Verpackungskünstler Christo

"Freiheit ist mir so wichtig wie mein Augenlicht"

Christo auf der 67. Berlinale: Freiheit ist da Wichtigste
Christo auf der 67. Berlinale: Freiheit ist da Wichtigste © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Christo im Gespräch mit Sigrid Brinkmann |
Der bulgarisch-amerikanische Künstler Christo hat die Berlinale besucht. Mit uns hat er über die Macht und Wirkung seiner Projekte gesprochen – und noch einmal begründet, warum er den Arkansas River nicht mehr überspannen will.
Olafur Eliasson wird nicht müde, die Wirkung der Naturelemente und des Lichts zu erforschen. Und was ist Filmkunst, wenn nicht ein Spiel mit dem Licht? Also hat Berlinale-Chef Dieter Kosslick den dänischen Künstler in die Jury des Filmfestivals geholt - und die Berlinale Talents konnten einen anderen weltbekannten Raum-Erkunder für ein Gespräch mit dem Publikum über die "Kunst des Verschwindens" gewinnen.
Im Interview mit dem Deutschlandradio Kultur machte Christo dann anschließend noch einmal klar, warum das Arkansas River Projekt für ihn gestorben ist. Er wollte den Fluss auf einer Länge von 60 Kilometern überspannen, die Vorbereitungen laufen, wie er berichtete, bereits seit Ende der 90er-Jahre. Doch nun habe er nicht zulassen wollen, dass jemand von dem Projekt profitiert, "mit dem ich nicht einverstanden bin". Der Flussabschnitt, den Christo "verhüllen" wollte, gehört den USA – "Besitzer" ist also der neue US-Präsident Trump.
Christo sagte in dem Interview, Freiheit sei für ihn das "Wichtigste überhaupt, so wichtig wie mein Augenlicht". Da mache er keine Kompromisse. Er müsse viel reden und Überzeugungsarbeit leisten – das sei notwendig bei seinen Projekten. Die Projekte entfalteten dann ihre eigene Macht und Wirkung, zusammen mit den Menschen. Es entstehe eine "räumliche Chemie" durch seine Kunst.
"Die Menschen leben in diesem Raum und ich beeinflusse das", sagte er. Bis zur Realisierung müsse er oft viele Dinge immer wieder ins Lot bringen. "Das ist keineswegs eine breite bequeme Straße", betonte er. Von seinen großen Vorhaben und Ideen haben Christo und seine verstorbene Frau Jeanne-Claude nur rund ein Drittel verwirklichen können. (ahe)


Das Gespräch im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Ein kleines Stückchen Gewebe steht bei mir auf dem Schreibtisch, exakt vier mal vier Zentimeter groß aus dicken, silberfarbenen Fäden, und das erinnert mich an eine Kunstaktion, die vor gut zwei Jahrzehnten in Berlin zum Happening wurde: Die Verhüllung des Berliner Reichstags durch Christo.
Bei der Berlinale hat der weltbekannte Raumerkunder bei den Berlinale Talents mit dem Publikum gestern über die Kunst des Verschwindens gesprochen, und nur ein einziges Hörfunkinterview hat der inzwischen 81-Jährige, dieser Verpackungskünstler, nach der Veranstaltung gegeben, und zwar uns. Anders als die Mehrheit der Künstler sorgt Christo ja seit fünf Jahrzehnten dafür, dass außer Fotografien, Skizzen und Materialproben – wie mein kleines Gewebestück – eben nichts von seinen Installationen bleibt. Meine Kollegin Sigrid Brinkmann hat ihn deshalb gefragt: Kein materielles Werk zu besitzen – bedeutet das Freiheit?

