Verlieren Dörfer künftig ihre Seele?
Das Bistum müsse seinen Bestand an Immobilien reduzieren, um Kosten zu sparen. So stand es in der Pressemitteilung von Mitte Januar - ganz nüchtern. Doch für das Bistum Hildesheim und Tausende Katholiken heißt das konkret: 80 von 438 Kirchen sollen in den nächsten Jahren geschlossen, viele von ihnen sollen sogar abgerissen werden.
Schon von weitem ist sie zu sehen - die katholische Kirche St. Raphael im Wolfsburger Stadtteil Detmerode. Eine moderne Kirche, gebaut aus Kalksandstein Anfang der 70er Jahre, umgeben von zahlreichen Hochhäusern und Bungalows. Ein großes Plakat hängt an der Kirchenwand: "Keine Schließung der Kirche - Aufbruch statt Abbruch" ist darauf zu lesen.
Fast alle 262 Plätze in der Kirche sind besetzt. Viele ältere Männer und Frauen nehmen an diesem Sonntag am Gottesdienst teil, aber auch Jugendliche und Familien mit Kindern. Erwin Rehder ist seit fast 20 Jahren Pfarrer in St. Raphael. Mitte Januar erfuhr der 67-Jährige, dass "seine" Kirche geschlossen werden soll.
"Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Ich wusste zwar, dass solche Pläne existieren, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass das unsere aktive St. Raphael Gemeinde überhaupt treffen könnte."
Nach dem Gottesdienst stehen viele Gemeindemitglieder trotz heftigen Regens noch draußen vor der Kirche und diskutieren über die drohende Schließung.
Umfrage:
"Wir sind groß geworden mit der Raphael Kirche, wir waren mit die ersten hier. Wir sind 65 hierher gezogen, nach den Messen in der Schule, in der evangelischen Kirche waren wir froh, dass wir unsere Kirche hatten und das ist für uns der Mittelpunkt.
In Detmerode gibt es keine andere katholische Kirche, viele gehen hier hin. Kirche lebt von unten, von uns, und das wollen wir hier auch so beibehalten."
Viele haben damals Geld gespendet für den Bau von St. Raphael, gerade erst wurde das Gotteshaus aufwendig restauriert. Die Kirche ist bekannt für ihre gute Akustik. Sicher - auch die katholische Gemeinde in Detmerode spürt die Folgen des demographischen Wandels: Die Mitgliederzahlen sinken auch hier, doch das Gemeindeleben ist nach wie vor lebendig: angefangen beim Kirchenchor, über Frauengruppen bis hin zur kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit. Die drohende Schließung von St. Raphael - auch für den Kirchenvorstandsvorsitzenden Edgar Mecke eine Katastrophe:
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Kirchenchor so bestehen bleibt, wenn er keine eigene Kirche hat. Und natürlich Makrometik, und außerdem unser Förderverein, ich kann mir nicht vorstellen, dass die Leute darin bleiben, wenn die Kirche geschlossen wird. Für wen sollen sie dann fördern?"
Noch ein Beispiel: Die Kindertagesstätte St. Raphael liegt direkt neben der Kirche. Ideale Voraussetzungen für die 120 Kinder, mit dem Glauben ganz selbstverständlich groß zu werden. Wenn das Gotteshaus geschlossen wird, muss Kita-Leiterin Anna Jilge mit den Kindern immer extra in die Kirche in die Innenstadt fahren.
"Es kriegt einen Eventcharakter wie eine Riesenradfahrt. Da sehe ich schon einen Unterschied, dass wir hier mit Kirche leben können. Wir sagen oft, wo wohnt Gott und Gott ist dann nicht so ein abstraktes Gebilde für die Kinder, sondern wird Teil ihres Lebens."
Die Gemeinde kämpft um St. Raphael. Mit Unterschriftenlisten etwa und offenen Briefen an das das Bischöfliche Generalvikariat in Hildesheim. Generalvikar Werner Schreer kann Trauer und Wut der Betroffenen gut verstehen.
"Ich war bis vor zwei Jahren selber Pfarrer und sehe, dass auch in dem Bereich Kirchen zur Disposition stehen, in dem ich zehn Jahre als Pfarrer gewirkt habe - natürlich berührt mich das."
