Verloren in der Fülle der Ereignisse
2004 erhielt Uwe Tellkamp den Klagenfurter Bachmannpreis und ist in diesem Jahr Träger des Uwe-Johnson-Preises. So viel Vorschußlorbeeren lassen Großes erwarten, doch sein zweiter Roman "Der Turm" löst die Versprechen nicht ein, sondern verliert sich in epischer Breite und Detailtreue. Zwar gelingt es ihm, ein Panorama der DDR in den 80er Jahren zu entwerfen, doch werden Spannungsmomente nicht durchgehalten.
"Der Schlaf in den Uhren" hieß der Romanauszug, den Uwe Tellkamp 2004 den Juroren des Bachmann-Preises vorstellte. Die Beschreibung einer Straßenbahnfahrt durch Dresden, der Tellkamp die Arie der Marschallin aus dem "Rosenkavalier" von Richard Strauss unterlegte, verfehlt ihre Wirkung auf die Klagenfurter Preisrichter nicht: Tellkamp gewann den Wettbewerb und wurde von der Literaturszene als "große Entdeckung" gefeiert. Mit Spannung erwartete man, wohin sich die Geschichte bewegen würde, die mit der Straßenbahnfahrt eine so glänzende Eröffnung fand. Doch sein erster Roman "Der Eisvogel", der 2005 im Rowohlt Berlin Verlag erschien, spielt nicht in Dresden, sondern in Berlin.
In "Der Turm" findet der gebürtige Dresdner nach dem Berlin-Abstecher nun zurück zu seiner Heimatstadt, und auch Straßenbahnfahrten durch die Elbmetropole werden in dem fast 1000 seitigen Text erwähnt. Allerdings sucht man die in Klagenfurt vorgestellte Passage auch in diesem Roman vergebens.
"Die Zeit, die ist ein sonderbares Ding", singt die Marschallin im "Rosenkavalier": "Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts." Dem sonderbaren Phänomen "Zeit" und damit dem Erinnern ist Tellkamp allerdings in "Der Turm" auf der Spur. Mit der Zeit der achtziger Jahre in der DDR nämlich muss sich sein Protagonist Christian Hoffmann auseinandersetzen. Während er sich neugierig auf das Leben einlässt, verläuft die Zeit in der DDR bereits in bestimmten Bahnen: Einsteigen in den "Einheitszug des gesellschaftlichen Fortschritts" ist willkommen, mitfahren darin erwünscht, nur mit dem Aussteigen tut sich die DDR ebenso schwer wie mit den Mitfahrverweigerern. Christian wird zunächst als ein Suchender vorgestellt, der herausfinden will, welche Möglichkeiten ihm die Zeit eröffnet. Sie macht aus ihm einen Außenseiter.
Der Kontrast der bürgerlichen Lebens- und Wertvorstellungen - in denen Christian aufwächst - zu den entstellten sozialistischen, wie er sie insbesondere während seiner Armeezeit bei einer Panzereinheit erlebt, könnte größer nicht sein. Bei der NVA wird Christian zu einem Namenlosen: "Nemo" taufen ihn seine "Genossen", wodurch sie ihm bewusst machen, dass er in diesem Land nicht zählt und nur ein Niemand ist.
Liest man Nemo als Anagramm, dann lässt sich daraus auch "Meno", der Name von Christians Onkel bilden. Dem Naturwissenschaftler bleibt wegen politischer Vergehen in der DDR eine Kariere als Naturwissenschaftler verwehrt. Meno, was so viel wie "weniger" heißt, findet sich damit ab, und wird Lektor. Ein solcher Rückzug kommt für Christian als Alternative jedoch nicht in Frage.
Es liegt ein schlechtes Omen - auch ein Wort, das sich aus "Nemo" durch Buchstabenumstellung bilden lässt - über den Verhältnissen, die Tellkamp in seinem panoramahaften Gemälde beschreibt. Die Vorzeichen stehen auf Untergang: Konsequent endet der im Jahr 1983 einsetzende Text mit der Öffnung der Mauer am 9.11.1989. Mit dem Verschwinden der DDR in der Bedeutungslosigkeit wird aus "Nemo" wieder ein "Jemand". Die "Wende" ist der Schlusspunkt von Christians Odyssee. Danach stehen ihm Möglichkeiten offen, die zuvor verstellt waren.
Uwe Tellkamp erzählt in seinem Roman von vielen, allzu vielen Menschen, wobei die Familie Hoffmann im Zentrum steht. Aber Tellkamp will nicht nur eine Familiengeschichte erzählen, in der Angehörige unterschiedlicher Generationen nach ihren Wünschen und Hoffnungen befragt werden, sondern er will ihre Erfahrungen mit den realen Verhältnissen zu einem Zeitbild verdichten.
