Veröffentlichungen zu TTIP

Enthüllung oder "Sensationsduktus"?

Alexander Graf Lambsdorff, stellvertretender EU-Parlamentspräsident
Alexander Graf Lambsdorff, stellvertretender EU-Parlamentspräsident © AFP/Romeo Gacad
Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Die von Greenpeace angekündigte Veröffentlichung vertraulicher Unterlagen zum TTIP-Abkommen sei "Teil einer Kampagne", sagt Alexander Graf Lambsdorff. Die "Süddeutsche Zeitung" berichte nicht objektiv, meint er.
Der Vize-Präsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, hat den "Sensationsduktus" um die bisherigen Veröffentlichungen zu den bisher geheimen TTIP-Verhandlungen kritisiert. Die "Süddeutsche Zeitung" verstehe sich als "Teil einer Kampagne", sagte er im Deutschlandradio Kultur:
"Sie berichtet nicht objektiv, sondern sie macht in ihren Schlagzeilen Verbindungen zwischen Textelementen, die, wenn man sie selber liest, überhaupt nicht hergeben, was die Schlagzeilen behaupten."
Die Verhandlungspositionen beider Seiten seien im Großen und Ganzen längst bekannt. Die "Süddeutsche Zeitung" mache "aus einer Maus einen Elefanten", meinte Lambsdorff.

"Von gentechnisch veränderten Produkten steht nichts im Text"

Den Dokumenten sei nicht zu entnehmen, dass die USA Druck machten, mehr genmanipulierte Produkte auf dem europäischen Markt zuzulassen, betonte Lambsdorff. Es gehe vielmehr etwa um das Problem niedriger Zölle für bereits in Deutschland zugelassene Produkte, wie etwa amerikanische Weine oder Erdnussbutter:
"Von gentechnisch veränderten Produkten steht in dem Text überhaupt nichts drin. Die 'Süddeutsche Zeitung' suggeriert das allerdings in ihren Überschriften."

TTIP und das Wirtschaftswachstum

Man könne nicht exakt prognostizieren, wieviel Wirtschaftswachstum durch das TTIP-Abkommen ausgelöst werde, räumte Lambsdorff ein. Er kritisierte in diesem Zusammenhang auch Äußerungen des Grünen-Europaabgeordneten Sven Giegold:
"Doch selbst Kritiker wie Herr Giegold bestreiten nicht, dass es einen Wachstumseffekt haben wird. Und wenn Sie sich in Südeuropa mal umschauen, mit der Arbeitslosigkeit dort, dann glaube ich, dass Wirtschaftswachstum ohne zusätzliche Staatsverschuldung genau das ist, was wir brauchen, um neue Arbeitsplätze, neue Chancen für die Menschen zu bekommen."

Das Interview im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Es geht um ein Abkommen zwischen den beiden größten Wirtschaftsräumen der Welt, die USA und die Europäische Union verhandeln ein Freihandelsabkommen. TTIP ist die Abkürzung, die so manche Sorge hervorruft, Sorge, dass europäische Standards sinken könnten. Sorgen, die neue Nahrung erhalten haben durch Veröffentlichungen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung", Dokumente, die ihnen von Greenpeace zugespielt wurden und die zeigen: Die USA machen beim Verbraucherschutz extrem Druck auf die EU und der Dissens ist größer, als oft behauptet.
Wir haben darüber heute Morgen schon mit dem Grünen-Europaabgeordneten und TTIP-Kritiker Sven Giegold gesprochen, wir tun es jetzt, wenn Sie so wollen, mit der anderen Seite. Am Telefon ist der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff. Guten Morgen!

Ist die Veröffentlichung ein "Dienst an der Demokratie"?

Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Ihr Kollege Giegold hat die Veröffentlichung der Papiere als Dienst an der Demokratie gefeiert. Teilen Sie diesen Enthusiasmus?
Graf Lambsdorff: Ich glaube, das ist etwas zu hoch gegriffen. In den Papieren finden sich Positionen der USA, die im Grunde seit langem bekannt sind. Insofern, ein Dienst an der Demokratie: Ja, da ist ein bisschen mehr Transparenz entstanden, aber der Sensationsduktus, der sich hier eingeschlichen hat, auch bei der "Süddeutschen Zeitung", in ihren Veröffentlichungen, den kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
Frenzel: Aber was wir wissen dank dieser Veröffentlichung, was wir nicht wussten, wie stark die Amerikaner ein Junktim daraus machen, eine Verbindung, dass sie sagen: Ihr müsst eure Standards senken, was zum Beispiel genmanipuliertes Essen angeht, und dann dürft ihr auch einfacher eure Autos bei uns verkaufen.

"Die 'Süddeutsche Zeitung' ist Teil einer Kampagne"

Graf Lambsdorff: Sehen Sie, Herr Frenzel, das ist völlig falsch, was Sie da sagen. Ich kann es leider nur so deutlich sagen, wenn Sie den entsprechenden Vertrag …
Frenzel: Das ist das, was ich in den Zeitungen gelesen habe.
Graf Lambsdorff: Ja, genau, und das ist das Problem der "Süddeutschen Zeitung". Die "Süddeutsche Zeitung" versteht sich hier als Teil einer Kampagne, sie berichtet nicht objektiv, sondern sie macht in ihren Schlagzeilen Verbindungen zwischen Textelementen, die, wenn man sie selber liest, überhaupt nicht hergeben, was die Schlagzeilen behaupten.
Ich gebe Ihnen, um mal nur auf Ihr Beispiel einzugehen, die Frage mit den landwirtschaftlichen Produkten und dem angeblichen Druck, genmanipulierte Produkte zuzulassen, das ist den Dokumenten objektiv nicht zu entnehmen. Was in den Dokumenten drin steht, ist klar: Wir als Europäer wollen niedrigere Zölle auf Autos in den USA. Und da sagen die Amerikaner in den Dokumenten: Jja, da kann man drüber reden, aber nur wenn auch die Zölle für amerikanische Produkte auf dem europäischen Markt gesenkt werden, und zwar Produkte aus der Landwirtschaft.
Hier handelt es sich aber – und das muss man als Hörer auch dann versuchen nachzuvollziehen – nicht etwa um neue Produkte oder andere Produkte, es handelt sich um niedrigere Zölle auf bereits zugelassene Produkte. Also amerikanische Weine, amerikanischen Käse, Erdnussbutter und so weiter. Dinge, die wir importieren, die sollen geringere Zölle kriegen. Von gentechnisch veränderten Produkten steht in dem Text überhaupt nichts drin. Die "Süddeutsche Zeitung" suggeriert das allerdings in ihren Überschriften und das führt sogar dazu, dass Sie in den Nachrichten bei Deutschlandradio Kultur diese Meldung wiederholen, die objektiv nicht belegbar ist aus den Dokumenten.

