Verleger warnt vor "einer amorphen Weltdatenbank aller Texte"
"Open Access" zu jeder wissenschaftlichen Arbeit via Internet würde zu mangelnder Qualität und Effizienz führen, meint der Verleger Wolf von Lucius. Die vielfach geforderte Zweitveröffentlichung von Texten im Netz käme einer Enteignung der Verlage gleich.
Liane von Billerbeck: Open Access, also offener Zugang, so lautet schon seit einiger Zeit ein Zauberwort in der Wissenschaft, und dahinter steht die Idee, dass Forschungsarbeiten künftig überall digital für die anderen Wissenschaftler verfügbar sind und also nicht mehr länger ihren Umweg über die Wissenschaftsverlage nehmen müssen. Diese erhalten bisher die Urheberrechte an den wissenschaftlichen Publikationen, um sie als Zeitschriften und Bücher mit hohen Gewinnen an die Universitätsbibliotheken zu verkaufen. Das heißt, so die Kritiker, die öffentliche Hand zahlt doppelt – einmal für die Entstehung einer solchen Arbeit, dann für deren Veröffentlichung.
Anfang des Jahres rief nun ein britischer Wissenschaftler fast beiläufig zum Boykott des weltgrößten Wissenschaftsverlages Elsevier auf. 11.000 Wissenschaftler weltweit sind bisher gefolgt, und nun geht es ans Eingemachte, an neue Regelungen für das Urheberrecht in der Wissenschaft. Wir fragen uns: Werden Verlage und Bibliotheken als Mittler zwischen Forschern in der Zukunft überflüssig? Und die Frage richten wir jetzt auch an Wulf von Lucius, der im Studio in Stuttgart sitzt, als Geschäftsführer des gleichnamigen, des Lucius Wissenschaftsverlages. Ich grüße Sie!
Wulf von Lucius: Guten Tag, Frau von Billerbeck.
von Billerbeck: Warum können sich große Verlage wie Elsevier eigentlich diese hohen Preise für ihre Publikationen leisten?
von Lucius: Man muss natürlich feststellen, dass das teils auch unglaublich umfangreiche Zeitschriften sind, die also 10.000 oder 12.000 Dollar im Jahr kosten. Die sind dann mit Zehntausenden Seiten im Jahr für den Nutzer auch verfügbar. Sicher ist es so, dass es einige große Verlage gibt, die eine nicht monopolistische, aber doch sehr starke Marktstellung haben und hohe Preise fordern. Andererseits, was Sie in der Anmoderation sagten, mit den 37 Prozent, da muss man mal ein bisschen in die Bilanzierungsregeln schauen. Das ist ein Ebita – das ist so eine typische Betrügerzahl, die gerne den Aktionären genannt wird, um die ganz wild zu machen auf die tollen Renditen. In Wirklichkeit sind da die Abschreibungen, die Zinsen und die Steuern nicht verrechnet. Wenn man die runternimmt, dann kommen die auch, selbst diese Riesenverlage, in etwas menschlichere Dimensionen. Für mich gibt es nur eine seriöse Aussage: Gewinn nach Steuern. Und der ist dann nur ein Bruchteil dieser 37 Prozent.
von Billerbeck: Okay. Trotzdem sind die Gewinne ja noch relativ hoch und wir wissen ja, dass die Autoren ihre Rechte abgeben müssen, die Wissenschaftler, die ihre Artikel darin veröffentlichen. Warum tun sie es dann? Liegt es am Renommee der Zeitschriften, dass ich nicht bin, wenn ich dort nicht veröffentlicht wurde?
von Lucius: Ja, es geht ja nicht nur um Zeitschriften, sondern auch um Bücher. Klarstellend: Das Urheberrecht ist immer beim Autor. Der Autor übergibt dem Verleger oder einem sonstigen Verwerter nur bestimmte definierte Verwertungsrechte, das heißt, der Autor geht davon aus, dass ihm ein Nutzen entsteht, indem er diese Verwertung einem Verlag überträgt. Und ich denke, dass die 5.000 oder 6.000 Mitarbeiter in den deutschen Wissenschaftsverlagen und die Zehntausende in der Welt nicht alle Sinnloses tun. Also die Frage, können wir kurzfristig auf die Verlage verzichten, ist sicher zu verneinen. Langfristig müsste dann die Arbeit, wenn sie eben nicht sinnlos ist, die jetzt geschieht, von anderen übernommen werden, und das würde wahrscheinlich keine Verbilligung bedeuten. Also der Kampf gegen Verlage scheint mir jetzt rein aus der Interessenlage der Wissenschaft selbst eine ganz verfehlte Zielrichtung.
