonialisten genannt, die Augen geöffnet - sowohl für die Kultur der Maori als auch für ihre soziale, politische und wirtschaftliche Diskriminierung.
Je nach Zählung haben 15 bis 20 Prozent der neuseeländischen Bevölkerung einen Maori Hintergrund. Ihr Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung ist immer wieder ein Thema in den Romanen von Patricia Grace gewesen. Es ist faszinierend, wie darin Mythen und Legenden den Alltag und die Welt vieler Maori prägen.
Streit um den Ort des Begräbnisses
Wie stark sich diese Welt von der ihrer Mitbürger, der Pakeha, unterscheidet, greift drastisch der Roman "Settlers Creek" des weißen Schriftstellers Carl Nixon auf.
Darin kommt es zu einem heftigen Streit um den Leichnam eines jungen Mannes. Zwei Welten stoßen aufeinander, nachdem Mark, der Adoptivsohn von Box, Selbstmord begangen hat.
Nur Marks dunkle Hautfarbe hat daran erinnert, dass sein Erzeuger ein Maori war. Jetzt steht sein Begräbnis an und Box denkt nicht daran, den Maori den Leichnam seines Sohnes zu überlassen. Als sie den Toten einfach aus der Halle des Bestatters stehlen, kommt es zum gewalttätigen Konflikt.
Den Anstoß für den Roman gab eine wahre Begebenheit, die Nixon in der Zeitung gelesen hatte. Auch hier gab es keine Einigung, erzählt Nixon: "Als Ergebnis dieses Falles wurde das Gesetz geändert. Der gesetzliche Vollstrecker des letzten Willens hat jetzt das Recht, zu bestimmen, wo der Körper begraben wird".
Maori und Pakeha: zwei unterschiedliche Welten
Nixon, ein Abkömmling der weißen Einwanderer, hat diesen Grundkonflikt zum Thema seines Romans "Settlers Creek" gemacht:
"Ich bin Neuseeländer," betont er, "und ich habe eine starke emotionale Bindung an bestimmte Plätze. Das ist der Kern der Kontroverse. Die Maori sind rund 600 Jahre länger in Neuseeland als die Pakeha. Sie haben also eine starke kulturelle und historische Bindung an bestimmte Orte. Aber ich bestreite, dass Pakeha keine ähnlich starke Bindung an Orte haben können."
Der Roman ist ausschließlich aus der Sicht des weißen Bauunternehmers geschrieben und zeigt dessen Verzweiflung über den Raub des Leichnams und
sein Unverständnis für die Maori.
sein Unverständnis für die Maori.
Aus der Sicht eines Maori würde Nixon nicht schreiben, sagt er: "Ich schreibe aus meiner eigenen Erfahrung und Perspektive. Ich denke, wenn ich etwas anderes probieren würde, wäre das falsch und würde sich auch so lesen".
Blick ins Ghetto
Alan Duff hat mit seinem Roman "Warriors" über eine Maori-Sozialsiedlung 1990 einen Weltbestseller geschrieben. Das Buch und dessen Verfilmung machten ihn reich und berühmt.
Das realistische Bild einer drangsalierten, sozial abgestürzten, ins Ghetto abgeschobenen, ihrer eigenen Kultur entfremdeten Maori-Gemeinde, deren Männer gewalttätige Machos sind und von schlecht bezahlten Jobs oder Sozialhilfe leben, löste in Neuseeland einen Schock aus. Es passte so gar nicht zum Selbstverständnis der weißen Mehrheitsgesellschaft.
Doch in genau so einer Welt wuchs Duff auf, nachdem sich seine Eltern getrennt hatten. Mit zehn Jahren zog der Junge mit seiner Mutter, einer Maori, in eine staatliche Sozialhaussiedlung.
Nichts sprach damals für eine literarische Karriere. Er flog von der Schule, rannte von Zuhause weg, landete in einem staatlichen Erziehungsheim, wurde kriminell, kam ins Gefängnis.