Ich fliehe, um Freiheit zu gewinnen

Christo: Ich fliehe, um die Freiheit zu gewinnen. Freiheit ist für mich das Wichtigste überhaupt, so wichtig wie mein Augenlicht, da gehe ich keine Kompromisse ein. Ich schätze sie sehr hoch, ich glaube an sie, vor allem aber spüre ich eine große Erleichterung. Wenn man frei ist, hat man diese Erleichterung.
Sigrid Brinkmann: Sie haben heute erzählt, dass Sie kein Interesse haben an diesen flachen Bildern, überhaupt an virtueller Kunst, und dass Sie diese Körperlichkeit auch schätzen. Als ich Ihnen zugehört habe, dachte ich, Sie machen eigentlich Volkskunst. Sie müssen mit so vielen Menschen sprechen, mit Parlamentariern, mit Lokalpolitikern, mit Anrainern von Orten, deren Land benutzt wird auch für Kunst. Das ist wunderbar. Und die Einschüchterung ist einfach nicht da.
Christo: In der Tat spreche ich viel. Das ist aber kein Selbstzweck, weil ich mich gern reden höre. Das Reden ist notwendig für das Projekt, und das Projekt entfaltet dann seine eigene Macht und Wirkung, eine dialektische Wirkung mit den Menschen. Aber Reden ist hier keine Selbstbeschäftigung.
Das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude zeigte im Jahr 2006 in der Rostocker Kunsthalle erstmals aktuelle Entwürfe zu ihrem Projekt "Over the river", einer Verhüllung des Flusses Arkansas im US-Bundesstaat Colorado, in der Öffentlichkeit.
Das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude zeigte im Jahr 2006 in der Rostocker Kunsthalle erstmals Entwürfe zu ihrem Projekt "Over the river"© picture alliance / dpa / Jens Büttner
Ich spreche mit vielen Entscheidungsträgern etwa in Deutschland. Man sagt mir: 'Wenn Sie nicht mit den Wählern sprechen, werde ich nicht für Ihr Projekt stimmen.' Also spreche ich mit führenden Vertretern der Bürgerschaft, mit den Arbeitern, und so entfaltet das Projekt eine eigene räumliche Chemie. Ein Raum, in dem die Menschen leben und in den ich mit meinen Projekten hineinwirke. Die Menschen leben ihr Leben in diesem Raum, und ich beeinflusse das. Das ist häufig gefährdet oder auch fragil. Manchmal muss man einen Schritt zurückgehen, man muss Dinge ins Lot bringen. Es ist aber keineswegs eine breite, bequeme Straße.
Brinkmann: 23 Arbeiten wurden zusammen mit Jeanne-Claude realisiert. 37 mussten aufgegeben werden. Sie haben kürzlich nach der Amtseinführung von Donald Trump das Arkansas River Project aufgegeben, die Überspannung von 60 Kilometern dieses Flusses, der insgesamt 2.300 Kilometer lang ist und durch vier amerikanische Bundesstaaten läuft. Ich habe gedacht, daraus kein Drama zu machen, es aufzugeben, das ist auch eine Kunst.

Die Projekte sind mit uns verbunden

Christo: Selbstverständlich. Aber die Projekte sind auch damit verbunden, wie und was wir sind, also ich selbst und Jeanne-Claude. Wichtig ist auch, wenn ein solches Projekt umgesetzt wird, dann zieht jemand daraus auch einen Vorteil oder Nutzen. Nicht ich oder wir oder Freunde, sondern vor allem zunächst einmal die Menschen, die dort leben, die Besitzer des jeweiligen Ortes.
Wir sind uns dessen bewusst, dass die Menschen, die die Verantwortung für den jeweiligen Ort tragen, also die Eigentümer, unmittelbar davon betroffen sind und auch unmittelbar davon profitieren. Vielleicht kann ich das im Radio nicht so richtig erklären, aber eines ist wichtig: Wir müssen ja zunächst einmal diesen Ort pachten oder mieten.
Dieses Projekt begann in den späten 1990er-Jahren während der Clinton-Regierung. Clinton hat das Projekt sehr gefördert. Danach wurde es schwieriger mit seinem Nachfolger Bush Junior, der acht Jahre im Amt war. Da tauchten sehr viele Schwierigkeiten auf. Und die eigentliche Genehmigung haben wir dann unter Obama erlangt.
Nur unter diesen Bedingungen konnte das Projekt die Genehmigung erlangen, und der Nutzen daraus, der geht natürlich dann an jemand anderen, und ich wollte nicht zulassen, dass jemand davon profitiert, zu dem ich keine Beziehung habe.

