Vermittler in Krieg und Frieden

Von Florian Ehrich |
Lew Kopelew war von früh an ein überzeugter Kommunist, später konnte er sich seine Beteiligung an Verbrechen der Sowjetunion aber nicht verzeihen. Selbst Opfer geworden und als Dissident ausgebürgert, lebte er seit 1981 in Deutschland. Dort warnte Kopelew immer wieder eindringlich vor den Gefahren totalitärer Ideologien.
"Meine Zweifel, mein nagendes Gewissen, Mitleid und Scham wurden von rationalistischem Fanatismus unterdrückt. Dieser Fanatismus hatte nicht nur geistige Quellen: Bücher und Zeitungen. Vielmehr hatten mich Menschen überzeugt, Menschen, die für mich unsere Wahrheit und Gerechtigkeit verkörperten, die durch ihr ganzes Leben bestätigten, dass man die Zähne zusammenbeißen und alles ausführen muss, was Partei und Sowjetmacht befehlen."

Erst spät erkannte Lew Kopelew, dass er seinem Gewissen mehr trauen musste als der allmächtigen Ideologie und ihrer Partei. Angesichts seiner eigenen Verstrickung in den Apparat äußerte er in seiner 1979 erschienenen Autobiografie "Und schuf mir einen Götzen" Reue und Scham.

Lew Kopelew wurde am 9. April 1912 als Sohn jüdischer Eltern geboren. Obwohl spätestens seit seiner Pionierzeit überzeugter Atheist, blieb er sich seiner Zugehörigkeit zum Judentum immer bewusst:

"Ich fühle mich als Russe, aber das genügt nicht heute. Denn der große polnische Dichter jüdischer Herkunft Julian Tuwim hat mal gesagt: 'Ich hab nie jüdisch gesprochen, hab nie jüdisch geglaubt, aber ich muss mich zum Judentum bekennen, nicht wegen dem Blut, das in meinen Adern fließt, sondern wegen dem Blut, das aus vielen Adern herausgeflossen war'."

Kopelew lernte über die Kindermädchen der Familie früh deutsch. Sein wachsendes Interesse an der deutschen Kultur führte den belesenen Kommunisten zum Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte. 1941 ging er als Freiwilliger an die Front, wo er wegen seiner Sprachkenntnisse bei der Propagandaabteilung zur Feindaufklärung eingesetzt wurde. Doch auch während des deutschen Vernichtungskrieges gegen seine Heimat ließ sich Kopelew nicht zum Hass gegen die Feinde hinreißen:

"Die Deutschen saßen in Nowgorod. Dass wir nun mit eigenen Granaten die schönen Kirchen von Nowgorod beschießen und den Nowgoroder Kreml, da kamen einem die nationalistischen Gefühle hoch. Aber dass es zu einem Deutschenhass bei mir jemals (kam), dagegen war ich nicht nur durch die Erziehung in der Kindheit immun geworden. Dazu gehörte die allgemeine humanistische Erziehung und dann die internationalistische."

Während des Einmarschs der Roten Armee in Ostpreußen wurde der Major Zeuge von Brandschatzungen, Plünderungen und Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung durch seine Kameraden. Als er eingriff, denunzierten ihn Armeeangehörige. Nach einer Anklage wurde Kopelew zu zehn Jahren Haft verurteilt. In seiner Autobiografie beschreibt er seine Erfahrungen im sowjetischen Lagersystem. Er arbeitete als technischer Übersetzer in einer sogenannten Scharaschka, einem Sonderlager für Wissenschaftler und Ingenieure, wo er auch Alexander Solschenizyn traf:

"Hier arbeitet unsereiner wirklich konzentriert, mit ganzer Hingabe. Hier gibt es keine freien Tage. Urlaub ist ein Fremdwort. Das einzige Vergnügen: Überstunden. Am Arbeitsplatz fühlt man sich immer noch wohler als in der Zelle. Gedanken an die Freiheit, an Zuhause schieb nur weit fort, sie machen traurig, bringen dich zur Verzweiflung. Hier ist die Arbeit nicht mehr Pflicht, sondern der einzige Lebenssinn, Ersatz für alle Wohltaten, für jede Freude, für jeden Trost."

Nach seiner Entlassung 1954, ein Jahr nach Stalins Tod, arbeitete Kopelew wieder als Germanist. Er blieb unbequem und löste sich langsam von der Sowjetideologie. 1981 bürgerten die sowjetischen Behörden Kopelew und seine Frau während einer Deutschlandreise aus, das Ehepaar wurde von Heinrich Böll, einem engen Freund Kopelews, in Köln aufgenommen.
Ein bleibendes Zeugnis seines Bemühens um Verständigung ist das von ihm geleitete Wuppertaler Projekt zur Erforschung der deutsch-russischen Fremdbilder vom 9. bis zum 20. Jahrhundert. Die Ergebnisse erschienen unter dem Titel "West-Östliche Spiegelungen" in zehn Bänden. Dem Ziel einer Aussöhnung zwischen Russen und Deutschen blieb er zeitlebens verbunden. In einem Essay schrieb er 1989:

"Unser Ziel ist schlicht: Verständnis wecken von Mensch zu Mensch und von Volk zu Volk. Dieses Ziel wurde immer nur zeitweilig, in einem begünstigten historischen Augenblick erreicht. Jeder Generation ist die Mühsal aufgetragen, das Ziel der Verständigung immer aufs neue zu erstreben und dauerhaft zu verwirklichen."

Lew Kopelew starb am 18. Juni 1997 in Köln.