Vermeintlicher Staatsdichter
In Westdeutschland galt Bertolt Brecht in der Nachkriegszeit als Propagandaschriftsteller des kommunistischen Ostens. Werner Hechts Darstellung von Brechts (Ost-)Berliner Jahren zeigt jedoch, dass Brecht anfangs keineswegs willkommen war bei den Kulturfunktionären der DDR. Und dass er alles andere war als ein linientreuer Stalinanhänger.
Als die "finsteren Zeiten" des Exils hinter ihm lagen, da schrieb Bertolt Brecht hellsichtig über "die Mühen der Ebenen", die nach den Gebirgen kommen würden. Er hat diese "Mühen der Ebenen" voll durchschritten, und selbst mit seinem frühen Tod 1956, im Alter von 58 Jahren, war dieser beschwerliche Gang nicht wirklich beendet. Denn während die einen - im Osten - ihn gern als "linientreuen" kommunistischen Staatsdichter und Theatermann vermarkteten, nahmen die anderen - im Westen - diese Vermarktung geradezu hörig auf, freilich um sie gegen Brecht zu richten.
Auf den ersten Blick sah und sieht ja alles auch sehr klar aus: der aus Amerika unter "Kommunismusverdacht" geflüchtete Autor wird von der Schweiz aus in die Ostzone, dann DDR, gelotst mit dem Status eines privilegierten Theaterprinzipals. Er erhält den Stalin-Preis in der Sowjetunion, er lässt sich von der Zensur scheinbar willig kujonieren, als der Kulturobrigkeit seine gemeinsam mit Paul Dessau verfasste Oper "Das Verhör des Lukullus" nicht passt.
Unleugbare Fakten, aber der zweite Blick, zu dem Werner Hecht mit seiner Studie kenntnisreich einlädt, offenbart doch viel mehr: Zum Beispiel den Umstand, dass es Brecht zunächst keineswegs nach Ost-Berlin gezogen hat. Von Anna Seghers vorgewarnt, nahm er den "stinkenden Atem der Provinz" sehr wohl wahr, als er von Zürich aus zu ersten Kontakten anreiste.
Ohnehin wusste er aus früheren ästhetischen Debatten, wer ihm mit den maßgeblichen Kulturfunktionären (zum Beispiel Fritz Erpenbeck, Alfred Kurella) der aus Moskau gekommenen "Gruppe Ulbricht" gegenüberstehen würde: die stalinistisch-klassizistischen Pfleger eines kulturellen Erbes, das in erster Linie als Organlieferant für den sozialistischen Realismus interessant war.
Und politisch hegte er schon gar keine Illusionen. Selbst wenn die Russen Hitler allein bezwungen hätten, notierte er, würde unter ihrem Regime alles andere als Sozialismus entstehen. Der Westen kam für den "Linken" Brecht ebensowenig in Frage, am liebsten wäre ihm ein neutraler Standort in der Nähe Deutschlands gewesen. Die Schweiz war - wie für Thomas Mann - eigentlich ideal, allerdings gaben die eidgenössischen Behörden Brecht sehr klar zu verstehen, dass er unerwünscht sei.
Alles andere als harmonisch verlief denn auch die gesamte Startphase des Berliner Ensembles. Als (ungeliebter) Gast des Deutschen Theaters aufgebaut, konnte es erst nach erheblicher Zuspitzung in sein Haus am Schiffbauerdamm einziehen. Ursprünglich sollte dort das Theater der Kasernierten Volkspolizei (!) sein Domizil erhalten.
Kulturpolitisch in der DDR bekämpft, international mit immer höherem Ansehen bedacht, war der Stalin-Preis so etwas wie eine innenpolitische Atempause für Brecht. Den Preis abzulehnen (wie Thomas Mann, der der eigentliche Kandidat gewesen war, was Brecht, der Verlegenheitskandidat, natürlich nicht wusste), wäre ein Affront gewesen. Ihn anzunehmen, verschaffte Freiräume. Wer hätte es in der DDR wagen können, einen Stalin-Preisträger allzu hart zu kritisieren? Dass Brecht versucht hat, seine Preisrede von dem damals längst verfemten Boris Pasternak ins Russische übersetzen zu lassen, ist dabei ein bezeichnendes Detail im Zusammenhang mit der "Linientreue" des Dramatikers.
