"Vernachlässigt Europa nicht!"
Das Goethe-Institut sollte wieder verstärkt Europa in den Blick nehmen, sagt dessen Präsident Klaus-Dieter Lehmann. Darüber hinaus ist ihm die transatlantische Allianz zwischen den USA und Deutschland ein wichtiges Anliegen.
Dieter Kassel: Heute feiert das Goethe-Institut seinen 60. Geburtstag. Mittlerweile betreibt das Institut 13 Institute im Inland und 136 im Ausland mit über 3000 Mitarbeitern. Am Anfang war das natürlich alles ein bisschen kleiner, aber der Anfang war 1951 mit einer ziemlich klaren Aufgabe verbunden. Es ging darum, verlorenes Vertrauen zu Deutschland zurückzugewinnen nach den Gräueln des NS-Regimes und es ging darum, Deutschland wieder sympathisch darzustellen in der Welt zu einer Zeit, als kaum jemand auf der Welt Deutschland so richtig sympathisch fand.
Mein Kollege Matthias Hanselmann hat sich mit dem Präsidenten des Goethe-Instituts Klaus-Dieter Lehmann unterhalten und ihn gefragt, wie er denn den Wandel, die Entwicklung des Goethe-Instituts über die Jahre beschrieben würde.
Klaus-Dieter Lehmann: Das war sicher der entscheidende Ansatz, dass man glaubte, über die Kultur das leisten zu können, dass wieder Sympathie für Deutschland entsteht. Dann kam natürlich die Zeit, wo Deutschland sich selbst erst mal wieder in seiner Identität finden und entdecken musste – das waren die 60er-, 70er-Jahre. Und das war für Goethe schon eine sehr spannende Zeit, weil die ganzen innenpolitischen Friktionen und Turbulenzen eben nicht abgedeckt wurden, sondern Goethe hat sie zu seiner eigenen Kulturpolitik gemacht und hat die Debatten auch ins Ausland getragen. Und das war wirklich eine erstaunliche Reaktion – das Ausland hat die Offenheit der Deutschen so positiv aufgenommen, zu erleben, wie diese Diskursfähigkeit und diese Auseinandersetzung und die Bereitschaft, miteinander zu sprechen, wie deutlich die auch im Ausland Punkte gemacht hat.
Und insofern war die innenpolitische Auseinandersetzung, die immer wieder auch zu entsprechenden Reaktionen gegenüber dem Goethe-Institut nicht immer in positiver Form führte, glaube ich, ein ganz entscheidender Ansatz, diese Position zu stärken. Der dritte große Bereich war natürlich dann die Öffnung der Mauer, und das hat uns eine wunderbare Aufbruchstimmung beschert, sodass wir jetzt den anderen Teil der Welt auch wirklich leisten können. Nur diese Welt ist ja dadurch nicht einheitlicher geworden, sondern sie ist ja mit sehr vielen neuen Krisen, Konflikten konfrontiert worden, und das ist eigentlich das heutige Arbeitsfeld, was wir haben. Neben den großen Sprachaufträgen, die wir nach wie vor mit Intensität verfolgen, sind es eigentlich die zivilgesellschaftlichen Strukturen, die wir versuchen zu stärken, wo sie noch als zarte Pflänzchen in den entsprechenden Krisengebieten ist.
Hanselmann: Das Goethe-Institut hat ja aufgrund seiner Geschichte sozusagen mit dem Thema Globalisierung eine sehr, sehr lange Erfahrung. Kommt Ihnen die jetzt in Zeiten der tatsächlichen wirtschaftlichen und auch politischen Globalisierung zugute?
Lehmann: Ja, und zwar deshalb, weil wir uns nie gescheut haben, uns auf die jeweiligen spezifischen Verhältnisse in den Ländern einzulassen – ob das nun die entwickelten Länder waren, ob das die Dritte Welt war, ob das Schwellen- und Entwicklungsländer waren, wir waren eigentlich immer vor Ort und wir kannten auch die Akteure vor Ort. Und das ist eine Situation, die uns ein enorm reiches Wissen und Erfahrung gebracht hat, insbesondere auch den Umstand, dass wir gemerkt haben, dass die Arbeit, die wir als partnerschaftliche Akteure haben, das heißt also, wenn wir wirklich gemeinsame Entwicklung machen, indem wir Begegnungen schaffen, indem wir Menschen nach Deutschland einladen, ob das nun zur Berlinale ist, ob das zu den Festwochen ist und, und, und. Das bedeutete, wir haben ein personales Netz aufgebaut zwischen den Künstlern und Kulturakteuren der jeweiligen Länder und uns, und damit hatten wir dauerhaft eine wirklich stabile Struktur, die wir jetzt in der Globalisierungszeit eben besonders gut nutzen können, weil wir damit auch Konfliktsituationen erkennen, identifizieren und auch Hilfestellung geben können.
Hanselmann: Apropos, von den weltweit 136 Instituten im Ausland sind ja etliche auch in Ländern, die sagen wir mal nicht unseren demokratischen Vorstellungen entsprechen. Welche besondere Aufgaben haben diese Goethe-Institute?
