"Das Risiko für den Bauern ist die Gesellschaft"
Maria Bienert ist Landwirtin. Sie baut Bio-Gemüse an und möchte natürlich, dass möglichst viel davon auch gegessen wird. Was tun, damit der Überschuss nicht auf dem Müll landet? Bienert setzt auf die "Solidarische Landwirtschaft".
Sie arbeiten nicht nur mit der Sterngartenodyssee nach dem Prinzip "Solidarische Landwirtschaft", sondern auch mit anderen Abnehmern. Warum arbeiten Sie überhaupt nach diesem Prinzip?
Maria Bienert: Ich versuche das eigentlich mit jedem Partner zu machen, egal ob das eine Tiefkühlfabrik, eine Bäckerei oder der Großhandel ist. Wir setzen uns immer vorher zusammen und sprechen ab: Was sind die Mengen, die verkauft werden können, und was sind die Mengen, die man anbauen kann. Bei einem frischen Produkt ist es mir wichtig, dass es eine wöchentliche Absprache gibt. So kann ich das, was gerade geerntet wird, in gute Hände geben. Und ich muss nicht die Hälfte wegschmeißen, weil‘s auf dem Markt zu viel oder zu wenig von irgendwas gibt. So muss ich nicht versuchen, über den besten Preis den anderen auszustechen, so dass er seine Produkte wegschmeißen muss oder ich selbst was wegschmeißen muss, weil ich zu viel geerntet oder angebaut habe.
Eine weitere Idee ist ja auch, dass die Gemeinschaft das Anbaurisiko des Bauern trägt.
Bienert: Das Risiko, dem ich ausgesetzt bin, ist das Abnahmerisiko. Das andere Risiko, das auf dem Feld, das möchte ich selbst tragen, weil ich denke, dass es immer an mir liegt, ob ich gut ernte, oder nicht. Ich will das nicht sozialisieren. Wenn ich in meinem Anbau Fehler mache, dann möchte ich nicht, dass andere das bezahlen müssen. Das Risiko für den Bauern ist nicht der Anbau, sondern die Vermarktung, also nicht die Natur oder das Wetter, sondern das ist die Gesellschaft! Jeder kauft da, wo es ihm oder ihr gerade am billigsten erscheint und dieses Risiko, das möchte ich nicht tragen.
Können wir es auf die Formel bringen, dass landwirtschaftliche Produkte und der freie Markt sich einfach nicht vertragen?
Bienert: Ja! Im Gegensatz zur Autoindustrie zum Beispiel kann ein Bauer nicht einfach mitten im Produktionsprozess stoppen. Wir stellen nicht her, bei uns wachsen die Produkte, das ist ein Unterschied! In dem Moment wo ich ausgesät habe, bin ich festgelegt. Und habe lebendige Produkte. Ich kann die nicht einfach zwei Monate später verkaufen.
Die Milch, die ist dafür ein gutes Beispiel: Vor einem Jahr wurde gesagt: Der Milchpreis wird freigegeben, nur der Konkurrenzfähigste überlebt. Also haben alle versucht größer zu werden. Mit dem Erfolg, dass es viel zu viel Milch gibt, der Preis in Keller geht und keiner überlebt. Das muss man doch begreifen, dass für landwirtschaftliche Produkte sowas nicht funktioniert!
Wenn muss man denn überzeugen? Die Bauern oder die Verbraucher?
Bienert: Ich glaube, in erster Linie müssen wir den Handel überzeugen. Die Verbraucher müssen sehen, dass es Sinn macht, sich ein wenig festzulegen. Die ticken natürlich alle so: Heute kaufe ich da, morgen da, heute hab ich Lust auf das, morgen hab ich Lust auf jenes. Im Kopf ist es bei einigen schon drin, aber es muss auch ins Fühlen übergehen, nämlich, dass man wirklich saisonal isst. Alle wollen das, aber schlussendlich kann das bedeuten, dass man eine Zeitlang ziemlich viele Tomaten isst. Das ist eine richtige Ernährungsumstellung. Aber es wäre wichtig, dem Handel zu signalisieren: Wir wollen das! Wir Bauern und wir Verbraucher wollen das.
Da Bewusstsein für Bio-Gemüse ist aber ja gestiegen, die Menschen sind nachweißlich bereit, mehr zu zahlen.
Bienert: Ja, da muss man dran bleiben. Es muss normal werden! Ein Beispiel: In Deutschland würden sich Leute nicht schämen, wenn sie Besuch haben, die billigsten Tomaten zu kaufen oder den billigsten Käse. Aber in Frankreich wäre man stolz und man würde erzählen: Dieser Käse hat 20 Euro gekostet! Da steckt drin: Ich tu meinen Gästen was Gutes. Die Menschen müssen begreifen: Das tut meinem Körper gut.
Die billigen Sachen, die sind billig, weil sie mehr Ertrag bringen. Und sie bringen mehr Ertrag im Wesentlichen, weil sie mehr Wasser aufnehmen. Denn: Mehr Sonne, als die, die da ist, kann man auf einem Feld nicht erreichen. Aber gerade die Sonne bringt die Qualität, die Zucker, die Inhaltsstoffe, die höherwertigen Eiweiße, die Reife – das kommt alles durch die Sonne! Gemüse, das schnell wächst, hat noch weniger Sonne, aber dafür mehr Wasser. Und das bringt mir nichts! Ich werde nur dick davon. Ich hab also für das Geld weniger, als wenn ich was qualitativ Hochwertiges kaufe.
Wie wäre es, wenn die Politik sich da einmischen würde und mehr Höfe animiert, so wie Sie zu arbeiten?
Bienert: Ich glaube, es ist besser, wenn die Politik sich da raushält. Die Leute müssen selbst merken: Das ist gut für mich. Man sollte aber in den Schulen für Aufklärung sorgen: Die Kinder sollten auf Höfe gehen, sich mehr mit Lebensmittelqualität beschäftigen oder sie sollten in der Schule ein Unterrichtsfach haben, in dem sie alles mögliche über Ernährung lernen.
Die Mitglieder der Sterngartenodyssee helfen ja einmal pro Woche bei der Ernte mit. Finden Sie das wichtig?
Bienert: Das ist nicht wichtig, damit wir auf dem Hof die Arbeit schaffen, sondern ich hab die Erfahrung gemacht, dass die Leute so merken: Diese Arbeit steckt da drin. Sie erleben, was auf dem Hof passiert, und dann kommt ganz von selbst die Wertschätzung für das Gemüse: Da ist vielleicht ein Riss an der Tomate und die Möhren sind beinig, aber die nehme ich trotzdem, denn es war ja genauso viel Arbeit, die zu ernten. Davon lebt das.