Ganz gewiss hat Brecht keine "Rehabilitierung" nötig. Aber sehr wohl einen differenzierenden Blick auf die genauen Umstände seines Wirkens. Werner Hecht hat diesen Blick mit seinen "Geschichten" möglich gemacht. Und er berührt dabei einen Moment deutsch-deutscher Kulturspaltung, der eigentlich zu überwinden sein sollte.
Rezensiert von Gregor Ziolkowski
Werner Hecht: Brechts Leben in schwierigen Zeiten. Geschichten und Essays
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007
308 Seiten, 22,80 Euro
Auf den ersten Blick sah und sieht ja alles auch sehr klar aus: der aus Amerika unter "Kommunismusverdacht" geflüchtete Autor wird von der Schweiz aus in die Ostzone, dann DDR, gelotst mit dem Status eines privilegierten Theaterprinzipals. Er erhält den Stalin-Preis in der Sowjetunion, er lässt sich von der Zensur scheinbar willig kujonieren, als der Kulturobrigkeit seine gemeinsam mit Paul Dessau verfasste Oper "Das Verhör des Lukullus" nicht passt.
Unleugbare Fakten, aber der zweite Blick, zu dem Werner Hecht mit seiner Studie kenntnisreich einlädt, offenbart doch viel mehr: Zum Beispiel den Umstand, dass es Brecht zunächst keineswegs nach Ost-Berlin gezogen hat. Von Anna Seghers vorgewarnt, nahm er den "stinkenden Atem der Provinz" sehr wohl wahr, als er von Zürich aus zu ersten Kontakten anreiste.
Ohnehin wusste er aus früheren ästhetischen Debatten, wer ihm mit den maßgeblichen Kulturfunktionären (zum Beispiel Fritz Erpenbeck, Alfred Kurella) der aus Moskau gekommenen "Gruppe Ulbricht" gegenüberstehen würde: die stalinistisch-klassizistischen Pfleger eines kulturellen Erbes, das in erster Linie als Organlieferant für den sozialistischen Realismus interessant war.
Und politisch hegte er schon gar keine Illusionen. Selbst wenn die Russen Hitler allein bezwungen hätten, notierte er, würde unter ihrem Regime alles andere als Sozialismus entstehen. Der Westen kam für den "Linken" Brecht ebensowenig in Frage, am liebsten wäre ihm ein neutraler Standort in der Nähe Deutschlands gewesen. Die Schweiz war - wie für Thomas Mann - eigentlich ideal, allerdings gaben die eidgenössischen Behörden Brecht sehr klar zu verstehen, dass er unerwünscht sei.
Alles andere als harmonisch verlief denn auch die gesamte Startphase des Berliner Ensembles. Als (ungeliebter) Gast des Deutschen Theaters aufgebaut, konnte es erst nach erheblicher Zuspitzung in sein Haus am Schiffbauerdamm einziehen. Ursprünglich sollte dort das Theater der Kasernierten Volkspolizei (!) sein Domizil erhalten.
Kulturpolitisch in der DDR bekämpft, international mit immer höherem Ansehen bedacht, war der Stalin-Preis so etwas wie eine innenpolitische Atempause für Brecht. Den Preis abzulehnen (wie Thomas Mann, der der eigentliche Kandidat gewesen war, was Brecht, der Verlegenheitskandidat, natürlich nicht wusste), wäre ein Affront gewesen. Ihn anzunehmen, verschaffte Freiräume. Wer hätte es in der DDR wagen können, einen Stalin-Preisträger allzu hart zu kritisieren? Dass Brecht versucht hat, seine Preisrede von dem damals längst verfemten Boris Pasternak ins Russische übersetzen zu lassen, ist dabei ein bezeichnendes Detail im Zusammenhang mit der "Linientreue" des Dramatikers.
Ganz gewiss hat Brecht keine "Rehabilitierung" nötig. Aber sehr wohl einen differenzierenden Blick auf die genauen Umstände seines Wirkens. Werner Hecht hat diesen Blick mit seinen "Geschichten" möglich gemacht. Und er berührt dabei einen Moment deutsch-deutscher Kulturspaltung, der eigentlich zu überwinden sein sollte.
Rezensiert von Gregor Ziolkowski
Werner Hecht: Brechts Leben in schwierigen Zeiten. Geschichten und Essays
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007
308 Seiten, 22,80 Euro