Doch seine Entscheidung, dabei aufs Kleinste zu achten hat dazu geführt, dass er sich im Kleinen verliert. Die Fülle der Ereignisse ist überwältigend, aber was in Erinnerung bleibt, hätte der epischen Breite nicht bedurft. Sie verhindert, dass Spannungsmomente durchgehalten werden.
Rezensiert von Michael Opitz
Uwe Tellkamp: Der Turm, Geschichte aus einem versunkenen Land
Roman, Suhrkamp Verlag 2008
975 Seiten, 24,80 Euro.
In "Der Turm" findet der gebürtige Dresdner nach dem Berlin-Abstecher nun zurück zu seiner Heimatstadt, und auch Straßenbahnfahrten durch die Elbmetropole werden in dem fast 1000 seitigen Text erwähnt. Allerdings sucht man die in Klagenfurt vorgestellte Passage auch in diesem Roman vergebens.
"Die Zeit, die ist ein sonderbares Ding", singt die Marschallin im "Rosenkavalier": "Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts." Dem sonderbaren Phänomen "Zeit" und damit dem Erinnern ist Tellkamp allerdings in "Der Turm" auf der Spur. Mit der Zeit der achtziger Jahre in der DDR nämlich muss sich sein Protagonist Christian Hoffmann auseinandersetzen. Während er sich neugierig auf das Leben einlässt, verläuft die Zeit in der DDR bereits in bestimmten Bahnen: Einsteigen in den "Einheitszug des gesellschaftlichen Fortschritts" ist willkommen, mitfahren darin erwünscht, nur mit dem Aussteigen tut sich die DDR ebenso schwer wie mit den Mitfahrverweigerern. Christian wird zunächst als ein Suchender vorgestellt, der herausfinden will, welche Möglichkeiten ihm die Zeit eröffnet. Sie macht aus ihm einen Außenseiter.
Der Kontrast der bürgerlichen Lebens- und Wertvorstellungen - in denen Christian aufwächst - zu den entstellten sozialistischen, wie er sie insbesondere während seiner Armeezeit bei einer Panzereinheit erlebt, könnte größer nicht sein. Bei der NVA wird Christian zu einem Namenlosen: "Nemo" taufen ihn seine "Genossen", wodurch sie ihm bewusst machen, dass er in diesem Land nicht zählt und nur ein Niemand ist.
Liest man Nemo als Anagramm, dann lässt sich daraus auch "Meno", der Name von Christians Onkel bilden. Dem Naturwissenschaftler bleibt wegen politischer Vergehen in der DDR eine Kariere als Naturwissenschaftler verwehrt. Meno, was so viel wie "weniger" heißt, findet sich damit ab, und wird Lektor. Ein solcher Rückzug kommt für Christian als Alternative jedoch nicht in Frage.
Es liegt ein schlechtes Omen - auch ein Wort, das sich aus "Nemo" durch Buchstabenumstellung bilden lässt - über den Verhältnissen, die Tellkamp in seinem panoramahaften Gemälde beschreibt. Die Vorzeichen stehen auf Untergang: Konsequent endet der im Jahr 1983 einsetzende Text mit der Öffnung der Mauer am 9.11.1989. Mit dem Verschwinden der DDR in der Bedeutungslosigkeit wird aus "Nemo" wieder ein "Jemand". Die "Wende" ist der Schlusspunkt von Christians Odyssee. Danach stehen ihm Möglichkeiten offen, die zuvor verstellt waren.
Uwe Tellkamp erzählt in seinem Roman von vielen, allzu vielen Menschen, wobei die Familie Hoffmann im Zentrum steht. Aber Tellkamp will nicht nur eine Familiengeschichte erzählen, in der Angehörige unterschiedlicher Generationen nach ihren Wünschen und Hoffnungen befragt werden, sondern er will ihre Erfahrungen mit den realen Verhältnissen zu einem Zeitbild verdichten.
Doch seine Entscheidung, dabei aufs Kleinste zu achten hat dazu geführt, dass er sich im Kleinen verliert. Die Fülle der Ereignisse ist überwältigend, aber was in Erinnerung bleibt, hätte der epischen Breite nicht bedurft. Sie verhindert, dass Spannungsmomente durchgehalten werden.
Rezensiert von Michael Opitz
Uwe Tellkamp: Der Turm, Geschichte aus einem versunkenen Land
Roman, Suhrkamp Verlag 2008
975 Seiten, 24,80 Euro.