von Billerbeck: Sie sind ja eher ein kleinerer oder mittlerer Verlag. Wo ordnen Sie sich denn in dieser ganzen Szene ein, welche Rolle nehmen Sie ein?
von Lucius: Wir haben natürlich das Problem, dass diese großen Quasi-Monopolisten, die höchst unbeliebt sind, sehr massiv auftreten. Dass es aber eben keine Differenzierung gibt zwischen großen und kleinen und mittleren Verlagen. Auf Bibliothekskongressen, wo ich schon oft mit diskutiert und vorgetragen habe, sagt man dann immer, wir meinen Sie ja nicht.
von Billerbeck: Aber Sie sind dann mit betroffen?
von Lucius: Genau. Wir sind da völlig mit betroffen, und insofern bleibt mir nichts anderes, als auch deren Verhalten im Prinzip für richtig zu halten. Sie erbringen eine Marktleistung, die ja nur dadurch möglich ist, dass der einzelne Wissenschaftler in jedem einzelnen Fall sagt: Ich will dahin gehen, ich will in dieser Zeitschrift oder mit meinem Buch in diesem Verlag herauskommen.
von Billerbeck: Aber nun ist es ja so, dass viele Wissenschaftler eben genau das nicht mehr wollen. Die haben keine Lust, dass da so riesige Gewinne auf ihre Kosten gemacht werden, und machen alternative Vorschläge, die gibt es ja schon eine ganze Weile, wie den offenen Zugang im Internet zu solchen Forschungsergebnissen, der ja auch möglicherweise anderen Leserschichten diese Forschungsergebnisse öffnet. Was halten Sie davon?
von Lucius: Ja, ich meine, da ist eine ganz klare Einstellung. Wir Verleger können und dürfen nur tätig sein, wenn man uns braucht und will. Wir wollen ja nicht die berühmten Heizer auf der E-Lok sein, ein Spruch, der aus dem England der 50er-Jahre stammt. Wir leben bisher davon, dass man unsere Dienste wünscht. Wenn jetzt die Majorität der Wissenschaftler sagen würde, nein, nein, Verlage wollen wir nicht mehr, dann müssen wir unsere Betriebe schließen und uns in Kunsthandlungen oder Tankstellen umwandeln.
von Billerbeck: Wer untersucht dann aber, was ja bisher in diesen Verlagen auch getan wird – wer untersucht dann aber, ob diese Forschungsergebnisse relevant sind? Denn das ist ja auch eine Leistung, die da erbracht wird.
von Lucius: Ja gut, das ist das Peer Review, dass also durch Wissenschaftler geprüft wird, ob die eingereichten Arbeiten dem Standard entsprechen. In aller Regel gehen ja alle Arbeiten noch einmal in ein oder zwei Bearbeitungsstufen zurück und gewinnen dabei. Da muss man sagen, die Verlage organisieren das zum Teil, aber der intellektuelle Input des Peer Review ist natürlich voll auf seiten der Wissenschaft. Der würde also durch Open Access nicht per se verschwinden.
von Billerbeck: Demzufolge brauchen wir sie also nicht, die Verlage, wir könnten sie glatt abschaffen und könnten allen alles zugänglich machen und die Wissenschaftler suchen sich dann eben eine Gruppe, die ihre Ergebnisse überprüft, die kann man dann auch im Internet lesen, und alles ist prima?
von Lucius: Ja, aber es gibt ja neben der Prüfung des intellektuellen Inhalts auch technische Leistungen wie die Formatierung. Die ist teils bei wissenschaftlichen, also naturwissenschaftlichen Texten sehr aufwändig. Es gibt die Leistung der Verbreitung, es gibt die Leistung der Qualitätsschichtung, das ist ja das Wichtigste an Zeitschriften, dass sie Qualitätsadressen sind. Und das sind Leistungen, die die Verlage erbringen können. In einer amorphen Weltdatenbank aller Texte, wo alle Texte open access einstehen, würde die Orientierung, die Qualitätsorientierung, die Themenfokussierung ungleich leiden und sehr große Effizienzverluste bedeuten. Also ich denke schon, dass Verlage sehr nützliche Orientierungshilfe im wissenschaftlichen Publikationssystem bieten.
