Verloren im Übergang
Die Ausstellung "Lost in Transformation" ist eine nüchterne Bestandsaufnahme der Ära Putin. Die Kieler Schau zeigt das Interesse russischer Videokünstler für die vielen Verlierer beim Übergang der Planwirtschaft zum Turbokapitalismus.
So eingängig können Bild-Erfindungen sein: Mit Sonnenblumenkernen hat die russische Künstlergruppe "Zer Gut" ihre Konterfeis in den Schnee gestreut. Die Kamera registriert von oben, wie Tauben die Kerne aufpicken, so dass das nahrhafte Abbild der Künstler einfach ... verschwindet. Projiziert wird das Video auf einen Untergrund aus Styroporplatten mit schneeartigen Styroporkrümeln.
"Lost in Transformation" – "Verloren im Übergang" heißt die Ausstellung, die erstmals Videokunst ausschließlich aus Russland in Westeuropa vorstellt.
"Die Leute drehen ja überwiegend in Russland und finden auch ein gewisses Material vor und eine gewisse Situation, die bestimmt auch ins Werk einfließt."
Christoph Weiß hat gemeinsam mit zwei russischen Kuratoren die elf Positionen der Schau zusammengestellt.
"Ich möchte nicht so weit gehen, dass es die russische Videokunst gibt. Es gibt bestimmt Videokunst mit russischem Einschlag. Was ich in Russland als besonders erlebt habe, sind die wenigen Berührungsängste zu anderen Medien. Man hat keine Angst, filmische Motive aufzugreifen. Oder auch: Man hat keine Angst, eine Handlung im Video stattfinden zu lassen."
Viele Medienkünstler hatten das Ende der Sowjetunion als eine Zeit der Leere erlebt, in der aber auch die Chance für einen Neuanfang steckte: Erstmals konnten sie die nötige Ausrüstung wie Kameras und Monitore beschaffen und – bezahlen. Ihr Aufbruch vollzog sich abseits der Akademien, Videokünstler arbeiten oft außerhalb der Zentren in der Provinz.
Yury Vassiliev etwa zeigt in seiner Mehrkanal-Projektion "Der letzte nächste Winter" alte Bewohner eines aussterbenden Dorfes. Sie rollen pappigen Schnee zu Kugeln zusammen und schmelzen ihn anschließend. Das mühselige Treiben der Alten erinnert an das vergebliche Tun des antiken Sisyphus. Alexandra Mitlyanskayas Arbeit "Der Turm zu Babel" gibt auf neun Monitoren Einblicke in neun Räume eines Neubaus, den Hilfsarbeiter aus allen Teilen des Riesenlandes reichlich lustlos hochziehen. Auf Vladimir Logutovs Videoinstallation sind Jugendliche in einer Trümmerlandschaft zu sehen. Die Bilder scheinen erstarrt wie bei einem Video-Still, aber vibrierende Balken erzeugen die sirrende Simulation einer Störung.
Gemeinsam ist den Beispielen, dass Russlands Videokünstler sich offenbar stark für die zahlreichen Loser beim Übergang der Planwirtschaft zum Turbokapitalismus interessieren. Der Ausstellungstitel "Lost in Transformation" sei deshalb nicht melancholisch, sondern nüchterne Bestandsaufnahme der Ära Putin, die manche Künstler als ähnlich erstarrt ansehen wie die Ära Breshnew, meint Kurator Weiß:
"Wir haben versucht, sehr stark das Thema aus dem Material zu entwickeln, und es sind mir viele von diesen Verlierern doch sehr deutlich vor Augen geführt worden und werden auch wirklich als Schauspieler, könnte man schon fast sagen, eingesetzt von den Künstlern und auch regelmäßig eingesetzt."
Etliche Arbeiten verbergen so in ihrem formal dokumentativen Gestus einen mehr oder minder expliziten politischen Kontext, der freilich dechiffriert werden will.
Sergey Bratkov zeigt auf einer Leinwand fröhliche Jungen, die von einem Anleger aus sorglos ins Wasser springen. Vor der Projektionsfläche hat der Künstler allerhand scharfkantigen Bauschutt drapiert, gefährlichen Unrat, der offenbar unter der Wasseroberfläche lauert. Für uns Betrachter hat Bratkov eine Tribüne aufgebaut, von der aus wir, beschallt mit einem Popsong, das riskante Treiben verfolgen können.
"Künstlergruppen wie "Zer Gut" oder Sergey Bratkov reflektieren über die politische Situation, aber das geschieht oft eher rückblickend. Sergey Bratkov ist da poetisch. Er setzt die Idee des Verlorengehens um in die Frage nach der russischen Identität."
Kuratorin Karina Karaeva, Leiterin der Videoabteilung des Moskauer Nationalzentrums für Zeitgenössische Kunst, nennt auch Grenzen und Tabus, mit denen sich Künstler im heutigen Russland herumzuschlagen haben. Gender ist solch ein Tabu, vor allem Homosexualität. Allerdings sei schwer vorherzusagen, wie die Regierung jeweils reagiert.
