Verrätselte Geschichtspanoramen
Werner Tübke gilt als Begründer der sogenannten Leipziger Schule. Bekannt ist vor allem sein 120 Meter langes Panorama zum Bauernkrieg in Bad Frankenhausen. Anlässlich des 80. Geburtstag des 2004 verstorbenen Malers widmet das Leipziger Museum der bildenden Künste dem einstigen Sohn der Stadt eine umfangreiche Werkschau.
Dicht an dicht fügen sich die Figuren in Werner Tübkes Historienmalerei: Ob es die Mitglieder der sozialistischen Jugendbrigade sind, die sich in Schlips und Kragen um eine Art Abendmahlstisch versammelt haben oder seine eigene Familie, die der Leipziger Maler in Ritterrüstungen oder Renaissancegewänder steckt, die Tableaus strotzen von Motiven, es sind regelrechte Wimmelbilder.
Für Hans-Werner Schmidt, den Direktor des Museums der Bildenden Künste, ist das mehr als pure Freude am Malen – Tübke komponierte überlegt und mit System: "Engste Schichtungsmodelle von Widersprüchlichkeit, Komplexitäten, Absurditäten in der Gesellschaft, denen er in allen Verwurzelungen nachspürt. Man kann dabei die gemalten Strukturen wahrnehmen mit einem Scharfblick – mit einem Weichzeichnerblick guckt man in eine riesige Wolkenlandschaft."
Diesen gebrochenen Blick erzwingt Tübke 1958 regelrecht in seiner sogenannten Astoria-Serie, fünf Diptychen über die fünf Kontinente. Einst in einem Leipziger Hotel präsent, in dem auch viele West-Touristen verkehrten, sind die Doppelbilder nach 16 Jahren wieder öffentlich zu sehen.
Das freut Kurator Dietluf Sander – lässt ihn aber auch über den künstlerischen Werdegang Tübkes nachdenken: "Dass er sich natürlich auch entwickelt hat von den Astoria-Tafeln, wo er so alles nebeneinandergestellt hat, gerade bei dem Afrika-Bild: das geknechtete Volk und dann nachher das glückliche Volk – wir alle wissen, dass die nationalen afrikanischen Herrscher ihre eigenen Völker zumindest genauso ausgebeutet haben wie die Belgier oder die Engländer oder die Deutschen. Also, das sind auch Dinge, wo man auch gucken muss wann er sie gemalt hat und wie er sie gemalt hat."
An seinem altmeisterlichen Stil, der peniblen Pinselführung hat der 2004 gestorbene Tübke zeitlebens gearbeitet. Die Kulturfunktionäre der SED warfen dem Begründer der Leipziger Schule deshalb vor, er vergrabe wichtige politische Themen "unter seiner zu breitgespielten Klaviatur malerischer Fähigkeiten". Und dieses Beharren auf der künstlerischen Autonomie zieht sich durchs ganze Werk, bis hin zu Tübkes letzter Arbeit, dem erst nach der Wende vollendeten Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen.
Hans-Werner Schmidt: "Wenn man daran denkt, dass das Bauernkriegspanorama ja einmal als Siegesmal auf einer Etappe der frühbürgerlichen Revolution gemeint war, wo man dachte, Thomas Müntzer ist ein Ahne von Lenin und Thälmann – die Auftraggeber mussten sich sehr wahrscheinlich mehrfach die Augen reiben, weil jede Zukunftsperspektive in apokalyptischen Gräueltaten unterging."
Geschichte als Kette von Gewalttaten, das ist neben der oft düsteren Farbgebung ein prägendes Merkmal dieser Malerei. Und wenn der Künstler selbst als Harlekin auftaucht, das anonyme Opfer der Konterrevolution in Chile wie ein antiker Held beweint und die Arbeiterbewegung in der Manier eines Renaissance-Zyklus dargeboten wird, dann zeigt sich darin auch Tübkes Abkehr von der Vorstellung des quasi automatischen Fortschritts, von einer linearen Geschichtsauffassung.