Andererseits muss er die Gesamtsituation im Bistum Hildesheim im Blick behalten: Die Zahl der Katholiken ist um 100.000 zurückgegangen und das heißt: weniger Einnahmen. Das Bistum muss sparen, auch Kirchen müssen geschlossen werden. Viele von ihnen müssten in den nächsten Jahren aufwendig restauriert werden. Die Frage der Baufälligkeit ist ein Kriterium, um zu entscheiden, ob eine Kirche, auf Kirchendeutsch, profaniert werden soll. Auch das Gemeindeleben und demographische Veränderungen spielen eine Rolle. Weniger Gemeindemitglieder – das trifft auch für St. Raphael zu. Doch die Kirche ist baulich intakt und das Gemeindeleben funktioniert auch. Warum also St. Raphael schließen?
"Wir müssen aber im gerechten Blick auf das ganze Bistum sagen, Wolfsburg hat sechs katholische Kirchen, das ist eine Zahl, die auf Dauer nicht erforderlich ist, um das kirchliche Leben in guter Weise aufrechtzuerhalten. Dann prüft man natürlich, welches wäre die Kirche, die man am ehesten aufgeben kann - und das Ergebnis war St. Raphael."
Generalvikar Werner Schreer reist zurzeit mit Vertretern des Bistums Hildesheim durch die Dekanate, um über die Pläne zu diskutieren. Bis zum Herbst soll ein pastorales Konzept entwickelt werden, dann erst fällt die endgültige Entscheidung, welche 80 Kirchen geschlossen werden sollen. Ein schmerzhafter Schritt, aber für ihn auch eine Chance.
"Die Kraft des Evangeliums repräsentiert sich auch in kraftvollen Gemeinden. Und wo die Bedingungen nicht mehr da sind, dass eine kraftvolle Gemeinde leben kann, ist es besser zu konzentrieren, als sich mit den Kräften zu verlieren."
In der St. Raphael Gemeinde sieht man das ganz anders. Kita-Leiterin Anna Jilge und Pfarrer Erwin Rehder:
Jilge: "Jetzt zieht sich Kirche von selber zurück – wo ist denn da die Chance? Ich glaube eher, dass die Menschen derart enttäuscht sein werden, dass sie sich noch mehr von Kirche zurückziehen, weil sie sich von Kirche verlassen fühlen."
Rehder: "Ich habe den Eindruck, dass wir in unserem Bistum sparen müssen, ja, aber es gibt auch das Moment des Kaputt-Sparens. Ich würde den Verantwortlichen raten, dass man noch andere Einsparmöglichkeiten sucht, dass man an die Kirchen, an das Herz jeder Gemeinde, nur geht, wenn es keinen anderen Ausweg gibt."
Abgesehen von der drohenden Kirchenschließung, steckt die katholische Kirche auch in Wolfsburg schon lange mitten im Umbruch. Bis 2010 sollen die sechs innerstädtischen Gemeinden fusionieren, zu einer Großgemeinde zusammenwachsen. Pfarrer Rehder unterstützt diese Pläne, vorausgesetzt, jede Gemeinde behält ihren Kirchenraum.
Kreativität ist also gefragt auf der Suche nach Lösungen – da sind sich Kirchenvorstandsvorsitzender Edgar Mecke und Pfarrer Erwin Rehder einig.
Mecke: "Wir haben ein Papier entwickelt, in dem Einsparungen dem Bistum vorgeschlagen werden und die sechs Gemeinden, mit denen wir 2010 fusionieren sollen, sollen eingebunden werden. Das heißt, alle sechs Gemeinden sollen sich beteiligen und deshalb hoffe ich auf die Solidarität aller Gemeinden, dass wir keine Kirche schließen in Wolfsburg."
Rehder: "Wir wollen alle Möglichkeiten ausschöpfen und den Förderverein beleben. Ich denke, die Menschen sind auch bereit, für die eigene Kirche, etwas zu opfern – da bin ich ganz zuversichtlich."
In diesen Zeiten eine Vision für das Bistum Hildesheim zu entwickeln, ist nicht einfach. Generalvikar Werner Schreer hat seine Vision – und zwar unabhängig von der Anzahl der Kirchen.
"Meine positive Vision ist, dass unsere Leitfrage sein wird, wie können wir als Christen glaubwürdig für die Botschaft Christi einstehen und von daher die Frage stellen, was brauchen wir an Personal, an Gebäuden. Wir werden weniger Kirchen haben, Personal haben - aber die Leitfrage muss doch sein, was wollen wir eigentlich mit unseren Kirchen, unseren Personal? Und das uns das stärker bewusst wird, das wäre mein Wunsch."
Kita-Leiterin Anna Jilge plädiert ganz einfach dafür, die Kirche wortwörtlich im Dorf zu lassen.