von Billerbeck: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, Sie befürchten, wir haben dann eine Menge von Texten, die zwar allen zur Verfügung stehen, aber niemand weiß mehr, was gut oder schlecht ist?
von Lucius: Nicht, was gut oder schlecht ist, sondern sie gehen in einem Meer von Arbeiten unter, die nicht so fein sortiert sind, wie sie durch die Inhaltsadressen der Zeitschriften und durch die Qualitätssignale bestimmter Zeitschriftentitel gegeben werden.
von Billerbeck: Nun ist es aber so, dass Open Access, offener Zugang also, ich will nicht sagen, zur Regel, aber doch immer häufiger wird. Was heißt denn das für die Verlage und auch für die Qualität der wissenschaftlichen Publikationen?
von Lucius: Es gibt ja zwei Wege von Open Access. Der eine ist ja ein reich kommerzieller, den gerade auch diese kritisierten Großverlage schon intensiv beschreiten. Da zahlt der Autor dafür, dass die Arbeit in dieser bestimmten Zeitschrift publiziert wird, Beträge von 2.000 Dollar und mehr. Da ist also die Zahlpflicht umgekehrt. Die Nutzer haben es umsonst, und die veröffentlichenden Wissenschaftler beziehungsweise ihre Institutionen müssen es bezahlen. Das ist einfach ein Geschäftsmodell. Ich halte es aus wissenschaftspolitischer Sicht nicht für gut, aber das wäre für die Verlage kein Grundsatzproblem.
Der andere, zweite Weg von Open Access ist der sogenannte grüne Weg, und der ist etwas doppelbödig. Da möchte man nämlich gern die Leistungen der Verlage haben, es wird also konventionell eingereicht und publiziert, und dann möchte man, Extremisten reden von sechs Monaten, wenigstens mit einer gewissen Frist nach der Erstpublikation, diese Dinge kostenlos ins Netz stellen.
von Billerbeck: Das heißt, wo die Rechte dann vom Verlag wieder wechseln?
von Lucius: Ja. Das ist das berühmte Zweitveröffentlichungsrecht des Autors, und das ist natürlich eine Sache, die ein enteignungsgleicher Eingriff wäre, und es ist schlicht zu befürchten, dass viele Verlage dann, weil die Leser, die es nicht ganz dringlich haben, einfach warten würden, bis die sechs Monate um sind, dann keine Abonnenten oder nur noch sehr wenige haben, und diese Objekte nicht mehr betreiben können. Also, dieser Weg, der grüne Weg, mit der Teilenteignung durch eine relativ kurze Frist nach der Erstveröffentlichung, die der Verlag finanziert und bewirkt hat, das ist der gefährliche Weg, und um den geht der Streit.
von Billerbeck: Welche Rolle werden denn in Zukunft nun Verlage haben in diesem Bereich, wenn es um wissenschaftliche Veröffentlichungen geht?
von Lucius: Tja. Wenn die Autoren entscheiden dürfen, habe ich überhaupt keine Sorge. Es ist ja das Merkwürdige oder wenigstens Interessante, dass die Wissenschaftsorganisationen, allen voran die DFG und die Max-Planck-Gesellschaft, eine ausgesprochen verlagskritische, wenn nicht verlagsfeindliche Einstellung haben, während die einzelnen Autoren, sowohl in Zeitschriften wie im Buchbereich, sehr gut, vertrauensvoll mit ihren Verlagen zusammenarbeiten. Es ist schon ein Machtkampf stark staatlich gesteuerter Organisationen gegen eine marktwirtschaftliche Organisation, wie wir sie bisher haben.
von Billerbeck: Trotzdem kann es ja sein, dass die Autoren das nur deshalb tun, weil sie eben die Zahl der veröffentlichten Artikel auch mit ihrem Renommee koppeln.
von Lucius: Ja gut, aber das Renommee, das eine Zeitschrift aufgebaut hat, ist auch – nicht allein, aber auch eine Leistung des Verlages. Und die kann man nicht einfach von ihm abkoppeln. Das ist genau der Punkt, um den es geht. Man möchte in dem grünen Weg die Verlagsleistung gerne mitnehmen und hinterher sozialisieren.