Trump darf nicht profitieren

Das Projekt war verzögert worden durch diese vielen komplizierten Prozesse und ähnliche Schwierigkeiten. Das kann ich jetzt nicht erklären. Eines ist aber sicher: Ich kann es nicht zulassen, dass dieses Projekt dann jemandem zum Vorteil gereicht, bei dem ich das nicht will. Ich will nicht, dass jemand davon profitiert, mit dem ich nicht einverstanden bin.
Brinkmann: Seit 1979 verfolgen Sie den Aufbau der Mastaba im Emirat Abu Dhabi. Die Mastaba ist ein archaisch aussehender Steinbau inmitten von Sanddünen und soll in allen möglichen Farben schillern, also ein gigantischer Bau, der höher als die Cheops-Pyramide werden soll. Welche Chancen sehen Sie denn, dass die Verantwortlichen dort bald ein Okay geben werden für ein Bauwerk, das sie ja auch an die Vergangenheit ihrer Region erinnern wird und soll?
Christos "Floating Piers"
Christos "Floating Piers" in Italien© dpa / Michael Kappeler
Christo: Ja. Aber das Projekt ist eigentlich nicht nur auf die Zukunft gerichtet, sondern vor allem drückt das Projekt eine Beziehung aus, die wir zu dem jeweiligen Ort haben, unterschiedliche Orte sprechen uns an, und zunächst einmal geht es tatsächlich um unsere Beziehung zu diesen Stätten.
Dieses Projekt haben wir lange mit viel Zuversicht gefördert. Wir haben es am Leben gehalten. Wir waren sehr optimistisch. Wir haben viel Geld ausgegeben und sehr viel Energie darauf verwandt. Etwas Ähnliches hatten wir bis dahin überhaupt nicht gemacht, es war etwas Neuartiges, und es ist ja beileibe nicht nur der Bau, sondern es sind auch große Flächen, fast 20 Quadratkilometer gehören ja auch dazu, vier mal fünf Kilometer. Also viele Dinge spielen da zusammen. Das ist der gesamte Umfang dieses Projektes, hochkomplex, eine Vielfalt an Beziehungen in diesem Ort zu diesen großartigen leeren Wüstenflächen und dem Fluss, der da entlangfließt.
Brinkmann: Das Mastaba-Projekt wäre das erste, das nicht abgebaut werden soll, und damit wäre es ja vielleicht auch eine schöne Ausnahme in Ihrem Lebenswerk.

Große Anmutung mit einfachen Mitteln

Christo: Aber nein, das ist keineswegs unser einziges bleibendes Kunstwerk. Es gibt viele Skulpturen von uns, die nicht entfernt werden und die auch dauerhaft entworfen sind. Und diese Architektur, die wir jetzt uns vorgenommen haben, ist hochkomplex. Mit einfachen Mitteln, einfachen Elementen, entfaltet sich eine große Macht der Anmutung, die Farben, das Licht, der Schatten, die Proportionen, alles das wirkt zusammen.
Und die Geometrie einer Mastaba ist ja keineswegs einfach oder vergleichbar mit der einer Pyramide. Man kann sie nur verstehen, wenn man wirklich das Bauwerk von allen Seiten umrundet. Sie haben ja in der Mastaba zwei vertikale Mauern und zwei geneigte Wände. Und wenn man innerhalb dieser geneigten Wände sich befindet, dann sieht man eine Treppe hochgehen, die höchste Treppe überhaupt. 150 Meter steigt man nach oben zum Paradies hin. Das ist eine gewaltige Treppe.
Brinkmann: Thanks a lot for the talk, and have a good time in Berlin!
Christo: Thank you!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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