Kurator Dietluf Sander: "Na klar kennt man so einen Satz wie "Ich kenne keine Zeit-Achse!" Aber an diesen Stellen sieht man dann, wie er einfach die Register parat hatte und ziehen konnte. Und das lässt einen manchmal schon grübelnd zurück."
Denn die 90 Gemälde der Leipziger Retrospektive bebildern ja nicht die bunte Szenerie eines Kostümfilms, frönen auch nicht einem aufgesetzten Anachronismus, sondern demonstrieren den reflektierten Rückgriff auf die Kunstgeschichte, die Auseinandersetzung mit so unterschiedlichen Temperamenten wie Pontormo, El Greco oder Delacroix:
Dietluf Sander: "Es sind ja Dinge, die wieder durch sein Denken gegangen sind und gefiltert worden sind und sich auch immer wieder ändern indem er oft eine Figur, die ich gottseidank gerade begriffen habe in einem andren Zusammenhang setzt. Insofern ist Tübke ein Maler einer sehr fließenden Entwicklung, der nie zufrieden damit war, ein gefundenes Ding immer wieder irgendwo hinzusetzen."
So formte ein Maler seine eigenen Weltentwürfe, keine Fantasiewelten, sondern aus dem realen Alltagsgeschehen entsprungene Visionen und Vorstellungen. In regelrechte Opposition zur DDR drohte der Vorzeigekünstler Werner Tübke nie zu geraten. Aber seine virtuos verrätselten Geschichtspanoramen verhalfen doch dem einen oder anderen zu einem tröstlichen Seitenblick, vermutet Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt:
"Die Nachgeborenen werden diese Bilder nicht mehr so einfach decodieren können. Sie müssen sich vorstellen: Tübke praktiziert den Eigensinn als Künstler und auch als Bürger dieses Staates und nimmt kein Blatt vor den Pinsel, möchte ich sagen. Ich kann mir vorstellen, dass viele Menschen sich gerne mit ihm identifiziert haben – sie selbst konnten das in ihrem Alltag nicht praktizieren, aber diese Bilder machten ihnen Mut, dass so etwas dann doch geht."
Service:
Die Ausstellung ist vom 14. Juni bis 13. September 2009 im Museum der bildenden Künste in Leipzig zu sehen.
Für Hans-Werner Schmidt, den Direktor des Museums der Bildenden Künste, ist das mehr als pure Freude am Malen – Tübke komponierte überlegt und mit System: "Engste Schichtungsmodelle von Widersprüchlichkeit, Komplexitäten, Absurditäten in der Gesellschaft, denen er in allen Verwurzelungen nachspürt. Man kann dabei die gemalten Strukturen wahrnehmen mit einem Scharfblick – mit einem Weichzeichnerblick guckt man in eine riesige Wolkenlandschaft."
Diesen gebrochenen Blick erzwingt Tübke 1958 regelrecht in seiner sogenannten Astoria-Serie, fünf Diptychen über die fünf Kontinente. Einst in einem Leipziger Hotel präsent, in dem auch viele West-Touristen verkehrten, sind die Doppelbilder nach 16 Jahren wieder öffentlich zu sehen.
Das freut Kurator Dietluf Sander – lässt ihn aber auch über den künstlerischen Werdegang Tübkes nachdenken: "Dass er sich natürlich auch entwickelt hat von den Astoria-Tafeln, wo er so alles nebeneinandergestellt hat, gerade bei dem Afrika-Bild: das geknechtete Volk und dann nachher das glückliche Volk – wir alle wissen, dass die nationalen afrikanischen Herrscher ihre eigenen Völker zumindest genauso ausgebeutet haben wie die Belgier oder die Engländer oder die Deutschen. Also, das sind auch Dinge, wo man auch gucken muss wann er sie gemalt hat und wie er sie gemalt hat."