von Billerbeck: Das sagt Wolf von Lucius, Geschäftsführer des Lucius Wissenschaftsverlages, über die Veröffentlichungsmodelle in der Wissenschaft der Zukunft. Ich danke Ihnen!
von Lucius: Vielen Dank, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Wem gehört die Wissenschaft? Der Streit ums Urheberrecht zwischen Forschung und Verlagen, darüber können Sie auch heute Abend eine Podiumsdiskussion in der Sendung "Wortwechsel" hören, hier bei uns ab 19:07 Uhr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Weitere Beiträge zu Open Access im Deutschlandradio:
Welcher Schutz fürs geistige Eigentum? - Positionen im Streit um das Urheberrecht
Das wissenschaftliche Buch stirbt aus - Immer mehr Online-Publikationen oder E-Books
Forscheraufstand gegen Wissenschaftsverlag - Mathematiker: Verlage lassen Unibibliotheken ausbluten
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Wulf von Lucius: Guten Tag, Frau von Billerbeck.
von Billerbeck: Warum können sich große Verlage wie Elsevier eigentlich diese hohen Preise für ihre Publikationen leisten?
von Lucius: Man muss natürlich feststellen, dass das teils auch unglaublich umfangreiche Zeitschriften sind, die also 10.000 oder 12.000 Dollar im Jahr kosten. Die sind dann mit Zehntausenden Seiten im Jahr für den Nutzer auch verfügbar. Sicher ist es so, dass es einige große Verlage gibt, die eine nicht monopolistische, aber doch sehr starke Marktstellung haben und hohe Preise fordern. Andererseits, was Sie in der Anmoderation sagten, mit den 37 Prozent, da muss man mal ein bisschen in die Bilanzierungsregeln schauen. Das ist ein Ebita – das ist so eine typische Betrügerzahl, die gerne den Aktionären genannt wird, um die ganz wild zu machen auf die tollen Renditen. In Wirklichkeit sind da die Abschreibungen, die Zinsen und die Steuern nicht verrechnet. Wenn man die runternimmt, dann kommen die auch, selbst diese Riesenverlage, in etwas menschlichere Dimensionen. Für mich gibt es nur eine seriöse Aussage: Gewinn nach Steuern. Und der ist dann nur ein Bruchteil dieser 37 Prozent.
von Billerbeck: Okay. Trotzdem sind die Gewinne ja noch relativ hoch und wir wissen ja, dass die Autoren ihre Rechte abgeben müssen, die Wissenschaftler, die ihre Artikel darin veröffentlichen. Warum tun sie es dann? Liegt es am Renommee der Zeitschriften, dass ich nicht bin, wenn ich dort nicht veröffentlicht wurde?
von Lucius: Ja, es geht ja nicht nur um Zeitschriften, sondern auch um Bücher. Klarstellend: Das Urheberrecht ist immer beim Autor. Der Autor übergibt dem Verleger oder einem sonstigen Verwerter nur bestimmte definierte Verwertungsrechte, das heißt, der Autor geht davon aus, dass ihm ein Nutzen entsteht, indem er diese Verwertung einem Verlag überträgt. Und ich denke, dass die 5.000 oder 6.000 Mitarbeiter in den deutschen Wissenschaftsverlagen und die Zehntausende in der Welt nicht alle Sinnloses tun. Also die Frage, können wir kurzfristig auf die Verlage verzichten, ist sicher zu verneinen. Langfristig müsste dann die Arbeit, wenn sie eben nicht sinnlos ist, die jetzt geschieht, von anderen übernommen werden, und das würde wahrscheinlich keine Verbilligung bedeuten. Also der Kampf gegen Verlage scheint mir jetzt rein aus der Interessenlage der Wissenschaft selbst eine ganz verfehlte Zielrichtung.
von Billerbeck: Sie sind ja eher ein kleinerer oder mittlerer Verlag. Wo ordnen Sie sich denn in dieser ganzen Szene ein, welche Rolle nehmen Sie ein?