Lehmann: Das ist übrigens ein relativ hoher Prozentsatz. Ich habe eine Liste gesehen der Reporter ohne Grenzen mit den sehr schwierigen Ländern, und da sind wir in zwei Dritteln der Länder, die dort aufgeführt werden. Und da bedeutet es natürlich, dass wir sehr sensibel sind. Also Provokation ist nicht unbedingt jetzt das entscheidende Stilelement, aber wir loten natürlich das aus, was wir an Möglichkeiten haben, und das machen wir mit einer bestimmten Art der Pfiffigkeit, aber es ist kein Katz-und-Maus-Spiel, aber es ist schon eine Möglichkeit, dass wir die Frei- und Dialogräume, die die Goethe-Institute darstellen, nutzen können, in den Räumen unzensiert zu arbeiten.
Und wir haben hier viele Beispiele: Die Militärdiktaturen in Brasilien, Salvatore de Bahia war einer der Orte, wo sich die Opposition traf, genauso in Buenos Aires. Sehen Sie sich Griechenland an, '74 ist die Diktatur der Militärs dort gefallen, auch da war das Athener Goethe-Institut ein Ort, wo man sich treffen konnte und sich austauschen konnte. Das ist keine politische Arbeit gewesen, es ist eine kulturelle Arbeit gewesen. Und wir sehen jetzt auch im Nahen Osten und in Nordafrika, die kulturelle Aufbruchstimmung war der entscheidende Ansatz, nicht die ideologische. Also insofern ist es tatsächlich so, dass wir sehr sensibel mit den Dingen umgehen, um uns und andere nicht zu gefährden, aber dass wir die rote Linie immer versuchen weiter hinauszuschieben.
Hanselmann: Heute ist der 60. Geburtstag des Goethe-Instituts oder der Goethe-Institute weltweit. Herr Lehmann, wenn Sie sich was wünschen dürften, was wäre das?
Lehmann: Wir haben natürlich jetzt den Blick immer sehr stark auf diese Gebiete, die wir eben angesprochen haben, diese Konfliktgebiete, aber ich würde mir wünschen, dass wir erstens die Chancen haben, dieses Europa wieder in den Blick zu nehmen und nicht, wie es früher schon mal der Fall war, dass man zulasten Europas ferne Gebiete mit Goethe-Instituten bestückt hat. Europa muss seinen Stellenwert behalten. Wir sehen, dass es eine falsche Politik ist, wenn wir Europa nur als Euroland betrachten. Also mein Wunsch an die Politik ist: Vernachlässigt Europa nicht in der Zukunft! Und das Zweite: Auch die transatlantische Allianz zwischen den USA und Deutschland wäre für mich ein wichtiges Anliegen, denn da ist ein wachsendes Unverständnis, und ich möchte mir in New York wünschen eine German Academy nach dem Muster der American Academy in Berlin.
Mehr zum Thema bei dradio.de:
Botschafter für deutsche Sprache und Kultur - Das Goethe-Institut feiert 60. Geburtstag
Mein Kollege Matthias Hanselmann hat sich mit dem Präsidenten des Goethe-Instituts Klaus-Dieter Lehmann unterhalten und ihn gefragt, wie er denn den Wandel, die Entwicklung des Goethe-Instituts über die Jahre beschrieben würde.
Klaus-Dieter Lehmann: Das war sicher der entscheidende Ansatz, dass man glaubte, über die Kultur das leisten zu können, dass wieder Sympathie für Deutschland entsteht. Dann kam natürlich die Zeit, wo Deutschland sich selbst erst mal wieder in seiner Identität finden und entdecken musste – das waren die 60er-, 70er-Jahre. Und das war für Goethe schon eine sehr spannende Zeit, weil die ganzen innenpolitischen Friktionen und Turbulenzen eben nicht abgedeckt wurden, sondern Goethe hat sie zu seiner eigenen Kulturpolitik gemacht und hat die Debatten auch ins Ausland getragen. Und das war wirklich eine erstaunliche Reaktion – das Ausland hat die Offenheit der Deutschen so positiv aufgenommen, zu erleben, wie diese Diskursfähigkeit und diese Auseinandersetzung und die Bereitschaft, miteinander zu sprechen, wie deutlich die auch im Ausland Punkte gemacht hat.
Und insofern war die innenpolitische Auseinandersetzung, die immer wieder auch zu entsprechenden Reaktionen gegenüber dem Goethe-Institut nicht immer in positiver Form führte, glaube ich, ein ganz entscheidender Ansatz, diese Position zu stärken. Der dritte große Bereich war natürlich dann die Öffnung der Mauer, und das hat uns eine wunderbare Aufbruchstimmung beschert, sodass wir jetzt den anderen Teil der Welt auch wirklich leisten können. Nur diese Welt ist ja dadurch nicht einheitlicher geworden, sondern sie ist ja mit sehr vielen neuen Krisen, Konflikten konfrontiert worden, und das ist eigentlich das heutige Arbeitsfeld, was wir haben. Neben den großen Sprachaufträgen, die wir nach wie vor mit Intensität verfolgen, sind es eigentlich die zivilgesellschaftlichen Strukturen, die wir versuchen zu stärken, wo sie noch als zarte Pflänzchen in den entsprechenden Krisengebieten ist.
