Wo Haratischwili entdeckt und an Langgässer erinnert wird
Die Frankfurter Verlagsanstalt und der Kranichsteiner Literaturverlag in Darmstadt beteiligten sich zum diesjährigen "Welttag des Buches" an der Aktion "Verlage besuchen". Ludger Fittkau hat die beiden Verlage besucht.
Wer diesen Verlag besucht, stößt sofort auf ein markantes Wandbild. Denn im schönen Versammlungsraum der Frankfurter Verlagsanstalt hängt ein Kunstwerk von Florian Heinke, das sofort ins Auge springt. Lena Reich, Germanistikstudentin und gemeinsam mit ihrer Mutter Petra Teilnehmerin der Aktion "Verlage besuchen", versucht die schwarzen Textbruchstücke auf der weißen Leinwand zu entziffern: "Es war spät abends, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom … Schlossberg war nichts zu sehen. Nebel und Finsternis umgaben ihn … Es könnte Kafka sein, Das Schloss."
Der Verleger Joachim Unseld führt liebend gerne neue Autoren schnurstracks vor das Bild und lässt sie raten, um welchen Textanfang es geht. Das verrät Nadya Hartmann, die Lektorin des Literaturverlages, der seinen Sitz nur wenige hundert Meter vom Frankfurter Messegelände entfernt hat: "Das ist ganz toll, wenn man einen Verlag hat, der so nahe an der Messe ist. Weil – das kennt ja bestimmt jeder Verlag – wenn man Dinge vergessen hat, müssen wir nicht improvisieren, sondern wir können einfach zurückfahren und es holen. Das ist sehr praktisch, manchmal."
Die Georgierin Haratischwili entdecken
Die Besucher erfahren, dass eine der wichtigsten aktuellen Autorinnen des Verlages wohl einer der großen Stars der kommenden Frankfurter Buchmesse sein wird: Die Georgierin Nino Haratischwili nämlich, die schon lange in Hamburg lebt. Georgien wird das Gastland der Buchmesse 2018 sein.
Auch die Apothekerin und Literatur-Bloggerin Petra Reich ist gemeinsam mit ihrer Tochter der Einladung zum Verlagsbesuch gefolgt. Sie hat Haratischwilis 1200 Seiten-Erfolgsroman "Das achte Leben" zwar noch nicht gelesen. Aber ganz viel davon gehört, verrät sie der Lektorin Nadya Hartmann im Gespräch: "Ich kenne niemanden, der gesagt hat, es würde sich nicht lohnen, es zu lesen."
"Ich kenne auch ganz wenige, die das abgebrochen haben. Ich kenne ganz wenige, die das gekauft haben und gesagt haben: Nö, jetzt ist es irgendwie langweilig, sondern wenn man sich ran getraut hat, dann lesen die meisten es auch durch", sagt Nadya Hartmann.
Die Besucher der Frankfurter Verlagsanstalt werden vor das Regal geführt, in dem die Bücher mit den Übersetzungen von "Das achte Leben" stehen: "Man kann sich vorstellen, so etwas zu übersetzen, über 1200 Seiten, da sind die Übersetzungskosten sehr hoch und trotzdem haben wir es mittlerweile in elf Länder verkauft. Es geht dort auch noch weiter für das Buch. Die englische Ausgabe wird 2019 erscheinen bei Scribe. Und das ist wirklich ein Longseller, in jeglicher Hinsicht. Sowohl was Deutschland angeht auch die Lizenzen ins Ausland mehren sich. Und eigentlich ist es absehbar, dass sie international auch ein großer Name werden wird und zum Teil schon ist. In den Niederlanden und in Polen lief das Buch unglaublich gut, in Polen. Das ist sehr erfreulich und sehr ungewöhnlich für so ein dickes Buch."
Verlegerin lädt in eigenes Wohnzimmer ein
Ortswechsel. Rund 30 Kilometer weiter südlich. Auch der Kranichsteiner Literaturverlag in Darmstadt beteiligt sich an der diesjährigen Aktion "Verlage besuchen". Und zwar mit seinem "literarischen Wohnzimmer". Das ist ganz wörtlich zu nehmen. Verlegerin Kathrin Hampf räumt nämlich eigenhändig für diese Lesungen ihr Wohnzimmer im Erdgeschoss des kleinen Verlagsgebäudes leer, in dem sie auch lebt. Die Stühle für die bis zu 60 Teilnehmer an den Lesungen zu lagern, wenn in ihrem Wohnzimmer keine Veranstaltungen stattfinden, sei nicht ganz einfach, erklärt die 66-Jährige.
Sie deutet in der kleinen Küche auf eine verschlossene Falltür im Boden, auf der noch der Esstisch steht: "Hier unten ist mein Keller. Und dann heißt das, ich muss erst mal hier alles wegräumen, den Tisch, die Stühle an die Seite räumen, Teppich umklappen und dann habe ich hier eine Klappe, die mache ich hoch. Und dann gehe ich in den Keller und trage die Stühle hoch."
Vergessene Werke wieder in Erinnerung rufen
Anders als die Frankfurter Verlagsanstalt betreut der Kranichsteiner Literaturverlag in der Regel keine aktuellen Schreibtalente. Ziel des Verlages ist es vielmehr, an vergessene Werke mit regionalem Bezug zu erinnern. Longseller des Verlages ist etwa der Roman "Der Gang durch das Ried" der Büchnerpreis -Trägerin Elisabeth Langgässer. Begonnen hat die Verlagsarbeit vor 25 Jahren mit der damals in Darmstadt lebenden Ursula Sigismund, einer Großnichte Friedrich Nietzsches.
"Und ich wollte, dass es ihr Buch 'Zarathustras Sippschaft', das ist über ihre Kindheit und Jugend in Weimar im Schatten von Elisabeth Förster-Nietzsche, dass es dieses Buch wieder gibt. Habe frühere Verlage, in denen es erschienen war, angeschrieben. Herder hat überlegt, dann aber doch abgesagt. Dann habe ich gesagt: Na, dann muss ich das machen", sagt Kathrin Hampf.
"Verlage besuchen" ist also eine gelungene Aktion, durch die man erfahren kann, wie bücherbegeisterte Menschen zu Verlegern werden. Manche, wie Joachim Unseld, bekommen den Verleger-Beruf vielleicht schon in die Wiege gelegt. Manche, wie Kathrin Hampf, wollen erst einmal nur, dass ein bestimmtes Buch nicht vergessen wird. Was aus solchen Geschichten entsteht, ist Verlagskultur, die mit viel Liebe gepflegt wird. Beim "Welttag des Buches" kann man sie besichtigen.