von Lucius: Wir haben natürlich das Problem, dass diese großen Quasi-Monopolisten, die höchst unbeliebt sind, sehr massiv auftreten. Dass es aber eben keine Differenzierung gibt zwischen großen und kleinen und mittleren Verlagen. Auf Bibliothekskongressen, wo ich schon oft mit diskutiert und vorgetragen habe, sagt man dann immer, wir meinen Sie ja nicht.
von Billerbeck: Aber Sie sind dann mit betroffen?
von Lucius: Genau. Wir sind da völlig mit betroffen, und insofern bleibt mir nichts anderes, als auch deren Verhalten im Prinzip für richtig zu halten. Sie erbringen eine Marktleistung, die ja nur dadurch möglich ist, dass der einzelne Wissenschaftler in jedem einzelnen Fall sagt: Ich will dahin gehen, ich will in dieser Zeitschrift oder mit meinem Buch in diesem Verlag herauskommen.
von Billerbeck: Aber nun ist es ja so, dass viele Wissenschaftler eben genau das nicht mehr wollen. Die haben keine Lust, dass da so riesige Gewinne auf ihre Kosten gemacht werden, und machen alternative Vorschläge, die gibt es ja schon eine ganze Weile, wie den offenen Zugang im Internet zu solchen Forschungsergebnissen, der ja auch möglicherweise anderen Leserschichten diese Forschungsergebnisse öffnet. Was halten Sie davon?
von Lucius: Ja, ich meine, da ist eine ganz klare Einstellung. Wir Verleger können und dürfen nur tätig sein, wenn man uns braucht und will. Wir wollen ja nicht die berühmten Heizer auf der E-Lok sein, ein Spruch, der aus dem England der 50er-Jahre stammt. Wir leben bisher davon, dass man unsere Dienste wünscht. Wenn jetzt die Majorität der Wissenschaftler sagen würde, nein, nein, Verlage wollen wir nicht mehr, dann müssen wir unsere Betriebe schließen und uns in Kunsthandlungen oder Tankstellen umwandeln.
von Billerbeck: Wer untersucht dann aber, was ja bisher in diesen Verlagen auch getan wird – wer untersucht dann aber, ob diese Forschungsergebnisse relevant sind? Denn das ist ja auch eine Leistung, die da erbracht wird.
von Lucius: Ja gut, das ist das Peer Review, dass also durch Wissenschaftler geprüft wird, ob die eingereichten Arbeiten dem Standard entsprechen. In aller Regel gehen ja alle Arbeiten noch einmal in ein oder zwei Bearbeitungsstufen zurück und gewinnen dabei. Da muss man sagen, die Verlage organisieren das zum Teil, aber der intellektuelle Input des Peer Review ist natürlich voll auf seiten der Wissenschaft. Der würde also durch Open Access nicht per se verschwinden.
von Billerbeck: Demzufolge brauchen wir sie also nicht, die Verlage, wir könnten sie glatt abschaffen und könnten allen alles zugänglich machen und die Wissenschaftler suchen sich dann eben eine Gruppe, die ihre Ergebnisse überprüft, die kann man dann auch im Internet lesen, und alles ist prima?
von Lucius: Ja, aber es gibt ja neben der Prüfung des intellektuellen Inhalts auch technische Leistungen wie die Formatierung. Die ist teils bei wissenschaftlichen, also naturwissenschaftlichen Texten sehr aufwändig. Es gibt die Leistung der Verbreitung, es gibt die Leistung der Qualitätsschichtung, das ist ja das Wichtigste an Zeitschriften, dass sie Qualitätsadressen sind. Und das sind Leistungen, die die Verlage erbringen können. In einer amorphen Weltdatenbank aller Texte, wo alle Texte open access einstehen, würde die Orientierung, die Qualitätsorientierung, die Themenfokussierung ungleich leiden und sehr große Effizienzverluste bedeuten. Also ich denke schon, dass Verlage sehr nützliche Orientierungshilfe im wissenschaftlichen Publikationssystem bieten.
von Billerbeck: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, Sie befürchten, wir haben dann eine Menge von Texten, die zwar allen zur Verfügung stehen, aber niemand weiß mehr, was gut oder schlecht ist?
von Lucius: Nicht, was gut oder schlecht ist, sondern sie gehen in einem Meer von Arbeiten unter, die nicht so fein sortiert sind, wie sie durch die Inhaltsadressen der Zeitschriften und durch die Qualitätssignale bestimmter Zeitschriftentitel gegeben werden.