Hanselmann: Das Goethe-Institut hat ja aufgrund seiner Geschichte sozusagen mit dem Thema Globalisierung eine sehr, sehr lange Erfahrung. Kommt Ihnen die jetzt in Zeiten der tatsächlichen wirtschaftlichen und auch politischen Globalisierung zugute?
Lehmann: Ja, und zwar deshalb, weil wir uns nie gescheut haben, uns auf die jeweiligen spezifischen Verhältnisse in den Ländern einzulassen – ob das nun die entwickelten Länder waren, ob das die Dritte Welt war, ob das Schwellen- und Entwicklungsländer waren, wir waren eigentlich immer vor Ort und wir kannten auch die Akteure vor Ort. Und das ist eine Situation, die uns ein enorm reiches Wissen und Erfahrung gebracht hat, insbesondere auch den Umstand, dass wir gemerkt haben, dass die Arbeit, die wir als partnerschaftliche Akteure haben, das heißt also, wenn wir wirklich gemeinsame Entwicklung machen, indem wir Begegnungen schaffen, indem wir Menschen nach Deutschland einladen, ob das nun zur Berlinale ist, ob das zu den Festwochen ist und, und, und. Das bedeutete, wir haben ein personales Netz aufgebaut zwischen den Künstlern und Kulturakteuren der jeweiligen Länder und uns, und damit hatten wir dauerhaft eine wirklich stabile Struktur, die wir jetzt in der Globalisierungszeit eben besonders gut nutzen können, weil wir damit auch Konfliktsituationen erkennen, identifizieren und auch Hilfestellung geben können.
Hanselmann: Apropos, von den weltweit 136 Instituten im Ausland sind ja etliche auch in Ländern, die sagen wir mal nicht unseren demokratischen Vorstellungen entsprechen. Welche besondere Aufgaben haben diese Goethe-Institute?
Lehmann: Das ist übrigens ein relativ hoher Prozentsatz. Ich habe eine Liste gesehen der Reporter ohne Grenzen mit den sehr schwierigen Ländern, und da sind wir in zwei Dritteln der Länder, die dort aufgeführt werden. Und da bedeutet es natürlich, dass wir sehr sensibel sind. Also Provokation ist nicht unbedingt jetzt das entscheidende Stilelement, aber wir loten natürlich das aus, was wir an Möglichkeiten haben, und das machen wir mit einer bestimmten Art der Pfiffigkeit, aber es ist kein Katz-und-Maus-Spiel, aber es ist schon eine Möglichkeit, dass wir die Frei- und Dialogräume, die die Goethe-Institute darstellen, nutzen können, in den Räumen unzensiert zu arbeiten.
Und wir haben hier viele Beispiele: Die Militärdiktaturen in Brasilien, Salvatore de Bahia war einer der Orte, wo sich die Opposition traf, genauso in Buenos Aires. Sehen Sie sich Griechenland an, '74 ist die Diktatur der Militärs dort gefallen, auch da war das Athener Goethe-Institut ein Ort, wo man sich treffen konnte und sich austauschen konnte. Das ist keine politische Arbeit gewesen, es ist eine kulturelle Arbeit gewesen. Und wir sehen jetzt auch im Nahen Osten und in Nordafrika, die kulturelle Aufbruchstimmung war der entscheidende Ansatz, nicht die ideologische. Also insofern ist es tatsächlich so, dass wir sehr sensibel mit den Dingen umgehen, um uns und andere nicht zu gefährden, aber dass wir die rote Linie immer versuchen weiter hinauszuschieben.
Hanselmann: Heute ist der 60. Geburtstag des Goethe-Instituts oder der Goethe-Institute weltweit. Herr Lehmann, wenn Sie sich was wünschen dürften, was wäre das?
Lehmann: Wir haben natürlich jetzt den Blick immer sehr stark auf diese Gebiete, die wir eben angesprochen haben, diese Konfliktgebiete, aber ich würde mir wünschen, dass wir erstens die Chancen haben, dieses Europa wieder in den Blick zu nehmen und nicht, wie es früher schon mal der Fall war, dass man zulasten Europas ferne Gebiete mit Goethe-Instituten bestückt hat. Europa muss seinen Stellenwert behalten. Wir sehen, dass es eine falsche Politik ist, wenn wir Europa nur als Euroland betrachten. Also mein Wunsch an die Politik ist: Vernachlässigt Europa nicht in der Zukunft! Und das Zweite: Auch die transatlantische Allianz zwischen den USA und Deutschland wäre für mich ein wichtiges Anliegen, denn da ist ein wachsendes Unverständnis, und ich möchte mir in New York wünschen eine German Academy nach dem Muster der American Academy in Berlin.
Mehr zum Thema bei dradio.de:
Botschafter für deutsche Sprache und Kultur - Das Goethe-Institut feiert 60. Geburtstag