"Wenn Gott schenkt, schenkt er überreich, haben wir festgestellt. Wir hoffen, dass wir durch unsere Aktionen so deutlich machen, dass wir hier unseren Raum brauchen, um hier wirken zu können. Das man einfach nicht mehr an uns vorbeigehen kann und sagt, ja es ist für die ganze Kirche hier wichtig, dass St. Raphael hier steht."
Fast alle 262 Plätze in der Kirche sind besetzt. Viele ältere Männer und Frauen nehmen an diesem Sonntag am Gottesdienst teil, aber auch Jugendliche und Familien mit Kindern. Erwin Rehder ist seit fast 20 Jahren Pfarrer in St. Raphael. Mitte Januar erfuhr der 67-Jährige, dass "seine" Kirche geschlossen werden soll.
"Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Ich wusste zwar, dass solche Pläne existieren, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass das unsere aktive St. Raphael Gemeinde überhaupt treffen könnte."
Nach dem Gottesdienst stehen viele Gemeindemitglieder trotz heftigen Regens noch draußen vor der Kirche und diskutieren über die drohende Schließung.
Umfrage:
"Wir sind groß geworden mit der Raphael Kirche, wir waren mit die ersten hier. Wir sind 65 hierher gezogen, nach den Messen in der Schule, in der evangelischen Kirche waren wir froh, dass wir unsere Kirche hatten und das ist für uns der Mittelpunkt.
In Detmerode gibt es keine andere katholische Kirche, viele gehen hier hin. Kirche lebt von unten, von uns, und das wollen wir hier auch so beibehalten."
Viele haben damals Geld gespendet für den Bau von St. Raphael, gerade erst wurde das Gotteshaus aufwendig restauriert. Die Kirche ist bekannt für ihre gute Akustik. Sicher - auch die katholische Gemeinde in Detmerode spürt die Folgen des demographischen Wandels: Die Mitgliederzahlen sinken auch hier, doch das Gemeindeleben ist nach wie vor lebendig: angefangen beim Kirchenchor, über Frauengruppen bis hin zur kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit. Die drohende Schließung von St. Raphael - auch für den Kirchenvorstandsvorsitzenden Edgar Mecke eine Katastrophe:
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Kirchenchor so bestehen bleibt, wenn er keine eigene Kirche hat. Und natürlich Makrometik, und außerdem unser Förderverein, ich kann mir nicht vorstellen, dass die Leute darin bleiben, wenn die Kirche geschlossen wird. Für wen sollen sie dann fördern?"
Noch ein Beispiel: Die Kindertagesstätte St. Raphael liegt direkt neben der Kirche. Ideale Voraussetzungen für die 120 Kinder, mit dem Glauben ganz selbstverständlich groß zu werden. Wenn das Gotteshaus geschlossen wird, muss Kita-Leiterin Anna Jilge mit den Kindern immer extra in die Kirche in die Innenstadt fahren.
"Es kriegt einen Eventcharakter wie eine Riesenradfahrt. Da sehe ich schon einen Unterschied, dass wir hier mit Kirche leben können. Wir sagen oft, wo wohnt Gott und Gott ist dann nicht so ein abstraktes Gebilde für die Kinder, sondern wird Teil ihres Lebens."
Die Gemeinde kämpft um St. Raphael. Mit Unterschriftenlisten etwa und offenen Briefen an das das Bischöfliche Generalvikariat in Hildesheim. Generalvikar Werner Schreer kann Trauer und Wut der Betroffenen gut verstehen.
"Ich war bis vor zwei Jahren selber Pfarrer und sehe, dass auch in dem Bereich Kirchen zur Disposition stehen, in dem ich zehn Jahre als Pfarrer gewirkt habe - natürlich berührt mich das."
Andererseits muss er die Gesamtsituation im Bistum Hildesheim im Blick behalten: Die Zahl der Katholiken ist um 100.000 zurückgegangen und das heißt: weniger Einnahmen. Das Bistum muss sparen, auch Kirchen müssen geschlossen werden. Viele von ihnen müssten in den nächsten Jahren aufwendig restauriert werden. Die Frage der Baufälligkeit ist ein Kriterium, um zu entscheiden, ob eine Kirche, auf Kirchendeutsch, profaniert werden soll. Auch das Gemeindeleben und demographische Veränderungen spielen eine Rolle. Weniger Gemeindemitglieder – das trifft auch für St. Raphael zu. Doch die Kirche ist baulich intakt und das Gemeindeleben funktioniert auch. Warum also St. Raphael schließen?
