Verrätselt

Von Bernhard Doppler |
Ungewohnt die Besetzung! Iphigenie spielt ein Mann mit Immigrationshintergrund: Falilou Seck - sein Vater Senegalese, seine Mutter Deutsche - und den taurischen König Thoas gibt die Diseuse Georgette Dee. Doch verblüffender Weise wirkt das - dank der großen Präsenz der beiden Darsteller - ganz natürlich, nirgendwo outriert.
Die Priesterin, die ihre Heimat Griechenland mit der Seele sucht und der entsagende Barbarenkönig. Dem schwulen Mann ist der Familiensinn Iphigenies fern. In ihrer Religiosität kommen sich beide nahe.

Wanda Golonka, Choreographin und feste Regisseurin des Schauspiel Frankfurt, hat vor allem die Insel Tauris im ehemaligen Straßenbahndepot Bockenheim in Szene gesetzt und die außereuropäischen Geister, die dort wohnen, beschworen. Eine Rikscha rollt auf Bühne, Iphigenie wirft Getreide in die Luft, das wie Regen herabrieselt, um ihren heiligen Bezirk auszumessen. Eine Melone wird rituell "geschlachtet" und immer wieder mit gut fünf Meter langen Bambusstäben hantiert. In der Ferne Zirpen oder Hundegekläff. Im Hosenanzug, geschützt von einem kaputten Sonnenschirm rezitiert in der Mitte des Abends – ein wenig ermüdend – Jennifer Minetti einen von Heiner Müller übermalten Text von Edgar Allen Poe über einen Naturdämon.

Aber es ist dennoch, wenn auch stark gekürzt, Goethes Text – vor allem von Seck einfühlsam gesprochen – der verrätselt wird. Als fremd hat Goethe selbst ja seine "Iphigenie" empfunden, die – indem sie das Ideal der europäischen Humanität – die Gleichsetzung des Wahren, Guten und Schönen – behauptet, doch auch "verteufelt human" sei.

Freilich für viele Zuschauer blieb dann doch manches allzu beliebig verrätselt und die Vermischung von Tanztheater und Schauspiel ist nicht nur Gewinn. Vielleicht hätte länger probiert werden müssen, denn bisweilen leidet beides: der aufgesagte Goethe-Text (besonders bei den Griechen Orest und Pylades) und die Präzision der Bewegung.