An seinem altmeisterlichen Stil, der peniblen Pinselführung hat der 2004 gestorbene Tübke zeitlebens gearbeitet. Die Kulturfunktionäre der SED warfen dem Begründer der Leipziger Schule deshalb vor, er vergrabe wichtige politische Themen "unter seiner zu breitgespielten Klaviatur malerischer Fähigkeiten". Und dieses Beharren auf der künstlerischen Autonomie zieht sich durchs ganze Werk, bis hin zu Tübkes letzter Arbeit, dem erst nach der Wende vollendeten Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen.
Hans-Werner Schmidt: "Wenn man daran denkt, dass das Bauernkriegspanorama ja einmal als Siegesmal auf einer Etappe der frühbürgerlichen Revolution gemeint war, wo man dachte, Thomas Müntzer ist ein Ahne von Lenin und Thälmann – die Auftraggeber mussten sich sehr wahrscheinlich mehrfach die Augen reiben, weil jede Zukunftsperspektive in apokalyptischen Gräueltaten unterging."
Geschichte als Kette von Gewalttaten, das ist neben der oft düsteren Farbgebung ein prägendes Merkmal dieser Malerei. Und wenn der Künstler selbst als Harlekin auftaucht, das anonyme Opfer der Konterrevolution in Chile wie ein antiker Held beweint und die Arbeiterbewegung in der Manier eines Renaissance-Zyklus dargeboten wird, dann zeigt sich darin auch Tübkes Abkehr von der Vorstellung des quasi automatischen Fortschritts, von einer linearen Geschichtsauffassung.
Kurator Dietluf Sander: "Na klar kennt man so einen Satz wie "Ich kenne keine Zeit-Achse!" Aber an diesen Stellen sieht man dann, wie er einfach die Register parat hatte und ziehen konnte. Und das lässt einen manchmal schon grübelnd zurück."
Denn die 90 Gemälde der Leipziger Retrospektive bebildern ja nicht die bunte Szenerie eines Kostümfilms, frönen auch nicht einem aufgesetzten Anachronismus, sondern demonstrieren den reflektierten Rückgriff auf die Kunstgeschichte, die Auseinandersetzung mit so unterschiedlichen Temperamenten wie Pontormo, El Greco oder Delacroix:
Dietluf Sander: "Es sind ja Dinge, die wieder durch sein Denken gegangen sind und gefiltert worden sind und sich auch immer wieder ändern indem er oft eine Figur, die ich gottseidank gerade begriffen habe in einem andren Zusammenhang setzt. Insofern ist Tübke ein Maler einer sehr fließenden Entwicklung, der nie zufrieden damit war, ein gefundenes Ding immer wieder irgendwo hinzusetzen."
So formte ein Maler seine eigenen Weltentwürfe, keine Fantasiewelten, sondern aus dem realen Alltagsgeschehen entsprungene Visionen und Vorstellungen. In regelrechte Opposition zur DDR drohte der Vorzeigekünstler Werner Tübke nie zu geraten. Aber seine virtuos verrätselten Geschichtspanoramen verhalfen doch dem einen oder anderen zu einem tröstlichen Seitenblick, vermutet Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt:
"Die Nachgeborenen werden diese Bilder nicht mehr so einfach decodieren können. Sie müssen sich vorstellen: Tübke praktiziert den Eigensinn als Künstler und auch als Bürger dieses Staates und nimmt kein Blatt vor den Pinsel, möchte ich sagen. Ich kann mir vorstellen, dass viele Menschen sich gerne mit ihm identifiziert haben – sie selbst konnten das in ihrem Alltag nicht praktizieren, aber diese Bilder machten ihnen Mut, dass so etwas dann doch geht."
Service:
Die Ausstellung ist vom 14. Juni bis 13. September 2009 im Museum der bildenden Künste in Leipzig zu sehen.