"Wir müssen aber im gerechten Blick auf das ganze Bistum sagen, Wolfsburg hat sechs katholische Kirchen, das ist eine Zahl, die auf Dauer nicht erforderlich ist, um das kirchliche Leben in guter Weise aufrechtzuerhalten. Dann prüft man natürlich, welches wäre die Kirche, die man am ehesten aufgeben kann - und das Ergebnis war St. Raphael."
Generalvikar Werner Schreer reist zurzeit mit Vertretern des Bistums Hildesheim durch die Dekanate, um über die Pläne zu diskutieren. Bis zum Herbst soll ein pastorales Konzept entwickelt werden, dann erst fällt die endgültige Entscheidung, welche 80 Kirchen geschlossen werden sollen. Ein schmerzhafter Schritt, aber für ihn auch eine Chance.
"Die Kraft des Evangeliums repräsentiert sich auch in kraftvollen Gemeinden. Und wo die Bedingungen nicht mehr da sind, dass eine kraftvolle Gemeinde leben kann, ist es besser zu konzentrieren, als sich mit den Kräften zu verlieren."
In der St. Raphael Gemeinde sieht man das ganz anders. Kita-Leiterin Anna Jilge und Pfarrer Erwin Rehder:
Jilge: "Jetzt zieht sich Kirche von selber zurück – wo ist denn da die Chance? Ich glaube eher, dass die Menschen derart enttäuscht sein werden, dass sie sich noch mehr von Kirche zurückziehen, weil sie sich von Kirche verlassen fühlen."
Rehder: "Ich habe den Eindruck, dass wir in unserem Bistum sparen müssen, ja, aber es gibt auch das Moment des Kaputt-Sparens. Ich würde den Verantwortlichen raten, dass man noch andere Einsparmöglichkeiten sucht, dass man an die Kirchen, an das Herz jeder Gemeinde, nur geht, wenn es keinen anderen Ausweg gibt."
Abgesehen von der drohenden Kirchenschließung, steckt die katholische Kirche auch in Wolfsburg schon lange mitten im Umbruch. Bis 2010 sollen die sechs innerstädtischen Gemeinden fusionieren, zu einer Großgemeinde zusammenwachsen. Pfarrer Rehder unterstützt diese Pläne, vorausgesetzt, jede Gemeinde behält ihren Kirchenraum.
Kreativität ist also gefragt auf der Suche nach Lösungen – da sind sich Kirchenvorstandsvorsitzender Edgar Mecke und Pfarrer Erwin Rehder einig.
Mecke: "Wir haben ein Papier entwickelt, in dem Einsparungen dem Bistum vorgeschlagen werden und die sechs Gemeinden, mit denen wir 2010 fusionieren sollen, sollen eingebunden werden. Das heißt, alle sechs Gemeinden sollen sich beteiligen und deshalb hoffe ich auf die Solidarität aller Gemeinden, dass wir keine Kirche schließen in Wolfsburg."
Rehder: "Wir wollen alle Möglichkeiten ausschöpfen und den Förderverein beleben. Ich denke, die Menschen sind auch bereit, für die eigene Kirche, etwas zu opfern – da bin ich ganz zuversichtlich."
In diesen Zeiten eine Vision für das Bistum Hildesheim zu entwickeln, ist nicht einfach. Generalvikar Werner Schreer hat seine Vision – und zwar unabhängig von der Anzahl der Kirchen.
"Meine positive Vision ist, dass unsere Leitfrage sein wird, wie können wir als Christen glaubwürdig für die Botschaft Christi einstehen und von daher die Frage stellen, was brauchen wir an Personal, an Gebäuden. Wir werden weniger Kirchen haben, Personal haben - aber die Leitfrage muss doch sein, was wollen wir eigentlich mit unseren Kirchen, unseren Personal? Und das uns das stärker bewusst wird, das wäre mein Wunsch."
Kita-Leiterin Anna Jilge plädiert ganz einfach dafür, die Kirche wortwörtlich im Dorf zu lassen.
"Wenn Gott schenkt, schenkt er überreich, haben wir festgestellt. Wir hoffen, dass wir durch unsere Aktionen so deutlich machen, dass wir hier unseren Raum brauchen, um hier wirken zu können. Das man einfach nicht mehr an uns vorbeigehen kann und sagt, ja es ist für die ganze Kirche hier wichtig, dass St. Raphael hier steht."