Er wurde Installateur, zog 1970 nach England, wurde erneut kriminell und zu 19 Monaten Gefängnis verurteilt. Nach Neuseeland zurückgekehrt, begann er mit dem Schreiben.
Das Manuskript seines ersten Romans, das mehrfach abgelehnt wurde, verbrannte er und setzte sich sofort an den nächsten Roman. Binnen zweier Wochen, so erzählt er, entstand dann "Warriors".
Einfach nur ein Schriftsteller
Duff gefällt sich in der Rolle des Außenseiters, des Provokateurs. Dazu gehört auch seine Überzeugung, sein Talent von seinen Pakeha Verwandten geerbt zu haben.
"Ich bin kein Maori", sagt er. "Meine literarischen Einflüsse stammen von meinem Vater, der eine Universitätsausbildung hatte, von meinem Großvater, der einer der besten Kolumnisten war, den dieses Land jemals gesehen hat. Ich liebe meine Maori-Seite, aber Maori und Schriftsteller, das passt nicht zusammen, denn sie besitzen keine schriftliche Kultur. Ich bin kein Maori-Schriftsteller. Ich bin einfach nur ein Schriftsteller."
Diese Einstellung bringt ihm auch unter den Maori nicht viele Freunde ein.
Duff ist ein Mann der Gegensätze. Er beklagt die fortlaufende Diskriminierung der Maori, attackiert aber gleichzeitig die Maori-Gemeinde, weil sie nach staatlicher Unterstützung schreit, statt selbst etwas zu unternehmen, und er macht sie für ihr Schicksal verantwortlich.
Von der Kindheit bis zum Pflegeheim
Während Duff betont, dass er ausschließlich vom Schreiben lebe, ist Emily Perkins froh, eine Stelle als Literaturdozentin zu haben. Dabei ist die Schriftstellerin durchaus erfolgreich und hat für ihre Bücher mehrere neuseeländische Preise bekommen. Ihr letzter Roman "Die Forrests" erschien 2012.
Es ist eine Familiengeschichte, erzählt aus der Sicht Dorothys, kurz Dot, Mutter dreier Kinder. Verheiratet ist sie mit Andrew, einem Maler, dessen Gemälde niemand kaufen will und der sein Geld als Schulhausmeister verdient.
Wir folgen dem Paar sechzig Jahre lang. "Die Forrests" sind keine durchgehende Erzählung, vielmehr eine Reihe von Geschichten aus 20 Lebensabschnitten von der Kindheit bis zum Pflegeheim. Vignetten eines Lebens mit all seinen Höhen und Tiefen.
Weder reich noch arm
In "Die Forrests" spiegelt sich das Leben einer typischen städtischen Mittelschichtsfamilie, die wie viele Pakeha Familien weder reich noch arm ist und gerade so über die Runden kommt.
Das dunkelhäutige Neuseeland kommt im Roman nicht vor, so wie auch in der Wirklichkeit die Wohnviertel deutlich voneinander getrennt sind. Noch scheut Perkins davor zurück, sich literarisch auch in diese Welt zu begeben.
"Es geht um die Qualität des Schreibens," findet sie. "Man kann über andere Kulturformen schlecht schreiben, weil man die Wahrheit nicht kennt. Dann beschreibt man nur Stereotypen oder Dinge, die man bloß vom Sehen kennt, und das ist einfach schlechte Literatur, wahrscheinlich auch rassistisch".
Trotzdem glaubt sie an die Macht der Fantasie und dass im Zentrum eines literarischen Projekts durchaus die Erfahrung von Leben außerhalb unserer eigenen Grenzen stehen könnte.
Eine schöne Vorstellung, doch noch geschieht es viel zu selten, dass Maori und Pakeha in der Literatur die Gefühle und Gedanken der jeweils anderen erkunden.
(dw)
Der Beitrag ist eine Wiederholung vom 24.07.2020.