Das Transparenzproblem von TTIP

Frenzel: Wir werden es auf jeden Fall genauer wissen, wenn Greenpeace die Dokumente heute vorlegt. Ich verspreche Ihnen, wir schauen genau rein. Was es aber zeigt, ist doch ganz offenbar ein Transparenzproblem, dass, wenn Dokumente rauskommen, so selten es ist, dass sich dann alle darauf stürzen und versuchen, irgendeine Botschaft da herauszulesen. Ist das ein Zustand, der tragbar ist, dass wir eigentlich nur durch Zufälle, nur durch eigentlich Verstöße gegen die Regeln, durch Greenpeaces Verstöße gegen die Regeln überhaupt etwas erfahren?
Graf Lambsdorff: Na ja, ich sage mal so: Wenn Sie Verhandlungen führen – und das gilt für nahezu jede Verhandlung in jedem Lebensbereich, ob das jetzt Tarifverhandlungen sind, Verhandlungen vor Gericht in Zivil- oder Strafsachen oder auch Verhandlungen über sicherheitspolitische Fragen wie Rüstungskontrollabkommen –, dann brauchen Sie einen gewissen geschützten Bereich, in dem Sie Interessen definieren und dann auf Prioritäten festlegen.
Also, wo Sie sagen – nehmen Sie jetzt mal eine Tarifverhandlung –, wir wollen zwei Prozent oder vier Prozent mehr Gehalt und wir wollen zwei Urlaubstage mehr, dann entscheiden Sie als Gewerkschaftschef, uns sind die Urlaubstage wichtiger als die Gehaltssteigerungen, also sind wir bereit, dort nachzugeben, und hier werden wir aber hart bleiben. Das sagen Sie aber nicht in der Öffentlichkeit, denn sonst weiß die Gegenseite ja schon genau, worauf sie sich einstellen kann. Insofern, ein bestimmter Bereich dieser Verhandlungen muss geschützt sein.
Das ist Prärogative der Regierungen, also der Europäischen Kommission und der Amerikaner, und gelegentlich geraten Dokumente daraus in die Öffentlichkeit. Wie gesagt, in diesem Fall macht die "Süddeutsche Zeitung" hier aus einer Maus einen Elefanten, aber die Positionen sind im Großen und Ganzen längst bekannt.
Frenzel: Die Frage ist: Wofür machen wir das eigentlich alles? Sven Giegold hat heute Morgen bei uns im Interview gesagt, dass sich das eigentlich alles gar nicht lohnt. Wir hören einfach mal rein:
O-Ton Sven Giegold: Schon jetzt ist es so, dass die Vorhersagen über das hohe Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze, die von manchen Instituten prognostiziert werden – nicht von allen –, die sind ja nur erfüllbar, wenn man wirklich ein großes Paket schnürt. Und insofern ist auch die Kommission unter Druck, nicht ein Mini-TTIP abzuschließen. Und gerade was offensichtlich im Bereich des Verbraucherschutzes hier drin steht, dass das Vorsorgeprinzip nicht abgesichert ist, obwohl es in den europäischen Verträgen steht. Aus meiner Sicht stehen Demokratie und Standards eindeutig höher als ein kleines bisschen Wirtschaftswachstum, und hier geht es ja nun wirklich um kleine Brötchen, über die wir insgesamt reden.

TTIP bietet neue Arbeitsplätze und Chancen

Frenzel: Sven Giegold war das von den Grünen. Kleine Brötchen, Herr Lambsdorff. Lohnt sich der ganze Aufwand dafür?
Graf Lambsdorff: Also, interessant ist ja, dass der Kollege Giegold – der im übrigen eine politische Position hat, die in jedem Fall, egal was bei TTIP herauskommt, das Abkommen ablehnen möchte, er ist Mitgründer von Attac Deutschland, das muss man einfach wissen, die "Süddeutsche" zitiert ihn auch regelmäßig in ihren Artikeln. Aber auch Herr Giegold sagt, es wird Wirtschaftswachstum geben. Wie groß es ist, ist unklar. Und da bin ich mit ihm völlig einverstanden, er hat recht: Man kann nicht exakt prognostizieren, wie viel Wirtschaftswachstum durch TTIP ausgelöst werden wird.
Nur: Doch selbst Kritiker wie Herr Giegold bestreiten nicht, dass es einen Wachstumseffekt haben wird. Und wenn Sie sich in Südeuropa mal umschauen mit der Arbeitslosigkeit dort, dann glaube ich, dass Wirtschaftswachstum ohne zusätzliche Staatsverschuldung genau das ist, was wir brauchen, um neue Arbeitsplätze, neue Chancen für die Menschen zu bekommen.
Frenzel: Alexander Graf Lambsdorff, Vizepräsident des Europäischen Parlaments für die Liberalen. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch und ich glaube, wir müssen uns mal zusammensetzen, gemeinsam mit der "Süddeutschen" und mit Herrn Giegold!
Graf Lambsdorff: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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