von Billerbeck: Nun ist es aber so, dass Open Access, offener Zugang also, ich will nicht sagen, zur Regel, aber doch immer häufiger wird. Was heißt denn das für die Verlage und auch für die Qualität der wissenschaftlichen Publikationen?
von Lucius: Es gibt ja zwei Wege von Open Access. Der eine ist ja ein reich kommerzieller, den gerade auch diese kritisierten Großverlage schon intensiv beschreiten. Da zahlt der Autor dafür, dass die Arbeit in dieser bestimmten Zeitschrift publiziert wird, Beträge von 2.000 Dollar und mehr. Da ist also die Zahlpflicht umgekehrt. Die Nutzer haben es umsonst, und die veröffentlichenden Wissenschaftler beziehungsweise ihre Institutionen müssen es bezahlen. Das ist einfach ein Geschäftsmodell. Ich halte es aus wissenschaftspolitischer Sicht nicht für gut, aber das wäre für die Verlage kein Grundsatzproblem.
Der andere, zweite Weg von Open Access ist der sogenannte grüne Weg, und der ist etwas doppelbödig. Da möchte man nämlich gern die Leistungen der Verlage haben, es wird also konventionell eingereicht und publiziert, und dann möchte man, Extremisten reden von sechs Monaten, wenigstens mit einer gewissen Frist nach der Erstpublikation, diese Dinge kostenlos ins Netz stellen.
von Billerbeck: Das heißt, wo die Rechte dann vom Verlag wieder wechseln?
von Lucius: Ja. Das ist das berühmte Zweitveröffentlichungsrecht des Autors, und das ist natürlich eine Sache, die ein enteignungsgleicher Eingriff wäre, und es ist schlicht zu befürchten, dass viele Verlage dann, weil die Leser, die es nicht ganz dringlich haben, einfach warten würden, bis die sechs Monate um sind, dann keine Abonnenten oder nur noch sehr wenige haben, und diese Objekte nicht mehr betreiben können. Also, dieser Weg, der grüne Weg, mit der Teilenteignung durch eine relativ kurze Frist nach der Erstveröffentlichung, die der Verlag finanziert und bewirkt hat, das ist der gefährliche Weg, und um den geht der Streit.
von Billerbeck: Welche Rolle werden denn in Zukunft nun Verlage haben in diesem Bereich, wenn es um wissenschaftliche Veröffentlichungen geht?
von Lucius: Tja. Wenn die Autoren entscheiden dürfen, habe ich überhaupt keine Sorge. Es ist ja das Merkwürdige oder wenigstens Interessante, dass die Wissenschaftsorganisationen, allen voran die DFG und die Max-Planck-Gesellschaft, eine ausgesprochen verlagskritische, wenn nicht verlagsfeindliche Einstellung haben, während die einzelnen Autoren, sowohl in Zeitschriften wie im Buchbereich, sehr gut, vertrauensvoll mit ihren Verlagen zusammenarbeiten. Es ist schon ein Machtkampf stark staatlich gesteuerter Organisationen gegen eine marktwirtschaftliche Organisation, wie wir sie bisher haben.
von Billerbeck: Trotzdem kann es ja sein, dass die Autoren das nur deshalb tun, weil sie eben die Zahl der veröffentlichten Artikel auch mit ihrem Renommee koppeln.
von Lucius: Ja gut, aber das Renommee, das eine Zeitschrift aufgebaut hat, ist auch – nicht allein, aber auch eine Leistung des Verlages. Und die kann man nicht einfach von ihm abkoppeln. Das ist genau der Punkt, um den es geht. Man möchte in dem grünen Weg die Verlagsleistung gerne mitnehmen und hinterher sozialisieren.
von Billerbeck: Das sagt Wolf von Lucius, Geschäftsführer des Lucius Wissenschaftsverlages, über die Veröffentlichungsmodelle in der Wissenschaft der Zukunft. Ich danke Ihnen!
von Lucius: Vielen Dank, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Wem gehört die Wissenschaft? Der Streit ums Urheberrecht zwischen Forschung und Verlagen, darüber können Sie auch heute Abend eine Podiumsdiskussion in der Sendung "Wortwechsel" hören, hier bei uns ab 19:07 Uhr.
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