"Gerade heute werden diese Tabus immer umfassender. Aber gleichzeitig führen sie dazu, dass die Künstler sehr konkret werden in der Ausdeutung der Wirklichkeit."
Informationen der Stadtgalerie Kiel über die Ausstellung "Lost in Transformation"
"Lost in Transformation" – "Verloren im Übergang" heißt die Ausstellung, die erstmals Videokunst ausschließlich aus Russland in Westeuropa vorstellt.
"Die Leute drehen ja überwiegend in Russland und finden auch ein gewisses Material vor und eine gewisse Situation, die bestimmt auch ins Werk einfließt."
Christoph Weiß hat gemeinsam mit zwei russischen Kuratoren die elf Positionen der Schau zusammengestellt.
"Ich möchte nicht so weit gehen, dass es die russische Videokunst gibt. Es gibt bestimmt Videokunst mit russischem Einschlag. Was ich in Russland als besonders erlebt habe, sind die wenigen Berührungsängste zu anderen Medien. Man hat keine Angst, filmische Motive aufzugreifen. Oder auch: Man hat keine Angst, eine Handlung im Video stattfinden zu lassen."
Viele Medienkünstler hatten das Ende der Sowjetunion als eine Zeit der Leere erlebt, in der aber auch die Chance für einen Neuanfang steckte: Erstmals konnten sie die nötige Ausrüstung wie Kameras und Monitore beschaffen und – bezahlen. Ihr Aufbruch vollzog sich abseits der Akademien, Videokünstler arbeiten oft außerhalb der Zentren in der Provinz.
Yury Vassiliev etwa zeigt in seiner Mehrkanal-Projektion "Der letzte nächste Winter" alte Bewohner eines aussterbenden Dorfes. Sie rollen pappigen Schnee zu Kugeln zusammen und schmelzen ihn anschließend. Das mühselige Treiben der Alten erinnert an das vergebliche Tun des antiken Sisyphus. Alexandra Mitlyanskayas Arbeit "Der Turm zu Babel" gibt auf neun Monitoren Einblicke in neun Räume eines Neubaus, den Hilfsarbeiter aus allen Teilen des Riesenlandes reichlich lustlos hochziehen. Auf Vladimir Logutovs Videoinstallation sind Jugendliche in einer Trümmerlandschaft zu sehen. Die Bilder scheinen erstarrt wie bei einem Video-Still, aber vibrierende Balken erzeugen die sirrende Simulation einer Störung.
Gemeinsam ist den Beispielen, dass Russlands Videokünstler sich offenbar stark für die zahlreichen Loser beim Übergang der Planwirtschaft zum Turbokapitalismus interessieren. Der Ausstellungstitel "Lost in Transformation" sei deshalb nicht melancholisch, sondern nüchterne Bestandsaufnahme der Ära Putin, die manche Künstler als ähnlich erstarrt ansehen wie die Ära Breshnew, meint Kurator Weiß:
"Wir haben versucht, sehr stark das Thema aus dem Material zu entwickeln, und es sind mir viele von diesen Verlierern doch sehr deutlich vor Augen geführt worden und werden auch wirklich als Schauspieler, könnte man schon fast sagen, eingesetzt von den Künstlern und auch regelmäßig eingesetzt."
Etliche Arbeiten verbergen so in ihrem formal dokumentativen Gestus einen mehr oder minder expliziten politischen Kontext, der freilich dechiffriert werden will.
Sergey Bratkov zeigt auf einer Leinwand fröhliche Jungen, die von einem Anleger aus sorglos ins Wasser springen. Vor der Projektionsfläche hat der Künstler allerhand scharfkantigen Bauschutt drapiert, gefährlichen Unrat, der offenbar unter der Wasseroberfläche lauert. Für uns Betrachter hat Bratkov eine Tribüne aufgebaut, von der aus wir, beschallt mit einem Popsong, das riskante Treiben verfolgen können.
"Künstlergruppen wie "Zer Gut" oder Sergey Bratkov reflektieren über die politische Situation, aber das geschieht oft eher rückblickend. Sergey Bratkov ist da poetisch. Er setzt die Idee des Verlorengehens um in die Frage nach der russischen Identität."
Kuratorin Karina Karaeva, Leiterin der Videoabteilung des Moskauer Nationalzentrums für Zeitgenössische Kunst, nennt auch Grenzen und Tabus, mit denen sich Künstler im heutigen Russland herumzuschlagen haben. Gender ist solch ein Tabu, vor allem Homosexualität. Allerdings sei schwer vorherzusagen, wie die Regierung jeweils reagiert.
"Gerade heute werden diese Tabus immer umfassender. Aber gleichzeitig führen sie dazu, dass die Künstler sehr konkret werden in der Ausdeutung der Wirklichkeit."
Informationen der Stadtgalerie Kiel über die Ausstellung "Lost in Transformation"